Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 11 Sa 1099/12
Tenor
Die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.10.2012 – 1 Ca 2556/12 – werden jeweils kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten zuletzt noch um die Wirksamkeit zweier Kündigungen des Arbeitsverhältnisses sowie die Zahlung von Überstundenzuschlägen.
3Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem Juli 1989 bei der Beklagten, die im Wesentlichen Abbruch- und Erdarbeiten durchführt, als Kraftfahrer beschäftigt, wobei sein Einsatz in erster Linie auf einem Kipperfahrzeug erfolgte. Arbeitsvertraglich ist u.a. die Zahlung von Überstunden-Zuschlägen ab der 41. Stunde und in Ergänzung zu den Vertragsvereinbarungen hinsichtlich der Fälligkeit und des Erlöschens von Ansprüchen aus dem Vertragsverhältnis die Geltung der Bestimmungen des jeweils gütigen Tarifvertrages zwischen dem Deutschen Abbruchverband e.V. und der IG Bau-Steine-Erden vereinbart. Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages vom 04.09.1989 wird auf Bl. 10 ff. d. A. verwiesen.
4Die Beklagte hörte den Betriebsrat zur beabsichtigten, betrieblich begründeten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit Schreiben vom 19.03.2012 (Bl. 45 f. d. A.) an. Der Betriebsrat antwortete der Beklagten mit Schreiben vom 21.03.2012 (Bl. 47 d. A.), dass er der Kündigung nicht zustimme, da sie aufgrund der langjährigen Betriebszugehörigkeit und des Alters des Klägers eine über das normale Maß hinausgehende Härte darstelle. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 26.03.2012 zum 31.10.2012 (Bl. 14 d. A.). Diese Kündigung ist nur von einem ihrer drei Geschäftsführer unterschrieben. Der Kläger wies mit anwaltlichem Schreiben vom 29.03.2012 die Kündigung „gemäß § 174 BGB“ zurück. Die Beklagte kündigte sodann erneut mit Schreiben vom 30.03.2012 zum 31.10.2012, wobei dieses Schreiben von zwei Geschäftsführen unterzeichnet ist.
5Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich. Mit Urteil vom 05.10.2012 stellte es im Wesentlichen fest, dass die soziale Auswahl fehlerhaft gewesen sei, weil die Beklagte die Auswahl auf den Kreis der Kipperfahrer beschränkt habe und jedenfalls die Containerfahrer hätten mit einbezogen werden müssen. Die Klage auf Überstundenzuschläge hat das Arbeitsgericht abgewiesen, da der Kläger weder hinreichende Angaben zur Normalarbeitszeit, zur zeitlichen Lage der Überstunden und zur Anordnung, Duldung oder Notwendigkeit der Mehrarbeit gemacht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe, wegen der Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
6Gegen das ihr am 24.10.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.11.2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 24.01.2013 begründet.
7Gegen das ihm am 26.10.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.11.2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 28.01.2013 begründet.
8Die Beklagte hält die Containerfahrer für nicht vergleichbar mit den Kipperfahrern, da ihre Tätigkeit ein hohes Maß an Präzision und vertiefte Kenntnisse abfallrechtlicher Regelungen erfordere. Eine Einarbeitungszeit von mehr als sechs Monaten sei erforderlich. Soweit der Kläger in der Vergangenheit im Vertretungsfall als Containerfahrer eingesetzt worden sei, habe er lediglich Fahrten übernommen, bei denen es auf die besonderen Kenntnisse eines Containerfahrers nicht angekommen sei. Die Kündigung vom 26.03.2012 sei auch nicht wegen der erfolgten Zurückweisung nach § 174 BGB unwirksam, da diese Vorschrift auf Erklärungen von Organen einer juristischen Person keine Anwendung finde. Die Berufung des Klägers sei unbegründet, da der Kläger die bestrittenen Überstunden nicht nachgewiesen habe. Zudem seien etwaige Ansprüche verfallen.
9Die Beklagte beantragt,
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1 unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 05.10.2012 die Klage auch bezüglich der Anträge des Klägers zu Ziffern 1. und 7. abzuweisen;
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2 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
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1 die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,
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2 das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.989,16 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Kündigungsentscheidung. Er habe in der Vergangenheit im Betrieb der Beklagten alle Arten von Fahrertätigkeiten ausgeübt, er verfüge über alle Führerscheinerlaubnisklassen. Zudem hätte die Sozialauswahl auch auf die Arbeitnehmer der J H S GmbH & Co. KG erstreckt werden müsse, da sie mit der Beklagten einen Gemeinschaftsbetrieb unterhalte. Der Kläger sei auch als Baumaschinenbediener für die Beklagte tätig gewesen und sei auch in der Werkstatt eingesetzt worden. Die von der Beklagten behaupteten Einarbeitungszeiten für den Containerdienst seien unzutreffend. Er selbst sei ohne Einarbeitung 1 ½ Jahre als Containerfahrer eingesetzt worden. Zudem sei die erste Kündigung wirksam zurückgewiesen worden, die zweite Kündigung wegen unterbliebener Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Darüber hinaus sei die Anhörung des Betriebsrates wegen unzutreffender Schilderung des Tätigkeitsbereichs des Klägers nicht ordnungsgemäß.
20Die Überstunden seien zwischen den Parteien unstreitig, da sie in das Arbeitszeitkonto eingeflossen seien. Bereits erstinstanzlich habe der Kläger eine Übersicht über die Überstunden eingereicht, sie seien auch in den Lohnabrechnungen Januar 2009 bis Dezember 2011 (Bl. 270 ff. d. A.) dokumentiert.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 24.01.2013, 28.01.2013, 05.03.2013, 15.03.2013 und vom 15.05.2013 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23A. Berufung der Beklagten
24I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist nach § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
25II. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass weder die Kündigung vom 26.03.2012 noch die Kündigung vom 30.03.2012 das Arbeitsverhältnis aufgelöst haben.
261. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffenden Gründen, denen sich die Berufungskammer anschließt und auf denen Bezug genommen wird, festgestellt, dass die Grundsätze der sozialen Auswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) nicht gewahrt sind. Die Angriffe der Berufung überzeugen nicht, sie lassen die notwendige Substantiierung vermissen. Warum eine Einarbeitungszeit von mehr als sechs Monaten im Hinblick auf Kenntnisse über Funktion und Mechanik und Standsicherheit beim Auf- und Absetzvorgang erforderlich sein soll, erschließt sich nicht ansatzweise. Welche konkreten Kenntnisse abfallrechtlicher Regelungen, insbesondere des KrWG, erforderlich sind und weshalb eine Schulung und Unterrichtung einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten beanspruchen soll, bleibt im Dunkeln. Unstreitig hat der Kläger jedenfalls im Vertretungsdienst Containerfahrzeuge der Beklagten beanstandungsfrei gefahren. Es ist auf Grundlage der Berufungsbegründung der Beklagten für die Kammer nicht nachvollziehbar, worin konkret der Unterschied zwischen diesen Fahrten und den sonstigen Einsätzen im Containerdienst bestand.
272. Darüber hinaus erweisen sich die Kündigungen auch aus anderen Gründen als rechtsunwirksam.
28a) Der Kläger hat die Kündigung vom 26.03.2012 unverzüglich drei Tage nach ihrem Zugang rechtswirksam entsprechend § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen. Eine Vollmachtsurkunde des unterzeichnenden Geschäftsführers lag dem Kündigungsschreiben nicht bei. Zum Kündigungszeitpunkt wurde die Beklagte jedoch von drei Geschäftsführern vertreten. Es bestand von Gesetzes wegen Gesamtvertretung, § 35 Abs. 2 GmbHG. Zwar besteht das Recht zur Zurückweisung nach § 174 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht im Falle gesetzlicher, organschaftlicher Vertretung. Dies gilt aber nicht, wenn im Falle organschaftlicher Gesamtvertretungsmacht – wie im Streitfall – ein einzelnes Organmitglied durch die übrigen Organmitglieder zur Alleinvertretung ermächtigt wird. In diesem Falle ist § 174 BGB analog anwendbar (BAG, Urt. v. 10.02.2005 – 2 AZR 584/03 – m. w. N.).
29b) Die zweite Kündigung vom 30.03.2012 leidet an dem unheilbaren Mangel, dass der Betriebsrat zu dieser Kündigung nicht angehört wurde, § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Der Betriebsrat wurde vor der ersten Kündigung vom 26.03.2012 mit Schreiben vom 19.03.2012 angehört. Er hat dieser Kündigungsabsicht nicht zugestimmt. Mit Zugang der daraufhin erfolgten Kündigung vom 26.03.2012 war die Betriebsratsanhörung verbraucht. Einer erneuten Anhörung des Betriebsrats bedarf es immer, wenn der Arbeitgeber nach Anhörung des Betriebsrats eine Kündigung erklärt hat, d.h. die erste Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist und der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen bereits verwirklicht hat und nunmehr eine neue, weitere Kündigung aussprechen will. Dies gilt auch dann, wenn die Kündigung auf den gleichen Sachverhalt gestützt wird. Eine erneute Beteiligung des Betriebsrats kann nur dann entbehrlich sein, wenn das frühere Anhörungsverfahren ordnungsgemäß war, der Betriebsrat der Kündigung vorbehaltlos zugestimmt hat – woran es vorliegend mangelt – und eine Wiederholungskündigung in angemessenem zeitlichen Zusammenhang ausgesprochen und auf denselben Sachverhalt gestützt wird (BAG, Urt. v. 10.11.2005 – 2 AZR 623/04 – m. w. N.).
30B. Berufung des Klägers
31I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist nach § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet.
32II. Die Berufung ist in der Sache ohne Erfolg, denn das Arbeitsgericht mit überzeugenden Gründen, denen sich die Berufungskammer anschließt und auf die Bezug genommen wird, die Klage auf Zahlung von Überstundenzuschlägen abgewiesen. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger hat auch im Berufungsverfahren insbesondere keine konkreten Angaben zu Umfang und Lage der Normalarbeitszeit sowie zur Lage der Mehrarbeit getätigt. Diese Daten sind auch nicht den von Klägern erstinstanzlich eingereichten selbst erstellten tabellarischen Auflistungen zu entnehmen. Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz monatliche Mehrarbeit behauptet und auf die im Zeitraum Januar 2009 bis Dezember 2011 erteilten monatlichen Lohnabrechnungen Bezug nimmt, hilft ihm dies nicht weiter. Diese Abrechnungen weisen weder gesondert Mehrarbeit aus, noch ist ihnen zu entnehmen, ob es sich um Mehrarbeitsstunden ab der 41. Stunde handelt, denn nur diese sind nach § 5 des Arbeitsvertrags vom 04.09.1989 zuschlagspflichtig.
33C. Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1 ZPO.
34D. Die Revision war nicht zuzulassen, denn die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.
35Rechtsmittelbelehrung
36Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
37Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
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Referenzen
- BGB § 174 Einseitiges Rechtsgeschäft eines Bevollmächtigten 4x
- ArbGG § 72a Nichtzulassungsbeschwerde 1x
- ArbGG § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung 2x
- § 1 Abs. 3 KSchG 1x (nicht zugeordnet)
- GmbHG § 35 Vertretung der Gesellschaft 1x
- BetrVG § 102 Mitbestimmung bei Kündigungen 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x
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