Beschluss vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 V 2435/14


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Tenor

I. Die Vollziehung der Bescheide über die Festsetzung von Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das 1. und 2. Kalendervierteljahr 2013 vom 20. August 2013 wird ausgesetzt, bzw. aufgehoben gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 215.170,47 €, die auch durch Bankbürgschaft erbracht werden kann.

Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

III. Die Beschwerde wird zugelassen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Steuerfreiheit von Umsätzen aus Frischzellen-Behandlungen.

2

Die Antragstellerin – Ast. – wurde am 28.01.2009 im Handelsregister eingetragen. Alleiniger Gesellschafter ist seit Dezember 2012 Herr C aus Bangkok, Thailand. Die Antragstellerin besitzt die Erlaubnis zum Betrieb einer privaten Krankenanstalt/Sanatorium. Eine Zulassung nach § 108 SGB V liegt nicht vor. Die Ast. führt Frischzellen-Therapien durch.

3

Die Ast. bezeichnet sich als naturheilkundlich orientierte Fachklinik (www.name.com). Ihre Patienten, die überwiegend aus dem Ausland kommen, werden während der 4 Tage (3 Übernachtungen) dauernden Behandlungen in den hotelmäßig ausgestatteten Räumen der Ast. untergebracht, teils auch mit Begleitpersonen.

4

Die Rechnungen für die Frischzellen-Behandlungen werden ohne Ausweis von Umsatzsteuer erstellt. Die separaten Rechnungen für die Unterkunft enthalten den Hinweis „MwSt 19%“ ohne betragsmäßige Bezifferung des Steuerbetrages (Beispiele Bl. 18 ff. Prüfungsakte).

5

Die Ast. erklärte in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen die Umsätze aus den Behandlungen als steuerfreie Umsätze gem. § 4 Nr. 14 a UStG.

6

Die Umsätze aus den Übernachtungen der Patienten versteuerte die Ast. unter Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG mit 7%.

7

Für das 1. und 2. Quartal des Jahres 2013 wurde bei der Ast. eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durchgeführt. Das Prüfungsergebnis ist im Bericht vom 16.12.2013 dargestellt.

8

Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, dass die Umsätze der Ast. aus den Frischzellen-Therapien nicht gemäß § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreit seien (Tz. 15 des Prüfungsberichts). § 4 Nr. 14 lit. a) UStG sei nicht anwendbar, da die Klägerin ihre Leistungen in einem Krankenhaus erbringe und deshalb § 4 Nr. 14 lit. b) UStG vorrangig anzuwenden sei. Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 lit. b) UStG seien nicht erfüllt.

9

Dies führte zur Erhöhung der mit 19% steuerpflichtigen Umsätze für das I. Quartal 2013 um 483.495 € netto (USt 91.864,05 €) und für das II. Quartal 2013 um 973.328 € netto (USt 184.932,32 €). Aufgrund einer Abweichung der festgestellten von den vorangemeldeten Umsätzen wurden die steuerpflichtigen Umsätze für das II. Quartal um weitere 3.781 € netto erhöht.

10

Die Übernachtungen seien nicht gem. § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG ermäßigt zu besteuern, da es sich um mit den Krankenhausbehandlungen eng verbundene Umsätze handele (Tz. 16 des Prüfungsberichts).

11

Für das I. Quartal 2013 wurden mit 19% steuerpflichtige Umsätze aus den Übernachtungen in Höhe von 97.359 € netto festgestellt (19% USt = 18.498,21 €). Die mit 7% versteuerten Umsätze wurden um 102.446 € reduziert (USt 7.171,22 €).
Für das II. Quartal 2013 wurden mit 19% steuerpflichtige Umsätze aus den Übernachtungen in Höhe von netto 181.738 € festgestellt (USt 34.530,22 €). Die mit 7% versteuerten Umsätze wurden um 207.954 € reduziert (USt 14.566,57 €).
Bisher als nicht abzugsfähig behandelte Vorsteuern in Höhe von 56.582,92 € für das I. Quartal und in Höhe von 37.641,39 € für das II. Quartal 2013 wurden abgezogen.

12

Der Antragsgegner – Ag. – erließ am 20.08.2014 aufgrund des Prüfungsberichts geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das 1. und 2. Quartal 2013, in denen die Umsätze aus den Frischzellen-Therapien als steuerpflichtig behandelt wurden.

13

Die Nachforderungen betragen 48.832,80 € für das I. Quartal 2013 und 166.337,67 € für das II. Quartal 2013. Nach Verrechnung mit Guthaben verbleiben offene Steuerforderungen in Höhe von 213.886,07 €.

14

Die Ast. legte gegen diese Bescheide Einspruch ein. Über die Einsprüche wurde noch nicht entschieden.

15

Am 23.09.2014 gewährte der Ag. AdV unter dem Vorbehalt des Widerrufs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 213.886,07 €, zu erbringen durch Bankbürgschaft bis zum 17.10.2014. Die Frist wurde bis 04.11.2014 verlängert. Die Sicherheitsleistung wurde von der Ast. nicht erbracht. Mit Bescheid vom 12.11.2014 wurde die AdV vom Ag. widerrufen.

16

Zur Begründung ihres bei Gericht gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung – AdV – der angefochtenen Vorauszahlungsbescheide für das I. und II. Quartal 2013 trägt die Ast. vor:

17

Sie führe medizinische Behandlungen – nahezu ausschließlich Frischzellentherapien – in den von ihr gemieteten Räumen durch. Dazu würden den Patienten nach einem bestimmten Verfahren gewonnene Frischzellen tierischer Herkunft injiziert, anschließend bleibe der Patient noch zwei bis drei Tage in den Räumen der Ast. zur Beobachtung, da allergische Reaktionen nicht auszuschließen seien. Gesetzlich geregelt seien die Therapien im Arzneimittelgesetz, insbesondere in §§ 4 Abs. 21, 13 Abs. 2b AMG. Injektionen und Nachsorge könnten ambulant durchgeführt werden, sofern der niedergelassene Arzt die nach dem AMG erforderlichen Voraussetzungen erfülle; eine stationäre Aufnahme sei nicht erforderlich.

18

Die Maßnahmen seien medizinisch indiziert. Geschultes medizinisches Fachpersonal führe die Maßnahmen unter ärztlicher Verantwortung durch.

19

Die Ast. stelle komfortable Unterkünfte und Verpflegungsleistungen zur Verfügung, die sie gesondert abrechne. Hierbei handele es sich um selbstständige Hauptleistungen, die im Inland mit 7% bzw. 19% steuerpflichtig seien. Die Wettbewerber der Ast. würden ihre Patienten in Hotels unterbringen. Die Ast. behandele überwiegend ausländische Patienten.

20

Die Rechtsauffassung des Umsatzsteuer-Sonderprüfers stehe in Widerspruch zu dem bei mehreren Betriebsprüfungen beim Rechtsvorgänger der Ast. vertretenen Standpunkt; diesem sei die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 a) UStG stets gewährt worden. Am 21.01.2014 habe beim Ag. eine Besprechung stattgefunden, in der die zuständige Sachgebietsleiterin die AdV für das Rechtsbehelfsverfahren zugesagt habe. Von der Anforderung einer Sicherheitsleistung sei keine Rede gewesen.

21

Gemäß § 4 Nr. 14 a) UStG seien Heilbehandlungen, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt erbracht würden, steuerfrei.

22

Krankenhausbehandlungen seien gemäß § 4 Nr. 14 b) UStG unter den dort definierten Voraussetzungen steuerfrei. Der Begriff des Krankenhauses bestimme sich nach § 2 Abs. 1 Krankenhausgesetz – KHG –. Zweck des KHG sei die Sicherung der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern zu sozial tragbaren Pflegesätzen. Das Bundesfinanzministerium habe in seinem Schreiben vom 26.06.2009 unter Rz. 38 den Begriff des Krankenhauses in Übereinstimmung mit § 107 Abs. 1 SGB V wie folgt definiert:

23

Krankenhäuser sind Einrichtungen, die

        

1. der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen,

        

2. fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen

        
        

- über ausreichend, ihrem Versorgungsauftrag entsprechend diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen      

        

- und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten       

3. mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichen, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind,

        
        

- vorwiegend durch ärztliche und pflegerisch Hilfeleistung

        
        

  Krankheiten der Patienten zu erkennen,

        
        

  zu heilen,

        
        

  ihre Verschlimmerung zu verhüten,

        
        

  Krankheitsbeschwerden zu lindern

        
        

  oder Geburtshilfe zu leisten

        

und in denen

        

4. die Patienten untergebracht und verpflegt werden können.

        

24

Die Ärzte der Ast. behandelten die Patienten nach wissenschaftlich nicht eindeutig anerkannten Therapieverfahren. Deshalb würden die Kosten von den Krankenkassen nicht erstattet.

25

Die Ast. erfülle auch keinen Versorgungsauftrag. Es würden Patienten lediglich zur Vorbeugung, Gesunderhaltung, Stärkung des Immunsystems etc. behandelt. Die Ast. könne weder internistische Behandlungen, noch Operationen durchführen.

26

Die Bezeichnung der „Name“ als Klinik sei insbesondere der Werbung in englischer Sprache geschuldet und habe keine Bedeutung. Der englische Begriff „clinic“ werde für Arztpraxen verwendet, während das Krankenhaus als „hospital“ bezeichnet werde. Die Bezeichnung stamme zudem aus der Zeit des Rechtsvorgängers, der auch onkologische Behandlungen durchgeführt habe.

27

Die Betten stelle die Ast. lediglich deshalb bereit, weil ihre Patienten von weit her anreisten und es in der näheren Umgebung nicht genügend geeignete Hotels gebe. Hieran habe sich gegenüber den mehrfach vom Ag. geprüften Rechtsvorgängern nichts geändert.

28

Die Heilbehandlungen der Ast. würden im Rahmen von ärztlichen Tätigkeiten durchgeführt und seien gemäß § 4 Nr. 14 a) UStG steuerfrei. Die Vorschrift des § 4 Nr. 14 b) UStG sei nicht anwendbar, da die Ast. kein Krankenhaus im Sinne dieser Vorschrift betreibe.

29

Für die Anwendung des § 4 Nr. 14 a) UStG komme es nicht darauf an, in welcher Rechtsform der Unternehmer die Leistung erbringe. Es sei auch nicht erforderlich, dass der Geschäftsführer der Ast. ein entsprechend qualifizierter Berufsträger sei. Voraussetzung sei auch nicht, dass die Heilbehandlungen aufgrund einer unmittelbaren Vertragsbeziehung zum Patienten erbracht würden.

30

Der Begriff der Heilbehandlung sei nicht gesetzlich definiert. Eine Heilbehandlung liege vor, wenn diese einen therapeutischen Zweck verfolge. Auch vorbeugende Maßnahmen könnten Heilbehandlungen sein.

31

Selbst wenn man die Ast. als Krankenhaus ansehe, sei die Steuerbefreiung zu gewähren, da die Ast. sich in diesem Fall unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 lit. b) der MwStSystRL berufen könne. Gleiche Leistungen unter vergleichbaren Umständen dürften bei der Besteuerung nicht unterschiedlich behandelt werden. Hierzu werde verwiesen auf den Beschluss des FG Münster vom 18.04.2011 – 5 V 111/11 U und das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 28.11.2012 – 14 K 2883/10.

32

Zur Möglichkeit der unmittelbaren Berufung auf Art. 132 Abs. 1 lit. b) MwStSystRL werde auch verwiesen auf das Urteil des FG Münster vom 18.03.2014 – 15 K 4236/11 U (EFG 2014, 1047; bestätigt durch BFH-Urteil vom 23.10.2014 – V R 20/14, Juris, BFH/NV 2015, 631).

33

Die Leistungen der Klägerin fielen unter den Begriff der ärztlichen Heilbehandlungen i.S. des Art. 132 Abs. 1 lit. b) MwStSystRL, bzw. der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i. S. des Art. 132 Abs. 1 lit. c) MwStSystRL. Die Behandlungen würden von Personen erbracht, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen seien. Somit komme es allein darauf an, ob die Behandlungen medizinisch indiziert seien oder lediglich dem allgemeinen Wohlbefinden aus der subjektiven Sicht des Patienten dienten. Im Klageverfahren könne die Ast. anhand von Dokumentationen aufgrund anonymisierter Patientenunterlagen die medizinische Indikation in jedem Einzelfall nachweisen entsprechend dem Urteil des BFH vom 04.12.2014 – V R 16/12 (Juris, BFH/NV 2015, 645).

34

Die Ast. führe ihre Leistungen fast ausschließlich für die Name International Co. Ltd. (VMI) mit Sitz in Bangkok aufgrund von Geschäftsbesorgungsverträgen aus; Behandlungsverträge mit Patienten würden nur in Ausnahmefällen abgeschlossen. Gesellschaftsrechtliche Verbindungen zwischen beiden Gesellschaften bestünden nicht.

35

Die Ast. habe glaubhaft gemacht, dass es sich bei VMI um einen Unternehmer handele und dass die Leistungen der ASt. für deren Unternehmen bezogen würden. Die Annahme des Ag., dass es sich bei VMI um eine wirtschaftlich inaktive Gesellschaft handele, sei unzutreffend.

36

Der Ort der Leistung liege somit gemäß § 3a Abs. 2 UStG am Sitz der VMI. VMI habe keine Betriebsstätte im Inland. Die Leistungen der Ast. seien im Inland nicht steuerbar.

37

Soweit Vorsteuern auf Leistungen entfallen, die – läge der Ort der Leistung im Inland – mit 7% steuerpflichtig wären, stehe der Ast. der Vorsteuerabzug zu.

38

Die Verpflegungsleistungen seien von der Ast. zutreffend mit 19% versteuert worden; insoweit sei auch der Vorsteuerabzug zu gewähren.

39

Ergänzend wird auf die Schriftsätze vom 20.11.2014 (Bl. 11 – 18 PA) und vom 20.02.2015 (Bl. 55 – 60 PA) Bezug genommen.

40

Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Bescheide vom 20. August 2014 über die Festsetzung von Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das 1. Kalendervierteljahr 2013 in Höhe von 48.832,80 € und für das 2. Kalendervierteljahr 2013 in Höhe von 166.337,67 € auszusetzen, bzw. aufzuheben,
hilfsweise gegen Sicherheitsleistung.

41

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.

42

Bei der Ast. handele es sich um eine Vorsorgeklinik gem. BMF-Schreiben vom 26.06.2009, Rz. 51-52 (BStBl I 2009, 756), deren Leistungen nicht von den Kassen übernommen würden (vgl. § 107 Abs. 2 SGB V).

43

Aufgrund der Komplexität des Sachverhalts und dessen rechtlicher Beurteilung könnten bei summarischer Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen.

44

Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 14 lit. a und b UStG

45

Bei der von der Ast. betriebenen Einrichtung handele es sich um ein Krankenhaus, welches jedoch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 b) UStG nicht erfülle. Ein Krankenhaus sei eine Anstalt, in der durch ärztliche Hilfeleistungen die Heilung oder Besserung von Leiden der dort untergebrachten Patienten erstrebt werde, die entweder nur in einer solchen Anstalt behandelt werden könnten oder üblicherweise und zweckmäßiger Weise in einer solchen Anstalt behandelt würden.
Die Ast. besitze eine von der Kreisverwaltung Südliche Weinstraße am 09.12.2008 ausgestellte Erlaubnis zum Betreiben einer privaten Krankenanstalt nach § 30 GewO. In ihren Rechnungsvordrucken weise sie darauf hin, dass sie laut Zulassungsurkunde gem. § 30 GewO als Akut- und Fachkrankenhaus für Naturheilkunde und Onkologie zugelassen sei. In ihrem Internet-Auftritt (www.name.com) und in ihren Informationsprospekten werbe sie damit, eine Privatklinik zu sein, in der die Frischzellentherapie stationär und damit therapiegerecht durchgeführt werde. Die Ast. „habe das Privileg eines Krankenhauses“. Weiterhin werde damit geworben, unterschiedlichste Leiden, Krankheiten und Gebrechen zu behandeln wie z.B. Anti-Aging, Revitalisierung, allergische Erkrankungen, chronische neurologische Erkrankungen, angeborene und frühkindliche Nervenleiden, chronische funktionelle degenerative Organerkrankungen, funktionelle degenerative Knochenapparat-Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Störungen, Wachstumsstörungen, Depressionen, Psychosen, Zusatzbehandlungen bei Krebserkrankungen. Im Rejuventationszentrum könnten auch klassische Krankheiten in den einzelnen Fachabteilungen behandelt werden. Die Ast. beschäftige mehrere Ärzte und medizinisches Pflegepersonal. Die übliche Verweildauer betrage drei bis fünf Tage. Die Patienten seien währenddessen im Haus der Ast. untergebracht und würden von der Ast. verpflegt.

46

Mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbunden seien die medizinische Betreuung und Pflege, sowie die Unterbringung und Verpflegung der Patienten. Die Behandlungsleistungen der Ärzte, sowie der Personen mit ähnlicher heilberuflicher Tätigkeit könnten nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 a) UStG subsumiert werden. § 4 Nr. 14 b) UStG sei lex specialis.

47

Ärztliche Leistungen eines Krankenhauses seien vielmehr nur unter den in § 4 Nr. 14 b) UStG genannten Voraussetzungen steuerbefreit.

48

Ort der Leistung

49

Der Antragsgegner trete der Auffassung der Ast., ihre Leistungen würden an die VMI erbracht und seien daher gemäß § 3a Abs. 2 UStG im Inland nicht steuerbar, entgegen.

50

Bereits im Rahmen der Betriebsprüfung für die Jahre 2009 bis 2012 sei die Ast. gebeten worden, folgende Unterlagen vorzulegen:

        

-     

die die ausländischen Firmen betreffenden Abrechnungen der Behandlungen, der Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen

        

-       

die den Leistungen zugrunde liegenden Behandlungsverträge

        

-       

die vertraglichen Vereinbarungen mit den ausländischen Unternehmen

        

-       

den Nachweis der Unternehmereigenschaft der angeblichen ausländischen Vertragspartner

        

-       

eine Aufstellung der relevanten Umsätze

51

In der Buchführung seien die angeblich mit VMI erzielten Umsätze nicht auf separaten Erlöskonten verbucht worden.

52

Im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung seien lediglich Rechnungen an VMI vorgelegt worden (Bl. 26 – 32 USt-Sonderprüfungsakte). Für die umsatzsteuerliche Beurteilung sei jedoch der Behandlungsvertrag relevant. Behandlungsverträge würden üblicherweise mit den Patienten abgeschlossen. Damit sei der jeweilige Patient Leistungsempfänger. Es liege auch keine Leistungserbringung durch VMI an die Patienten vor, da eine derartige Behandlungsleistung nicht delegiert werden könne.

53

Soweit die Ast. vortrage, Behandlungsverträge mit ausländischen Patienten habe es nur in Ausnahmefällen gegeben, sei dies nicht glaubhaft. Dies widerspreche den Regelungen der §§ 630a ff. BGB. Danach seien Parteien eines Behandlungsvertrages der Behandelnde und der Patient. Ein Dritter werde auch dann nicht Partei dieses Vertrages, wenn er die Vergütung bezahlen müsse.
Der Patient müsse gem. § 630e BGB über die Behandlung und deren mögliche Folgen aufgeklärt werden und er müsse gem. § 630d BGB in die Behandlung einwilligen.
Eine Delegation ärztlicher Leistungen sei nur eingeschränkt möglich. Im Falle der Delegation müsse der Leistungsverpflichtete in der Lage sein, den die Leistung tatsächlich ausführenden Arzt zu überwachen und ggf. einzugreifen. Dies sei nur bei einer Leistungsbeziehung zwischen der Ast. selbst und den Patienten möglich.

54

Hinsichtlich der vertraglichen Vereinbarungen mit den südost-asiatischen Unternehmen liege dem Ag. nur das „agreement of cooperation“ mit der VMI Singapore vor. Auffällig sei dabei bereits, dass die Vereinbarung vom 05.03.2011 datiere, die VMI aber erst am 10.09.2012 gegründet worden sein soll. Inwieweit diese Vereinbarung noch für die streitigen Zeiträume in 2013 relevant sein soll, sei nicht erkennbar, da die Ast. nach eigenem Vortrag in dieser Zeit fast nur noch mit der VMI Bangkok Geschäftsbeziehungen gehabt habe. Zudem habe die Vereinbarung lediglich die Akquisition von Patienten im asiatischen Raum zum Gegenstand.

55

Die Unternehmereigenschaft der VMI sei bislang auch nicht nachgewiesen.

56

Die Ast. könne sich nicht unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 lit. b) der MwStSystRL berufen. Voraussetzung hierfür sei, dass Umsätze aufgrund von Leistungen von Einrichtungen öffentlichen Rechts oder solchen Einrichtungen, die unter den gleichen Bedingungen tätig seien und in sozialer Hinsicht vergleichbar seien, vorlägen. Andernfalls sei die Vorschrift nicht anwendbar. In Bezug auf die Vergleichbarkeit seien folgende Gesichtspunkte kumulativ zu prüfen:

        

-    mit den Tätigkeiten des Steuerpflichtigen müsse ein Gemeinwohlinteresse verbunden sein   

        

-    andere Steuerpflichtige mit der gleichen Tätigkeit unter in sozialer Hinsicht gleichen Bedingungen seien bereits in den Genuss der Steuerbefreiung gekommen   

        

-    die Kosten der fraglichen Leistungen würden zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen   

57

Die im BFH-Urteil vom 23.10.2014 – V R 20/14 genannten Voraussetzungen seien bei der Ast. nicht gegeben. Es sei nicht erkennbar, dass die Klinik der Ast. dem Gemeinwohlinteresse diene. Die Ausstattung der Zimmer und die Verpflegung gingen weit über die reguläre Ausstattung eines Plankrankenhauses hinaus. Die Ast. werbe damit, um zahlungskräftige Kunden zu gewinnen. Die von ihr angebotene Frischzellen-Therapie sei ein umstrittenes komplementärmedizinisches Verfahren, dessen Kosten die Krankenkassen nicht erstatten.

58

Nach dem Beschluss des BFH vom 14.02.1084 - VIII B 112/83, BStBl II 1984, 442 sei von der Anforderung einer Sicherheitsleistung abzusehen, wenn aufgrund rechtlicher Erwägungen mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Antragsteller günstiger Prozessausgang zu erwarten sei.
Diese Voraussetzung liege im Streitfall nicht vor.

59

In Anbetracht der Höhe der Steuerforderungen und der aufgrund des komplexen Sachverhalts möglicherweise längeren Verfahrensdauer sei die Anforderung einer Sicherheitsleistung gerechtfertigt. Die Ast. selbst habe in ihrem Schreiben vom 06.11.2014 an den Ag. vorgetragen, dass ihr bei Durchsetzung der Steuerforderungen der wirtschaftliche Ruin drohe.

60

Die Ast. habe nicht glaubhaft gemacht, dass eine Sicherheitsleistung für sie unzumutbar sei. Der geringe Gewinn im Jahr 2012 sei bedingt durch außerplanmäßige Abschreibungen auf den Firmenwert in Höhe von 147.261 € und Mietereinbauten in Höhe von 659.615 €. Die Umsatzerlöse in 2011 hätten über 3 Mio. € betragen und seien in 2012 auf über 5 Mio. € gesteigert worden.

61

Bei der Ast. habe eine Betriebsprüfung stattgefunden. Analog den hier streitigen Zeiträumen seien für die Jahre 2009 bis 2012 Änderungsbescheide ergangen, die zu Steuernachforderungen von 1,5 Mio. € geführt hätten.

62

Die Berichterstatterin hat einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf das Protokoll vom 12.03.2015 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

63

II. Der Antrag ist teilweise begründet.

64

Die Vollziehung der streitbefangenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide wird ausgesetzt in Höhe von 213.886,07 €; im Übrigen wird die Vollziehung aufgehoben.

65

Die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung erfolgt gegen Sicherheitsleistung in Höhe des auszusetzenden Betrages.

1.

66

Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder dessen Vollziehung eine für den Betroffenen unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstellen würde.

67

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten bei der Beurteilung von Tatfragen bewirken (Gräber § 69 FGO, Rz. 77 m.w.N.). Dabei genügt, dass ein Erfolg der Klage in der Hauptsache ebenso wenig auszuschließen ist wie deren Misserfolg (Tipke/Kruse § 69 FGO, Tz. 10). Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (Beschluss des BFH vom 25.11.2005 – V B 75/05). Soweit die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf ungeklärten Rechtsfragen beruhen, ist über diese nicht im summarischen Verfahren abschließend zu entscheiden; vielmehr ist in diesem Fall AdV zu gewähren (Beschluss des BFH vom 25.11.2005 – V B 75/05).

68

Ernstliche Zweifel in tatsächlicher Hinsicht sind zu bejahen, wenn in Bezug auf die im Einzelfall entscheidungserheblichen Tatsachen Unklarheiten bestehen, die anhand der vorliegenden Akten sowie präsenter Beweismittel nicht beseitigt werden können. Weiter gehende Sachverhaltsermittlungen braucht das Gericht nicht vorzunehmen (Gräber § 69 FGO, Rz. 82 und 105).

69

Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes wirtschaftliche Nachteile drohen, die nicht oder nur schwer wieder gut zu  machen sind oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (Koch in Klein § 69 FGO, Rz. 105 m.w.N.). Da nur ein vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden soll, muss demgemäß die unbillige Härte gerade darin liegen, dass der Verwaltungsakt vor Unanfechtbarkeit vollzogen werden soll (Dumke in Schwarz § 69 FGO, Rz. 86 m.w.N.). Darüber hinaus soll die grundsätzliche Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten verhindern, dass Einspruch und Klage nur zu dem Zweck eingelegt werden, die Leistungspflicht hinauszuzögern. Demgemäß ist die AdV wegen unbilliger Härte nur vertretbar, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Dies gilt selbst dann, wenn nach den persönlichen Verhältnissen des Antragstellers die Vollziehung tatsächlich eine unbillige Härte zur Folge hätte (Dumke a.a.O. m.w.N.). Entgegen dem Wortlaut ist vom Zweck der Vorschrift her die AdV bei unbilliger Härte daher keine echte Alternative zur AdV wegen ernstlicher Zweifelhttps://products.haufe.de/aurora.jsp?noSessionCheck - G:pi=PI5592&&;;D:did=HI909112&&;;#G:pi=PI5592&&;;D:did=HI909112&&;; (Dumke in Schwarz § 69 FGO, Rz. 87).

70

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO kann auch die finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Eine diesbezügliche Gefahr kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen bestehen. Andererseits entfällt das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist. Es ist also auf den Grad der Gefährdung des Steueranspruchs durch die Aussetzung abzustellen, der einerseits von den Erfolgsaussichten des Klageverfahrens und andererseits von den Vermögensverhältnissen des Antragstellers abhängig ist. Der Antragsteller, der Aussetzung ohne Sicherheitsleistung begehrt, muss die Umstände glaubhaft machen, die dem Sicherungsbedürfnis des Finanzamts genügen oder dieses als unangemessen erscheinen lassen (Tipke/Kruse § 69 FGO, Tz. 109 m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt es im Rahmen sachgerechter Ausübung des richterlichen Ermessens, die dem Antragsteller zugebilligte Aussetzung der Vollziehung mit der Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe des Umfangs der Aussetzung zu verknüpfen (BFH Beschluss vom 25.11.2005 – V B 75/05).

71

Mit Beschluss vom 22.09.2009 – 1  BvR 1305/09 hat das BVerfG entschieden, dass der Rechtsvorteil der Aussetzung der Vollziehung bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids - auch bei fortlaufend veranlagten und festgesetzten Steuern wie Lohn- und Umsatzsteuer - nicht grundsätzlich versagt werden darf, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung nicht zulassen.

2.

72

Es bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide.

2.1.

73

Im summarischen Verfahren ist offen, ob es sich – wie die Ast. meint – bei den streitigen Umsätzen nicht um Krankenhausbehandlungen, sondern um unter § 4 Nr. 14 lit. a) UStG fallende Umsätze handelt.

74

Sollte es sich bei der Einrichtung der Ast. um ein Krankenhaus handeln, so wäre die Vorschrift des § 4 Nr. 14 lit. b) UStG lex specialis zu § 4 Nr. 14 lit. a) UStG (z.B. Waza in Offerhaus/Söhn/Lange § 14 UStG, Rz. 56). Dies hat zur Folge, dass die Leistungen eines Arztes aus dem Betrieb eines Krankenhauses nur unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 lit. b) UStG steuerbefreit sind. Auch wenn es sich unzweifelhaft um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin handelt, muss die Steuerbefreiung nach nationalem Recht versagt werden, wenn die Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 lit. b) UStG nicht gegeben sind.

75

Es handelt sich insoweit um eine Ungewissheit tatsächlicher Natur.

76

Es spricht keine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Vortrag der Ast., dass die Umsätze unter § 4 Nr. 14 lit. a) UStG fallen. Die Ast. betreibt ausweislich ihres Internet-Auftritts eine Klinik, in der die Patienten stationär aufgenommen und behandelt werden. Die Ast. beschäftigt ärztliches, Pflege- und weiteres Personal. Allein der Umstand, dass die stationäre Aufnahme möglicherweise nicht zwingend notwendig ist, sondern die Behandlung und Nachbehandlung auch bei einem Aufenthalt des Patienten in einem nahe gelegenen Hotel gewährleistet sein könnte, bedeutet nicht zwingend, dass von Umsätzen i.S. des § 4 Nr. 14 lit. a) UStG auszugehen ist. Für die Annahme der Anwendbarkeit des diese Vorschrift ausschließenden § 4 Nr. 14 lit. b) UStG spräche auch, wenn hinsichtlich der Behandlung, Unterbringung und Verpflegung eine einheitliche Leistung anzunehmen wäre (siehe hierzu die Ausführungen unter Ziffer 2.2.).

77

Der Senat unterstellt für die weiteren Ausführungen, dass die Rechtsauffassung des FA insoweit zutreffend sei.

2.2.

78

Der Senat folgt dem FA in der Einschätzung, dass es sich bei den Unterbringungs- und Verpflegungsumsätzen der Patienten um mit der Behandlung eng verbundene Leistungen handelt.

79

Die Unterbringungs- und Verpflegungsumsätze der Patienten sind Nebenleistungen zur Hauptleistung der Behandlung.

80

Die Unterbringungs- und Verpflegungsumsätze für Begleitpersonen sind hingegen selbstständige Hauptleistungen.

81

Die Abgrenzung einer einheitlichen Leistung von jeweils eigenständigen Leistungen setzt zunächst die Feststellung voraus, dass sich der zu beurteilende Leistungsvorgang aus zwei oder mehreren Leistungen im umsatzsteuerlichen Sinn zusammensetzt (vgl. dazu nur Husmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 1 Rz. 143).

82

Ob beim Vorliegen zweier oder mehrerer Leistungen von einer einheitlichen Leistung oder von mehreren getrennt zu beurteilenden selbständigen Einzelleistungen auszugehen ist, hat umsatzsteuerrechtlich insbesondere Bedeutung für die Anwendung von Befreiungsvorschriften (s. dazu auch UStAE 3.10 Abs. 1 Satz 1). Vor Anwendung der in Rede stehenden Befreiungsvorschrift ist daher zu bestimmen, was von denjenigen Leistungen, die von der Klägerin im Streitjahr erbracht worden sind, als „Leistung“ im umsatzsteuerlichen Sinne zu qualifizieren ist; nur auf der Grundlage dessen ist die weitere Prüfung möglich, ob eine Befreiungsvorschrift eingreift.

83

Der Senat hat daher bei Annahme mehrerer Leistungen im umsatzsteuerrechtliche Sinne weiter zu prüfen, ob die von der Ast. erbrachten Leistungen jeweils als eine eigenständige Leistung zu betrachten sind, oder im Verhältnis von Haupt- zu Nebenleistung zueinander stehen oder ob sie so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (BFH, Urteil vom 13. November 2013 XI R 24/11, BFHE 243, 471). Dazu ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln; abzustellen ist dabei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers (vgl. nur BFH, Urteil vom 24. Januar 2008 V R 42/05, BStBl II 2008, 697). Im Einzelnen:

84

Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der BFH angeschlossen hat, gelten für die Frage, ob mehrere Tätigkeiten steuerrechtlich zu nur einem Umsatz oder mehreren eigenständigen Umsätzen führen, folgende Grundsätze (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2010 V R 9/10, BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 360, m.w.N.):

85

Zunächst ist in der Regel jede Lieferung oder Dienstleistung als eigene, selbständige Leistung zu betrachten. Bei einem Umsatz, der ein Bündel von Einzelleistungen und Handlungen umfasst, ist aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen, ob zwei oder mehr getrennte Umsätze vorliegen oder ein einheitlicher Umsatz. Dabei sind unter Berücksichtigung eines Durchschnittsverbrauchers die charakteristischen Merkmale des Umsatzes zu ermitteln. Insoweit darf einerseits eine wirtschaftlich einheitliche Leistung nicht künstlich aufgespalten werden. Andererseits sind mehrere formal getrennt erbrachte Einzelumsätze als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht selbständig sind.

86

Einen einheitlichen Umsatz hat der EuGH für zwei Fallgruppen bejaht.

87

Zum einen liegt eine einheitliche Leistung vor, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 10. März 2011 C-497/09, Bog u.a., Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2011, 272 Rdnr. 54, m.w.N.).

88

Zum anderen kann sich eine einheitliche Leistung daraus ergeben, dass zwei oder mehrere Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. z.B. EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 53, m.w.N.; EuGH-Beschluss vom 19. Januar 2012 C-117/11, Purple Parking Ltd. und Airpark Services Ltd., Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2012, 674 Rdnr. 29; EuGH-Urteil vom 19. Juli 2012 C-44/11, Deutsche Bank AG, Der Betrieb -DB- 2012, 1662 Rdnr. 21).

89

Ob im konkreten Fall umsatzsteuerrechtlich eine einheitliche Leistung vorliegt oder ob mehrere, getrennt zu beurteilende Leistungen gegeben sind, haben im Rahmen der mit Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union errichteten Zusammenarbeit die nationalen Gerichte festzustellen, die dazu alle endgültigen Tatsachenbeurteilungen vorzunehmen haben (BFH, Urteil vom 13. November 2013 XI R 24/11, BFHE 243, 471, m.w.N.).

90

Nach Maßgabe der dargestellten Grundsätze ist das Wesen bzw. sind die charakteristischen Merkmale des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige gegenüber dem Leistungsempfänger mehrere selbständige Leistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17. April 2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712; vom 10. Februar 2010 XI R 49/07, BFHE 228, 456, BStBl II 2010, 1109; vom 2. März 2011 XI R 25/09, BFHE 233, 348, BStBl II 2011, 737, und BFH, Urteil vom 15. Mai 2012 XI R 28/10, BFHE 237, 537).

91

Der Annahme mehrerer eigenständiger Leistungen steht nicht die Vereinbarung einer (einzigen) Pauschalvergütung entgegen. Bei der Würdigung der zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger getroffenen Preisvereinbarungen hat der EuGH dem Umstand, dass ein Gesamtpreis in Rechnung gestellt wird, keine entscheidende Bedeutung zugemessen und darauf hingewiesen, dass es zwar für eine einheitliche Leistung sprechen kann, wenn der Leistende seinen Kunden eine aus mehreren Teilen zusammengesetzte Dienstleistung gegen Zahlung eines Gesamtpreises erbringt. Gleichwohl können auch dann trotz des einheitlichen Preises zwei gesonderte Dienstleistungen vorliegen, wobei der einheitliche Preis nach der einfachst möglichen Berechnungs- oder Bewertungsmethode aufzuteilen ist (EuGH-Urteil CPP in Slg. 1999, I-973 Rdnr. 31; BFH, EuGH-Vorlage vom 28. Oktober 2010 V R 9/10, BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 306). Der EuGH räumt aber in dem zitierten Urteil ein, dass es für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung sprechen könne, wenn ein Leistungserbringer seinen Kunden eine aus mehreren Teilen zusammengesetzte Dienstleistung gegen Zahlung eines Gesamtpreises erbringe (aaO, Randnr. 31; dazu auch BFH, Urteil vom 10. Februar 2010 XI R 49/07, BFHE 228, 456, BStBl II 2010, 1109).

92

Umgekehrt spricht unter Berücksichtigung dieser Grundsätze auch die getrennte Berechnung einzelner Leistungsbestandteile nicht zwingend gegen die Annahme einer einheitlichen Leistung. Es kann sich allerdings um ein Indiz für getrennte Leistungen handeln.

93

Der Annahme mehrerer eigenständiger Leistungen steht auch nicht die Regelung der verschiedenen Leistungen in einem Vertrag entgegen.

94

Gemeinschaftsrechtlich ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2008 C-425/06 – Part Service, UR 2008, 461; BFH, EuGH-Vorlage vom 10. Dezember 2009 V R 18/08, BFHE 227, 528, BStBl II 2010, 654). Nebenleistungen sind im Vergleich zur Hauptleistung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers nebensächlich; sie ergänzen die Hauptleistung wirtschaftlich, runden sie ab und werden üblicherweise mit der Hauptleistung ausgeführt (BFH, Beschluss vom 29. September 2000 V B 16/00, BFH/NV 2001, 351; Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, aaO, § 31 Rz. 361 – 363 m.w.N. zur Rspr.).

95

Unter Anwendung dieser Grundsätze haben Übernachtung und Verpflegung der Patienten keinen eigenen Zweck, sondern dienen allein der Durchführung der Behandlung. Der Patient nimmt diese Leistungen ausschließlich deshalb in Anspruch, um die Behandlung unter optimalen Bedingungen durchführen zu können; ohne Behandlung würde er weder Übernachtung, noch Verpflegung buchen.

96

Eine Zusatzleistung zur Behandlung in einem Krankenhaus kann nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann einen „eng verbundenen“ Umsatz darstellen, wenn diese Leistung zur Erreichung der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung verfolgten therapeutischen Ziele unerlässlich und nicht im Wesentlichen dazu bestimmt ist, dem Leistungserbringer zusätzliche Einnahmen durch die Erzielung von Umsätzen zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen der Mehrwertsteuer unterliegender gewerblicher Unternehmen getätigt werden (EuGH-Urteil vom 01.12.2005 Rs. C-394/04 Ygeia, Celex-Nr. 62004CJ0394).

97

Der Senat bejaht diese Kriterien hinsichtlich der Umsätze aus der Unterbringung und Verpflegung der Patienten. Die Behandlung dauert mehrere Tage. Die auswärtigen Patienten müssen während der Behandlung und in den Tagen danach ärztlich betreut werden. Hierfür müssen sie in der Nähe der Behandlungsräume untergebracht und für die Dauer des Aufenthalts verpflegt werden. Die Unterbringung und Verpflegung sind somit unerlässlich. Diese Leistungen werden – auch wenn sie separat abgerechnet werden – nicht in erster Linie zur Erzielung zusätzlicher Einnahmen im Wettbewerb mit Hoteliers erbracht, sondern weil sie zur Behandlung der Patienten notwendig sind.

98

Für die Unterbringung und Verpflegung der Begleitpersonen gilt dies hingegen nicht.

99

Für die Behandlung der Patienten ist die Anwesenheit der Begleitperson nicht erforderlich. Somit ist deren Unterbringung und Verpflegung nicht unerlässlich für die Behandlung des Patienten. Soweit der Patient die Begleitung durch eine andere Person wünscht, könnte diese ohne weiteres auch in einem nahe gelegenen Hotel untergebracht werden, so dass insoweit auch Wettbewerb zu mehrwertsteuerpflichtigen Konkurrenten bejaht werden muss.

2.3.

100

Die Umsätze der Ast. sind nicht nach nationalem Recht steuerbefreit.

101

§ 4 Nr. 14 lit. b UStG ist lex specialis zu § 4 Nr. 14 lit. a) UStG.

102

Da die Zulassung gem. § 108 SGB V nicht erteilt ist, liegen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 lit. b) UStG nicht vor. Dies gilt auch für die von einem Arzt erbrachten Leistungen.

103

Übernachtung und Verpflegung sind im Rahmen der einheitlichen Behandlungsleistung der Ast. Nebenleistungen zu den Leistungen der Klinik, soweit sie die Patienten selbst betreffen. Bezüglich der Steuerbefreiung teilen diese Nebenleistungen das steuerliche Schicksal der Hauptleistung (z.B. BFH Urteil vom 15.01.2009 – V R 9/06, BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433).

104

Soweit die Unterbringungs- und Verpflegungsleistungen Begleitpersonen betreffen, handelt es sich um gegenüber der Behandlung der Patienten eigenständige Leistungen. Steuerbefreiungsvorschriften greifen insoweit nicht. Die Unterbringung unterliegt gem. § 12 Abs. 2 Nr. 11 dem ermäßigten Steuersatz. Auch wenn die Verpflegung eine Nebenleistung zur Beherbergung darstellt (BFH Urteil vom 15.01.2009 – V R 9/06, BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433), gilt der ermäßigte Steuersatz für diese Nebenleistung nicht (BFH Urteil vom 24.04.2013 – XI R 3/11, BStBl II 2014, 86).

105

Der Umfang der Umsätze aus der Unterbringung von Begleitpersonen wurde vom FA nicht ermittelt (Bl. 64 PA) und von der Ast. nicht mitgeteilt.

106

Soweit mit dem Vortrag der Ast. Leistungen eines Arztes gem. § 4 Nr. 14 lit. a) UStG anzunehmen wären, wären die Übernachtungen insgesamt keine Nebenleistungen, sondern eigenständige Hauptleistungen.

2.4.

107

Der Senat kann im summarischen Verfahren nicht ausschließen, dass die Ast. sich für die Steuerfreiheit ihrer Umsätze aus der Behandlung der Patienten unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 lit. b) oder c) MwStSystRL berufen kann.

108

Mit Urteil vom 23.10.2014 – V R 20/14 hat der BFH das Urteil des FG Münster vom 18.03.2014 – 15 K 4236/11 U bestätigt, wonach § 14 Nr. 14 lit. b) UStG teilweise nicht gemeinschaftsrechtskonform ist. Das Unionsrecht – Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL – sehe abweichend vom deutschen Recht keinen sozialversicherungsrechtlichen Bedarfsvorbehalt vor, sondern nehme eine Gesamtschau vor. Innerhalb dieser Prüfung komme es darauf an, ob der Steuerpflichtige dieselben Regelleistungen wie sozialversicherungsrechtlich zugelassene Krankenhäuser unter den gleichen Bedingungen erbringe. Das Unionsrecht stelle auf „Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze“ ab, die „von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen welche … in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten … und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt werden“. Nach der Rechtsprechung des EuGH hätten die Mitgliedsstaaten bei der Anerkennung einen Ermessensspielraum, jedoch sei das mit den Tätigkeiten verbundene Gemeinwohlinteresse, die Behandlung anderer Steuerpflichtiger mit ähnlichen Tätigkeiten, sowie der Umstand, dass die Kosten zum großen Teil von Sozialversicherungsträgern übernommen würden, zu berücksichtigen. Gemeinschaftsrechtlich werde die Gleichbehandlung gleicher Dienstleistungen in vergleichbaren Situationen verlangt.

109

In dem vom BFH entschiedenen Fall handelte es sich um eine psychotherapeutische Klinik, deren Leistungen zu 35% vom Sozialversicherungsträger erstattet wurde; weitere 25% der Leistungen waren an beihilfeberechtigte Personen erbracht worden, wobei die Leistungen von der Beihilfe anerkannt wurden.

110

Weitere Revisionen sind unter den Aktenzeichen XI R 8/13 (gegen das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 28.11.2012 – 14 K 2883/10, EFG 2013, 558) und XI R 38/13 (gegen das Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 11.07.2013 – 4 K 104/12, EFG 2013, 1884) anhängig.

111

Der Streitfall unterscheidet sich von dem vom BFH mit Urteil vom 23.10.2014 – V R 20/14 entschiedenen Fall dadurch, dass es sich bei den Leistungen der Ast. um solche handelt, die von den gesetzlichen Krankenkassen grundsätzlich nicht erstattet werden.

112

Insoweit ergibt sich die Möglichkeit der unmittelbaren Berufung der Ast. auf Gemeinschaftsrecht nicht zwingend aus dem Urteil des BFH vom 23.10.2014 – V R 20/14. Vielmehr ist im Verfahren zur Hauptsache die Gesamtschau vorzunehmen. Es wird zu prüfen sein, ob es sich bei den Frischzellenbehandlungen um gleichartige Dienstleistungen handelt wie die steuerbefreiten Leistungen anderer Krankenhäuser und ob die Bedingungen, unter denen die Leistungen erbracht werden, vergleichbar sind.

113

Eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass diese Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass unter Berufung auf das Unionsrecht die Steuerbefreiung zu gewähren ist, besteht nach Auffassung des Senates hierbei nicht. Insofern ist auf den wohl nicht zu vernachlässigenden Unterschied, dass Frischzellenbehandlungen von der Schulmedizin nicht anerkannt sind und in keinem Fall von Sozialversicherungsträgern oder der Beihilfe erstattet werden, abzustellen.

2.5.

114

Das FA hat die Übernachtungsumsätze, die die Ast. mit 7% versteuert hat, als mit 19% steuerpflichtig behandelt, da es sich um Nebenleistungen zu den Umsätzen aus den Krankenhausbehandlungen handele.
Dass Nebenleistungen vorliegen, bedeutet nicht zwingend, dass diese demselben Steuersatz wie die Hauptleistung unterliegen (BFH Urteil vom 24. April 2013 – XI R 3/11 –, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86).
Eine Nebenleistung liegt vor, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des leistenden Unternehmers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen; sie "teilt das steuerliche Schicksal der Hauptleistung", d.h. sie wird umsatzsteuerrechtlich wie die Hauptleistung behandelt (BFH a.a.O. m.w.N.). § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG normiert jedoch ein Aufteilungsgebot für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen. Damit unterliegen einheitliche Leistungen nicht zwingend einem einheitlichen Steuersatz.

115

Hier liegt allerdings der umgekehrte Fall zum BFH-Fall vor, denn nicht die nicht unmittelbar der Beherbergung dienende Leistung ist die Nebenleistung, sondern die nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG begünstigte Übernachtungsleistung ist die Nebenleistung.

116

Im summarischen Verfahren ist AdV insoweit grundsätzlich zu gewähren, da der BFH zu dieser umgekehrten Konstellation bisher noch nicht Stellung genommen hat.

117

Unklar ist jedoch, ob nur hinsichtlich der Begleitpersonen Rechnungen mit Ausweis von 19% erstellt wurden und insoweit die Steuer gem. § 14c UStG geschuldet wird, oder ob dies hinsichtlich aller Übernachtungsumsätze der Fall ist. Bei den beispielhaft kopierten Rechnungen handelt es sich um solche an den Patienten selbst.

118

Im summarischen Verfahren kann davon ausgegangen werden, dass die Ast. auf sämtlichen Rechnungen den Steuersatz von 19% ausgewiesen hat, so dass – auch wenn gem. § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG der Steuersatz von 7% auf die Übernachtungen anzuwenden wäre – die Steuer jedenfalls gem. § 14c Abs. 1 UStG in Höhe von 19% geschuldet wird.

119

Soweit die Ast. auf den Übernachtungsrechnungen den Hinweis „MwSt 19%“ anbringt, entspricht dies nicht den Anforderungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG. Die Erleichterungen des § 33 UStDV gelten nicht, da die Kleinbetragsgrenzen von 150 € überschritten werden. Somit berechtigen die Rechnungen den Rechnungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug. Gleichwohl wird die ausgewiesene Steuer gemäß § 14c Abs. 1 UStG geschuldet, denn die Anwendung der Vorschrift setzt nicht voraus, dass eine Rechnung mit allen Merkmalen des § 14 UStG vorliegt. (BFH, Urteil vom 17. Februar 2011 – V R 39/09 –, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734). Für die Anwendung des § 14c Abs. 2 UStG reicht es nach der Rechtsprechung des BFH aus, dass das Dokument als Abrechnung über eine Leistung durch einen Unternehmer wegen des Ausweises der Umsatzsteuer abstrakt die Gefahr begründet, vom Empfänger oder einem Dritten zur Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs gebraucht zu werden. Diese abstrakte Gefahr ist hier bereits aufgrund des Zusatzes „MwSt 19%“ gegeben.

120

Das FA hat Übernachtungsumsätze, die gegenüber den Patienten direkt und damit mit dem oben beschriebenen Ausweis „MwSt 19%“ in Höhe von 171.894,64 € mitgeteilt (Bl. 80-83 PA).

121

Der Senat hält zwar die Begründung für die zu § 14c Abs. 2 UStG ergangene Rechtsprechung auf den hier vorliegenden Fall des § 14c Abs. 1 UStG übertragbar, da auch in diesem Fall die abstrakte Gefahr des zu hohen Vorsteuerabzugs durch den Leistungsempfänger besteht. Da insoweit jedoch bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, kann gleichwohl AdV gewährt werden.

122

Soweit die Übernachtungsumsätze an VMI Bangkok berechnet wurden, stellt sich die Frage der Anwendung des § 14c Abs. 1 UStG nicht.

123

Die Verpflegungsumsätze, soweit sie den Patienten direkt berechnet wurden, unterliegen dem Regelsteuersatz (vom FA mitgeteilter Betrag: 10.712,46 €, Bl. 86-88 PA). Diese Umsätze sind in dem ausgesetzten Betrag nicht enthalten, da die Ast. sie versteuert hat.

2.5.

124

AdV ist auch zu gewähren, soweit Leistungen gegenüber VMI Bangkok berechnet wurden, da im summarischen Verfahren offen ist, ob diese Leistungen steuerbar sind.

125

Nach der Grundregel des § 3a Abs. 1 UStG ist der Ort der Leistung der Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Nach dieser Grundregel befindet sich der Ort der Leistung also in Edenkoben, mithin im Inland. Damit wären die Umsätze in Deutschland steuerbar (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG).

126

§ 3a Abs. 2 Satz 1 regelt für Leistungen die an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt werden, dass abweichend von der Grundregel des Abs. 1 und vorbehaltlich weiterer – hier nicht einschlägiger – Ausnahmen die Leistung an dem Ort ausgeführt wird, von dem aus der Leistungsempfänger sein Unternehmen betreibt.

127

Dies hätte zur Folge, dass – wenn VMI Bangkok als Leistungsempfänger anzusehen wäre – der Ort der Leistung am Sitz von VMI Bangkok läge, mit der Folge, dass die Leistungen im Inland nicht steuerbar wären.

128

Nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip hat der leistende Unternehmer die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 UStG nachzuweisen. Den Nachweis, dass es sich bei dem ausländischen Leistungsempfänger um einen Unternehmer handelt, der die Leistung für sein Unternehmen bezogen hat, erbringt er bei einem im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer durch die Verwendung von dessen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Bei in Drittländern ansässigen Unternehmern ist der Nachweis durch andere Beweismittel zu erbringen.

129

Dass es sich bei VMI Bangkok um einen Unternehmer handelt, dürfte unstreitig sein.

130

Fraglich ist, ob die Leistungen der Ast. an VMI Bangkok erbracht wurden. Allein der Umstand, dass die Leistungen an VMI Bangkok (z.B. Bl. 26 – 32 Akte USt-Sonderprüfung) berechnet wurden, belegt die Leistungserbringung an den Rechnungsempfänger noch nicht.

131

§ 630a BGB regelt für den Behandlungsvertrag, dass dieser mit dem Patienten zustande kommt, auch wenn ein anderer für die Behandlungskosten aufkommt (Lafontaine in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 630a BGB, Rz. 92). § 630a BGB schließt jedoch nicht aus, dass Patient und Vertragspartner auseinander fallen können (Lafontaine in JurisPK § 630a BGB, Rz. 93). Die Regelung des § 630a BGB ist jedoch ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Patienten Leistungsempfänger sind, auch soweit die Abrechnung gegenüber VMI Bangkok erfolgt.

132

Soweit Rechnungen direkt an die Patienten gingen, spricht auch dies gegen den Vortrag einer Geschäftsbesorgung für VMI.

133

Soweit von Leistungen direkt an die ausländischen Patienten auszugehen ist, braucht nicht ermittelt zu werden, inwieweit diese Unternehmer sind. Denn es ist bei der Art der von der Ast. erbrachten Leistungen schwer vorstellbar, dass diese Leistungen, soweit sie an einen Unternehmer erbracht werden, auch für dessen Unternehmen erbracht werden.

134

Trotz der Bedenken erscheint im summarischen Verfahren eine Leistungserbringung an VMI Bangkok nicht ausgeschlossen.

135

Zutreffenden Vortrag der Ast. insoweit unterstellt, stellt sich zudem die Frage des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten.

136

In seinem Urteil vom 27. Oktober 2011 – C-504/10 – Tanoarch (juris) führt der EuGH aus:

137

„Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer setzt zum einen voraus, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird.
… ist darauf hinzuweisen, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Richtlinie anerkannt und gefördert wird (vgl. Urteile vom 21. Februar 2006 Halifax u. a. C-255/06, Slg. 2006, I-1609, Randnr. 71, und vom 29. April 2004, Gemeente Leusden und Holin Groep, C-487/01 und C-7/02, Slg. 2004, I-5337, Randnr. 76).
Somit sind nach dem Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs rein, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungenverboten, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erhalten (vgl. Urteil vom 22. Mai 2008, Ampliscientifica und Amplifin, C-162/07, Slg. 2008, I-4019, Randnr. 28).“

138

Ein wirtschaftlicher Sinn der Zwischenschaltung der VMI Bangkok ist im summarischen Verfahren nicht erkennbar. Zudem widerspricht die Gestaltung der Regelung des § 630a BGB. Missbrauch wäre nach der o.g. EuGH-Rechtsprechung zu bejahen, wenn die Zwischenschaltung ausschließlich der Verlagerung des Leistungsortes diente.

139

Im summarischen Verfahren kann insoweit jedoch keine Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ausgangs des Klageverfahrens festgestellt werden.

3.

140

Die AdV wird gegen Sicherheitsleistung gewährt.

141

Für die Entscheidung, ob die Aufhebung (Aussetzung) der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen oder ohne Sicherheit, wie von der Ast. beantragt, zu gewähren ist, ist zu berücksichtigen, dass die Finanzbehörde die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen muss und der Steuerpflichtige ggf. Umstände, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis der Behörde entfallen oder unangemessen erscheinen lassen, entgegenzuhalten hat (BFH Beschluss vom 10.10.2002 – VII S 28/01 m.w.N.).

142

Aus dem o.g. BFH-Beschluss ergibt sich nicht explizit, dass das FA konkrete Gefährdungsaspekte vortragen muss. Dies entspricht gleichwohl der ständigen Rechtsprechung des BFH (z.B. BFH, Beschluss vom 12. September 2011 – VIII B 70/09 –, juris). Allgemeine Ausführungen zur Höhe des Steueranspruchs und der zu erwartenden Verfahrensdauer genügen nicht (BFH, Beschluss vom 07. Mai 2008 – IX S 26/07 –, juris).

143

Die Auffassung, dass die Höhe des Steueranspruchs irrelevant sei, ergibt sich nicht ausdrücklich aus dem o.g. BFH-Beschluss vom 10.10.2002, ist jedoch Auffassung des Kommentators Dumke in Schwarz/Pahlke § 361 AO, Rz. 99a unter Hinweis auf diesen Beschluss.

144

Im Streitfall trägt das FA nur allgemein vor, dass die Sicherheitsleistung in Anbetracht der Höhe der Forderungen unter Einbeziehung des Ergebnisses der Betriebsprüfung für die Jahre 2009 bis 2012 und der zu erwartenden Verfahrensdauer geboten sei.

145

Die Ast. trägt zur Sicherheitsleistung vor, dass lt. BFH-Rechtsprechung allein die Höhe des Steueranspruchs eine Sicherheitsleistung nicht rechtfertige, wenn keine Gefährdung festzustellen sei und dass auch eine zu erwartende längere Verfahrensdauer kein Grund für die Gestellung einer Sicherheit sei. Außerdem trägt sie vor, dass die Steuerforderungen für sie den Ruin bedeuteten.
Die Ast. hat ihren diesbezüglichen Vortrag bislang trotz Aufforderung durch das Gericht nicht durch betriebswirtschaftliche Auswertungen oder andere geeignete Unterlagen belegt.

146

Der Senat folgt nicht der Auffassung, dass stets über die Höhe des Steueranspruchs und die zu erwartende Verfahrensdauer hinaus weitere konkrete Gefährdungsaspekte vorgetragen werden müssen, um die Anordnung einer Sicherheitsleistung zu rechtfertigen.

147

Zwar mag die derzeitige Vermögenslage der Ast. gut sein (Diesen vom FA nicht bestrittenen Vortrag konnte das Gericht nicht verifizieren).

148

Jedoch sind auch die Höhe der Forderungen und die zu erwartende Dauer in ihrer Gesamtschau zu würdigen. Bei zu erwartenden zwei Instanzen und einer evtl. EuGH-Vorlage ist von einer mehrjährigen Verfahrensdauer auszugehen. In dieser Zeit kann viel passieren, so dass die derzeitige Vermögenslage wenig aussagekräftig ist. Es können z.B. Umstrukturierungen bei der Ast. vorgenommen werden. Hierbei ist auch nicht außer Acht zu lassen, dass die Gesellschafter sich im außereuropäischen Ausland befinden und Vermögensverschiebungen dorthin vornehmen könnten. Ungeachtet dessen kann auch völlig ohne Verschulden der Ast. der Markt sich verändern und dadurch die Vermögenslage sich verschlechtern. Gerade bei dem Betätigungsfeld der Ast. besteht hierfür eine gewisse Wahrscheinlichkeit (nach einer Meldung der Rheinpfalz vom 08.10.2014 hatte eine Frischzellenbehandlung zu einer Infektion mit Q-Fieber geführt).

149

Unter diesen Gegebenheiten erscheint ein Sicherungsbedürfnis der Finanzverwaltung auch bei gegenwärtig guter Vermögenslage gegeben. Einer weiter gehenden Konkretisierung der Gefährdung des Steueranspruchs bedarf es nach Auffassung des Senats unter derartigen Umständen nicht.

4.

150

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Dabei ist nicht zu berücksichtigen, dass die Aussetzung der Vollziehung entgegen dem Antrag nur gegen Sicherheitsleistung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Beschluss vom 21.06.2005 – X B 72/05).

151

Die Beschwerde wird zugelassen gem. §§ 128 Abs. 3 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Anforderung einer Sicherheitsleistung. Soweit ersichtlich, hat der BFH bisher nicht Stellung genommen zum Fall einer zu erwartenden langen Verfahrensdauer und der Möglichkeit der Veränderung der Vermögensverhältnisse in diesem Zeitraum. Zudem könnte der Beschluss in Widerspruch stehen zu dem Beschluss des BFH vom 07. Mai 2008 – IX S 26/07 – (juris), sofern auch in Fällen, die wie der Streitfall gelagert sind, die Höhe des Steueranspruchs und die zu erwartende Verfahrensdauer für irrelevant erachtet werden sollten.

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