Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Kammer) - 5 Sa 107/06

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Stralsund vom 14.02.2006 (Aktenzeichen 4 Ca 258/05) abgeändert und die Klage auf Kosten des Klägers abgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um restliche Vergütung aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

2

Die Beklagte baut und vertreibt Einfamilienhäuser. Der Kläger war bei der Beklagten als Arbeitnehmer im Außendienst tätig und damit beauftragt, Kunden für die Häuser der Beklagten zu finden.

3

Das Arbeitsverhältnis dauerte vom 15.07.2003 bis zum 28.02.2005 an.

4

Im Streit sind rund 5.000,00 Überhangsprovision aus zwei Hausverkäufen, bei denen es noch während des Vertragsverhältnisses der Parteien zum Abschluss der Kaufverträge kam, in beiden Fällen mit der Errichtung der Häuser jedoch erst nach dem Ausscheiden des Klägers begonnen wurde.

5

Die volle Provision des Klägers ist vertraglich auf fünf Prozent des Nettokaufpreises festgelegt. Soweit hier von Interesse enthält der von der Beklagten vorformulierte und in einer Vielzahl von Fällen verwendete Vertragstext noch folgende weitere Regelungen:

6

"§ 1 Tätigkeit

7

Der Arbeitnehmer wird als Gebietsleiter für ... eingestellt, er wird die Kaufinteressenten für Häuser der Marke ... hinsichtlich aller bis zum Vertragsabschluss erforderlichen Aspekte beraten und betreuen und soweit erforderlich auch während der Abwicklung des Vertrages den Kontakt aufrechterhalten.

...

8

§ 5 Provision

9

Der Arbeitnehmer erhält für den Abschluss von Kaufverträgen und die Betreuung der Käufer eine Provision auf die das Nettogehalt angerechnet wird.

10

Die Provision wird errechnet aus fünf Prozent des Nettoverkaufspreises für alle Haustypen. ...

...

11

Sollte der Mitarbeiter aus dem Unternehmen ausscheiden, bevor die erste Kaufpreisrate eines Käufers fällig geworden ist, steht dem Mitarbeiter nur die Hälfte der hier geregelten Provision zu. Sollte der Mitarbeiter Vorgänge von anderen Vertriebsmitarbeitern zum Abschluss bringen, für die nach diesen Modalitäten nur 50 Prozent der Provision angefallen ist, so steht ihm bei ordnungsgemäßer Abwicklung die andere Hälfte der Provision zu.

12

Die Provision wird hinsichtlich der einzelnen Verträge fällig zu 25 Prozent sobald die Erwerber die Rate für die Planungskosten beglichen haben, hinsichtlich der weiteren 75 Prozent bei Bezahlung der ersten Vertragsrate durch die Erwerber. Werden die Planungskosten nicht gesondert in Rechnung gestellt, ist die Provision insgesamt bei Bezahlung der ersten Vertragsrate durch die Erwerber fällig.

..."

13

Entsprechend der Regelung in § 5 des Arbeitsvertrages hat die Beklagte die zwei streitigen Geschäfte lediglich mit 2,5 Prozent Provision vergütet. Die weiteren 2,5 Prozent Provision sind Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, den der Kläger am 05.10.2005 beim Arbeitsgericht anhängig gemacht hat.

14

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.02.2006 der Klage in vollem Umfang entsprochen und in der Hauptsache wie folgt entschieden:

15

"Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.114,33 abzüglich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.09.2005 aus dem entsprechenden Nettobetrag."

16

Das Urteil ist der Beklagten am 21.03.2006 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung vom 12.04.2006 ist per Fax beim Landesarbeitsgericht am 13.04.2006 eingegangen und sie ist mit Schriftsatz vom 22.05.2006, Gerichtseingang am selben Tag (Montag), begründet worden.

17

Die Beklagte begehrt die Abweisung der Klage. Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe weder die Besonderheiten des betroffenen Geschäftszweiges noch die vorliegende Vereinbarung, die auf den Vertragsabschluss und die Betreuung der Kunden abzielen, ausreichend gewürdigt.

18

Die Beklagte beantragt,

19

die Klage unter Abweisung des arbeitsgerichtlichen Urteils abzuändern.

20

Der Kläger beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und betont, bei den beiden im Streit stehenden Geschäftsabschlüssen habe es keinerlei weiterer Tätigkeit nach seinem Ausscheiden bedurft (dies ist als Umstand unstreitig).

23

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24

Die der Beschwer nach statthafte Berufung hat in der Sache Erfolg.

I.

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Die Beklagte hat die beiden streitigen Geschäftsabschlüsse nach den Regeln des Arbeitsvertrages vollständig vergütet. Weitergehende Provisionsansprüche aus anderen Anspruchsgrundlagen stehen dem Kläger nicht zu.

26

1. Weitergehende Ansprüche kann der Kläger nicht aus §§ 65, 87 Abs. 1 HGB herleiten. Der Tatbestand der Norm ist zwar erfüllt, da der Kläger als Handlungsgehilfe im Sinne von § 59 HGB anzusehen ist und die Verträge zu den streitigen Geschäften noch zu Zeiten des Bestehens des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen wurde. Der Kläger kann seinen Anspruch dennoch nicht auf diese Norm stützen, da § 87 HGB zum dispositiven Recht zählt (vgl. nur BGH 11.07.1960 - VII ZR 225/59 - BGHZ 33, 92 = NJW 1960, 1996; BAG 20.07.1973 - 3 AZR 359/72 - AP Nr. 7 zu § 65 HGB) und daher die hier vorliegenden abweichenden vertraglichen Regelungen vorgehen.

27

Das Bundesarbeitsgericht hat in der zitierten Entscheidung allerdings den Vorbehalt gemacht, dass ein Abbedingen von § 87 Abs. 1 HGB nur bei Vorliegen eines sachlich billigenswerten Anlasses anerkannt werden könne.

28

Diese Einschränkung steht der Wirksamkeit der abweichenden Vertragsregelung hier nicht entgegen, denn sie beruht auf Besonderheiten des Geschäftszweiges, die sich in der vertraglichen Zwecksetzung für die Provisionszahlung widerspiegeln.

29

Vom Kläger unwidersprochen trägt die Beklagte vor, in ihrer Branche komme es immer wieder vor, dass Kunden Verträge über die Erstellung bzw. Lieferung eines Einfamilienhauses abschließen, ohne zuvor dafür gesorgt zu haben, dass sie über ein bebaubares Grundstück verfügen und bzw. oder ohne zuvor dafür Sorge getragen zu haben, dass der im Vertrag mit der Beklagten vereinbarte Kaufpreis auf Grund einer Finanzierung überhaupt erfüllt werden kann. Diese Beobachtung deckt sich mit eigener Sachkenntnis des Gerichtes von dem Geschäftsgebaren in dieser Branche.

30

Es liegt auf der Hand, dass dadurch die Gefahr steigt, dass eine erhebliche Anzahl von Verträgen nie zur Durchführung kommt und die Beklagte daher ein gesteigertes Interesse daran hat, dass auch die Kunden vom Außendienstler noch angemessen betreut werden, die bereits einen Hauskaufvertrag unterzeichnet haben. Dieses arbeitgeberseitige Betreuungsbedürfnis dauert typischerweise bis zum Beginn der Baumaßnahme an, denn ist der Bau erst einmal begonnen, ist die Gefahr, dass der Kunde trotz Vertragsabschluss dessen Erfüllung nicht mehr will, wegen der damit einhergehenden Kosten deutlich geringer.

31

Zusätzlich muss beachtet werden, dass bei allen Kunden nach Vertragsabschluss noch ein Kontakt mit dem Architekten der Beklagten hergestellt werden muss, der dann die notwendige Detailplanung vornehmen und die behördlichen Erlaubnisse einzuholen hat.

32

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass es in § 5 des Vertrages (Provision) einleitend heißt, der Arbeitnehmer erhalte seine Provision "für den Abschluss von Kaufverträgen und die Betreuung der Kunden". Diese doppelte Zwecksetzung der Provisionszahlung deutet sich auch in § 1 (Tätigkeit) an, wenn es dort heißt, der Arbeitnehmer "wird die Kaufinteressenten ... beraten ... und auch während der Abwicklung des Vertrages den Kontakt aufrechterhalten".

33

Letztlich kommt der Wille der Parteien, die Provision für Abschluss und Betreuung vorzusehen, auch noch in der Fälligkeitsregelung zur Provision zum Ausdruck (§ 5 letzter Absatz). Denn diese wird erst fällig, wenn der Kunde die erste Rate beglichen hat, wenn also mit dem Bau bereits begonnen wurde (die ebenfalls dort geregelte geteilte Provisionszahlung für den Fall, dass eine Planungsrate anfällt, kann außer Betracht bleiben, da sie weder für noch gegen den hier vertretenen Standpunkt spricht). Diese Fälligkeitsregelung sichert sicher auch den Arbeitgeber ab, indem er erst dann Provision zahlen muss, wenn er über entsprechende Zahlungseingänge des Kunden verfügt; das widerspricht jedoch nicht dem hier vertretenen Standpunkt, dass die Fälligkeitsregelung auch den Zweck verfolgt, dass der Außendienstler sich nach Vertragsabschluss bei Bedarf auch noch um die bereits gewonnenen Kunden kümmern soll.

34

Da die Betreuungstätigkeit auch noch nach Vertragsabschluss erforderlich werden kann, ist die Regelung zur nur 50prozentigen Entstehung des Provisionsanspruchs für Geschäfte, die erst nach Ausscheiden des Außendienstlers erfüllt werden, sachgerecht.

35

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die zwei Kunden, um die es hier im vorliegenden Fall geht, tatsächlich keinen Aufwand mehr verursacht hatten, da Baugrundstück und Finanzierung unproblematisch waren und auch der Kontakt zum Architekten problemlos war. Denn die rechtliche Bewertung der getroffenen Vertragsgestaltung muss unabhängig vom Einzelfall und bezogen auf branchentypische Geschäftsvorfälle vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass es auch ein legitimes Ziel der Vertragsgestaltung durch den Arbeitgeber sein kann, unbestimmte gesetzliche Begriffe wie den der "Angemessenheit" oder den der "Billigkeit" in § 87 Abs. 3 HGB durch einfach festzustellende Umstände, die im Regelfall zu vergleichbaren Ergebnissen führen, zu ersetzen.

36

Letztlich hat das Gericht bei seiner Bewertung noch einen dritten Gesichtspunkt berücksichtigt. Denn mit der hälftigen Auszahlung der Provision auf noch nicht erfüllte Verträge zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Arbeitnehmers kommt es auch zu einer Verlagerung des Risikos des Ausfalls des Kunden. Während dieses Ausfallrisiko während des Arbeitsverhältnisses allein der Außendienstler trägt, weil seine Provision dann nie fällig wird, geht das Ausfallrisiko für die beim Ausscheiden noch nicht erfüllten Verträge auf den Unternehmer über, denn nach dem Vertrag hat er keine Möglichkeit, die bereits ausgezahlte hälftige Provision zurückzufordern. Zu diesem Gesichtspunkt, den keine der Parteien und auch das Arbeitsgericht nicht beachtet hatte, hat das Berufungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich rechtliches Gehör gewährt.

37

2. Zur Anwendung von § 87 Abs. 1 HGB gelangt man auch nicht mit Rücksicht auf die Regelungen zu vorformulierten Verträgen und allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff BGB).

38

Da der vorliegende Vertragstext vom Arbeitgeber vorformuliert wurde und er nach dem Bekunden der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bei allen entsprechenden Arbeitnehmern zur Vertragsgrundlage gemacht wird, müssen die streitigen Regelungen den zusätzlichen Anforderungen des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen genügen.

39

Insbesondere dürfen die Bestimmungen im Arbeitsvertrag den Vertragspartner des Verwenders, hier also den klagenden Arbeitnehmer, nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche missbilligenswerte Benachteiligung liegt insbesondere vor, wenn die gefundene Vertragsregelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

40

Im Gegensatz zum Arbeitsgericht und zum Kläger ist das Berufungsgericht der Auffassung, dass die Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in §§ 87 f HGB der gefundenen vertraglichen Regelung nicht widersprechen.

41

Das gesetzliche Leitbild eines typischen Geschäftsvorfalls in § 87 f HGB ist das aufwändig zu bewerbende Geschäft, das aber in der Abwicklung schnell und im Regelfall problemlos verläuft. Das zeigt sich insbesondere an den aufwändigen Regelungen zur Anteilsprovision in § 87 Abs. 3 HGB und an den Umständen, von denen der Gesetzgeber die Fälligkeit der Provision abhängig gemacht hat.

42

Wenn der Gesetzgeber in § 87 Abs. 3 HGB eine sehr aufwändige und umständliche Regelung für die Anteilsprovision für erforderlich erachtet hat, kann man daraus den Schluss ziehen, dass er Geschäftsvorfälle vor Augen hatte, bei denen die besondere Schwierigkeit darin liegt, den Kunden überhaupt für das Produkt zu interessieren. Ist der Vertrag erst einmal unter Dach und Fach, scheint es dem Gesetzgeber nur noch eine Frage der notwendigen Zeit gewesen zu sein, bis das Geschäft beiderseits erfüllt ist und die Provision nach § 87 Abs. 1 HGB nach Erfüllung erstmals fällig wird. Der hier relevante Umstand, dass der bereits gewonnene Kunde gegebenenfalls noch weiter betreut werden muss, war dem Gesetzgeber keine eigene Regelung wert.

43

Wenn die Beklagte hier durch den vorformulierten Arbeitsvertrag eine Regelung für die Überhangsprovision anstrebt, die diesen immer wieder vorkommenden nachvertraglichen Betreuungsaufwand berücksichtigt, den der ausgeschiedene Außendienstler nicht mehr leisten kann, so stellt sie sich nicht in Widerspruch zum Gesetz, sondern sie knüpft an die Gerechtigkeitsüberlegungen zur Anteilsprovision in § 87 Abs. 3 HGB an und überträgt deren Grundgedanken auf die hier zu berücksichtigenden Sonderprobleme der Überhangsprovision.

44

Der hier vertretene Standpunkt steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der in einem Fall, der dem vorliegenden sehr ähnlich ist, ausdrücklich offen gelassen hat, ob die nur anteilige Zahlung einer Überhangsprovision ein Verstoß gegen das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen darstellt (BGH 10.12.1997 - VIII ZR 107/97 - DB 1998, 720 = NJW-RR 1998, 629).

45

3. Der klägerische Anspruch lässt sich schließlich auch nicht allein aus dem Umstand herleiten, dass die Beklagte die beim Kläger ersparte Provision offensichtlich nicht an einen anderen Arbeitnehmer ausgezahlt hat. Insofern rückt das Berufungsgericht von dem Standpunkt ab, den es in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit dem Anschreiben vom 06.10.2006 eingenommen hatte. Der Standpunkt lässt sich mit dem dispositiven Charakter von § 87 HGB nicht vereinbaren.

II.

46

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger als die unterliegende Partei (§ 91 ZPO).

47

Das Gericht hat für den Kläger die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

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