Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 93/21

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 20. Januar 2021, Az. 4 Ca 1043/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 20. Januar 2021, Az. 4 Ca 1043/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus über-gegangenem Recht in Anspruch.

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Die Beklagte ist ein Unternehmen der Nährmittelindustrie; sie beschäftigt in ihrem Werk O. über 400 Arbeitnehmer. Der bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer P. (geb. 1997) wurde von der Beklagten mit Wirkung ab 01.06.2019 als Elektroniker eingestellt. Die ursprünglich vereinbarte Probezeit von drei Monaten wurde in einer Vereinbarung vom 15.08.2019 auf sechs Monate ab Tätigkeitsaufnahme verlängert. Der Arbeitnehmer war vom 28.10. bis zum 08.12.2019 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Anhörungsbogen vom 30.10.2019, eingegangen am 04.11.2019, hörte die Beklagte ihren Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der tariflichen Kündigungsfrist von sieben Tagen in der Probezeit an und führte zur Begründung aus, der Arbeitnehmer habe „die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt“. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung am 07.11.2019 ohne Begründung und erklärte außerdem, er werde abschließend keine Stellungnahme abgeben. Mit Schreiben vom 11.11.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 19.11.2019. Die Klägerin leistete an den Arbeitnehmer für die Zeit vom 20.11. bis zum 08.12.2019 Krankengeld in Höhe von € 1.341,78 (€ 70,62 x 19 Tage). Diesen Betrag fordert sie von der Beklagten aus übergangenem Recht mit der Begründung, die Kündigung sei iSd. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.

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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an sie € 1.341,78 zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 29.06.2020 zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 05.10.2020 vorgetragen, sie habe dem Arbeitnehmer in der gesetzlichen Wartezeit gekündigt, weil er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt habe. Er sei den Anforderungen nicht gerecht geworden. In einem Gespräch am 23.07.2019 sei er auf die mangelnde Arbeitsqualität angesprochen worden; ihm sei aufgegeben worden, diese auf ein besseres Niveau zu bringen. In einer Schulung zum Thema Gefährdungsbeurteilung sei er während einer Besprechung zum wiederholten Male eingeschlafen. Im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses habe er einen Sicherheitsfehler begangen, indem er eine defekte Leitung blank auf dem Boden der Müllpresse liegen gelassen und nicht repariert habe. Die Leitung sei auch nicht abgeschaltet worden. Aufgrund dieser Vorkommnisse sei die vereinbarte Probezeit auf sechs Monate verlängert worden. Ende August 2019 habe der Arbeitnehmer jedoch einen weiteren schwerwiegenden technischen Fehler begangen, der zu enormen Kosten geführt hätte, wenn er nicht entdeckt worden wäre. Bei einer „Rinser-Wartung“ sei das Netzteil der Ionisierungsstäbe zu Wartungszwecken abgesteckt, jedoch nicht mehr in Betrieb genommen worden. Nach diesem Vorfall Ende August 2019 sei mit dem Arbeitnehmer ein Kritikgespräch geführt worden. Der Fall sei von der Fachabteilung an die Personalabteilung weitergegeben worden, um die Kündigung einzuleiten. Im Schriftsatz vom 23.12.2020 hat die Beklagte weiter vorgetragen, nach dem Vorfall Ende August 2019 sei der Arbeitnehmer Ende September 2019 in einem Gespräch auf weitere Arbeitsmängel hingewiesen worden. So sei zum Beispiel trotz Wartungsarbeiten im Anlagenbereich kein LOTO-Schloss am Palettierer angebracht worden. Auch sei die Müllpresse trotz defekter Zuleitung nicht abgeschaltet worden. Diese Vorfälle im September 2019 hätten letztendlich den Ausschlag gegeben, das Arbeitsverhältnis nicht weiter führen zu wollen. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 20.01.2021 Bezug genommen.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die Klägerin sei dafür beweisfällig geblieben, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit iSv. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG gekündigt habe. Die Beklagte habe geltend gemacht, dass sie dem Arbeitnehmer in der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG habe kündigen wollen. Es sei ihr wichtig gewesen, den Zugang der Kündigung spätestens Ende November sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund sei es plausibel, dass die Beklagte das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG einen Monat zuvor eingeleitet habe. Die Indizwirkung des zeitlichen Zusammenhangs sei daher entkräftet. Es könne dahinstehen, welche Mängel die Beklagte dem Arbeitnehmer berechtigtermaßen vorhalten könne, weil sie eine Wartezeitkündigung erklärt habe. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 20.01.2021 Bezug genommen.

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Gegen das am 18.02.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 18.03.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 12.04.2021 eingegangenen Schriftsatz begründet.

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Sie macht geltend, zwischen der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der Kündigung bestehe ein zeitlicher Zusammenhang, den das Arbeitsgericht auch gesehen habe. Die Beklagte habe entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts nicht entkräftet, dass sie die Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit iSd. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG ausgesprochen habe. Für den Anlass reiche es aus, dass die Krankheit die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflusse, „gerade jetzt“ den Kündigungsgrund auszunutzen. Dafür, gerade am 30.10.2019 (Einleitung der Betriebsratsanhörung) wegen „Leistungsunzufriedenheit“ eine Kündigung auszusprechen, habe keine Veranlassung bestanden. Wenn der geschilderte Vorfall „Ende August 2019“ der Anlass gewesen wäre, eine unumkehrbare Kündigungsentscheidung schon damals zu treffen, erschließe sich nicht, weshalb die Beklagte bis Ende Oktober 2019 gewartet habe, um ihren Entschluss mit der Betriebsratsanhörung auch formell anzugehen. Warum die Beklagte ohne Not noch zwei Monate mehr Gehaltsansprüche produziert habe, obwohl der Arbeitnehmer erheblichen Schaden angerichtet, uneinsichtig gewesen und nach ihrer Darstellung ein fortwährendes finanzielles Risiko dargestellt haben soll, erschließe sich nicht. Zudem sei die Beklagte angeblich auch direkt vorher mit dem Arbeitnehmer nicht zufrieden gewesen, weshalb sie am 15.08.2019 eine Verlängerung der Probezeit bis zum 15.11.2019 vereinbart habe. Dass die Beklagte Ende August 2019 noch nicht zur Kündigung geschritten sei, sondern zwei Monate zugewartet habe, beweise, dass sie von der Möglichkeit, den Arbeitnehmer weiter zu erproben, noch habe Gebrauch machen wollen. Dies habe sie auch getan, denn die Probezeit sei bis auf vier Tage (11.11.-15.11.2019) voll ausgenutzt worden. Der Vortrag der Beklagte im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 23.12.2020 auch im September 2019 habe es noch zwei Vorfälle gegeben, welche „letztendlich den Ausschlag“ gegeben hätten, dem Arbeitnehmer zu kündigen, weiche vom Vortrag im Schriftsatz vom 05.10.2020 ab, wonach schon der Vorfall Ende August 2019 zu einem unumkehrbaren Kündigungsentschluss geführt habe (Weiterleitung an die Personalabteilung). Zudem belege das Aufschieben der Formalie Betriebsratsanhörung um mindestens einen Monat bis fast ans Ende des Arbeitsverhältnisses, dass der Arbeitnehmer weiter erprobt werden sollte, der unumkehrbare Kündigungsentschluss also gerade noch nicht getroffen worden sei. Im Übrigen liege zum unumkehrbaren Kündigungsentschluss (zunächst schon „Ende August“, dann irgendwann im September 2019) kein einlassungsfähiger Vortrag vor. Die Beklagte lege sich in zeitlicher Hinsicht nicht fest, weil sie kein genaues Datum nenne und widersprüchlich vortrage. Sie lasse sich auch inhaltlich nicht dazu ein, wer in der Fachabteilung kündigungstechnisch genau welche Instruktionen bekommen haben soll. Dies ermögliche es ihr nicht, Gegenvortrag zu leisten. Generell verlange die Rechtsprechung, dass die „Entkräftung“ nur durch einen nachvollziehbaren Vortrag zum bereits getroffenen unumkehrbaren Kündigungsentschluss geschehen könne. Nachvollziehbar sei die Behauptung der Beklagten jedoch nicht. Abgesehen davon, dass keine „Entkräftung“ erfolgt sei, habe das Arbeitsgericht übersehen, dass sie den angeblich „entkräftenden Umständen“ in tatsächlicher Hinsicht unter Antritt von Zeugenbeweis entgegengetreten sei. Das Arbeitsgericht habe die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Der Arbeitgeber müsse nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die entkräftenden Umstände darlegen und beweisen. Das Arbeitsgericht habe - wie sich schon aus dem Einleitungssatz der Entscheidungsgründe ergebe - eine Beweislastentscheidung getroffen. Da die Beweislast bei der Beklagten liege, hätte keine Entscheidung zu ihrem Nachteil ergehen dürfen.

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Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 20.01.2021, Az. 4 Ca 1043/20, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie € 1.341,78 zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 29.06.2020 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

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Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

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In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht gemäß § 115 Abs. 1 SGB X iVm. §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG keinen Anspruch auf Erstattung des an den Arbeitnehmer P. für den Zeitraum vom 20.11. bis 08.12.2019 gezahlten Krankengeldes iHv. € 1.371,78 hat.

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1. Grundsätzlich endet der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§§ 3 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 2 EFZG); im Streitfall wäre das der Ablauf des 19.11.2019. Jedoch wird der Anspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers nicht erfüllt und deshalb Krankengeld gewährt wird, geht der Anspruch gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Krankenkasse über.

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a) Der Arbeitgeber kündigt dann „aus Anlass“ der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Es kommt auf die objektive Ursache, nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Begriff "aus Anlass" wird weit ausgelegt. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat (st. Rspr., vgl. BAG 17.04.2002 - 5 AZR 2/01 - Rn. 16 mwN; LAG Rheinland-Pfalz 20.05.2015 - 7 Sa 694/14 - Rn. 32). Innerhalb der Ursachenkette muss sich die Arbeitsunfähigkeit allerdings als eine die Kündigung wesentlich mitbestimmende Bedingung darstellen; sie muss den entscheidenden Anstoß für den Entschluss des Arbeitgebers zum Ausspruch der Kündigung gegeben haben (vgl. BAG 05.02.1998 - 2 AZR 270/97 - Rn. 18; BeckOK ArbR/Ricken 60. Ed. 01.06.2021 EFZG § 8 Rn. 5, 6).

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b) Die Darlegungs- und Beweislast für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG trägt der Arbeitnehmer. Kündigt der Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit der Erlangung der Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, so spricht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass er aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat. Diesen Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber nur dadurch erschüttern, dass er Tatsachen vorträgt und gegebenenfalls beweist, aus denen sich ergibt, dass andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben (vgl. BAG 05.02.1998 - 2 AZR 270/97 - Rn. 22; LAG Rheinland-Pfalz 20.05.2015 - 7 Sa 694/14 - Rn. 33; kritisch zum Anscheinsbeweis etwa MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 8 EFZG Nr. 18; ErfK/Reinhard 21. Aufl. § 8 EFZG Rn. 10).

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2. Nach diesen Grundsätzen hatte der Arbeitnehmer P. für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19.11.2019 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Entgeltfortzahlung mehr, der gemäß § 115 Abs. 1 SGB X in Höhe des von der Klägerin gezahlten Krankengeldes auf diese übergegangen ist. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

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a) Im Streitfall kommt der Klägerin in einem ersten Schritt aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ab 28.10.2019 und dem Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens beim Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG am 30.10.2019 die Vermutung einer Anlasskündigung im Sinne der genannten Rechtsprechung zugute.

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b) Entgegen der Ansicht der Berufung liegen jedoch Tatsachen vor, die den Anscheinsbeweis entkräften.

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aa) Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis innerhalb der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 11.11.2019 ist dem Arbeitnehmer am selben Tag zugegangen. Die sechsmonatige Wartezeit begann am 01.06.2019 und endete mit Ablauf des 30.11.2019 (§ 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB). Da auch die Probezeit, die am 15.08.2019 einvernehmlich von ursprünglich drei auf sechs Monate „ab Tätigkeitsaufnahme“ verlängert worden ist, am 30.11.2019 endete, konnte die Beklagte mit der im Tarifvertrag für die Nährmittelindustrie geregelten Frist von sieben Kalendertagen zum 19.11.2019 kündigen.

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bb) Die Wartezeit dient der beiderseitigen Überprüfung der Arbeitsvertragsparteien, ob sie das Arbeitsverhältnis über die Wartezeit hinaus fortsetzen wollen. In der Wartezeit besteht Kündigungsfreiheit auch des Arbeitgebers. Diese Freiheit ist durch Art. 12 Abs. 1 GG bzw. durch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit iSv. Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Die grundrechtliche Gewährleistung erstreckt sich auch auf das Interesse des Arbeitgebers, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen. In der gesetzlichen Wartezeit unterliegt die Bildung der Meinung des Arbeitgebers, ob ein Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht, von Missbrauchsfällen abgesehen keiner Überprüfung nach objektiven Maßstäben. Kommt der Arbeitgeber bei dieser Prüfung zu einem negativen Ergebnis, kann er das Arbeitsverhältnis grundsätzlich frei kündigen, ohne auf entgegenstehende Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen zu müssen. Die während der Wartezeit grundsätzlich bestehende Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ist das Gegengewicht zu dem im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes entstehenden materiellen Kündigungsschutz, der die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers nicht unerheblich beschneidet (vgl. BAG 12.09.2013 - 6 AZR 121/12 - Rn. 26 mwN).

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cc) Die Beklagte hat vorgetragen, dass sie mit den gezeigten Leistungen des Arbeitnehmers unzufrieden war. Er sei in einer Schulung zum Thema Gefährdungsbeurteilung während einer Besprechung mehrmals eingeschlafen. Ihm sei ein Sicherheitsfehler unterlaufen, weil er eine defekte Leitung blank auf dem Boden der Müllpresse liegen gelassen und nicht repariert habe. Die Leitung sei auch nicht abgeschaltet worden. Bei einer „Rinser-Wartung“ sei das Netzteil der Ionisierungsstäbe zu Wartungszwecken abgesteckt, jedoch nicht mehr in Betrieb genommen worden. Bei Wartungsarbeiten im Anlagenbereich habe er kein LOTO-Schloss am Palettierer angebracht. Sie habe sich daher entschlossen, dem Arbeitnehmer in der verlängerten Probezeit zu kündigen.

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Die Kündigung musste dem Arbeitnehmer spätestens am 30.11.2019 zugehen. Auch in der gesetzlichen Wartezeit ist der Betriebsrat vor der beabsichtigten Kündigung zu hören. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat „vor jeder Kündigung“ zu hören ist. Die Frist zur Stellungnahme des Betriebsrats beträgt bei einer ordentlichen Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine Woche. Sie beginnt mit dem Zugang beim Betriebsratsvorsitzenden bzw. einer empfangsberechtigten Person. Wie die Beklagte der Klägerin bereits außergerichtlich mit E-Mail vom 17.02.2020 mitgeteilt hat, wollte sie gewährleisten, dass dem Arbeitnehmer die Kündigungserklärung bis zum Probezeitende zugeht. Sie hat sich deshalb entschlossen, das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat einen Monat zuvor einzuleiten. Durch den eingeplanten „Zeitpuffer“ von einem Monat wollte die Beklagte sicherstellen, dass die Kündigung - selbst wenn Zustellprobleme auftreten sollten - dem Arbeitnehmer noch in der Wartezeit zugeht.

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dd) Die Berufungskammer teilt die Ansicht des Arbeitsgerichts, dass die Beklagte damit den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis entkräftet hat. Ihr ausschlaggebendes Motiv für die Anhörung des Betriebsrats mit Anhörungsbogen am 30.10.2019 war, den Zugang der Kündigungserklärung in der gesetzlichen Wartezeit bis spätestens am 30.11.2019 abzusichern. Deshalb hat - entgegen der Ansicht der Berufung - ein Anlass bestanden, aufgrund der Leistungsunzufriedenheit mit dem Arbeitnehmer „gerade jetzt“ eine Kündigung zu erklären. Die Beklagte wollte eine spätere kompliziertere Trennung im dann greifenden persönlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht riskieren.

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c) Nunmehr wäre es Sache der Klägerin gewesen, ihrerseits den vollen Beweis dafür zu erbringen, dass die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers als Beweggrund für die Kündigung ausschlaggebend gewesen sei. Dem auf Vernehmung des Arbeitnehmers gerichteten Beweisangebot musste das Arbeitsgericht nicht nachgehen. Es ist unerheblich, dass der Arbeitnehmer meint, er habe seine Leistungen innerhalb der verlängerten Probezeit gesteigert, was sein Vorgesetzter positiv bemerkt haben soll. Die Beklagte hat lediglich von ihrem gesetzlichen Recht Gebrauch gemacht, die Eignung des Arbeitnehmers in der sechsmonatigen Wartezeit zu prüfen. Nach ihrer subjektiven Einschätzung entsprach dessen Leistung nicht ihren Anforderungen; vielmehr hat er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht der Klägerin muss die Beklagte keinen „krankheitsfremden“ Kündigungsgrund darlegen und beweisen, denn in der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG kommt es auf einen Kündigungsgrund iSv. § 1 Abs. 2 KSchG gerade nicht an. Wie bereits ausgeführt, unterliegt in der gesetzlichen Wartezeit die Bildung der Meinung des Arbeitgebers, ob ein Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht, von Missbrauchsfällen abgesehen keiner Überprüfung nach objektiven Maßstäben. Dem Rechtfertigungsvorbringen des Arbeitnehmers ist deshalb nicht nachzugehen. Während er einräumt, dass ihm ein Fehler mit der defekten Leitung (der Müllpresse) unterlaufen und ihm während einer Schulungsmaßnahme ein- oder zweimal „die Augen zugefallen“ seien, bestreitet er den behaupteten Fehler bei der „Rinser-Wartung“, auf den weiteren Vorwurf, er habe bei Wartungsarbeiten am Palettierer kein LOTO-Schloss angebracht, geht er nicht ein.

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Entgegen der Ansicht der Berufung spricht nicht für eine Anlasskündigung, dass die Beklagte trotz der von ihr behaupteten Leistungsmängel nicht bereits Ende August 2019 zur Kündigung geschritten ist, sondern bis Ende Oktober 2019 abgewartet hat. Durch die vereinbarte Verlängerung der Probezeit (innerhalb der gesetzlichen Wartezeit), die der Arbeitnehmer als relativ kurz bemessen beschrieben hat, wollte ihm die Beklagte eine weitere Bewährungschance geben. Sie musste auf Leistungsmängel nicht sofort mit einer Kündigung reagieren, sondern konnte die weitere Entwicklung abwarten. Der Arbeitgeber ist frei, die gesamte Wartezeit auszuschöpfen, um den Arbeitnehmer zu beurteilen. Das Bestreben eines Arbeitgebers, durch den Kündigungsausspruch vor Ablauf der Wartezeit einen Rechtsstreit über die soziale Rechtfertigung der Kündigung zu vermeiden, entspricht dem Zweck von § 1 Abs. 1 KSchG (vgl. BAG 16.03.2000 - 2 AZR 828/98 - Rn. 21 mwN). Motivation für die Kündigung der Beklagten, die dem Arbeitnehmer am 11.11.2019 zugegangen ist, war der bevorstehende Ablauf der Wartezeit. Der Beklagten kann außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes eine Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines objektiven Kündigungsgrundes nicht überbürdet werden.

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Die Beklagte hat auch die Berufungskammer davon überzeugt, dass sie die Kündigung vom 11.11.2019 unabhängig von der ab 28.10.2019 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ausgesprochen hat. Der Arbeitnehmer hat daher einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht erworben. Ein solcher Anspruch konnte folglich nicht auf die Klägerin übergehen.

III.

35

Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

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Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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