Beschluss vom Landgericht Arnsberg - 5 T 238/21
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 10.09.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Schmallenberg vom 13.07.2021 (2 XVII 19/02) dahingehend abgeändert, dass die aus der Landeskasse an die die Betreuerin L zu zahlende Vergütung für den Zeitraum 01.04.2021 bis 30.06.2021 auf 513,00 EUR festgesetzt wird.
Die Gerichtskosten des Verfahrens werden der Staatskasse auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: 207,00 EUR
1
Gründe:
2I.
3Die Beschwerdeführerin ist langjährige gesetzliche Betreuerin des Herrn T, der wegen einer paranoiden Schizophrenie in der Einrichtung „B“ lebt. Bei dieser Einrichtung handelt es sich um eine besondere Wohnform der Eingliederungshilfe im Sinne des § 42a Abs. 2 A. 1 Nr. 2 SGB XII in Trägerschaft des U Der insoweit mit dem U abgeschlossene Vertrag wurde zur Umsetzung der gesetzlichen Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) zum 01.01.2020 mit Vertrag vom 16.12.2019 neu gefasst. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Eingliederungshilfe (Bl. 449-470 des Vergütungshefts) Bezug genommen.
4Da der Betreute mittellos ist, wird die Vergütung des Beschwerdeführers von der Staatskasse gezahlt.
5Die Beschwerdeführerin beantragte in ihrem Vergütungsantrag vom 30.06.2021 für den Zeitraum vom 01.04.2021 bis 30.06.2021 eine Vergütung von insgesamt 513,00 EUR durch die Staatskasse und gab dabei an, der Betreute lebe in einer „stationären Einrichtung/gleichgest. amb. betreute Wohnform/Heim AWG“.
6Mit Schreiben vom 12.07.2021 beantragte die Beschwerdeführerin mit Verweis auf den derzeit gültigen „Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Eingliederungshilfe“ die förmliche Festsetzung der Betreuervergütung.
7Das Amtsgericht hat mit angefochtenen Beschluss vom 13.07.2021 für den Abrechnungszeitraum eine Betreuervergütung i.H.v. 306,00 EUR festgesetzt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Betroffene in einer stationären Einrichtung im Sinne des § 5 Abs. 3 VBVG lebe.
8Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit der Erinnerung vom 19.07.2021. Zur Begründung führt sie aus, dass der Betroffene nicht in einer stationären Einrichtung und auch nicht in einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform i.S.v. § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 S. 3 VBVG, sondern in einer „anderen Wohnform“ lebe. Im Rahmen der vereinbarten Leistungsgewährungen der Eingliederungshilfe nach dem zweiten Teil des SGB IX lebe er mit zwei Mitbewohnern in einer Außenwohngruppe. Es handele sich um eine abgeschlossene Wohnung im Hause C x in D. Ihm würden entgeltlich ein Zimmer sowie die Nutzung der Gemeinschaftsräume überlassen. Der Betroffene nehme Fachleistungen der Eingliederungshilfe nach Teil II des Neunten Sozialgesetzbuches in Anspruch. Er versorge sich selbst. Im Rahmen der Fachleistungsstunden nehme er u.a. pädagogische Unterstützungsleistungen bei Körperpflege, Hauswirtschaft, der Geldeinteilung sowie allgemein im Umgang mit Eigentum in Anspruch. Von U würden einfache ärztlich verordnete behandlungspflegerische Maßnahmen erbracht. Hinsichtlich erforderlicher therapeutischer Maßnahmen sei U bei der Vermittlung von externen Dienstleistern behilflich. U halte keine „Rund- um- die Uhr-Versorgung“ in der Außenwohngruppe vor. Die für die Unterstützung zuständigen Fachkräfte seien nicht ständig, sondern nur bei Bedarf in der Wohngruppe anwesend. Darüber hinaus bestehe nur ein Notfalldienst in Form einer Rufbereitschaft. Der BGH habe in seiner Entscheidung vom 05.05.2021 festgestellt, dass diese Umstände einer Rund-um-die-Uhr –Versorgung i.S.d. § 5 Abs. 3 S. 3 VBVG nicht gleich kommen würden.
9Die angehörte Vertreterin der Landeskasse bezieht sich auf den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 24.06.2021 (Az. I-5 T 83/21) und vertritt die Auffassung, dass die Eingliederungshilfe der Legaldefinition des § 5 Abs. 3 Nr. 1 VBVG entspreche.
10Das Amtsgericht hat der Erinnerung mit Beschluss vom 09.08.2021 nicht abgeholfen und dem Abteilungsrichter zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss vom 27.08.2021 hat das Amtsgericht die Erinnerung zurückgewiesen und die Beschwerde zugelassen. Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10.09.2021 Beschwerde eingelegt.
11Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29.10.2021 nicht abgeholfen und sie dem Landgericht – Beschwerdekammer – zur Entscheidung vorgelegt.
12Den Verfahrensbeteiligten ist im Beschwerdeverfahren noch einmal Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben worden, wovon die Beschwerdeführerin Gebrauch gemacht hat.
13II.
14Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig und begründet.
15Die Beschwerde ist statthaft, da die diese in dem angefochtenen Beschluss gem. § 61 Abs. 3 FamFG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen wurde.
16Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.
17Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
18Die Vergütung der Beteiligten zu 2) ist für den Zeitraum vom 01.04.2021 bis 30.06.2021 auf 513,00 EUR festzusetzen.
19Der Vergütungsanspruch ergibt sich nach Grund und Höhe aus den §§ 1908i, 1836 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. §§ 4, 5a des Vormünder und- Betreuervergütungsgesetzes (VBVG).
20Die einem Betreuer zu bewilligende Vergütung ist gem. § 4 Abs. 1 VBVG nach monatlichen Fallpauschalen zu bestimmen, die in den Vergütungstabellen A bis C der Anlage festgelegt werden. Die Vergütung der Beteiligten zu 2) richtet sich – wie vom Amtsgericht bereits bei der Festsetzung der Vergütung zugrunde gelegt wurde – nach der Vergütungstabelle C. Aufgrund ihres Abschlusses zur Diplom-Sozialpädagogin erfüllt die Beteiligte zu 2) die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG für eine Vergütung nach der Vergütungstabelle C.
21Die Höhe der Fallpauschalen richtet sich gem. § 5 Abs. 1 nach der Dauer der Betreuung, dem gewöhnlichen Aufenthaltsort und dem Vermögensstatuts des Betreuten.
22Bei der Höhe der der Beteiligten zu 2) zu vergütenden Fallpauschale ist zu berücksichtigen, dass die Betreuung bereits am 01.01.1992 angeordnet worden ist, sodass die Dauer der Betreuung 25 Monate überschreitet, § 5 Abs. 2 S. 1 VBVG.
23Weiter ist bei der Bemessung der Fallpauschale der gewöhnliche Aufenthalt des Betreuten maßgeblich, § 5 Abs. 1 Nr. 2 VBVG. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Betreuten ist wiederum zwischen stationären Einrichtungen und diesen nach § 5 Abs. 3 S. 3 VBVG gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen einerseits und anderen Wohnformen andererseits zu unterscheiden.
24Stationäre Einrichtung im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 VBVG sind Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung oder Pflege zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 VBVG sind ambulant betreute Wohnformen entgeltliche Angebote, die dem Zweck dienen, Volljährigen das Leben in einem gemeinsamen Haushalt oder einer Wohnung bei gleichzeitiger Inanspruchnahme extern angebotener entgeltlicher Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege zu ermöglichen. Sie sind stationären Einrichtungen dann gleichgestellt, wenn die in der ambulant betreuten Wohnform extern angebotenen Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege als Rund- um- die- Uhr- Versorgung durch professionelle Betreuungs- oder Pflegekräfte zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden und der Anbieter der extern angebotenen Betreuungs- und Pflegeleistungen nicht frei wählbar ist.
25Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts handelt es sich bei der Außenwohngruppe, in welcher der Betreute lebt, nicht um eine stationäre Einrichtung oder einer dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform entsprechend der vorgenannten Legaldefinition. Vielmehr war bei der Bemessung der Fallpauschale zugrunde zu legen, dass die Außenwohngruppe als sonstige Wohnform einzuordnen ist.
26Ist im Einzelfall zweifelhaft, welcher Wohnform des § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen entspricht, ist dem durch eine teleologische Auslegung der Vorschrift zu begegnen. Da dem Gesetz die Vorstellung zugrunde liegt, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim bzw. in einer ambulant betreuten Wohnform lebt, ist für die Auslegung entscheidend, ob die in der Einrichtung angebotenen Versorgungs- und Pflegeleistungen generell geeignet sind, einem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abzunehmen (BGH, Beschluss v. 05.05.2021 – XII ZB 580/20 = BeckRS 2021, 14454; BGH, Beschluss v. 02.06.2021 – XII ZB 582/20 = BeckRS 2021. 22331). Unter Anwendung dieser Grundsätze kann vorliegend nicht angenommen werden, dass es sich bei dem von dem Betroffenen angemieteten Zimmer in der Außenwohngruppe um eine stationäre Einrichtung bzw. dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform handelt, weil von dem Träger der Einrichtung tatsächliche Betreuung oder Pflege nicht in dem Maß zur Verfügung gestellt oder vorgehalten wird, sodass dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abgenommen wird. Die Leistungen, die der Betreute aufgrund des mit dem U geschlossenen Vertrags zusteht, beschränken sich auf die Überlassung eines Zimmers in einer Außenwohngruppe verbunden mit Assistenzleistungen, welche – je nach Bedarf – von der Motivation bis zur stellvertretenden Ausführung reichen. Seitens der Einrichtung werden körperbezogene Pflegeleistungen sowie behandlungspflegerische Maßnahmen übernommen, soweit diese keine besonderen medizinischen Fachkenntnisse erfordern. Bei Bedarf ist das U bei der Vermittlung erforderlicher therapeutischer Hilfen behilflich. Das U erbringt Fachleistungen im Rahmen der Hauswirtschaft – je nach Bedarf- als Assistenzleistungen oder übernimmt diese vollständig. Zudem umfassen die Pflegeleistungen die Zubereitung und Bereitstellung von Mahlzeiten, Wäscheversorgung, Reinigung von Privatwäsche sowie die Grundreinigung des persönlichen Wohnraums und der Gemeinschaftsräumlichkeiten.
27Zwar verkennt die Kammer nicht, dass in einem erheblichen Umfang Leistungen angeboten werden, die dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten erleichtern. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Einordnung als stationären Einrichtung oder einer solchen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform aber entscheidend, dass der Träger der Einrichtung eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Außenwohngruppe vorhält. Dafür genügt es nicht, dass die für die Unterstützung der Bewohner zuständigen Fachkräfte während der üblichen Büroöffnungszeiten in der Einrichtung anwesend sind und darüber hinaus nur ein Notfalldienst in Form einer Rufbereitschaft besteht, da die Betreuten gerade nicht auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen können, wie es in einer stationären oder gleichgestellten Einrichtung möglich wäre (BGH, Beschluss v. 05.05.2021 – XII ZB 580/20 = BeckRS 2021, 14454; BGH, Beschluss v. 02.06.2021 – XII ZB 582/20 = BeckRS 2021, 22331). So ist es hier. Der U hält gerade keine Rund-um- die- Uhr- Versorgung in der Außenwohngruppe „B“ vor. Die für die Unterstützung zuständigen Fachkräfte sind nicht ständig, sondern nur bei Bedarf in der Außenwohngruppe anwesend, da das Konzept der Wohngruppe nach den Angaben des U auf die Verselbständigung der Klienten ausgerichtet ist und darauf abzielt, auf das Leben außerhalb des Sozialwerks vorzubereiten. Darüber hinaus besteht nur ein Notfalldienst in Form einer Rufbereitschafts, sodass der Betreute vorliegend gerade nicht zu jeder Zeit auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen kann.
28Der Betreute war schließlich nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts im Vergütungszeitraum mittelos, § 5 Abs. 4 VBVG.
29Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG i.V.m. Nr. C 5.2.1 der Vergütungstabelle C beträgt die einem Betreuer zu bewilligende monatliche Fallpauschale, wenn der Betreute – wie hier – seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einer stationären Einrichtung oder einen solchen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform hat, ab dem 25. Monat der Betreuung für einen vermögenslosen Betreuten 171,00 EUR. Für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 01.04.2021 bis 30.06.2021 ergibt sich somit eine festzusetzende Vergütung von 513,00 EUR.
30III.
31Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 80, 81 Abs. 1 FamFG.
32Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen einer Zulassung nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die für die Abgrenzung zwischen stationären Einrichtungen und diesen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen sowie anderen Wohnformen wesentlichen Punkte sind inzwischen durch die obergerichtliche Rechtsprechung entschieden.
33Rechtsbehelfsbelehrung:
34Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht gegeben. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
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