Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (6. Kammer) - 6 Sa 405/15
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 01.10.2015 – 4 Ca 1353/15 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Frage, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung mit Ablauf des 31.08.2015 geendet hat.
- 2
Der 1968 geborene Kläger war bereits im Zeitraum vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2009 befristet als vollbeschäftigter Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Mit Wirkung zum 01.09.2013 schlossen die Parteien einen erneuten befristeten Arbeitsvertrag ab, nachdem der Kläger als vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer – er wurde bei der Beklagten in deren Außenstelle M zuletzt als Pförtner eingesetzt – bis zum 28.02.2015 beschäftigt werden sollte. Mit Änderungsvertrag vom 03.11.2014 wurde die Befristungsvereinbarung bis zum 31.08.2015 verlängert. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers belief sich zuletzt auf 2.278,00 EUR.
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Mit seiner am 19.05.2015 beim Arbeitsgericht Magdeburg eingereichten Klage hat der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2015 geltend gemacht.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, aufgrund seiner Vorbeschäftigung im Zeitraum vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2009 habe die Beklagte das Arbeitsverhältnis nicht mehr sachgrundlos nach § 14 Abs. 2 TzBfG befristen können, denn es habe bereits mit demselben Arbeitgeber zuvor ein befristetes Arbeitsverhältnis bestanden. Das Vorbeschäftigungsverbot gelte entgegen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.04.2011 – 7 AZR 716/09 – zeitlich unbeschränkt. Die Problematik sei im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich diskutiert worden. Gleichwohl habe es der Gesetzgeber bei der Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG belassen. Auch der Wortlaut der Norm stehe der durch das Bundesarbeitsgericht vorgenommenen Auslegung im Sinne eines zeitlich lediglich auf drei Jahre befristeten Vorbeschäftigungsverbotes entgegen. Das Bundesarbeitsgericht sei in seiner Rechtsprechung über seine Befugnisse als Gericht hinausgegangen und habe damit gegen die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Gesetzesbindung der Justiz verstoßen (Art. 20 Abs. 3 GG).
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung vom 19.08.2013, in der Fassung des Änderungsvertrages vom 03.11.2014, am 31.08.2015 endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Zukunft des B sei ungewiss, die Struktur der Außenstellen bis heute nicht absehbar. Deshalb habe die Beklagte die Stelle des Klägers nur befristet ausschreiben können. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – mit dem es nach verfassungsgemäßer Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zu dem Ergebnis gekommen sei, das Vorbeschäftigungsverbot auf 3 Jahre begrenzt auszulegen, habe die Beklagte den Kläger beginnend ab September 2013 abermals 2 Jahre sachgrundlos befristet einstellen können. Diese Grenze sei mit der ersten Befristung für die Dauer von 18 Monaten und der Verlängerung bis zum 31.08.2015 eingehalten worden.
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Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 01.10.2015 – 4 Ca 1353/15 – (Urteil Seite 2 bis 3, Bl. 85 – 86 d.A.) Bezug genommen.
- 11
Mit vorbezeichnetem Urteil hat das Arbeitsgerichts Magdeburg festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung nicht zum 31.08.2015 geendet hat, weil diese Befristung gegen § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verstoße. Entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelte das Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zeitlich uneingeschränkt und sei hinsichtlich seines eindeutigen Wortlautes weder auslegungsfähig noch verfassungskonform auslegungsbedürftig.
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Wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf die in ihm aufgeführten Entscheidungsgründe Bezug genommen (Urteil Seite 3, Bl. 86 d.A.). Gegen das der Beklagten am 27.10.2015 zugestellte Urteil hat diese am 19.11.2015 Berufung eingelegt und die Berufung mit am 22.12.2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte vor,
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die Entscheidung des Arbeitsgerichts basiere auf einer unzutreffenden Auslegung des in
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§ 14 Abs. 2 TzBfG normierten Vorbeschäftigungsverbotes und weiche von der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und eines Großteils der Instanzgerichte ab. Eine theologische Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG gebiete vielmehr die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass das Verbot der Vorbeschäftigung nicht zeitlich unbefristet geltend könne. Dies folge schon aus der gesetzgeberischen Motivation und den Vorgaben der entsprechenden EG-Richtlinie RL 1999/70/EG, welche darauf abziele, Kettenbefristungen zu vermeiden. Eine zeitlich einschränkende Auslegung des Begriffs der „Zuvor-Beschäftigung“ sei dabei auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes und der nach Art. 2 und Art. 12 des Grundgesetzes zu wahrenden Privatautonomie sowie der Freiheit der Berufswahl geboten. Dies werde insbesondere auch an dem vorliegenden Fall besonders deutlich, da die vom Kläger begehrte einschränkungslose Auslegung des Begriffs der „Zuvor-Beschäftigung“ in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG faktisch insbesondere für die bei den Behörden des Bundes sachgrundlos befristeten Arbeitnehmern massive und durch den Gesetzeszweck nicht mehr zu rechtfertigende Einschränkungen dergestalt bedeuten würde, dass ihnen nach einer nur einmaligen sachgrundlosen Befristung eines Arbeitsvertrages mit einer Bundesbehörde bundesweit und lebenslänglich jegliche weitere sachgrundlos befristete Beschäftigung verwehrt wäre.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg, Az. 4 Ca 1353/15 vom 01.10.2015 abzuändern und die Beklagte abzuweisen.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
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die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das Urteil des
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Arbeitsgerichts Magdeburg vom 01.10.2015, Az: 4 Ca 1353/15 kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Der Kläger trägt vor,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg sei nicht zu beanstanden. Es sei in Übereinstimmung mit der klägerischen Auffassung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entgegengetreten und habe sich der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg angeschlossen, wonach das Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zeitlich uneingeschränkt gelte und hinsichtlich des eindeutigen Wortlautes weder auslegungsfähig noch verfassungskonform auslegungsbedürftig sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 2 b und c ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.
II.
- 25
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht Magdeburg hat zutreffend entschieden, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund Befristung mit Ablauf des 31.08.2015 geendet hat.
1.
- 26
Die Klage ist begründet. Die zuletzt für die Dauer vom 01.03.2015 bis 31.08.2015 vereinbarte sachgrundlose Befristung des klägerischen Arbeitsverhältnisses ist rechtsunwirksam, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht daher über die vereinbarte Befristung hinaus fort. Die Kammer schließt sich hierbei sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16.11.2016 an (17a Sa 14/16).
a)
- 27
Die Befristung gilt nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG i.V.m. § 7 HS 1 KSchG als rechtswirksam, denn der Kläger hat die Rechtsunwirksamkeit der vereinbarten Befristung rechtzeitig innerhalb von 3 Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages geltend gemacht. Unschädlich ist, dass seine Klage bereits vor Fristablauf beim Arbeitsgericht Magdeburg eingegangen ist. Die Klagefrist dient dazu, die Vertragsparteien nicht zu lange über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Unklaren zu lassen. Vielmehr soll alsbald abschließend Klarheit über die Wirksamkeit der Befristung geschaffen werden. Dieser Zwecksetzung kommt es entgegen, wenn die Klage schon vor dem vereinbarten Ende erhoben wird. Demzufolge hält es die Rechtsprechung für zulässig, eine Klage gemäß § 17 Satz 1 TzBfG bereits vor Ablauf der vereinbarten Befristung zu erheben (LAG Berlin-Brandenburg 16.04.2008 – 23 Sa 2356/07, Rnr. 24 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts).
b)
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Der Rechtswirksamkeit der mit Wirkung vom 01.03.2015 bis 31.08.2015 vereinbarten sachgrundlosen Befristung steht das Anschlussverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG entgegen. Das Gericht vermag dem Auslegungsergebnis des Bundesarbeitsgerichts in Bezug auf die Norm des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zu folgen. Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung (so u.a. LAG Baden-Württemberg 16.11.2016 – 17a Sa 14/16 Rnr. 25 ff.) ist § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG dahingehend auszulegen, dass eine sachgrundlose Befristung auch dann ausscheidet, wenn das Ende eines zwischen den Parteien vorangegangenen Arbeitsverhältnisses bereits mehr als 3 Jahre zurückliegt.
aa)
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Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1, 1. HS TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von 2 Jahren zulässig. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1, 2. HS TzBfG ist bis zu dieser Gesamtdauer von 2 Jahren auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.
bb)
- 30
Im vorliegenden Fall hat bereits auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 13.07.2007 in der Zeit vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2009 – also für volle 2 Jahre – ein befristetes Arbeitsverhältnis bestanden, eine weitere sachgrundlose Befristung war daher zwischen den Parteien nicht mehr möglich. Nach der vorgenannten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16.11.2016, der sich die erkennende Kammer in vollem Umfang anschließt, ist für die Auslegung von Gesetzes der in der Norm zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist, maßgebend. Unter Anwendung der Methoden der Gesetzesauslegung ist § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG als zeitlich uneingeschränktes, mithin absolutes Anschlussverbot zu interpretieren (LAG Baden-Württemberg, aaO, Rnr. 28ff unter Hinweis auf BAG 06.11.2003 – 2 AZR 690/02 Rnr. 18 und Rnr. 25). Gegen dieses Anschlussverbot hat die Beklagte sowohl mit dem weiteren befristeten Arbeitsvertrag vom 19.08.2013 für die Zeit vom 01.09.2013 bis zum 28.02.2015 verstoßen, wie auch mit dem zuletzt abgeschlossenen hier streitgegenständlichen Änderungsvertrag vom 03.11.2014 für die Zeit vom 01.03.2015 bis zum 31.08.2015.
cc)
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Als Folge der sich damit ergebenden Rechtsunwirksamkeit der Befristung gilt der zwischen den Parteien befristete Arbeitsvertrag gemäß § 16 Satz 1 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen.
dd)
- 32
Die Beklagte kann sich im vorliegenden Fall nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht kein schutzwürdiges Vertrauen, wenn die fachgerichtliche Rechtsprechung, von der abgewichen werden soll, auf so erhebliche Kritik gestoßen ist, dass der unveränderte Fortbestand dieser Rechtsprechung nicht gesichert erscheinen konnte. Danach konnte die Beklagte bei Abschluss des streitgegenständlichen Arbeitsvertrages nicht mehr auf den Fortbestand der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertrauen. Bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.11.2014 entsprach es in Rechtsprechung und Literatur herrschender Meinung, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ein zeitlich unbeschränktes Anschlussverbot beinhaltet. Die Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stieß auf deutliche Kritik im Schrifttum und in der Rechtsprechung (nähere Ausführungen hierzu siehe LAG Baden-Württemberg, aaO, Rnr. 39). Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass auch Landesarbeitsgerichte der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts teilweise nicht gefolgt sind (so LAG Baden-Württemberg 26.09.2013 – 6 Sa 28/13). Auch diese abweichende Entscheidung liegt zeitlich ebenso wie die Vorlageentscheidung des Arbeitsgerichts Braunschweig nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG durch dessen Beschluss vom 03. April 2014 (5 Ca 463/13) zeitlich vor der hier angegriffenen Befristung für die Zeit bis zum 31.08.2015 durch Änderungsvertrag vom 03.11.2014.
III.
- 33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
- 34
Gegen diese Entscheidung wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, § 72 Abs. 2 Ziffer 2 ArbGG.
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