Beschluss vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (5. Kammer) - 5 Ta 137/17

Tenor

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 27.10.2017, Az. 3 Ca 2156/17, abgeändert und der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wie folgt neu festgesetzt:

Der Wert des Streitgegenstandes für die anwaltliche Tätigkeit wird auf insgesamt 16.075,38 € festgesetzt.

Der Wert des Vergleiches übersteigt diesen um 1.620,00 €.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Im Beschwerdeverfahren wenden sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes.

2

Im Hauptsacheverfahren führten die Parteien im Wesentlichen einen Kündigungsrechtsstreit. Die Klägerin kündigte in der Klagschrift folgende Anträge an:

3

„1. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.09.2017 zum 31.10.2017, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 11.10.2017 zum 15.11.2017 aufgelöst ist.

4

2. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wird, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

5

3. Die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Klageantrag zu Ziffer 1. - entsprechend dem Arbeitsvertrag als Vertriebsmitarbeiterin tatsächlich weiterzubeschäftigen.

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4. Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie Leistung und Verhalten der Klägerin im Arbeitsverhältnis erstreckt und eine Leistungs- und Verhaltensbeurteilung mit der Bewertung „zur vollen Zufriedenheit“ enthält.

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Für den Fall, dass dem Antrag zu 1. nicht stattgegeben werden sollte, wird beantragt:

8

5. Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin unter dem Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie Leistung und Verhalten der Klägerin im Arbeitsverhältnis erstreckt und eine Leistungs- und Verhaltensbeurteilung mit der Bewertung ‚zur vollen Zufriedenheit‘ enthält.“

9

In der Klagschrift verwies der Kläger zur Begründung des Weiterbeschäftigungsantrags unter der Überschrift „Hauptantrag zu 3. Weiterbeschäftigung“ auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 - GS 1/84 -.

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Im Gütetermin vom 27.10.2017 schlossen die Parteien einen verfahrensbeendenden Prozessvergleich mit folgendem Inhalt:

11

„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass ihr Arbeitsverhältnis auf Grund ordentlicher, fristgerechter Kündigung seitens der Beklagten aus dringenden betrieblichen Erfordernissen zum 31. Oktober 2017 sein Ende finden wird.

12

2. Die Beklagte zahlt an die Klägerin eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend §§ 9, 10 KSchG i. H. v. 2.620,00 € brutto.

13

3. Die Beklagte erteilt der Klägerin ein wohlwollendes, qualifiziertes Zeugnis. Hierzu wird die Klägerin einen Entwurf fertigen, von dem die Beklagte nur aus wichtigem Grunde abweichen darf.

14

4. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.

15

5. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.“

16

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 27.10.2017 den Streitwert für das Verfahren auf 9.970,00 € und den Mehrwert des Vergleichs auf 2.990,00 € festgesetzt. Mit ihrer Beschwerde vom 13.11.2017 haben die Prozessbevollmächtigten geltend gemacht, dass für den 2. Kündigungsschutzantrag ein halbes Gehalt in Ansatz zu bringen, sowie der Weiterbeschäftigungsantrag mit einem Gehalt zu berücksichtigen sei, weil dieser unbedingt gestellt worden sei. Zudem seien Zwischenzeugnis und ein Endzeugnis mit je einem Gehalt zu berücksichtigen.

17

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde teilweise abgeholfen und den Streitwert auf 12.835,38 € und den Mehrwert des Vergleichs auf 1.620,00 € festgesetzt. Im angefochtenen Beschluss sei übersehen worden, dass Streitgegenstand zwei Kündigungen gewesen sei. Deshalb seien für beide Kündigungen zusammen drei Bruttomonatsgehälter sowie das Gehalt für den zeitlichen Unterschied von 14 Tagen zwischen Ausspruch der ersten und der zweiten Kündigung zusätzlich zu berücksichtigen. Ein Zeugniserteilungsantrag mit einer bestimmten Note werde nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer mit einem halben Monatsgehalt bewertet. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (v. 30.08.2011 - 2 AZR 668/00 -; v. 29.04.2015 - 7 AZR 13/13 -) als uneigentlicher Hilfsantrag auszulegen und nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen. Da die Parteien sich im Vergleich zudem darauf geeinigt hätten, dass die Beklagte das Endzeugnis auf der Grundlage eines Entwurfs der Klägerin zu erteilen habe und ein solcher Antrag mit einem Monatsgehalt zu bewerten sei, übersteige der Mehrwert des Vergleichs ein weiteres halbes Monatsgehalt, da das Zwischenzeugnis bereits mit einem halben Bruttogehalt in den Streitwert eingeflossen sei. Der weitergehenden sofortigen Beschwerde hat das Arbeitsgericht nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

18

In der Beschwerdeinstanz halten die Klägervertreter ihren Einwand aufrecht, dass entgegen dem eindeutigen Wortlaut des gestellten Weiterbeschäftigungsantrags als Hauptantrag dieser nicht werterhöhend berücksichtigt worden sei.

19

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.

II.

20

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 33 Abs. 3 RVG zulässig.

21

In der Sache selbst hat die sofortige Beschwerde ebenfalls Erfolg.

22

Der neben dem Kündigungsschutzantrag gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts im vorliegenden Fall streitwerterhöhend zu berücksichtigen.

23

1. Es entspricht gängiger Rechtsprechung des Beschwerdegerichts als auch den Empfehlungen der Streitwertkommission für die Arbeitsgerichtsbarkeit (überarbeitete Fassung vom 05.04.2016, Ziff. I. 12. und 23.), dass sowohl der arbeitsvertragliche Beschäftigungsanspruch als auch der allgemeine (BAG, Urt. V. 27.02.1985, GS 1/84) und der betriebsverfassungsrechtliche (§ 102 Abs. 5 BetrVG) Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß §§ 23 Abs. 1 RVG, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO mit einem Bruttomonatsgehalt zu bewerten sind.

24

2. Die Klägerin hat vorliegend keinen uneigentlichen Hilfsantrag auf Weiterbeschäftigung gestellt.

25

a) Es ist mittlerweile herrschende Meinung in der Rechtsprechung und Literatur, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer im Kündigungsrechtsstreit den Antrag ankündigt, den Arbeitgeber "für den Fall des Obsiegens" zur Weiterbeschäftigung zu verurteilen, dieser unechte oder uneigentliche Hilfsantrag auch bei der anwaltlichen Wertfestsetzung nur dann gemäß § 45 Abs. 4 i. V. m. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigen ist, soweit über ihn entschieden oder eine vergleichsweise Regelung getroffen wurde (BAG, Beschl. v. 13.08.2014 - 2 AZR 871/12 -, Rn. 4, juris; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 11.01.2010 - 3 Ta 196/09 -, Rn. 33, juris; und Beschl. v. 09.10.2013 - 4 Ta 169/13 -, Rn. 22, juris).

26

b) Die Klägerin hat vorliegend indessen unstreitig den Weiterbeschäftigungsantrag gerade nicht als uneigentlichen Hilfsantrag gestellt. Ein nach Wortlaut und Begründung unbedingt gestellter Antrag auf Weiterbeschäftigung kann ohne gegenteilige Anhaltspunkte nicht als unechter Hilfsantrag verstanden werden. Der ausdrücklich erklärte Wille, trotz der Möglichkeit, einen das Kostenrisiko einschränkenden uneigentlichen Hilfsantrag stellen zu können, gleichwohl einen unbedingten allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag stellen zu wollen, steht einer anderen Auslegung entgegen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.12.2015 - 17 Ta 6104/15 -, Rn. 9 f., juris; LAG Niedersachsen, Beschl. v. 09.02.2017 - 8 Ta 359/16 -, Rn. 14, juris; LAG München 08.12.2016 - 2 Ta 247/16 -, Rn. 11, juris).

27

Dass es sich bei dem vorliegenden Weiterbeschäftigungsanspruch um einen unbedingt gestellten Antrag handelt, folgt bereits aus der Tatsache, dass die Klägerin bei den in der Klagschrift aufgeführten Anträgen zwischen Haupt- und Hilfsanträgen unterscheidet und diese auch optisch durch einen Absatz trennt. Ihr ist mithin der Unterschied zwischen Haupt- und Hilfsantrag geläufig. Den Antrag auf Erteilung eines Endzeugnisses hat sie als echten Hilfsantrag für den Fall, dass dem Kündigungsschutzantrag nicht stattgegeben werden sollte, gestellt. Ferner hat die Klägerin in ihrer Klagbegründung unter Ziff. IV. unter der fettgedruckten Überschrift „Hauptantrag zu 3. Weiterbeschäftigung“ ausgeführt, dass der Weiterbeschäftigungsantrag begründet sei, da die ausgesprochene Kündigung rechtswidrig sei und höherrangige Interessen der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung nicht vorhanden seien. Vor diesem Hintergrund sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Klägerin den Weiterbeschäftigungsantrag nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag stellen wollte.

28

3. Diesem Ergebnis stehen auch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 30.08.2011 - 2 AZR 668/10 -, juris, und vom 13.08.2014 - 2 AZR 871/12 -, juris, nicht entgegen (dem BAG folgend: LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.12.2015 - 5 Ta 71/15 -, juris; LAG Nürnberg, Beschl. v. 08.07.2016 - 4 Ta 78/16 -, juris; LAG Köln, Beschl. v. 20.02.2017 - 2 Ta 10/17 -, juris).

29

a) Das Bundesarbeitsgericht vertritt in diesen Entscheidungen die Auffassung, dass ein Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens (grundsätzlich) als ein für den Fall des Erfolgs des Bestandsschutzbegehrens gestellter uneigentlicher Hilfsantrag anzusehen sei. Dies gelte auch dann, wenn er nicht ausdrücklich als Hilfsantrag bezeichnet werde. Zur Begründung führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass ein Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens überhaupt nur Erfolg haben könne, wenn dem Kündigungsschutzbegehren Erfolg beschieden worden sei. Es entspräche damit in keiner Weise den Interessen des klagenden Arbeitnehmers, würde der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung ohne diese Bedingung gestellt. Von seiner Unbedingtheit könne deshalb nur dann ausgegangen werden, wenn umgekehrt gerade der Wille, einen unbedingten Antrag zu stellen, ausdrücklich erklärt werde.

30

b) Ein derartiger Ausnahmefall nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt hier vor. Die Klägerin hat nicht nur einen nach dem Wortlaut des Antrags unbedingten Weiterbeschäftigungsantrag gestellt, sondern auch in der Klagbegründung ausdrücklich erklärt, dass sie den Weiterbeschäftigungsantrag als „Hauptantrag“ stelle, weil die streitgegenständliche Kündigung rechtswidrig sei und sie deshalb entsprechend dem Arbeitsvertrag weiterzubeschäftigen sei. Damit hat sie ihren ausdrücklichen Willen zum Ausdruck gebracht, den Weiterbeschäftigungsantrag nicht als Hilfs-, sondern als unbedingten Hauptantrag zu stellen. Wird ein Antrag schon nach dessen Wortlaut eindeutig und unmissverständlich unbedingt gestellt und bekräftigt die Partei dies nochmals - wie vorliegend - schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung, so ist kein Raum mehr für eine Auslegung oder Umdeutung in einen unechten Hilfsantrag, mag dies auch im Kosteninteresse der Partei oder der hinter ihr stehenden Rechtsschutzversicherung sein.

31

4. Darüber hinaus hat die 5. Kammer des hiesigen Beschwerdegerichts grundsätzliche Bedenken an dem vom Bundesarbeitsgericht in den genannten Entscheidungen aufgestellten Grundsatz, dass auch ein unbedingt gestellter Weiterbeschäftigungsantrag grundsätzlich als uneigentlicher Hilfsantrag auszulegen ist.

32

a) Das Bundesarbeitsgericht führt in den Beschlüssen vom 30.08.2011 - 2 AZR 668/10 - und vom 13.08.2014 - 2 AZR 871/12 - zur Begründung aus, dass der allgemeine Weiterbeschäftigungsantrag für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens überhaupt nur dann Erfolg haben könne, wenn dem Kündigungsschutzbegehren Erfolg beschieden worden sei. Es entspreche mithin nicht den Interessen des klagenden Arbeitnehmers, würde der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung ohne diese Bedingung gestellt.

33

b) Diese Begründung überzeugt indessen nicht.

34

Ob ein Arbeitnehmer im Kündigungsrechtstreit den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch durch einen Haupt- oder unechten Hilfsantrag geltend machen will, richtet sich entsprechend den Grundsätzen des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs ausschließlich nach dem Wortlaut des Antrags und seiner Begründung und nicht nach seinen materiell-rechtlichen Erfolgsaussichten oder Kosteninteressen der klagenden Partei (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.12.2015 - 17 Ta 6104/15 -, Rn. 11, juris; LAG München vom 8.12.2016 - 2 Ta 247/16 -, Rn. 11, juris). Eine andere Betrachtung steht nicht im Einklang mit der Parteimaxime, denn es ist Sache der Parteien, welche Anträge sie stellen will. Eine gegen den ausdrücklichen Willen der Partei erklärte Auslegung eines Antrages widerspräche dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz. Das Gericht ist an den Parteiantrag gebunden, § 308 Abs. 1 ZPO. Dass ein unbedingter Weiterbeschäftigungsantrag in der Sache materiell-rechtlich nicht sinnvoll erscheint und dem Kosteninteresse der Partei widerspricht, berechtigt das Gericht nicht dazu, einen vom Wortlaut her eindeutig als Hauptantrag gestellten Antrag in einen unechten Hilfsantrag umzudeuten. Ob ein unbedingter Antrag allein aus Gebühreninteresse des Klägervertreters gestellt wird, betrifft in erster Linie das Mandatsverhältnis zwischen Anwalt und der vertretenen Partei. Auch offenkundig unbegründet gestellte Hauptanträge haben einen Streitwert.

35

Lässt sich folglich weder aus dem Wortlaut noch aus der Begründung eines Weiterbeschäftigungsantrags erkennen, dass er in Abhängigkeit zum Ausgang der Bestandsstreitigkeiten gestellt werden sollte, so liegt ein eigenständiger Hauptantrag vor, welcher streitwerterhöhend zu berücksichtigen ist. Dass ein Rechtsanwalt mit einem derartigen Hauptantrag möglicherweise seine anwaltlichen Vertragspflichten verletzt, weil er seine Partei einem unnötigen Kostenrisiko aussetzt, ist für die Frage, ob das Beschäftigungsbegehren unbedingt oder bedingt verfolgt wurde sowie die anschließende Wertfestsetzung ohne Belang (vgl. LAG Berlin-Brandenburg vom 04.12.2015 – 17 Ta 6104/15 -, juris).

36

5. Das Beschwerdeverfahren ist gem. § 68 Abs. 3 S. 1 GKG gebührenfrei.

37

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 68 Abs. 1 S. 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 S. 3 GKG. Sie ist unanfechtbar.


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