Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Kammer) - 5 Sa 89/14
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 27.03.2014, Aktenzeichen 4 Ca 1125/13, wird das Urteil des Arbeitsgerichts im Tenor zu 2. und 3. aufgehoben und der Antrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses abgewiesen.
2. Die Anschluss-Berufung der Beklagten wird abgewiesen.
3. Die Kosten der Berufung und Anschluss-Berufung trägt die Beklagte.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten im Rahmen des Berufungsverfahrens noch um die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Beklagten (Berufung der Klägerin) sowie um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung (Anschlussberufung der Beklagten).
- 2
Die 1964 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin ist seit dem 04.03.2003 bei der beklagten Agrargenossenschaft beschäftigt. Zuletzt war sie Leiterin der Abteilung Tierproduktion und erzielte hier eine Vergütung von 3.528,00 Euro brutto monatlich. Parallel war die Klägerin auch Aufsichtsratsmitglied. Die Klägerin ist auch immer noch Genossin (Mitglied) der Beklagten.
- 3
Die Beklagte ist eine Genossenschaft, die sich mit der Tierproduktion und Pflanzenproduktion beschäftigt. Sie wird von einem dreiköpfigen Vorstand geleitet. Bei der Beklagten sind regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG beschäftigt.
- 4
In der Zeit vom 05.09.2013 bis 25.09.2013 befand sich die Klägerin auswärts auf Kur. Während dieser Zeit kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit einem Sohn der Klägerin, welcher ebenfalls bei der Beklagten angestellt war. Die Beklagte warf dem Sohn der Klägerin vor, mehrfach zu spät zur Arbeit erschienen zu sein, wobei die Klägerin die Richtigkeit dieses Vorwurfes bestreitet. Jedenfalls erfuhr die Klägerin während ihres Kuraufenthaltes von dieser Kündigung und rief am 24.09.2013 das Vorstandsmitglied Frau H. an. Unstreitig war die Klägerin in diesem Telefonat jedenfalls sehr aufgebracht. Eine gewisse Äußerung der Klägerin in diesem Telefonat ist streitig.
- 5
Schon in der Zeit vor der Kur der Klägerin hatte sich das Ergebnis der Abteilung Tierproduktion nicht zur Zufriedenheit der Beklagten entwickelt. Seit 2011 war die Milchproduktion rückläufig. Interne Verbesserungsversuche hatten nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Deshalb fand auf Betreiben der Beklagten am 01.10.2013 bei der Beklagten ein Termin mit einem externen Berater statt, der auf dem Gelände der Beklagten eine Besichtigung vornahm und sodann einige Dinge aus seiner Sicht zur Tierproduktion äußerte.
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Im Anschluss hieran war noch am 01.10.2013 ab 15:00 Uhr zur Auswertung der Äußerungen des Beraters eine Arbeitsberatung angesetzt. Hieran nahmen der Vorstandsvorsitzende H. und die Klägerin teil. Teilnehmer dieses Gesprächs war auch das weitere Vorstandsmitglied Herr B., wobei die Klägerin unbestritten konkretisierte, dass dieser in der ersten Stunde des Gesprächs nicht anwesend war. Der konkrete Inhalt sowie das Klima des Gespräches sind zwischen den Parteien streitig. Dieses Gespräch dauerte jedenfalls etwa 2,5 Stunden. Zum Schluss wurde die Fortsetzung des Gespräches auf den 02.10.2013 vertagt.
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Am 02.10.2013 fand zunächst eine Sitzung allein des dreiköpfigen Vorstandes der Beklagten statt. Dieser kam für sich zu dem Schluss, dass die Vertrauensbasis für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin zerstört sei.
- 8
Am selbigen Tag fand ab 12:30 Uhr sodann ein Gespräch zwischen dem Vorstand und der Klägerin statt. Überraschend für die Klägerin teilte Herr H. mit, dass die Beklagte keine Basis für eine weitere Zusammenarbeit sehe und schlug der Klägerin den Abschluss eines Aufhebungsvertrages vor. Wie sich das Gespräch sodann mit Blick auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages entwickelte, ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig ist allein, dass ein Aufhebungsvertrag jedenfalls in Schriftform nicht existiert. Am Ende des Gespräches gab die Klägerin ihre Betriebsschlüssel ab, nachdem sie ausdrücklich hierzu aufgefordert worden war. Streitig sind außerhalb des Themas Aufhebungsvertrag auch etwaige weitere Äußerungen der Klägerin.
- 9
Am Abend des 02.10.2013 einigte sich die Beklagte mit einem externen Dritten auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages als Leiter Tierproduktion beginnend ab dem 01.11.2013.
- 10
Nachdem die Klägerin zwischenzeitlich einen Anwalt zur Beratung aufgesucht hatte, der ihr empfohlen hatte, ihre Arbeitskraft anzubieten, erschien die Klägerin am 07.10.2013 wieder auf der Arbeit. Herr H. verwies auf die erfolgte Neubesetzung der Stelle. Nach der Behauptung der Beklagten habe die Klägerin sodann eine schriftliche Kündigung verlangt. Nach der Behauptung der Klägerin habe Herr H. gesagt, sie solle mittags wiederkommen, da man ihr eine Kündigung geben wolle. Jedenfalls legte die Beklagte der Klägerin sodann im Tagesverlauf einen Aufhebungsvertrag und ein von der Beklagten angefertigtes Protokoll zum Gespräch vom 02.10.2013 vor. Die Klägerin leistete hier keine Unterschrift.
- 11
Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.10.2013 ließ die Klägerin der Beklagten mitteilen, dass sie nicht das geäußert habe, was sich in dem Protokoll wiederfinde.
- 12
Mit Schreiben vom 21.10.2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin „fristgemäß zum 28.02.2014“. In der Kündigung teilte die Beklagte mit, dass die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erfolge. Die Beklagte verwies auf die von ihr auch im Prozess behaupteten streitigen Äußerungen und Ergebnisse der Gespräche vom 01.10.2013 und 02.10.2013. Die Beklagte sei gezwungen gewesen, einen Nachfolger einzustellen. Die Klägerin werde bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen freigestellt.
- 13
Am 04.11.2013 fand eine Generalversammlung der Genossenschaftsmitglieder statt. In dieser Sitzung beschloss eine Mehrheit den Widerruf der Bestellung der Klägerin als Aufsichtsratsmitglied. Hintergrund waren die Ereignisse, wie sie von der Beklagten streitig auch im hiesigen Prozess vorgetragen werden. Vor der entsprechenden Abstimmung ergriff die Klägerin das Wort und schilderte den Ablauf der Ereignisse, wie sie sie für richtig hielt und auch heute hält. Insbesondere erklärte sie, dass sie dasjenige, was der Vorstand behauptet, nicht geäußert habe.
- 14
Mit Schreiben vom 12.11.2013 teilte Herr H. der Klägerin mit, dass sie freigestellt sei und ihr Geld bis zum 28.02.2014 erhalte.
- 15
Mit ihrer Klageschrift vom 24.10.2013, eingegangen beim Arbeitsgericht Neubrandenburg am 28.10.2013, wandte sich die Klägerin gegen die Kündigung vom 21.10.2013 und begehrte zudem die vorläufige Weiterbeschäftigung. Im Rahmen einer Klageerweiterung verlangte die Klägerin auch Zahlung von über 8000,00 Euro brutto, bestehend aus der Vergütung für Januar und Februar 2014 sowie eines Differenzbetrages wegen als zu niedrig angesehenen Weihnachtsgeldes 2013. Hilfsweise widerklagend beantragte die Beklagte die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
- 16
Das Arbeitsgericht Neubrandenburg stellte mit Urteil vom 27.03.2014 fest, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet habe (Tenor zu 1.). Das Arbeitsverhältnis sei zuvor auch nicht durch Aufhebungsvertrag beendet worden. Weiterhin löste es das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 26.000,00 Euro zum 28.02.2014 auf (Tenor zu 2. und 3.). Dem Zahlungsantrag der Klägerin gab das Arbeitsgericht statt, dem Weiterbeschäftigungsantrag nicht (vgl. Blatt 83 ff d. A.). Das Urteil wurde am 10.04.2014 der Klägerin und am 11.04.2014 der Beklagten zugestellt.
- 17
Die Klägerin legte am 05.05.2014 Berufung ein. Das Rechtsmittel beschränkt sich auf die vorgenommene Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Die Begründung erfolgte innerhalb der vom Gericht verlängerten Frist.
- 18
Die Zustellung der Berufungsbegründung an die Beklagte erfolgte am 09.07.2014. Eingehend am 23.07.2014 erhob die Beklagte Anschlussberufung. Diese beschränkt sich auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung.
- 19
Mit Blick auf die Anschlussberufung der Beklagten verteidigt die Klägerin das arbeitsgerichtliche Urteil insoweit. Die Kündigung könne das Arbeitsverhältnis nicht beenden, weil sich die Ereignisse nicht so, wie von der Beklagten behauptet, zugetragen hätten. Es fehle auch an einem zulässigen Beweisangebot. Zudem sei eine Abmahnung erforderlich gewesen.
- 20
Die Klägerin meint im Rahmen ihrer eigenen Berufung, der Auflösungsantrag der Beklagten könne nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. Die gesetzlichen Voraussetzungen lägen nicht vor. Auch das insoweit angegriffene Urteil des Arbeitsgerichts benenne keine Auflösungsgründe, sondern nur eine unterschiedliche Sichtweise der Parteien. Dabei habe das Arbeitsgericht die Ausführungen der Beklagten mehr oder minder als wahr unterstellt. Tatsächlich sei das Arbeitsverhältnis jedoch nicht zerrüttet. Die Klägerin gehe von einer Normalisierung des Verhältnisses nach Rückkehr aus. Soweit die Beklagte der Klägerin nun ergänzend vorhalten möchte, dass sie nicht zur Mitgliederversammlung der Genossenschaft am 13.11.2014 erschienen war, verweist die Klägerin auf eine unstreitige Krankschreibung für diesen Tag und die unstreitige Ansicht, dass keine Teilnahmepflicht besteht.
- 21
Hinsichtlich des Telefonats am 24.09.2013 bestreitet die Klägerin, jemanden bedroht zu haben.
- 22
Zum Gespräch am 01.10.2013 bestreitet die Klägerin die von der Beklagten vorgebrachten Behauptungen. Aus ihrer Sicht sei es ein harmonisches Gespräch gewesen. Man habe sich für den 02.10.2013 verabredet, um über die finanzielle Situation der Beklagten zu sprechen.
- 23
Hinsichtlich des Gespräches am 02.10.2013 bestreitet die Klägerin, mit einem Aufhebungsvertrag einverstanden gewesen zu sein. Sie habe auch niemanden beschimpft oder bedroht. Ein Aufhebungsvertrag sei somit nicht abgeschlossen worden. Mit einer Beendigung zum 31.12.13 sei sie nicht einverstanden gewesen. Die Klägerin verweist auf ihren Widerspruch zum Protokoll vom 09.10.2013. Aus der Abgabe der Schlüssel könne nichts abgeleitet werden, da sie diese nach Aufforderung abgegeben hatte. Zudem scheitere ein etwaiger Aufhebungsvertrag jedenfalls am Schriftformerfordernis.
- 24
Die Klägerin beantragt:
- 25
Das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 27.03.2014 wird zu Ziffern 2. und 3. aufgehoben und der Antrag der beklagten Partei auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG wird zurückgewiesen.
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Die Beklagte beantragt:
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Die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
- 28
Im Rahmen der Anschlussberufung beantragt die Beklagte:
- 29
Das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 27.03.2014, Az. 4 Ca 1125/13, abzuändern, und den Klageantrag zu 1. (Kündigungsschutzklage) abzuweisen.
- 30
Im Rahmen der Anschlussberufung beantragt die Klägerin:
- 31
Die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.
- 32
Die Beklagte meint im Rahmen der Anschlussberufung, dass das Urteil abzuändern sei, da das Arbeitsverhältnis eigentlich schon durch einen mündlichen Aufhebungsvertrag, jedenfalls aber durch eine Kündigung beendet worden sei. Die Beklagte verteidigt hinsichtlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses das arbeitsgerichtliche Urteil.
- 33
Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe Frau H. in dem Telefonat am 24.09.2013 bedroht, indem sie sinngemäß gesagt habe: „Man sieht sich immer zwei mal.“
- 34
Hinsichtlich des Gespräches am 01.10.2013 behauptet die Beklagte, die Klägerin habe gleich zu Beginn geäußert, dass es ihr keinen Spaß mehr mache, sie könne nicht unter Herrn H. arbeiten, sie habe sich schon nach einer neuen Stelle umgesehen und man habe ihren Sohn schikaniert. In den 2,5 Stunden des Gespräches habe man versucht, die Lage zu klären. Die Klägerin habe ihre Sicht jedoch weiterhin bekräftigt und die Vorstandsmitglieder abgekanzelt. Daraufhin sei die Fortsetzung des Gespräches für den 02.10.2013 vereinbart worden.
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Bezogen auf das Gespräch vom 02.10.2013 meint die Beklagte, dass hier ein Aufhebungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin geschlossen worden sei. Das Arbeitsverhältnis sei somit schon zum 31.12.2013 beendet worden. Nachdem Herr H. der Klägerin den Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten hatte, sei die Klägerin mit einer Aufhebung zum 31.12.2013 einverstanden gewesen, wenn sie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und eine Abfindung von 5.482,50 Euro erhalte. Hiermit sei der Vorstand dann einverstanden gewesen. Die Beklagte behauptet weiter, dass die Klägerin in diesem Zuge sodann auch die Kündigung ihrer Mitgliedschaft bei der beklagten Genossenschaft erklärt habe [wobei unstreitig ist, dass die Klägerin noch heute Mitglied ist]. Nachdem das Gespräch bis hier in ruhig sachlichem Ton verlaufen sei, habe sich die Klägerin sodann - bevor sie den Raum verließ – vor dem Vorstandsvorsitzenden aufgebaut, um ihm abschließend richtig die Meinung zu sagen. In hasserfülltem Ton habe sie Herrn H. wortwörtlich mit folgenden Beschimpfungen überschüttet:
- 36
- „Unter der Leitung von Deiner Person kann ich nicht arbeiten.“
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- „Du schikanierst mich und meinen Sohn, weil wir Dir die Meinung sagen.“
- 38
- „Du suchst im Unternehmen nur Deinen privaten Vorteil und versuchst, Deine Meinung durchzusetzen.“
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- „Du bist ein schlechter Leiter.“
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- „Du wirst auch dafür Deine Strafe bekommen.“
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Dann habe sie sich noch an Herrn B. und Frau H. gewandt und verkündet: „Mit Euch rede ich nicht mehr.“
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Die Beklagte habe sich darauf gezwungen gesehen, die Stelle der Klägerin sofort neu zu besetzen.
- 43
Die Beklagte meint, dass der im Gespräch am 02.10.2013 (streitig) geschlossene Aufhebungsvertrag auch ohne Einhaltung der Schriftform zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe. Dies folge aus den oben behaupteten Äußerungen der Klägerin, von denen sie auch nichts zurückgenommen habe. Zudem sei sie ja mit der Aufhebung einverstanden gewesen und habe auch eine dezidierte Forderung zu Weihnachtsgeld etc. gestellt. Die Abgabe der Schlüssel sei ebenfalls zu beachten. Auch wegen der (streitigen) Beschimpfungen könne sich die Klägerin nicht auf die Schriftform berufen.
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Die Kündigung vom 21.10.2013 sei nur vorsorglich ausgesprochen worden. Sie sei aus verhaltens- und betriebsbedingten Gründen wirksam. Verhaltensbedingt sei die massive Beschimpfung von Herrn H. der Grund. Es handele sich um ehrverletzende Äußerungen. Aufgrund der Leitungsposition der Klägerin sei ein besonderes Vertrauensverhältnis erforderlich. Eine Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich. Betriebsbedingt sei zu beachten, dass eine Ersatzkraft eingestellt wurde. Die Klägerin habe auch gewusst, dass eine Ersatzkraft eingestellt werden musste.
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Schließlich sei das Arbeitsverhältnis zu Recht durch das Arbeitsgericht aufgelöst worden. Der Grund seien zunächst die ehrverletzenden Äußerungen der Klägerin vom 01.10.2013 und 02.10.2013, die ohne Anlass und Grund erfolgt seien und die die Klägerin nicht zurückgenommen habe. Zudem habe die Klägerin am 04.11.2013 wahrheitswidrig behauptet, nie das gesagt zu haben, was ihr von der Beklagten vorgehalten wird. Auch die innere Kündigung der Klägerin sei zu beachten. Ebenfalls sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um einen kleinen Arbeitgeber handelt, der aus 17 Mitgliedern besteht, von denen neun aktiv arbeiten, wobei es insgesamt 19 Mitarbeiter gibt. Das Verhältnis zum gesamten Vorstand sei irreparabel beschädigt. Die Klägerin hat sich nicht entschuldigt. Bei dieser Lage sei die Besorgnis gerechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit der Streitparteien gefährdet sei. Die Beklagte ergänzte auch, dass die Klägerin am 13.11.2014 (also im Berufungsverfahren) als einzige nicht zu einer Mitgliederversammlung der Beklagten erschienen war.
- 46
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Verhandlungsprotokolle sowie das angegriffene Urteil verwiesen.
Entscheidungsgründe
- 47
Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet, da weder ein Aufhebungsvertrag noch eine Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben (nachfolgend I.). Die Berufung der Klägerin ist hingegen begründet. Das Arbeitsverhältnis war nicht gerichtlich aufzulösen (nachfolgend II.).
- 48
Bei der Prüfung war in der hier vorliegenden Fallkonstellation zu beachten, dass die Anschlussberufung nicht bedingt bezogen auf eine erfolgreiche Hauptberufung der Klägerin erhoben worden war. Sie galt unbedingt neben der Berufung der Klägerin. Da die gerichtliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 KSchG von der vorherigen Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung abhängig ist und die Anschlussberufung unbedingt erhoben wurde, musste hier die Anschlussberufung der Beklagten (welche die Wirksamkeit einer Kündigung betraf) vor der Berufung der Klägerin (die Auflösung betreffend) geprüft werden.
I.
- 49
Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht erhobene, Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet.
- 50
Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 21.10.2013 aufgelöst wird.
1.
- 51
Die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 24.10.2013 erhobene Feststellungsklage nach § 4 KSchG ist zulässig.
- 52
Insbesondere stand der Klägerin hier auch ein Feststellungsinteresse zur Seite.
- 53
Zwar ist das Feststellungsinteresse für eine Klage nach § 4 KSchG in den meisten Fällen unproblematisch zu bejahen.
a)
- 54
Im hiesigen Fall war jedoch zu beachten, dass die Kündigung erst zum 28.02.2014 wirken sollte, während die Beklagte davon ausging, dass das Arbeitsverhältnis zuvor schon durch einen ebenfalls streitigen Aufhebungsvertrag zum 31.12.2013 beendet werde. Würde das Arbeitsverhältnis tatsächlich durch Aufhebungsvertrag bereits zum 31.12.2013 sein Ende finden, wäre die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung für das Rechtsverhältnis der Parteien nicht mehr von Interesse. Ein Urteil des Gerichts zu dieser Frage hätte dann nur noch die Wirkung eines Rechtsgutachtens ohne praktische Auswirkung für die Parteien. Ist das Arbeitsverhältnis jedoch nicht durch einen Aufhebungsvertrag vor dem Wirkdatum der Kündigung beendet worden, besteht ein Feststellungsinteresse, ob die sodann folgende Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeignet ist.
b)
- 55
Hier besteht für die Klägerin ein Feststellungsinteresse für eine Kündigungsschutzklage. Denn das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht bereits vor dem 28.02.14 durch einen Aufhebungsvertrag der Parteien beendet worden.
- 56
Insbesondere ist im Gespräch am 02.10.2013 kein wirksamer Aufhebungsvertrag zustande gekommen. Dabei ist es unerheblich, ob die Parteien vielleicht mündlich Erklärungen abgegeben haben sollten, die auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages gerichtet waren.
(1)
- 57
Denn der Abschluss eines Aufhebungsvertrages (wie auch der Ausspruch einer Kündigung) bedarf nach § 623 BGB der Schriftform. Es handelt sich hierbei um eine zwingende, nicht durch Parteiwillen abdingbare, gesetzliche Regelung. Die durch Gesetz vorgeschriebene Schriftform wird nach § 126 Abs. 1 BGB dadurch erfüllt, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Das gesetzliche Schriftformerfordernis hat vor allem Klarstellungs- und Beweisfunktion. Es soll Rechtssicherheit für die Vertragsparteien und eine Beweiserleichterung im Rechtsstreit bewirken. Die eigenhändige Unterschrift stellt darüber hinaus eine eindeutige Verbindung zwischen der Urkunde und dem Aussteller her (Identitätsfunktion). Die Verbindung zwischen Unterschrift und Erklärungstext gewährleistet, dass die Erklärung inhaltlich vom Unterzeichner herrührt (Echtheitsfunktion). Durch die Unterschrift erhält der Empfänger der Erklärung die Möglichkeit zu überprüfen, wer die Erklärung abgegeben hat und ob die Erklärung echt ist (Verifikationsfunktion). Für die Einhaltung der Schriftform ist deshalb erforderlich, dass alle Erklärenden die schriftliche Willenserklärung unterzeichnen (BAG, 28.11.2007, 6 AZR 1108/06).
(2)
- 58
Im vorliegenden Fall existiert unstreitig keinerlei Urkunde mit den Unterschriften der Parteien. Die Schriftform ist unstreitig nicht erfüllt.
- 59
Damit existiert kein wirksamer Aufhebungsvertrag.
(3)
- 60
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein möglicher Aufhebungsvertrag hier auch ohne Schriftform wirksam wäre.
- 61
Denn bei § 623 BGB handelt es sich um ein klares und eindeutiges Schriftformgebot ohne Ausnahmeregel. Dies gilt auch für die Beklagte.
(4)
- 62
Der Klägerin ist es auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf das Schriftformerfordernis zu berufen. § 623 BGB dient dem Schutz vor Übereilung (Warnfunktion) und der Rechtssicherheit (Klarstellungs- und Beweisfunktion). Der Gesetzgeber hat daneben auch eine Entlastung der Gerichte beabsichtigt (BAG, 16.09.2004, 2 AZR 659/03).
- 63
Ganz ausnahmsweise ist es denkbar, dass sich ein Arbeitnehmer nach § 242 BGB nicht auf das Schriftformgebot berufen kann. Grundsätzlich ist die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form jedoch zu beachten. Wenn die Formvorschriften des bürgerlichen Rechts nicht ausgehöhlt werden sollen, kann ein Formmangel nur ausnahmsweise nach § 242 BGB als unbeachtlich angesehen werden. Das kann nach der Rechtsprechung des BAG unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) dann der Fall sein, wenn der Erklärungsgegner einen besonderen Grund hatte, auf die Gültigkeit der Erklärung trotz des Formmangels zu vertrauen und der Erklärende sich mit der Berufung auf den Formmangel zu eigenem vorhergehenden Verhalten in Widerspruch setzt (BAG, 16.09.2004, 2 AZR 659/03). So hatte das BAG eine Berufung auf die - vereinbarte - Schriftform als treuwidrig in einem Fall angesehen, in dem der Arbeitnehmer seiner Beendigungsabsicht mit ganz besonderer Verbindlichkeit und Endgültigkeit mehrfach Ausdruck verliehen und damit einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hatte (BAG 4. Dezember 1997 - 2 AZR 799/96).
- 64
Eine solche bzw. von der Wertigkeit ähnliche Konstellation ist hier jedoch nicht im Ansatz erkennbar. Hier hatte noch nicht einmal die Klägerin einen Aufhebungsvertrag ins Spiel gebracht. Dies ist ihr von der Beklagten - für die Klägerin überraschend - angeboten worden. Streitig ist nur der völlig schlichte Umstand, ob sodann mündlich noch in demselben Gespräch eine Einigung erzielt wurde oder nicht. Ein besonderer Vertrauenstatbestand ist nicht im Mindesten erkennbar. Hier hat sich schlicht genau die Situation abgespielt, für die § 623 BGB geschaffen wurde: die Parteien haben sich über einen Aufhebungsvertrag unterhalten und es ist streitig, ob dann mündlich eine Einigung erzielt worden sei.
- 65
Das BAG fasst den Sinn und Zweck des § 623 BGB zu Recht dahingehend zusammen: „dass die Gerichte der zeitraubenden und oft kaum befriedigend lösbaren Aufgabe enthoben werden sollen, nachträglich die Frage zu klären, ob spontan und oft in Erregung gesprochenen Worten der Ernst rechtserheblicher Willenserklärungen beigemessen werden kann. Diese Aufgabe wäre umso schwerer zu erfüllen, als sie oft die Vernehmung von Zeugen erforderte, die meist sowohl auf Grund von gefühlsmäßigen Bindungen als auch von Rechtsinteressen einer der Parteien zuneigen und deren Wahrnehmung und Erinnerungsvermögen dadurch vorgeprägt ist. Auch um diesen vor Einführung des § 623 BGB vielfach in der Praxis beklagten Misslichkeiten abzuhelfen, ist die Schriftform für Beendigungstatbestände eingeführt worden. Das Gesetz nimmt damit bewusst in Kauf, dass sogar unstreitig im Ernst - aber eben nur mündlich - abgegebene Auflösungserklärungen wirkungslos sind. Dann aber kann die Berufung auf die fehlende Schriftform nicht allein mit der Begründung, die Beendigungserklärung sei ernsthaft gemeint gewesen, für treuwidrig erklärt werden.“ (BAG, 16.09.2004, 2 AZR 659/03).
- 66
Genau aus diesem Grund ist es unerheblich, wenn die Beklagte behauptet, die Klägerin sei mit der Aufhebung einverstanden gewesen und habe dezidierte Forderungen gestellt. Die Rückgabe der Schlüssel ist ebenfalls nicht relevant, da dies unstreitig von der Beklagten gefordert worden war. Auch die mögliche Äußerung vom Vortage, dass es ihr keinen Spaß mehr mache etc. ändert hieran nichts. Denn daraus ist kein besonderes über § 623 BGB hinausgehendes Vertrauen des Arbeitgebers ableitbar. Fehlender Spaß lässt nicht einmal auf einen Beendigungswillen schließen.
- 67
Im Ergebnis existiert somit allein aufgrund § 623 BGB kein wirksamer Aufhebungsvertrag. Daher kommt es auch nicht mehr darauf an, ob sich aus dem Vortrag der Beklagten überhaupt ein mündlicher Aufhebungsvertrag ergeben hätte. Denn dazu bedürfte es einer bestimmten, eindeutigen Absprache/Einigung. Die Beklagte sprach auch von einer „dezidierten“ Forderung von Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und 5.482,50 € Abfindung. Offenbar existiert selbst aus Sicht der Beklagten kein Betrag zu Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld. Ist das „dezidiert“? Kann es eine Einigung gegeben haben, wenn nicht über die Höhe einer Zahlung gesprochen wurde? Gerade im hiesigen Fall war doch sogar noch erstinstanzlich die Zahlung des Weihnachtsgeldes Streitgegenstand. Hinsichtlich der Höhe hatte sich die Beklagte nicht auf eine „dezidiert“ mit der Klägerin vereinbarte Höhe berufen. Vielmehr war der Vortrag, das Weihnachtsgeld zu Recht als Arbeitgeber frei festgelegt zu haben.
2.
- 68
Die fragliche Kündigung ist rechtsunwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1, 2 KSchG.
- 69
Insbesondere ist sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegen stehen, oder aber durch im Verhalten der Klägerin liegende Gründe sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 Abs. 2 KSchG). Dabei ist die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes unstreitig.
a)
- 70
Zunächst liegen keine dringenden betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegen stehen, vor.
- 71
Es existieren keine außerbetrieblichen Umstände, wie zum Beispiel Auftragsverlust, Umsatzrückgang oder Ablauf einer Genehmigung etc., die eine Entscheidung der Arbeitgeberin ausgelöst hätten, wonach eine Weiterbeschäftigung der Klägerin nicht mehr möglich wäre.
- 72
Es existiert auch keine innerbetriebliche Organisationsentscheidung, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes oder der Beschäftigungsmöglichkeit der Klägerin geführt hätte. Der Arbeitsplatz besteht unverändert fort.
- 73
Der einzig vorgebrachte Grund ist die Einstellung eines anderen Arbeitnehmers auf den Arbeitsplatz der Klägerin. Es handelt sich um eine Austauschkündigung. Die Einstellung eines neuen Arbeitnehmers kann nicht die Kündigung des bisherigen Stelleninhabers unter Geltung des KSchG begründen. Dann wäre das KSchG ohne jeden Sinn.
- 74
Auch die streitigen Äußerungen der Klägerin führen unter dem Gesichtspunkt des Abkehrwillens nicht zu einem betriebsbedingten Kündigungsgrund. Allein der gezeigte Abkehrwille, der Wille sich nach einem anderen Arbeitgeber umschauen zu wollen oder dies auch schon zu tun, rechtfertigt noch nicht eine Kündigung. Jeder Arbeitnehmer ist zunächst frei darin, sich nach aus seiner Sicht potentiell besseren Beschäftigungsmöglichkeiten umzuschauen, ohne seinen Arbeitsplatz zu gefährden.
(1)
- 75
Eine Ausnahme wäre denkbar, wenn der Arbeitnehmer zugunsten seiner künftigen Beschäftigung oder allgemein aus verlorenem Interesse seine Arbeitspflichten im noch laufenden Arbeitsverhältnis vernachlässigt (vgl. LAG M-V, 05.03.2013, 5 Sa 106/12). Dann läge jedoch ein verhaltensbedingter Grund vor. Im hiesigen Fall sind entsprechende Anhaltspunkte nicht vorgetragen worden.
(2)
- 76
Auch wäre ein Kündigungsgrund als betriebsbedingter denkbar, wenn der Arbeitnehmer deutlich seinen Abkehrwillen gezeigt hätte, der Arbeitgeber demzufolge deutlich mit einem jederzeitigen Gehen des Arbeitnehmers rechnen musste und der Arbeitgeber deshalb gezwungen war, sich sofort einen gerade auf dem Arbeitsmarkt befindlichen Ersatzarbeitnehmer zu sichern, weil es dem Arbeitgeber aus Arbeitmarktgründen nicht zumutbar gewesen wäre, erst nach Vorliegen der Kündigung des Arbeitnehmers nach einem Nachfolger zu suchen, weil Arbeitnehmer in dem Berufszweig sehr schwer zu finden sind (vgl. zu einer solchen Konstellation BAG, 22.10.1964, 2 AZR 515/63).
- 77
Eine solche Fallgestaltung liegt jedoch nicht vor. Es kann wiederum unterstellt werden, dass die Klägerin geäußert habe, dass sie sich nach einem neuen Arbeitgeber umschaue, da es ihr keinen Spaß mehr bei der Beklagten mache. Das ist jedoch zunächst nur der bloße, noch nicht kündigungsrelevante Abkehrwille. Es fehlt jedoch ein Vortrag der Beklagten dazu, dass sie sofort handeln musste, weil der tatsächlich eingestellte Nachfolger der quasi einzig bzw. schwer auf dem Markt zu findende Ersatzarbeitnehmer war. Es gibt keinen Vortrag dazu, dass der Arbeitsmarkt für Leiter einer Tierproduktion so knapp besetzt wäre, dass sofort gehandelt werden musste. Dabei hätte auch die mögliche Kündigungsfrist der Klägerin in die Überlegungen mit einbezogen werden müssen. Auch gibt es keinen konkreten Vortrag, dass der tatsächlich eingestellte Nachfolger selbst nur jetzt – später jedoch nicht mehr – zur Verfügung stand. Der Sachverhalt ist somit nicht von einer besonderen Notsituation geprägt.
- 78
Hinzu kommt ein weiterer Umstand. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Kündigungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges vorliegen. Dies war hier ein unbestimmter Zeitpunkt nach dem 21.10.2013. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin nach den streitigen Gesprächen vom 01. und 02.10.2013 jedoch schon am 07.10.2013 wieder zur Arbeit erschienen. Auch hatte sie mit anwaltlichem Schreiben vom 09.10.2013 mitteilen lassen, dass sie die ihr vorgehaltenen Äußerungen nicht getätigt habe, das Unternehmen nicht verlassen wolle und auch nicht von der Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages ausgehe. Jedenfalls in der Zeit ab dem 21.10.2013 wäre dann das Vorliegen eines besonderen Abkehrwillens kaum feststellbar.
- 79
Auf betriebsbedingte Gründe kann sich die Beklagte somit nicht mit Erfolg berufen.
b)
- 80
Auch verhaltensbedingte Gründe können die Kündigung nicht rechtfertigen.
- 81
Allerdings können entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts die verhaltsbedingten Gründe nicht schon deshalb ausgeschlossen werden, weil die schriftliche Kündigung auf betriebsbedingte Gründe verweist. Denn es existiert keine Norm oder auch kein ungeschriebener Rechtsgrundsatz, wonach der Arbeitgeber sich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses nur auf die Gründe berufen dürfte, die zuvor schon in der schriftlichen Kündigungserklärung enthalten sind. Für eine solche Selbstbindung gibt es keine Rechtsgrundlage. Vielmehr zeigen die Sonderregelungen in § 22 Abs. 3 BBiG oder § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB genau das Gegenteil.
- 82
Verhaltensbedingte Gründe im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG liegen im hiesigen Einzelfall nach Abwägung aller Umstände nicht vor.
(1)
- 83
Als kündigungsrelevantes Verhalten kommen Handlungsweisen in Betracht, die dem Arbeitnehmer vorwerfbar, von ihm steuerbar sind. Die fragliche Verhaltensweise kann die Verletzung von Hauptleistungspflichten wie auch Nebenpflichten betreffen. Das Handeln des Arbeitnehmers muss zu einer Störung der Vertragsbeziehung geführt haben. Dabei ist auch zu beachten, dass für eine Kündigung nicht erforderlich ist, dass das Verhalten ein strafrechtlich relevantes Maß erreicht. Andererseits führen strafrechtlich relevante Handlungsweisen auch nicht zwingend zu einem arbeitsrechtlichen Kündigungsgrund. Vertragsverletzungen sind in einem weiteren Schritt für eine Kündigung unter Geltung des KSchG nur dann relevant, wenn der Arbeitgeber daraus schließen kann, der Vertrag werde auch in Zukunft gestört. Notwendig ist somit eine negative Prognose. Die verhaltensbedingte Kündigung ist somit keine rückblickende Strafe für ein abgeschlossenes Verhalten. Die anzustellende negative Prognose ist nicht allein ohne Tatsachengrundlage durch Überlegungen zu einer zukünftigen Entwicklung ins Blaue hinein zu ermitteln. Die Vertragsstörung muss vielmehr konkret so geartet sein, dass daraus geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch in Zukunft seine Vertragspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen. Liegt kein gravierender Verstoß vor, so ist eine negative Prognose in der Regel gegeben, wenn der Arbeitnehmer nach einer vorherigen Abmahnung den Vertrag noch einmal in ähnlicher Weise verletzt hat. Aus dieser Wiederholungshandlung wäre dann der Schluss auch für die zukünftige Entwicklung zu ziehen. Der Ausspruch einer Abmahnung hat daher bei einer verhaltensbedingten Kündigung eine erhebliche Bedeutung. Die Abmahnung dient der Objektivierung der negativen Prognose. Eine Abmahnung ist nur ausnahmsweise entbehrlich: wenn der Arbeitnehmer durch gewisse Verhaltensweise zu erkennen gegeben hat, sein Verhalten in Zukunft auch ohne Abmahnung nicht verändern zu wollen oder aber wenn die Vertragsverletzung so schwerwiegend ist, dass eine Hinnahme durch die belastete Vertragspartei offensichtlich – und für den Handelnden erkennbar – ausgeschlossen ist. Schließlich ist eine umfassende Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers wie auch des Arbeitgebers vorzunehmen.
(2)
- 84
Unter Berücksichtigung vorgenannter Maßstabe tragen die arbeitgeberseitig vorgetragenen Tatsachen nicht den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung. Dabei kann auch zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass ihre Behauptungen zu den von der Klägerin geäußerten Aussagen am 01.10.2013 und 02.10.2013 und auch 24.09.2013 wahr sind. In der Summe können sie eine Kündigung im hiesigen Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nicht tragen.
- 85
Die Äußerungen vom 01.10.2013 sind schon mit Blick auf eine Vertragsverletzung kaum von Relevanz. Vielleicht mag der Vorwurf, ihr Sohn werde schikaniert, etwas drastisch formuliert gewesen sein. Letztlich steckt dahinter jedoch die unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit zulässige Ansicht, der Sohn sei im Zuge der Kündigung falsch behandelt worden. Soweit die Beklagte davon sprach, der Vorstand sei abgekanzelt worden, handelt es sich um eine pauschale und unsubstantiierte Behauptung, die einer Prüfung durch das Gericht nicht zugänglich ist. Greifbare Tatsachen enthält diese Behauptung nicht.
- 86
Die hier als wahr unterstellten wörtlichen Zitate vom 02.10.2013 sind allerdings schon von höherem Gewicht. Sie enthalten Vorwürfe und in gewisser Weise Herabsetzungen der Vorstandsmitglieder, insbesondere des Vorsitzenden, die über das vernünftigerweise zu erwartende Maß einer Kommunikation hinausgehen. Hier kann - ohne nähere Prüfung - wiederum das Ergebnis einer zurechenbaren Vertragsverletzung unterstellt werden.
- 87
Die Kündigung scheitert aber daran, dass das Gericht mit Blick auf die Schwere der Pflichtverletzung ohne vorherige Abmahnung nicht zu einer negativen Prognose gerät und auch die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin verläuft.
- 88
Vorliegend war eine Abmahnung nicht entbehrlich. Es ist nicht ersichtlich und nicht konkret behauptet worden, dass in Zukunft auch ohne Abmahnung mit gleichartigen Verstößen zu rechnen wäre. Auch handelt es sich nicht um besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen. Bei der Äußerung, unter Herrn H. nicht arbeiten zu können, handelt es sich vielleicht um eine deutliche Meinungsäußerung, nicht völlig zufrieden zu sein. Von einem Arbeitnehmer kann jedoch nicht erwartet werden, immer einer Meinung mit seinem Vorgesetzten zu sein. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich diese Ansicht der Klägerin in der praktischen Arbeitsausführung ausgewirkt hätte. Auch die Äußerung zum Schikanieren ihrer Person und ihres Sohnes enthält keine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung. Es handelt sich um eine völlig pauschale Meinungsäußerung. Falsche objektive Tatsachen einer Schikanierungshandlung werden nicht aufgestellt. Gerade im Streitgespräch wird das Wort Schikanieren nicht immer von jeder Person korrekt im eigentlichen Wortsinn gebraucht. Man muss auch berücksichtigen, dass die Klägerin den Vorwurf des Schikanierens nicht völlig aus der Luft gegriffen aufstellte. Beachtet man, dass ihrem Sohn erst vor wenigen Tagen während ihrer Abwesenheit gekündigt worden war und der Klägerin unmittelbar vor den streitigen Äußerungen überraschend eröffnet worden war, sich mit einem Aufhebungsvertrag von ihr trennen zu wollen, kann die Wahl des Begriffes Schikanieren nicht als besonders schwere Pflichtverletzung gesehen werden. Auch die Äußerung zum privaten Vorteil ist nicht besonders schwerwiegend. Auch hier handelt es sich um eine völlig pauschale, nicht greifbare Aussage. Diebstähle, Unterschlagungen und ähnliche Tathandlungen werden nicht unterstellt. Gegebenenfalls wird die Pauschalität des Vorwurfes durch den zweiten Teilsatz etwas aufgeklärt: Der Vorstandsvorsitzende wolle seine Meinung durchsetzen. In diesem Vorwurf kann jedoch keine schwere Pflichtverletzung gesehen werden. Entspricht es nicht sogar der menschlichen Natur – jedenfalls bei einer Führungsperson -, die eigene Meinung durchsetzen zu wollen? Die weitere Äußerung, der Vorstandsvorsitzende sei ein schlechter Leiter, kann eigentlich kaum als Pflichtverletzung angesehen werden. Die Äußerung mag undiplomatisch sein. Jedenfalls ist es der Klägerin nicht verwehrt, schlicht die Meinung zu äußern, der Chef sei ein schlechter Leiter. Sie muss keine Meinung auf der Linie des Vorgesetzten haben. Das Wort „schlecht“ ist auch nicht übermäßig überzogen. Das Gegenteil wäre guter Leiter. Die Klägerin könnte theoretisch auch eine neutrale Meinung haben. Wenn die Klägerin nun aber meint, Herr H. sei das Gegenteil von gut, muss sie im Rahmen der Meinungsfreiheit auch das schlichte Wort schlecht nutzen. Schließlich ist die Äußerung, auch er werde seine Strafe erhalten, nicht besonders schwerwiegend. Eine konkrete oder auch nur im Ansatz zu beachtende Drohung ist hierin nicht enthalten. Es handelt sich um eine schlichte inhaltsleere Redewendung in einem Streitgespräch. Dieses gilt im Übrigen auch für die Äußerung im Telefonat vom 24.09.2013. Schließlich ist der abschließende Satz, mit den Vorstandsmitgliedern nicht mehr reden zu wollen, maximal als leichte Pflichtverletzung anzusehen. Sie fügt sich ein als Reaktion auf die zutage getretenen unterschiedlichen Sichtweisen, die in dem Angebot eines Aufhebungsvertrages mündeten. Einzeln wie auch in der Summe machen die als wahr unterstellten Äußerungen eine Abmahnung nicht entbehrlich.
- 89
Im Rahmen der notwendigen Interessenabwägung wäre wiederum das eher geringe Gewicht der Pflichtverletzungen zu beachten. Von Bedeutung wäre ebenfalls, dass die Klägerin sich in einer besonderen emotionalen Situation befand, die durch die Kündigung des Sohnes und dem Ansinnen eines Aufhebungsvertrages ausgelöst war. Die Situation war ohnehin schon etwas angespannt, da die Milchproduktion in der letzten Zeit nicht mehr optimal verlief und die Klägerin und der Vorstand hierzu wohl unterschiedliche Ansichten hatten und sogar ein externer Berater hinzugezogen worden war. Auch war zugunsten der Klägerin anzuführen, dass das Arbeitsverhältnis bereits über 10 Jahre beanstandungsfrei verlaufen war. Von besonderem Gewicht ist hier zudem, dass die Klägerin selbst auch Genossenschaftsmitglied ist, es sich um eine kleine Genossenschaft handelt und die Klägerin jedenfalls mit Teilen des Vorstandes zuvor etwas näher verbunden war. Kennen sich die Parteien jedoch nicht nur durch das Arbeitsverhältnis, sondern auch privat und zudem aufgrund der Mitgliedschaft in der Genossenschaft, sind etwas drastischere Ausdruckweisen noch eher hinzunehmen. Auch war zu beachten, dass die Situation offenbar durch das Problem der Milchproduktion und die unterschiedlichen Ansichten hierzu mit ausgelöst worden war. Als Mitglied in der Genossenschaft hatte die Klägerin somit nicht nur die Position der Arbeitnehmerin, sondern vertrat auch eigene Mitgliedsinteressen. Bei den Äußerungen der Klägerin waren somit kaum trennbar ein Arbeitsverhältnisses, das Mitgliedschaftsverhältnis und die (teils) privaten Verbindung überlagert.
- 90
In der Gesamtschau war eine verhaltensbedingte Kündigung somit nicht gerechtfertigt.
c)
- 91
Im Ergebnis hat das Arbeitsgericht Neubrandenburg daher zu Recht dem Feststellungsantrag der Klägerin im Rahmen des Urteilstenors zu 1. stattgegeben. Die Anschlussberufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.
II.
- 92
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
- 93
Mit ihrer Berufung wandte sich die Klägerin allein insoweit gegen das arbeitsgerichtliche Urteil, als dass dort im Tenor zu 2. und 3. die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ausgesprochen wurde.
- 94
Gemessen am vorgetragenen Sach- und Streitstand lagen die Voraussetzungen für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers nicht vor. Das angegriffene Urteil war deshalb insoweit abzuändern.
- 95
Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestimmt sich nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Gemäß vorgenannter Norm ist das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen und der Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung zu verurteilen, wenn Gründe vorliegen, die einen den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
1.
- 96
Aus der teilweisen Verweisung auf § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG durch die ersten 3 Wörter des Satzes 2 folgt eine weitere Voraussetzung: Das Gericht muss zunächst festgestellt haben, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst ist. Notwendig ist somit zunächst eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers. Nur in diesem Fall ist die Möglichkeit der gerichtlichen Auflösung überhaupt eröffnet. Dabei gilt im Fall des Auflösungsantrages des Arbeitgebers (anders als beim arbeitnehmerseitigen Antrag), dass sich die Unwirksamkeit der Kündigung ausschließlich aus der Sozialwidrigkeit der Kündigung ergeben darf. Diese Vorschaltvoraussetzung für den Auflösungsantrag der Beklagten ist hier erfüllt. Auf die obigen Ausführungen unter I. kann verwiesen werden.
2.
- 97
Allerdings kommt die Kammer zu dem Schluss, dass hier entgegen der gesetzlichen Vorgabe keine Gründe vorliegen, die einen den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
- 98
Zu den Voraussetzungen eines Auflösungsantrages des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG führt das BAG (23.10.2008, 2 AZR 483/07, Rz. 71 zitiert nach juris) abstrakt aus: „Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Dieser Grundsatz wird bei einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt hiernach nur ausnahmsweise in Betracht. An die Auflösungsgründe sind strenge Anforderungen zu stellen (st. Rspr., statt vieler Senat 2. Juni 2005 - 2 AZR 234/04 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 51 mwN) . Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen zwar nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Auch kann die bloße Weigerung von Arbeitskollegen, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, die Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG genauso wenig rechtfertigen, wie es dem Arbeitgeber gestattet sein kann, sich auf Auflösungsgründe zu berufen, die von ihm selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind . Umstände, die nicht geeignet sind, die Kündigung sozial zu rechtfertigen, können aber zur Begründung des Auflösungsantrags herangezogen werden, jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber sich noch auf zusätzliche Tatsachen beruft.“
- 99
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Von besonderem Interesse ist in diesem Fall die Eigenschaft des KSchG als Bestandschutzgesetz. Konnten gewisse Tatsachen den Ausspruch einer Kündigung nicht rechtfertigen, besteht das Arbeitsverhältnis fort. Dann können jedoch schlicht dieselben Umstände nicht alternativ zur erfolglosen Kündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen – selbst wenn der Arbeitgeber intensiv der Meinung ist, das Arbeitsverhältnis eben aus diesen Gründen nicht mehr fortsetzen zu können. Die Folge des § 1 Abs. 1 und 2 KSchG ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, weil die entsprechenden Gründe nun gerade nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Zwar kann sich der Arbeitgeber „auch“ auf Tatsachen berufen, die er schon für die erfolglose Kündigung vorgebracht hat. „Er muss in diesen Fällen allerdings zusätzlich greifbare Tatsachen dafür vortragen, dass der Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung nicht rechtfertigt, gleichwohl so beschaffen ist, dass er eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht erwarten lässt. … Dabei dürfen nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die der darlegungspflichtige Arbeitgeber vorgetragen oder aufgegriffen hat“ (BAG, 02.06.2005, 2 AZR 234/04). Auch im Urteil vom 22.02.2010 zum Az. 2 AZR 554/08 urteilte das BAG, dass ein Arbeitgeber Sachverhalte, die er schon erfolglos für die Kündigung benannt hatte, für den Auflösungsantrag jedenfalls dann heranziehen darf, wenn sich der Arbeitgeber noch auf weitere Tatsachen beruft.
- 100
„Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt. Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist.“ (BAG 29.08.2013, 2 AZR 419/12, Rz 35, 36, zitiert nach juris).
- 101
Unter Berücksichtigung dieser abstrakten Ausführungen des BAG, denen sich die Kammer anschließt, kommt das Berufungsgericht bei Abwägung aller Einzelumstände zu dem Schluss, die die Voraussetzungen für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht erreicht sind.
a)
- 102
Dabei ist zunächst von Gewicht, dass die Beklagte sich zur Begründung des Auflösungsantrages vor allem auf die Äußerungen vom 01. und 02.10.2013 beruft. Das waren jedoch schon genau die Tatsachen, die auch die Kernelemente des verhaltensbedingten Kündigungsgrundes bilden sollten und nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Kündigung geeignet waren. Die Grundaussage des Kündigungsschutzgesetzes als Bestandsschutzgesetz ist somit, dass gerade diese Äußerungen zunächst allein für sich nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen sollen. Dies gilt dann auch für die gerichtliche Auflösung. Es müssen also nach der Rechtsprechung des BAG zusätzliche Tatsachen hinzukommen, die den Auflösungsantrag rechtfertigen sollen. Dann können auch die vorgebrachten Kündigungsgründe wieder in die Gesamtabwägung einbezogen werden.
b)
- 103
Hier hat sich die Beklagte zusätzlich auf die Ereignisse vom 04.11.2013 gestützt. Am 04.11.2013 fand eine Generalversammlung der Mitglieder der Genossenschaft statt, die letztlich den Widerruf der Bestellung der Klägerin als Aufsichtsratsmitglied beschloss (§ 36 Abs. 3 Genossenschaftsgesetz). Für den in Frage stehenden Widerruf der Bestellung waren vom Vorstand offenbar (auch) die streitigen Behauptungen zu Gesprächen vorgebracht worden, wie sie auch hier mit Blick auf den Aufhebungsvertrag und die Kündigung vorgetragen wurden. Daraufhin verteidigte sich die Klägerin in der Generalversammlung wie auch im hiesigen Prozess mit dem Vorbringen, die streitigen Äußerungen nicht getätigt zu haben. Die Beklagte geht nun davon aus, dass das Arbeitsverhältnis aufzulösen sei, weil die Klägerin selbst in der Generalversammlung von ihren (streitigen) Äußerungen nicht zurückgetreten sei und letztlich der Vorstand als Lügner dastehe, wenn die Klägerin behaupte, nicht das geäußert zu haben, was der Vorstand behauptet. Die Vorgänge des 04.11.2013 sind insoweit unstreitig.
- 104
Diese Vorgänge - auch in Verbindung mit den streitigen Äußerungen aus der Zeit vor der Kündigung – lassen eine gerichtliche Auflösung nicht zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin am 04.11.2013 keine besondere, verwerfliche Verhaltensweise an den Tag gelegt hat, so dass ausnahmsweise das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden müsste. Die Sache wird auch zu verkürzt betrachtet, wenn die Beklagte meint, die Klägerin habe den Vorstand als Lügner dargestellt. Dabei ist zu beachten, dass am 04.11.2013 nicht irgendeine Generalversammlung stattgefunden hat, in dem die Klägerin unabhängig von den bisherigen Ereignissen sich in besonderem Maße abfällig oder beleidigend gegenüber dem Vorstand geäußert hätte. Die Ereignisse vom 04.11.2013 lassen sich vielmehr nicht von den vorherigen Ereignissen trennen. Hintergrund der Sitzung war die vom Vorstand initiierte Abberufung der Klägerin als Aufsichtsratsmitglied in der Folge der ausgesprochenen Kündigung und des behaupteten Aufhebungsvertrages. Der Vorstand musste hierzu der Generalversammlung Gesprächsinhalte schildern, wie sie sich aus seiner Sicht ereignet hatten. Wenn sich die Klägerin dann jedoch verteidigt und die Gespräche aus ihrer Sicht wiedergibt, so hat sie doch in der Sitzung am 04.11.2013 nichts anderes getan, als sie auch hier im Kündigungsschutzprozess getan hat: Sie hat als Reaktion auf Vorwürfe der Gegenseite Gesprächsinhalte aus ihrer Sicht dargestellt. Im Kündigungsschutzprozess und allgemein in jedem Rechtsstaat ist es aber eine zulässige Verhaltensweise einer Partei, sich gegenüber Vorwürfen zu verteidigen und die eigene Sicht der Dinge darzustellen. Es ist auch völlig unstreitig, dass die Klägerin sowohl im Kündigungsschutzprozess wie auch in der Sitzung vom 04.11.2013 keine überzogene Ausdrucksweise benutzt oder über die sachliche Verteidigungsrede hinaus neue Vorwürfe erhoben oder Schmähkritik etc. geäußert hätte.
- 105
Für Äußerungen in Gerichtsprozessen, insbesondere Kündigungsschutzprozessen, ist anerkannt, dass Erklärungen des Arbeitnehmers durch ein berechtigtes Interesse gedeckt sein können. Die Parteien dürfen schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- und einredebegründender Umstand prozeßerheblich sein kann. Anerkannt ist dabei auch, dass selbst starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte genutzt werden dürfen, um die eigene Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn man es vorsichtiger hätte formulieren können (vgl. BAG, 24.03.2011, 2 AZR 674/09). Diese Rechtsprechung des BAG scheint die Beklagte anzuerkennen, wenn sie der Klägerin nicht vorhält, sich im Kündigungsschutzprozess auf die gleiche Weise verteidigt zu haben, wie am 04.11.2013. Anderenfalls hätte als Auflösungsgrund auch das Verhalten im Prozeß vorgebracht werden können. Denn auch hier hatte die Klägerin eine andere Sicht auf die Tatsachen und die daraus folgenden Rechtsfolgen. Auch hier hätte man meinen können, der Vorstand stehe durch die Verteidigungshandlung der Klägerin wie ein Lügner da.
- 106
Wenn der Klägerin diese Verteidigungshandlungen sogar in einem Kündigungsschutzprozess unter Beteilung des Gerichts als unschädliche Handlungen zustehen, so ist nicht nachzuvollziehen, weshalb dieses Verhalten nicht auch außerhalb des Prozesses zulässig sein sollte. Die Kündigungsschutzklage war bereits am 28.10.2013 erhoben worden. Die Beklagte kann nicht verlangen, dass die Klägerin zwar im zeitlich parallelen Kündigungsschutzprozess ihre Sicht der Dinge äußern darf, sich aber außerhalb des Prozesses gegenteilig äußern muss, um keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu riskieren. Von der Klägerin kann nicht verlangt werden, dass sie auf der Generalversammlung alle Vorwürfe des Vorstandes bestätigt, um sich dann widersprüchlich hierzu bei Gericht verteidigen zu dürfen. Die Äußerungen der Klägerin am 04.11.2013 können daher ebenso wenig die Auflösung rechtfertigen, wie das gleichartige Verteidigungsverhalten im Kündigungsschutzprozess.
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Auch waren hier nur mündliche Äußerungen im Streit, die von den Parteien in der Erregung des Gespräches unterschiedlich aufgefasst bzw. im Gedächtnis gespeichert werden können. Gerade aus solchen Gründen war u. a. auch der § 623 BGB geschaffen worden, weil der Gesetzgeber erkannt hat, dass Parteien gewisse Gespräche unterschiedlich wahrnehmen können. Der abweichende Vortrag der Klägerin betrifft hier somit nicht solch eindeutige Tatsachen wie: Wurde am Tag X vom Vorstand an die Klägerin ein Briefumschlag mit 500,00 Euro übergeben, wozu es keine unterschiedlichen Ansichten geben kann.
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Dabei ist auch zu beachten, dass sich die Klägerin am 04.11.2013 nicht ohne Not zu den Vorgängen am 01. und 02.10.2013 geäußert hat. Es stand hier vielmehr auch ihre Abberufung als Aufsichtsratsmitglied auf dem Spiel. Auch deshalb ist von der Wahrnehmung berechtigter Interessen auszugehen. Hinzu kommt der Umstand, dass die Handlung vom 04.11.2013 insoweit auch keinen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis hatte. Es ging nicht um das Verhältnis zwischen Arbeitgeber () und Arbeitnehmer. Hier ging es um das Rechtsverhältnis der Klägerin als Aufsichtsratsmitglied. Dies ist ein Rechtsverhältnis, welches (- die Wahlvorschriften in Genossenschaftsgesetz zeigen es -) gegenüber der Generalversammlung, also den Mitgliedern der Genossenschaft besteht, wobei hinzu kommt, dass die Klägerin als Mitglied insoweit wiederum auch selbst betroffen war. Die Verbindung dieses Verhaltens zum Arbeitsverhältnis besteht daher nur mittelbar.
c)
- 109
Auch bei Betrachtung des Ereignisses vom 04.11.2013 zusammen mit den Ereignissen vor der Kündigung ergibt sich kein Auflösungsgrund. Es ist nicht erkennbar, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten wäre. Die Beklagte behauptet dies zwar vehement. Mit dieser puren Behauptung wird allerdings nur der Beendigungswille des Arbeitsgebers unterstrichen. Die vorgebrachten Tatsachen rechtfertigen dies jedoch nicht. Das Verhalten vom 04.11.2013 stellt sich als Wahrnehmung berechtigter Interessen dar und die Äußerungen der Klägerin vor der Kündigung sind nicht von einem derartig schweren Gewicht, dass eine Auflösung nötig wäre. Sie konnten schon nicht die Kündigung rechtfertigen. Dabei ist auch hier bei der Gesamtabwägung wieder zu beachten, dass die wiederum als wahr unterstellten Äußerungen letztlich auch durch die Kündigung des Sohnes und das überraschende Ansinnen der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit ausgelöst worden waren. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Mitglied der Genossenschaften ebenfalls eigene, besondere Interessen hatte, so dass die Äußerungen der Klägerin nicht nur im Lichte ihrer Arbeitnehmereigenschaft zu sehen sind. Auch vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass in der Landwirtschaft wie auch in der Bauwirtschaft ohnehin nicht dieselbe Ausdruckweise wie etwa in einer Bank üblich ist, ist das Verhalten der Klägerin hinzunehmen.
- 110
Aus dem Fehlen der Klägerin aufgrund Krankschreibung bei der Mitgliederversammlung am 13.11.2014 kann für den hiesigen Fall offensichtlich nichts zugunsten der Beklagten abgeleitet werden.
3.
- 111
Im Ergebnis bestand somit kein Auflösungsgrund. Das Arbeitsgerichtliche Urteil war insoweit abzuändern.
III.
- 113
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat bestehende Rechtssätze des BAG im Rahmen der Einzelabwägung auf den Einzelfall angewandt.
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