Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (11. Kammer) - 11 Sa 147/12
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 23.02.2012, Az. 2 Ca 589/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen personenbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
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Die 1953 geborene, verwitwete Klägerin ist seit dem 09.11.1995 bei den amerikanischen Streitkräften beschäftigt. Zuletzt war sie bei der Dienststelle 786 CE SQ als Sekretärin/Übersetzerin tätig. Der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungskräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung.
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Die Klägerin war zuletzt in die Vergütungsgruppe C5/E eingruppiert und erhielt bei einer 19,25 Stunden-Woche monatlich 1.558,99 EUR brutto. Sie hat einen Grad der Behinderung von 70.
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Die Klägerin hatte in der Vergangenheit folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten:
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2008: 204 Kalendertage
2009: 291 Kalendertage
2010: bis 15.06.2010 55 Kalendertage,
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im Anschluss hieran durchgehende Arbeitsunfähigkeit.
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Bedingt durch die schwere Erkrankung ihres Ehemannes geriet die Klägerin über einen längeren Zeitraum hinweg zunehmend in eine Alkoholabhängigkeit, die ungefähr seit 2008 krankhaft war. Mit dem Tod des Ehemannes im November 2010 verschlechterte sich die physische und psychische Verfassung der Klägerin. Sie wurde vom Ordnungsamt in das U eingewiesen und dort vom 19. - 21.11.2010 wegen Alkoholismus behandelt. Nach einem Sturz auf das Kinn zu Hause unter Alkoholeinfluss wurde die Klägerin erneut stationär im U in der Zeit vom 23.12.2010 bis 25.12.2010 aufgenommen. Seit Dezember 2010 stand die Klägerin unter Betreuung. Vom 02.02.2011 bis 10.02.2011 war die Klägerin stationär zur Behandlung im Klinikum der Stadt U wegen eines Sturzes auf das Gesicht. Nachfolgend wurde sie zur Behandlung der Alkoholerkrankung in das U verlegt, wo sie sich vom 10.02.2011 bis 29.03.2011 befand. Im Anschluss daran war die Klägerin vom 29.03.2011 bis 12.04.2011 stationär in den Kliniken Y zu einer sog Motivationstherapie.
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Mit Schreiben vom 29.03.2011 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Integrationsamt mit, dass die Klägerin derzeit nicht stark genug sei, um die empfohlene Langzeittherapie zu beginnen. Jede weitere therapeutische Maßnahme müsse davon abhängig gemacht werden, dass und wie sehr sich die psychische und physische Verfassung der Klägerin stabilisiere.
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Mit Gutachten vom 11.03.2010, 02.09.2010 und 14.10.2010 führte der Berufsgenossenschaftliche Arbeitsmedizinische Dienst (BAD) aus, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als Sekretärin dauerhaft nicht mehr verrichten könne und dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei. Unter Datum vom 14.10.2010 empfahl der BAD der Klägerin, Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen. Mit Schreiben vom 27.10.2010 leitete die Dienststelle gegenüber der Betriebsvertretung das Mitwirkungsverfahren nach § 79 BPersVG ein. Die Hauptbetriebsvertretung stimmte der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 31.01.2011 zu. Das Integrationsamt stimmte der beabsichtigten Kündigung durch Bescheid vom 28.03.2011 zu.
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Die amerikanischen Streitkräfte kündigten das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 31.03.2011 außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2011.
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Hiergegen hat die Klägerin am 05.04.2011 Kündigungsschutzklage erhoben.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, dass sich ihr Zustand nachhaltig gebessert habe. Im Anschluss an eine Unterbringung in der Pfalzklinik Z habe sie in der Zeit vom 29.03.2011 bis 11.04.2011 eine Reha-Maßnahme im Klinikum Y erfolgreich absolviert. Es sei davon auszugehen, dass sie die zur krankhaften Alkoholabhängigkeit führende Lebenskrise überwunden habe und dementsprechend in Zukunft nicht mehr mit diesbezüglichen Ausfällen zu rechnen sei.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
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festzustellen, dass das zwischen der Klägerin und den US-Stationierungsstreitkräften bestehende Arbeitsverhältnis durch die seitens der Beschäftigungsdienststelle mit Schreiben vom 31.03.2011 zum 30.09.2011 ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht beendet worden ist.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass aufgrund der Gutachten des BAD davon auszugehen sei, dass die Klägerin künftig nicht mehr in der Lage sei, ihre arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Die Anordnung der Betreuung spreche ebenfalls hierfür.
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Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 23.02.2012, Aktenzeichen 2 Ca 589/11, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ausnahmsweise die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber gemäß § 626 BGB unzumutbar sei. Das Arbeitsverhältnis sei aufgrund der Leistungsunfähigkeit der Klägerin auf nicht absehbare Dauer erheblich gestört. Aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens vom 18.09.2011 bzw. der Ergänzung vom 09.12.2011 stehe fest, dass in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer günstigeren Prognose zu rechnen sei.
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Das Urteil wurde der Klägerin am 01.03.2012 zugestellt. Sie hat hiergegen am 26.03.2012 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 30.04.2012, zugegangen per Telefax am 30.04.2012, begründet.
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Die Klägerin ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe nicht geprüft, ob die besonders engen und strengen Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung überhaupt gegeben seien. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Alkoholabhängigkeit dauerhaft sei. Eine erhebliche Wahrscheinlichkeit spreche vielmehr dafür, dass die Alkoholabhängigkeit nur zeitlich vorübergehend sei. Sie habe 2011 keinen Rückfall gehabt, wie der Gutachter annehme. Seit Ende 2010 sei sie trocken. Die US-Streitkräfte hätten das Ende der Reha-Maßnahme abwarten müssen, die nur zwei Wochen gedauert habe. Inzwischen führe sie eine ambulante Psychotherapie im US-Krankenhaus X durch. Die zu ihrer Unterstützung tätige Sozialarbeiterin habe sie seit Dezember 2010 nie alkoholisiert angetroffen.
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Die Klägerin beantragt,
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in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 23.02.2012, Aktenzeichen 2 Ca 589/11, festzustellen, dass das zwischen der Klägerin und den US-Stationierungsstreitkräften bestehende Arbeitsverhältnis durch die seitens der Beschäftigungsdienststelle mit Schreiben vom 31.03.2011 zum 30.09.2011 ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht beendet worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, die Behauptung der Klägerin, sie sei seit Ende 2010 trocken, sei falsch. Aus den im Gutachten festgestellten Gamma-GT-Werten ergebe sich, dass eine Trockenperiode bei der Klägerin nur im Juli 2011 bestanden habe, während sie bei der Untersuchung anlässlich der Erstellung des Gutachtens am 24.08.2011 wieder Werte weit über dem Normwert vorgewiesen habe. Bei der Alkoholsucht handele es sich nicht um eine zeitlich vorübergehende Erkrankung. Aus dem Entlassungsbericht des W vom 23.11.2010 gehe hervor, dass bei der Klägerin eine langjährige Alkoholabhängigkeit bekannt sei. Dieser Alkoholabusus sei auch nicht durch den Tod des Ehemannes verursacht, da er bereits zuvor bestanden habe. Wie sich der Gesundheitszustand der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung entwickelt habe, sei unbeachtlich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Feststellungen in den Sitzungsprotokollen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die nach § 64 Abs. 2c ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
B.
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In der Sache ist die Berufung jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 31.03.2011 mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2011 wirksam beendet worden.
I.
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Im Hinblick auf das im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung gegebene Lebensalter der Klägerin von 57 Jahren sowie der Dauer des Arbeitsverhältnisses von 15 Jahren konnte das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß § 8 Ziff. 1 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags über Rationalisierungs-, Kündigungs- und Einkommensschutz vom 02.07.1997 (Schutz-TV) nicht mehr ordentlich gekündigt werden. Es erfolgte daher eine außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist.
II.
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Gemäß § 626 Abs. 1 BGB, § 45 Abs. 2 TVAL II kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 07.07.2011 – 2 AZR 355/10 – zitiert nach juris, Rn. 12 m.w.N.).
III.
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Auch Krankheit kann eine außerordentliche Kündigung ausnahmsweise rechtfertigen, wenn die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Krankheit ist als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB nicht grundsätzlich ungeeignet. An eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist zwar schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber auch unzumutbar im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB sein kann. Da die Einhaltung der Kündigungsfrist dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar sein dürfte, wird eine Kündigung aus wichtigem Grund aber nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen, wobei grundsätzlich die der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist (BAG 27.11.2003 – 2 AZR 601/02 – zitiert nach juris, Rn. 50).
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Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer kann nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen für den Arbeitgeber iSd. § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar sein. Wie bei der ordentlichen Kündigung hat die Prüfung in drei Stufen (negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes; erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen; Interessenabwägung) zu erfolgen. Bei einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung ist der schon bei einer ordentlichen Kündigung zu beachtende strenge Prüfungsmaßstab auf allen drei Prüfungsstufen erheblich verschärft. Er muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (BAG 18.01.2001 – 2 AZR 616/99 - zitiert nach juris, Rn. 79).
IV.
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Die hier ausgesprochene Kündigung genügt dem oben dargestellten besonders strengen Prüfungsmaßstab. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 31.03.2011 bereits durchgehend seit 9,5 Monaten arbeitsunfähig erkrankt. Es lag eine lang anhaltende Erkrankung vor, die einer Dauererkrankung gleichgestellt werden kann. Denn in den nächsten 24 Monaten war nicht mit einer Prognose zu rechnen, die auf eine Arbeitsfähigkeit schließen lässt.
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Die Berufungskammer macht sich die sachverständige Einschätzung des vom Arbeitsgericht beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. V zu Eigen. Dieser hat in seinem Gutachten vom 18.09.2011 und dem Nachtragsgutachten vom 09.12.2011 schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass aus arbeitsmedizinischer Sicht bezogen auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 31.03.2011 eine negative Beschäftigungsprognose des Inhalts zu stellen war, dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin in den nächsten 24 Monaten nicht zu rechnen war. Die Ausführungen des Sachverständigen sind in sich widerspruchsfrei und schlüssig. Sie decken sich im Wesentlichen mit den Gutachten des BAD. Demgegenüber hat die Klägerin weder vermocht, die im Gutachten des Sachverständigen zugrunde gelegten medizinischen Tatsachenfeststellungen zu erschüttern, noch die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen des Sachverständigen in Frage zu stellen.
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Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass die krankhafte Alkoholabhängigkeit bei ihr in einer schwerwiegenden Lebenskrise aufgetreten sei und dass deshalb nicht von einer dauerhaften Erkrankung ausgegangen werden könne, kann ihr in dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten vom 18.09.2011 auf Seite 45 aus, dass bereits im Jahr 2006 anlässlich eines stationären Aufenthaltes in der neurologischen Klinik des Klinikums U eine unklare Gamma-GT Erhöhung diagnostiziert worden ist. Diese Leberwerterhöhung war nach seiner Einschätzung mit großer Wahrscheinlichkeit bereits durch einen langjährig bestehenden Alkoholabusus bedingt. Seine Einschätzung wird bestätigt durch die Ausführungen im Entlassungsbericht des W vom 23.11.2010, wonach bei der Klägerin bereits eine langjährige Alkoholabhängigkeit bekannt ist. Damit ist ausgeschlossen, dass die Alkoholabhängigkeit erst durch den Tod des Ehemannes im November 2010 ausgelöst worden ist.
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Soweit die Klägerin angibt, sie sei seit Ende 2010 trocken, wird diese Behauptung bereits durch die Entlassungsberichte der Krankenhausaufenthalte vom 19. bis 21.11.2010, vom 23. bis 25.12.2010 und vom 10.02.2011 bis 29.03.2011 widerlegt.
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aa) Im Entlassungsbericht vom 23.11.2010 wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin zur notfallmäßigen stationären Aufnahme stark alkoholisiert mit einem Atemalkohol von ca. 4 Promille gekommen war. Ihre Eigenmotivation war mangelhaft.
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bb) Die Aufnahme ins Krankenhaus am 23.12.2010 erfolgte wegen eines Sturzes unter Alkoholeinfluss. Bei der Aufnahme gab die Klägerin an, mehrfach täglich Cognac und Bier zu trinken. Sie zeigte sich an einer weiterführenden suchtspezifischen Therapie nicht interessiert.
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cc) Bei ihrer Aufnahme am 10.02.2011 äußerte die Klägerin Suchtdruck. Eine Langzeittherapie war von ihr nicht gewünscht. Zum damaligen Zeitpunkt bestand keine Abstinenzmotivation.
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Soweit die Klägerin angibt, sie habe seit Februar 2011 keinen Alkohol mehr konsumiert, ist diese Angabe nicht geeignet, die Feststellungen des Sachverständigen zu erschüttern. Denn es fehlt an Anhaltspunkten für eine plausible Erklärung, auf welche andere Ursache als den erneuten Konsum von Alkohol der nur geringgradige Abbau der Gamma-GT-Werte während des Aufenthalts der Klägerin im U und auch der erneute Anstieg dieser Laborwerte im Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen zurückgeführt werden könnte. Die Laborbefunde aus dem U zeigen, dass zum Aufnahmezeitpunkt 11.02.2011 die Gamma-GT-Werte mit 623 U/l extrem erhöht waren. Am 01.03.2011, in der Mitte der Behandlungsperiode, betrugen die Gamma-GT-Werte noch 544 U/l. Diese geringgradige Abnahme spricht laut dem Sachverständigen dafür, dass innerhalb dieses Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit nach wie vor Alkohol konsumiert wurde und keine Abstinenz vorgelegen hat. Nach zwischenzeitlichen Werten im Normbereich, die von den US-Streitkräften am 16.07.2011 festgestellt worden waren, betrugen die Gamma-GT-Werte zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen 124 U/l. Der Sachverständige führt zur Überzeugung der Berufungskammer aus, dass diese Laborbefunde mit den Angaben der Klägerin, sie trinke keinen Alkohol mehr und sei jetzt trocken, nicht in Übereinstimmung gebracht werden können. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann ihre krankhafte Alkoholabhängigkeit nicht als ein vorübergehendes Ereignis eingestuft werden. Der Sachverständige geht zum Zeitpunkt seiner Untersuchung am 23.09.2011 aufgrund der Laborwerte weiterhin von einem nicht unerheblichen Alkoholkonsum aus.
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Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, die US-Stationierungsstreitkräfte hätten vor Ausspruch der Kündigung zumindest den Erfolg ihres zweiwöchigen Aufenthaltes in der Klinik Y abwarten müssen, kann ihr hierin nicht gefolgt werden. Die Behandlung dort war keine Behandlung der Alkoholkrankheit, sondern lediglich eine Motivationstherapie. Der Klägerprozessbevollmächtigte selbst hatte kurz zuvor mit Schreiben vom 09.03.2011 dem Integrationsamt mitgeteilt, dass die Klägerin derzeit weder in psychischer noch in physischer Hinsicht stark genug sei, um die empfohlene Langzeit-Therapie zu beginnen. Nach Erhalt dieses Schreibens konnten und mussten die amerikanischen Streitkräfte davon ausgehen, dass in nächster Zeit keine Entzugstherapie stattfinden würde, so dass sie auch nicht das Ergebnis der zeitlich noch nicht absehbaren Therapie abzuwarten brauchten.
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Wie sich der Gesundheitszustand der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung entwickelt hat, ist unbeachtlich. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung (BAG 29.04.1999 – 2 AZR 431/98 - zitiert nach juris, Rn. 37). Entscheidend ist allein, von welcher Prognose die US-Streitkräfte bei Ausspruch der Kündigung ausgehen mussten. Der Gutachter führt hierzu aus, dass zu diesem Zeitpunkt unklar war, wann eine Arbeitsfähigkeit wieder eintreten würde. Es war demzufolge völlig ungewiss, wann die Klägerin wieder arbeitsfähig sein würde. Auch in den nächsten 24 Monaten war nicht mit einer günstigeren Prognose zu rechnen.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin war hier die Feststellung von konkreten betrieblichen Beeinträchtigungen durch ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten nicht erforderlich.
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Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann, so ist schon aus diesem Grund das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört. Die auf das jeweilige Arbeitsverhältnis bezogene, betriebliche Beeinträchtigung besteht darin, dass der Arbeitgeber damit rechnen muss, der Arbeitnehmer sei auf Dauer außerstande, die von ihm geschuldete Leistung zu erbringen. In diesem Fall liegt die erhebliche betriebliche Beeinträchtigung darin, dass der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert wird, sein Direktionsrecht auszuüben. Er kann den Arbeitnehmer schon allein hinsichtlich der Bestimmung von Zeit und Reihenfolge der Arbeit nicht mehr frei einsetzen; eine irgendwie geartete Planung seines Einsatzes ist ebenso wenig möglich wie der von Vertretungskräften (BAG 28.02.1990 – 2 AZR 401/89 - zitiert nach juris, Rn. 26).
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b) Dem - auf gesundheitlichen Gründen beruhenden - dauernden Unvermögen des Arbeitnehmers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist die Ungewissheit, wann der Arbeitnehmer wieder hierzu in der Lage sein wird, gleichzustellen, wenn im Zeitpunkt der Kündigung die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit noch völlig ungewiss ist. Dann ist der Arbeitgeber in einer der feststehenden Leistungsunfähigkeit vergleichbaren Lage (BAG 21.05.1992 – 2 AZR 399/91 - zitiert nach juris, Rn. 34f).
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3. Auch die Interessenabwägung führt hier nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
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Dem Arbeitgeber ist im Kündigungszeitpunkt eine weitere unabsehbare Zeit des krankheitsbedingten Ausfalls der Klägerin billigerweise nicht zumutbar gewesen. Das Austauschverhältnis Arbeit gegen Vergütung war massiv gestört; es war quasi sinnentleert. Auch in Anbetracht der langen Betriebszugehörigkeit der Klägerin, ihrer Schwerbehinderung und des Umstandes, dass sie auf dem Arbeitsmarkt aufgrund ihres Lebensalters nur schwer vermittelbar sein wird, führt hier nicht zu einem überwiegenden Interesse der Klägerin auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur bloß formalen Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses würde wegen der im konkreten Fall unbestimmten Dauer und der offenen Erfolgsaussichten einer Therapie die unternehmerische Gestaltungsfreiheit an der Wiederbesetzung oder Einsparung des konkreten Arbeitsplatzes unverhältnismäßig einschränken.
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4. Andere Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere lag die Zustimmung des Integrationsamtes sowie der Hauptbetriebsvertretung vor Ausspruch der Kündigung vor.
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C. Nach alledem ist die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.
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