Beschluss vom Sächsisches Landesarbeitsgericht (5. Kammer) - 5 Ta 67/18

Tenor

Die Beschwerde der Bezirksrevisorin beim dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt vom 13.03.2018 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 26.02.2018 (Az.: 1 Ca 3199/15 PKH) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 18.04.2018 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts bei Abschluss eines Mehrvergleichs. Es soll die Rechtsfrage geklärt werden, ob im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe für einen Vergleichswert eine 1,5-fache oder eine 1,0-fache Einigungsgebühr zu erstatten ist.

2

Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf I. der Gründe des Beschlusses des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 26.02.2018 Bezug genommen.

II.

3

Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Erstattung einer 1,5-fachen Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert festgesetzt.

4

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin steht wegen des abgeschlossenen Mehrvergleichs auch eine 1,5-Einigungsgebühr (Nr. 1000 RVG-VV) zu.

1.

5

Es ist umstritten, welche anwaltlichen Gebühren der im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt bei der vergleichsweisen Erledigung nicht rechtshängige Gegenstände in einem gerichtlichen Vergleich verlangen kann.

6

Nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV entsteht die 1,5-fache Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Nach Nr. 1003 RVG-VV betragen die Gebühren nach Nr. 1000 bis 1002 RVG-VV 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbständiges Beweisverfahren anhängig ist. Nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV gilt diese Reduzierung der Einigungsgebühr auf 1,0 auch dann, wenn über Verfahrensgegenstände zugleich ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe anhängig ist, soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrages i. S. d. Nr. 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 3 RVG). Dabei stehen die Nummern 1000 (1,5-fach), 1003 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 (1,0-fach) und 1003 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 (1,5-fach) RVG-VV in einem Grundsatz – Ausnahme – Rückausnahmeverhältnis (LAG Schleswig-Holstein, 11.04.2017 – 5 Ta 36/17 -; LAG Baden-Württemberg, 27.04.2016; 5 Ta 118/15, juris).

2.

7

Nach einer Ansicht greift die Ausnahme der Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 RVG-VV mit der Folge der Reduzierung der Einigungsgebühr auf 1,0 ein. Kommt der gerichtlich protokollierte Vergleich erst nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage zu Stande, wurde nicht lediglich Prozesskostenhilfe für die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt i. S. d. 2. Alternative in Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV (LAG München, 02.11.2016, 6 Ta 287/16, LAG Nürnberg, 25.06.2009, 4 Ta 61/09, LAG Hamm, 31.08.2007, 6 Ta 402/07, LAG Rheinland-Pfalz, 12.03.2015, 5 Ta 51/15, jeweils veröffentlicht in juris; vgl. Übersicht bei Gerold/Schmidt/Müller/Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017, § 48 Rdnr. 170 ff. m. w. N.).

3.

8

Nach einer sich mittlerweile abzeichnenden überwiegenden anderen Ansicht wird angenommen, dass bei der Erweiterung der Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Mehrvergleichs dem beigeordneten Rechtsanwalt sämtliche mit dem Vergleichsschluss anfallenden Gebühren aus der Staatskasse zu erstatten sind. Dabei werden vor allem der Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe sowie die Verfahrensökonomie in den Vordergrund gestellt (LAG Baden-Württemberg, 27.04.2016, 5 Ta 118/15; LAG Berlin-Brandenburg, 16.04.2018, 17 Ta (Kost) 6133/17; LAG Hamm, 03.08.2018, 8 Ta 653/17 unter Bezugnahme auf BGH, 17.01.2018, XII ZB 248/16, jeweils veröffentlicht in juris).

4.

9

Die Beschwerdekammer folgt der zuletzt genannten Auffassung. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 16.04.2018 (17 Ta (Kost) 6133/17) zu Recht auf den Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe abgestellt.

10

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat zutreffend ausgeführt:

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"Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe soll gewährleisten, dass unbemittelte Parteien in gleicher Weise Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie Parteien, die die Kosten der Prozessführung aus eigenen Mitteln bestreiten können. Er ist Ausfluss des verfahrensrechtlichen Gebots einer weitergehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzip (BGH, Beschluss vom 17.01.2018; VII ZB 248/16). Die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung Unbemittelter darf im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Eine derartige Erschwerung trete jedoch ein, wollte man an dem beigeordneten Rechtsanwalt bei Abschluss eines Mehrvergleichs die sich nach dem RVG danach ergebenden Gebühren nur teilweise aus der Staatskasse erstatten. Die unbemittelte Partei, die die anwaltlichen Gebühren nicht selbst tragen kann, wäre in diesem Fall gezwungen, hinsichtlich der nichtanhängigen Gegenstände ein weiteres gerichtliches Verfahren anzustrengen bzw. müsste sich einer – an sich sinnvollen – Gesamtbereinigung aller Ansprüche verweigern. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen hinreichend sachlichen Grund. So ist es insbesondere nicht entscheidend, dass eine Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Verteidigung hinsichtlich der in den Vergleich einbezogenen Regelgegenstände nicht in gleicher Weise erfolgen kann wie bei dem eigentlichen Gegenstand des Verfahrens. Es geht bei der Einbeziehung nicht rechtshängiger Gegenstände in einem gerichtlichen Vergleich nicht darum, ob ein insoweit geführtes eigenständiges Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte, sondern es ist zu fragen, ob der bereits anhängige Rechtsstreit durch Abschluss des Vergleichs beigelegt werden kann. Wird Prozesskostenhilfe für den Mehrwert eines Vergleichs beantragt, besteht die erforderliche Erfolgsaussicht deshalb bereits dann, wenn zu erwarten ist, dass ein Vergleich zu Stande kommt (BAG, 16.02.2012 – 3 AZB 34/11 –, juris). Gegen die hier vertretene Auffassung kann ferner nicht mit Erfolg eingewandt werden, nach § 48 Abs. 3 RVG komme eine Erstattung von Verfahrens- und Terminsgebühr für einen Mehrvergleich nur bei einer Beiordnung in Ehesachen in Betracht. Nach der genannten Vorschrift erstreckt sich die Beiordnung in Ehesachen ohne weiteres für den Abschluss eines Vertrages i. S. d. Nr. 1000 RVG-VV erforderlichen Tätigkeiten. Dies bedeutet jedoch nur, dass es insoweit keines ausdrücklichen Antrages auf Beiordnung und keiner gesonderten Bewilligung für einen Mehrvergleich bedarf, während in allen anderen weiteren Verfahren Prozesskostenhilfe für einen Mehrvergleich beantragt und bewilligt werden muss (vgl. § 48 Abs. 5 RVG). Das bei dem Abschluss eines Mehrvergleichs im Erörterungstermin nach § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO Prozesskostenhilfe nur für den Vergleich selbst und nicht für das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren bewilligt werden kann, ist für die hier entscheidende Sachverhaltsgestaltung ebenfalls ohne Aussagekraft. Denn anders als im Anwendungsbereich des § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist der unbemittelten Partei Prozesskostenhilfe bereits bewilligt worden bzw. wird ihr zugleich bewilligt; dass Prozesskostenhilfe für das Prozesskostenhilfeverfahren nicht bewilligt werden kann, ist deshalb ohne Belang (BGH vom 17.01.2018)."

12

Die Beschwerdekammer schließt sich den Ausführungen des LAG Berlin-Brandenburg vollumfänglich an.

13

Es geht darum, dass die Parteien mit geringem Einkommen die gleiche Möglichkeit erhalten müssen, ihre Streitigkeiten möglichst umfangreich beizulegen, wie Parteien mit ausreichend hohem Einkommen (vgl. auch BT-Drucksache, 17/11471 zu Nr. 25 (§ 48 RVG) Buchstabe b). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass ein Vergleichsmehrwert nur anfällt, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben. Keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt (Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit, Fassung 9. Februar 2018, I Nr. 25.1).

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5. Der beigeordneten Rechtsanwältin sind sämtliche mit dem Vergleichsschluss anfallenden Gebühren aus der Staatskasse zu erstatten, also auch die 0,8 Verfahrensgebühr (Nr. 3101 RVG-VV) sowie die 1,2 Terminsgebühr (Nr. 3104 RVG-VV).

15

Das LAG Hamm hat in seinem Beschluss vom 03.08.2018 (8 Ta 653/17; juris) hierzu Folgendes zutreffend ausgeführt:

16

"a. Wird ein Vergleich unter Einbeziehung bislang in das Verfahren nicht nach § 253 Abs. 2 ZPO eingeführter Gegenstände geschlossen (Mehrvergleich), entsteht für die am Vergleichsabschluss beteiligten Rechtsanwälte wegen der Miterledigung der (noch) nicht oder nicht anderweitig anhängigen Ansprüche neben der 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG im Regelfall zudem eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Ziffer 2 VV RVG. Außerdem fällt, wenn dem Vergleichsabschluss eine mündliche Verhandlung oder ein Äquivalent dazu vorausgegangen ist, nach Nr. 3104 Abs. 2 und Vorb. 3 Abs. 3 VV RVG eine 1,2 Terminsgebühr aus dem (Gesamt-​) Wert des Vergleichs an (ebenso mit ausführlicher Begründung: LAG Baden-​Württemberg, Beschluss vom 27. April 2016, aaO). Wegen der Begrenzung der jeweiligen Einzelgebühren auf den Wert aus dem Gesamtbetrag sämtlicher einbezogener Gegenstände nach dem insoweit höchsten Gebührensatz (§ 15 Abs. 3 RVG) reduzieren sich sodann die durch die nicht anhängigen Verfahrensgegenstände veranlassten Gebühren auf die sogenannten Differenzgebühren (BGH, aaO).

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b. Diese Gebühren sind – anders als bislang vertreten – unter den eingangs skizzierten Voraussetzungen im Grunde vollständig, wenngleich der Höhe nach durch § 49 RVG begrenzt, von der Staats- bzw. Landeskasse zu tragen.

18

aa. Gem. § 11a Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO erhält die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bedürftige Partei auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht als mutwillig erscheint. Der Prozesskostenhilfeanspruch findet seine Grundlage in Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Rechtsstaatsprinzip. Danach darf die Möglichkeit zur Erlangung und die Qualität des erreichbaren Rechtsschutzes nicht wegen der mangelnden Verfügbarkeit der dafür erforderlichen finanziellen Mittel unverhältnismäßig stark erschwert sein. Im Grundsatz muss vielmehr jede Person, ohne Rücksicht auf die aktuelle Verfügbarkeit von Mitteln, ebenso wirksamen, effektiven und interessengerechten Rechtschutz in Anspruch nehmen können, wie eine andere, vernünftig agierende und die Kostenrisiken abwägende Person mit dazu ausreichender wirtschaftlicher Ausstattung (BVerfG, Beschluss vom 9. November 2017 – 1 BvR 2440/16 – NJW 2018, S. 449 m. w. N.).

19

bb. Diese durch Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG garantierte Gleichheit in der Erreichbarkeit und Effektivität gerichtlichen Rechtschutzes wäre jedoch nicht gewahrt, wenn trotz der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (auch) für den Mehrvergleich die der beigeordneten anwaltlichen Vertretung daraus gegen die PKH-​Partei erwachsenden Gebührenansprüche auf der gesetzlichen Grundlage des RVG gleichwohl nicht vollumfänglich von der Staats- bzw. Landeskasse getragen werden (ebenso: BGH, aaO). Denn Folge daraus wäre, dass sich der nicht über das Prozesskostenhilfeverfahren abgedeckte Teil des Gebührenanspruchs gegen die PKH-​Partei selbst richtet, nicht aber entfiele. Eine finanziell nicht ausreichend ausgestattete Partei könnte dann – obwohl nach gerichtlicher Entscheidung sachgerecht – nicht anhängige Streitgegenstände wohlmöglich allein deshalb nicht zum Gegenstand eines Mehrvergleichs werden lassen, da sie die daraus resultierenden Gebührenmehrforderungen ggf. nicht tragen bzw. nicht erfüllen kann. Der bedürftigen Partei wäre so die gerade im arbeitsgerichtlichen Verfahren etwa im Kontext einer Bestandsschutzstreitigkeit vielfach aus sachgerechten Erwägungen gebotene, weitgehende oder umfassende Regelung ihrer vom Rechtsstreit berührten Rechtsverhältnisse deutlich erschwert.

20

Einen sachlichen Grund bzw. eine ausreichende Rechtfertigung dafür, der PKH-​Partei diese Erschwernis oder Einschränkung aufzuerlegen, vermag die erkennende Beschwerdekammer – wie der BGH in der wiederholt zitierten Entscheidung vom 17. Januar 2018 – nicht zu erkennen. Diese ergibt sich insbesondere nicht aus einem Umkehrschluss zur Regelung des § 48 Abs. 3 RVG noch unter Beachtung sonstiger, im Prozesskostenhilferecht angelegter Grundsätze (BGH, aaO)."

21

Die Beschwerdekammer schließt sich den Ausführungen des LAG Hamm vollumfänglich an.

III.

22

Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§§ 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG) und ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).


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