Beschluss vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (1. Kammer) - 1 Ta 114/12

Tenor

Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt vom 12.07.2012 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Halle vom 05.07.2012 – 4 Ca 3610/10 – über die Festsetzung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers dahingehend abgeändert, dass der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich auf 3.859,66 € festgesetzt wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt als Beschwerdeführerin begehrt die Festsetzung eines Gegenstandswertes für zwei streitgegenständliche Kündigungen von insgesamt einem Bruttomonatsverdienst. Bei Zugang der Kündigungen hat das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestanden.

2

Im Ausgangsverfahren wandte sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 10. 11. 2010 zum 26. 11. 2010 und der Kündigung vom 23. 12. 2010 zum 10. 01. 2011. Zudem begehrte der Kläger Zahlung von 1.278,00 € sowie weiteren 50,00 €. Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten wurde am 08. 07. 2010 begründet. Der Stundenlohn des Klägers betrug 6,40 € brutto. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrug 35 Stunden.

3

Das Verfahren endete durch Vergleich. Dem Kläger ist für das Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt worden.

4

Auf Antrag des Klägervertreters hat das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 05. 07. 2012 den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für den Prozess und den Vergleich auf 5.593,00 € festgesetzt. Für die zwei Kündigungen hat das Arbeitsgerichts 4.256,00 € angesetzt, wobei es ein Zeitraum von zusammen 19 Wochen als wirtschaftliches Interesse der Feststellungsklagen annahm.

5

Das Arbeitsgericht hält es für angemessen, den Betrag von drei Bruttomonatsverdiensten für eine Kündigung eines Arbeitsverhältnisses als Regel anzusehen. Auf die Länge des Bestands des Arbeitsverhältnisses käme es nicht an. Bei mehreren Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten seien die Gegenstandswerte wegen wirtschaftlicher Identität aufeinander anzurechnen, soweit sich die jeweiligen Dreimonatszeiträume deckten.

6

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Bezirksrevisorin des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 12. 07. 2012. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 20. 12. 2006 – 1 Ta 180/06 -) könne für beide Kündigungen zunächst nur einmal der Höchstbetrag von drei Bruttomonatsverdiensten angenommen werden. Dieser Höchstbetrag sei im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigungen sodann bei kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen entsprechend wie folgt zu mindern: Bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zu sechs Monaten sei ein Monatsverdienst, bei einer Bestandsdauer von sechs bis zwölf Monaten seien zwei Monatsverdienste und bei einer Dauer von mehr als zwölf Monaten sei ein Wert von drei Bruttomonatsverdiensten angemessen. Für beide Kündigungen zusammen sei daher nur ein Bruttogehalt anzusetzen, weil das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs beider Kündigungen noch keine 6 Monate bestanden habe und beide Kündigungen wirtschaftlich identisch seien.

7

Der Prozessvertreter des Klägers ist der Ansicht, der Feststellungsantrag gerichtet gegen die Kündigung vom 10. 11. 2010 sei unabhängig von der bisherigen Dauer des Arbeitsverhältnisses mit einem Vierteljahreseinkommen zu bemessen. Der Kläger habe mit dieser Klage den unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht, mit der Begründung, die Kündigung sei unwirksam, da sie nicht durch die Beklagte erfolgte. Zudem müsse die Kündigungsschutzklage gegen die weitere Kündigung vom 23. 12. 2010 entsprechende Berücksichtigung bei der Streitwertbemessung finden.

8

Mit Beschluss vom 09. 08. 2012 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1.

9

Die Beschwerde ist nach § 33 Abs. 3 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

10

Der Rechtsstreit ist durch Teilvergleich und Vergleich erledigt worden. Damit ist der Rechtsstreit insgesamt durch gerichtlichen Vergleich beendet worden. Es fielen keine Gerichtsgebühren an. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit war nach Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers demnach nach § 33 RVG festzusetzen.

11

Die Bezirksrevisorin ist antragsberechtigt nach § 33 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 45 RVG und damit beschwerdeberechtigt nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG.

12

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den Wert von 200,00 €.

2.

13

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

14

Der Gegenstandswert für die erste Kündigung vom 10. 11. 2010 beträgt ein Bruttomonatsverdienst i. H. v. 1.265,83 € (o Lohn Monate Juli – Oktober 2010: 5.063,31 : 4). Die Folgekündigung vom 23. 12. 2010 ist mit einem weiteren Bruttomonatsverdienst i. H. v. 1.265,83 € zu bewerten.

2.1.

15

Für die Wertberechnung bei Streitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist gemäß § 23 RVG i. V. m. § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG höchstens der Betrag der für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgeltes maßgeblich.

16

Der Vierteljahresverdienst nach § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG stellt keinen Regelwert, sondern die Obergrenze des vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzenden Streitwerts dar (BAG vom 30. 11. 1984 – 2 AZN 572/82 -, NZA 1985, 369; Langtext in juris; LAG Rheinland-Pfalz vom 15. 08. 2012, - 1 Ta 161/12 -, juris, Rz. 9.)

2.2.

17

Die erste Kündigung ist mit einem Gehalt zu bewerten.

18

Eine Abstufung des Höchstbetrages von 3 Bruttomonatsverdiensten ist im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses – jedenfalls bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der Kündigung von noch keinen sechs Monaten – sachgerecht. Ein Arbeitsverhältnis in den ersten sechs Monaten hat unter Anlegung einer dem Gebührenstreitwert gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (vgl. hierzu zutreffend: LAG Rheinland-Pfalz vom 16. 01. 2012, - 1 Ta 269/11 -, juris, Rz. 12) noch nicht den Wert, den ein langjähriges Arbeitsverhältnis innehat. Die Dauer des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses spielt in vielen Arbeitnehmerschutzrechten eine entscheidende Rolle. So greifen nach Überschreitung einer Bestandsdauer von 6 Monaten besondere gesetzliche Schutzrechte (u. a. § 1 Abs. 1 KSchG; § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX; § 4 BUrlG; § 8 BetrVG). Der Wert eines Kündigungsschutzstreites wächst in der Regel mit der Bestandsdauer des Arbeitsverhältnisses. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn kein Sonderkündigungsschutz geltend gemacht wird (z. B. nach § 9 Abs. 1 MuSchG). Lediglich in diesen Ausnahmesituationen, hat sich der Bestand eines Arbeitsverhältnisses bereits vor Ablauf von 6 Monaten verfestigt.

19

Dabei ist auf eine typisierte Betrachtungsweise abzustellen: Bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der Kündigung von noch keinen sechs Monaten ist in der Regel ein Bruttomonatsverdienst anzusetzen (zutreffend und mit ausführlicher Begründung BAG vom 30.11.1984 – 2 AZN 572/82 -, juris Rz. 35, 36).

20

Der Kläger hat die Wirksamkeit der ersten Kündigung vom 10. 11. 2010 mit dem Argument angegriffen, die Kündigung sei gar nicht durch die Beklagte ausgesprochen worden. Daher habe er den unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten geltend gemacht. Dies ist jedoch mit der Geltendmachung eines Sonderkündigungstatbestandes nicht zu vergleichen. Der Kläger macht keine besonderen Kündigungsschutzrechte geltend, die unabhängig von der Dauer des Bestandes des Arbeitsverhältnisses greifen. Soweit der Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses als solches geltend gemacht wird mit dem Argument, eine Kündigung eines Dritten könne das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber nicht beenden, verbleibt es bei der Abstufung des Höchstbetrages des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG, jedenfalls soweit das Arbeitsverhältnis bei Zugang der Kündigung noch keine sechs Monate bestanden hat.

2.3.

21

Die zweite Kündigung vom 23. 12. 2010 ist mit einem weiteren Bruttomonatsverdienst zu bewerten.

22

Die Beschwerdekammer hält an der bisherigen – restriktiveren – Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt zu Folgekündigungen nicht fest (bisherige Rechtsprechung seit LAG Sachsen-Anhalt vom 20. 12. 2006 – 1 Ta 180/06 –).

23

Werden in einer Klage mehrere Kündigungen angegriffen, handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände mit der Folge, dass grundsätzlich nach § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG eine Addition der Gegenstandswerte vorzunehmen ist. Betreffen die in einer Klage erhobenen Ansprüche dagegen denselben Gegenstand, ist nur der Wert des höheren Anspruches maßgebend, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Diesen Grundsätzen ist den Fällen einer objektiven Häufung mehrerer Kündigungsschutzanträge Berücksichtigung zu zollen (so bereits LAG Sachsen-Anhalt vom 27. 08. 2012 – 1 Ta 100/12 -), so dass es zu einer Addition von Streitwerten kommt.

24

Bei Folgekündigungen kommt es auf die Veränderung des Beendigungszeitpunktes durch die Kündigungen an. In der Regel ist die Folgekündigung mit der Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten zu bewerten. Dabei ist jedoch der Höchstbetrag in § 42 Abs. 3 Satz 1 RVG (drei Monatsverdienste) und die gebotene Abstufung beim Bestand eines Arbeitsverhältnisses von noch nicht sechs Monaten (ein Monatsverdienst) für die Folgekündigungen zu berücksichtigen.

25

Die erste Kündigung sollte das Arbeitsverhältnis zum 26. 11. 2010, die zweite Kündigung zum 10. 01. 2011 beenden. Die Entgeltdifferenz zwischen diesen Beendigungszeitpunkten, die an sich für die Bewertung der Folgekündigung maßgeblich wäre, übersteigt jedoch einen Bruttomonatsverdienst. Da das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der zweiten Kündigung vom 23. 12. 2010 auch noch keine sechs Monate bestanden hat, ist auch für die zweite Kündigung lediglich ein Bruttomonatsverdienst anzusetzen.

26

Ein Rechtsmittel findet gegen diesen Beschluss nicht statt (§ 33 Abs. 4 Satz 2 RVG).


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