Beschluss vom Landgericht Aachen - 9 O 464/14
Tenor
erklärt sich das Landgericht Aachen für örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf Antrag ohne mündliche Verhandlung
an das Landgericht Köln.
1
Gründe:
2I.
3Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks U1str. in B, auf dem sich die von dem Verein L e.V. („Versicherungsnehmerin“) betriebene Kindertagesstätte befindet. Sie macht Ansprüche aus abgetretenem Recht aus dem zwischen dem Verein L e.V. und der Beklagten geschlossenen Elementarschadenversicherungsvertrag (Versicherungsnummer: XXXXXXXXX) geltend. Sie begehrt Schadensersatz wegen eines Gebäudeschadens an der Kindertagesstätte aufgrund eines Starkregens bzw. einer Überschwemmung am 18.08.2011. Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit. Die Klägerin beantragt hilfsweise Verweisung.
4II.
5Das Landgericht Aachen ist örtlich nicht zuständig. Der Rechtsstreit war auf den Hilfsantrag der Klägerin an das örtlich zuständige Landgericht Köln zu verweisen.
61. Die Klägerin beruft sich auf den Wahlgerichtsstand nach § 215 VVG. Dieser ist jedoch nicht einschlägig, da es sich bei der Klägerin nicht um die Versicherungsnehmerin handelt. Die Klägerin macht Ansprüche gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht geltend. Auf die Klägerin als Abtretungsempfängerin ist die Norm nicht entsprechend anwendbar, da sie nicht gleichermaßen schutzbedürftig ist wie der Versicherungsnehmer selbst (vgl. Rixecker in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl. 2014, § 215 Rn. 4). Die Norm greift nur in dem Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer (vgl. LG Halle (Saale), Beschluss vom 15.10.2010, Az.: 5 O 406/10). Ausweislich der Gesetzesbegründung hatte der Gesetzgeber bei Fassung der Norm ausschließlich den Schutz des Versicherungsnehmers im Blick. Allein dieser sollte prozessual besser gestellt werden (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 117). Hinter der Vorschrift des § 215 VVG steht die Überlegung, dass der Versicherungsnehmer typischerweise fachlich und organisatorisch gegenüber dem Versicherer unterlegen ist (vgl. LG Halle (Saale), Beschluss vom 15.10.2010, Az.: 5 O 406/10). Die daraus resultierende Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers greift nicht im Verhältnis zwischen einem Dritten und dem Versicherer.
7Für diese Auslegung spricht auch die systematische Stellung der Norm im VVG. Denn dieses regelt ausschließlich die Sonderverbindung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer. Sofern eine Besserstellung auch von außerhalb des Versicherungsvertrages stehenden Dritten beabsichtigt gewesen wäre, hätte eine Regelung in der ZPO näher gelegen.
8Auch eine analoge Anwendung des § 215 VVG auf die Geltendmachung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag durch den Zessionar scheidet aus. Da der Zessionar nur einzelne Rechte aus dem Versicherungsvertrag erwirbt und nicht in die Rechtsposition des Versicherungsnehmers einrückt, besteht keine vergleichbare Sonderverbindung zwischen ihm und dem Versicherer, der eine prozessuale Besserstellung rechtfertigen würde (vgl. Klimke in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 215 Rn. 21). Es besteht daher schon keine vergleichbare Interessenlage.
92. Dessen ungeachtet wäre § 215 VVG nicht einschlägig, da die Klägerin eine Körperschaft und damit eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Die Vorschrift gilt jedoch nur für natürliche Personen (a.A.: Looschelders in Münchener Kommentar VVG, 1. Aufl. 2010, § 215 Rn. 6 ff.; Rixecker in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl. 2014, § 215 Rn. 2; Fricke, VersR 2009, 15).
10a. § 215 VVG bezieht sich ausdrücklich auf den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers. Ausgehend vom Wortlaut ist daher zu folgern, dass sich die Norm nur auf natürliche Personen bezieht, da nur diese einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (a.A.: Rixecker in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl. 2014, § 215 Rn. 2). Juristische Personen haben einen Sitz, welcher den Gerichtsstand nach § 17 ZPO begründet. Da der Wortlaut eine Anwendung auf juristische Personen nicht hergibt, kommt insofern nur eine Analogie bzw. eine korrigierende Auslegung in Betracht.
11b. Eine solche Erweiterung ist jedoch abzulehnen. Aus der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber bei der Fassung der Norm in erster Linie den Verbraucherschutz und damit den Schutz natürlicher Personen vor Augen hatte. Zwar ist in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die Regelung auch den prozessualen Rechtsschutz des Verbrauchers erheblich stärke (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 117). Damit dient die Regelung nicht nur dem Verbraucherschutz. Jedenfalls ist aber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich Bezug genommen auf die Regelung des § 29c ZPO, der sich ausweislich seines Wortlautes nur auf den Verbraucher bezieht. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Gerichtsstand des § 215 VVG am Wohnsitz des Versicherungsnehmers begründet wird und somit der Regelung des § 29c ZPO entspricht. Der Gerichtsstand des Wohnsitzes nach § 215 VVG sollte jedoch über Haustürgeschäfte hinaus gelten (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 117). Er geht insofern auch über den reinen Verbraucherschutz hinaus, da die Norm ihrem Wortlaut nach nicht allein auf Verbraucher anzuwenden ist. Aus der Zusammenschau der Hervorhebung des Verbraucherschutzes sowie der Formulierung „Wohnsitz“ lässt sich jedoch eine ausschließliche Anwendung auf natürliche Personen folgern. Denn ein Verbraucher ist gem. § 13 BGB immer eine natürliche Person. Eine Anwendung auf juristische Personen war nicht beabsichtigt.
12c. Zwar wurde § 215 VVG ausweislich der Gesetzesbegründung auch geschaffen, um die bisher bestehenden Unklarheiten des § 48 VVG a.F. aufzulösen, welcher auf juristische Personen anwendbar war. Jedoch waren die dieser Regelung zugrunde liegenden Motive anders gelagert. Der Norm lag der Billigkeitsgedanke zugrunde, dass sich der Versicherer auch eine Klage am Sitz seines Versicherungsvertreters gefallen lassen muss, wenn er sich eines solchen bedient. Die Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers war demzufolge kein ausschlaggebendes Motiv, im Gegensatz zu der Regelung des § 215 VVG (vgl. LG Fulda, Beschluss vom 11.05.2012, Az.: 4 O 144/12; LG Limburg, Beschluss vom 14.12.2010, Az.: 2 O 75/10; Klimke in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 215 Rn. 12). Allein daraus, dass sich der Gesetzgeber zu einer Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs nicht verhält, lässt sich nicht folgern, dass er einen solchen auch nicht beabsichtigt hat.
13d. Eine Ungleichbehandlung von Einzelgewerbetreibenden und Personenzusammenschlüssen führt nicht zu willkürlichen Ergebnissen. Denn die Rechtsdurchsetzung an einem vom Sitz entfernten Ort ist für eine Personenmehrheit leichter möglich als für eine einzelne natürliche Person eine wohnortferne Klage (vgl. LG Fulda, Beschluss vom 11.05.2012, Az.: 4 O 144/12; LG Limburg, Beschluss vom 14.12.2010, Az.: 2 O 75/10).
14e. Der Verweis der Klägerin auf das europäische Zivilverfahrensrecht, welches keine Differenzierung zwischen Wohnsitz und Sitz kennt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Regelung des § 215 VVG wurde durch den deutschen Gesetzgeber geschaffen, der eine solche Unterscheidung kennt und diese auch umsetzt, wie in § 12 ZPO und § 17 ZPO geschehen. Das europarechtliche Verständnis des „Wohnortes“ ist insofern nicht maßgeblich.
153. Aus den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten lässt sich ebenfalls keine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Aachen ableiten.
16a. Soweit sich die Klägerin auf die Allgemeine Kundeninformation sowie den ersten Absatz von Abschnitt B § 21, Seite 47 bezieht, so ist dort nur der Gesetzeswortlaut aus § 215 VVG wiedergegeben. Insofern gilt das oben unter Ziffer 1 und 2 Ausgeführte entsprechend. Die Regelung gilt nur im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer. Eine andere Beurteilung der Auslegung ergibt sich nicht daraus, dass es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Unabhängig davon, ob § 305c Abs. 2 BGB auf die deklaratorische Wiederholung des Gesetzeswortlauts überhaupt anwendbar ist, bestehen keine Zweifel bei der Auslegung. Entsprechend der oben unter Ziffer 2 dargestellten Auslegung führt diese dazu, dass die Regelung nicht auf juristische Personen anwendbar ist.
17b. Soweit sich die Klägerin auf den zweiten Absatz von Abschnitt B § 21, Seite 47 beruft, ist dieser nicht einschlägig, da danach die Ansprüche an dem Sitz oder der Niederlassung des Gewerbebetriebes geltend gemacht werden können. Es handelt sich jedoch weder bei der Klägerin noch bei der Versicherungsnehmerin um einen Gewerbebetrieb
184. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Aachen ergibt sich auch nicht aus § 32 ZPO. Danach ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Zwar geht die Klägerin insofern aus eigenem Recht vor, da sie eine Eigentumsverletzung geltend macht. Jedoch hat die Klägerin nicht dargelegt, welche Verletzungshandlung sie der Beklagten insofern vorwirft. Die Klägerin stützt sich in ihrer Klageschrift darauf, dass die Beklagte sachwidrige Weisungen dahingehend erteilt habe, dass die begonnenen Sanierungsmaßnahmen eingestellt werden und nicht mehr aufgenommen werden sollen. Darin könnte aber allenfalls eine Verletzung vertraglicher Verbindlichkeiten bestehen. Insofern ist § 32 ZPO jedoch nicht einschlägig (vgl. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 30 Aufl. 2014, § 32 Rn. 12). Weitere Tatsachen, woraus sich eine im Gerichtsbezirk des Landgerichts Aachen begangene unerlaubte Handlung der Beklagten ergeben sollte, hat die Klägerin nicht schlüssig vorgetragen.
19Maßgebend ist daher der allgemeine Gerichtsstand gem. § 17 ZPO am Sitz der Beklagten in Köln, wohin der Rechtsstreit auf den Hilfsantrag der Klägerin zu verweisen war.
20Aachen, 11.05.2015
219. Zivilkammer
22C Vorsitzender Richter am Landgericht |
Prof. Dr. U2 Richter am Landgericht |
U3 Richterin |
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ZPO § 12 Allgemeiner Gerichtsstand; Begriff 1x
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 O 144/12 2x
- BGB § 305c Überraschende und mehrdeutige Klauseln 1x
- § 215 VVG 11x (nicht zugeordnet)
- 2 O 75/10 2x (nicht zugeordnet)
- § 48 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- 5 O 406/10 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 32 Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung 2x
- BGB § 13 Verbraucher 1x
- ZPO § 29c Besonderer Gerichtsstand für Haustürgeschäfte 2x
- ZPO § 17 Allgemeiner Gerichtsstand juristischer Personen 3x