Beschluss vom Landgericht Arnsberg - 5 T 123/22
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 09.06.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg vom 02.05.2022 (24 XVII 74/14) dahingehend abgeändert, dass die aus der Landeskasse an die Betreuerin C K zu zahlende Vergütung für den Zeitraum vom 23.06.2021 bis zum 22.03.2022 auf 1539 € festgesetzt wird.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt.
Beschwerdewert: 621 €
1
Gründe:
2I.
3Die Beschwerdeführerin ist langjährige gesetzliche Betreuerin des Beteiligten zu 1), der wegen einer paranoiden Schizophrenie in einer Außenwohngruppe des T e.V. in B lebt. Bei dieser Einrichtung handelt es sich um eine besondere Wohnform der Eingliederungshilfe im Sinne des § 42a Abs. 2 A. 1 Nr.2 SGB XII in Trägerschaft des T e.V. Der insoweit mit dem T abgeschlossene Vertrag wurde zur Umsetzung der gesetzlichen Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) zum 01.01.2020 mit Vertrag vom 18.12.2019 neu gefasst. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Eingliederungshilfe (Bl. 125 ff. des Vergütungsheftes) Bezug genommen.
4Da der Betreute mittellos ist, wird die Vergütung der Beschwerdeführerin von der Staatskasse bezahlt.
5Die Beschwerdeführerin beantragte mit ihrem Antrag vom 22.09.2021 eine Vergütung für den Zeitraum vom 23.06. bis 22.09.2021 von insgesamt 513 € aus der Staatskasse und gab dabei an, der Betreute lebe in einer „anderen Wohnform“.
6Mit Schreiben vom 22.12.2021 beantragte sie für den Zeitraum vom 23.09. bis 22.12.2021 und mit Schreiben vom 22.03.2022 für den Zeitraum vom 23.12.2021 bis zum 22.03.2022 jeweils eine Vergütung von insgesamt 513 € aus der Staatskasse.
7Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss vom 02.05.2022 für den gesamten Abrechnungszeitraum vom 23.06.2021 bis zum 22.03.2022 eine Betreuervergütung in Höhe von insgesamt 918 € festgesetzt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Betroffene lebe in einer der stationären Einrichtung gleichgestellten Wohnform - wie dies die Beschwerdekammer des Landgerichts in einem gleich gelagerten Fall mit Beschluss vom 24.06.2021 (I-5 T 83/21) entschieden habe.
8Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde vom 09.06.2022. Zur Begründung führt sie aus, der Betroffene lebe weder in einer stationären Einrichtung noch in einer der stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform im Sinne von § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 S. 3 VBVG, sondern in einer „anderen Wohnform“. Zur Begründung führt sie aus, der Betroffene lebe in der Außenwohngruppe in einem eigenen Zimmer, welches er selbst aufzuräumen und zu putzen habe. Der Betroffene werde nur dort unterstützt, wo es notwendig sei. Die Unterstützung erfolge als Assistenz und werde nicht von den Mitarbeitern des T übernommen. Der Betroffene werde durch Heil- und Erziehungspfleger unterstützt, welche gerade keine Fachkräfte seien.
9Die ärztliche und medizinisch-pflegerische Versorgung des Betroffenen sei in Absprache mit ihm und der Bezugsbetreuerin des T durch die Betreuerin zu organisieren. Das Konzept der Außenwohngruppe sei auf die Verselbständigung der Klienten ausgerichtet und ziele auf das Leben außerhalb des T ab.
10Die Mitarbeiter des T e.V. befänden sich nicht ständig vor Ort, sondern kämen lediglich zweimal täglich vorbei. Das T halte keine Rund-um-die-Uhr-Versorgung der Bewohner der externen Wohngruppe vor. Der Betroffene könne nicht auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen, wie es ihm in einer stationären oder gleichgestellten Einrichtung möglich wäre.
11Der Bundesgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 16.06.2021 (XII ZB 46/21) festgestellt, dass ambulant betreute Wohnformen den stationären Einrichtungen nur dann gleichgestellt werden sollten, wenn der Anbieter der umfassenden Pflege- und Betreuungsleistungen nicht frei wählbar sei und eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Pflegekräfte oder Betreuungskräfte vorgehalten werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
12Der angehörte Vertreter der Landeskasse bezieht sich auf den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 24.06.2021 (I-5 T 83/21) und vertritt die Auffassung, dass die Eingliederungshilfe der Legaldefinition des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 VBVG entspreche.
13Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 15.07.2022 nicht abgeholfen und sie dem Landgericht Arnsberg - Beschwerdekammer- zur Entscheidung vorgelegt.
14Im Beschwerdeverfahren ist den Beteiligten noch einmal Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben worden, von der sie jedoch keinen Gebrauch gemacht haben.
15II.
16Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig und begründet und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
171.
18Die Beschwerde ist gemäß § 61 Abs. 1 FamFG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € übersteigt. Darüber hinaus ist die Beschwerde auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.
192.
20Die Beschwerde hat darüber hinaus in vollem Umfang Erfolg.
21Die Vergütung der Beteiligten zu 2) ist für den Zeitraum vom 23.06.2021 bis zum 22.03.2022 auf insgesamt 1539 € festzusetzen.
22Der Vergütungsanspruch ergibt sich nach Grund und Höhe aus den §§ 1908i, 1836 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. §§ 4, 5a des Vormünder und- Betreuervergütungsgesetzes (VBVG).
23Die einem Betreuer zu bewilligende Vergütung ist gem. § 4 Abs. 1 VBVG nach monatlichen Fallpauschalen zu bestimmen, die in den Vergütungstabellen A bis C der Anlage festgelegt werden. Die Vergütung der Beteiligten zu 2) richtet sich – wie vom Amtsgericht bereits bei der Festsetzung der Vergütung zugrunde gelegt wurde – unstreitig nach der Vergütungstabelle C.
24Die Höhe der Fallpauschalen richtet sich gem. § 5 Abs. 1 nach der Dauer der Betreuung, dem gewöhnlichen Aufenthaltsort und dem Vermögensstatuts des Betreuten.
25Bei der Höhe der der Beteiligten zu 2) zu vergütenden Fallpauschale ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin die Betreuung bereits seit September 2014 führt, sodass die Dauer der Betreuung 25 Monate überschreitet, § 5 Abs. 2 S. 1 VBVG.
26Weiter ist bei der Bemessung der Fallpauschale der gewöhnliche Aufenthalt des Betreuten maßgeblich, § 5 Abs. 1 Nr. 2 VBVG. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Betreuten ist wiederum zwischen stationären Einrichtungen und diesen nach § 5 Abs. 3 S. 3 VBVG gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen einerseits und anderen Wohnformen andererseits zu unterscheiden.
27Stationäre Einrichtung im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 VBVG sind Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung oder Pflege zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 VBVG sind ambulant betreute Wohnformen entgeltliche Angebote, die dem Zweck dienen, Volljährigen das Leben in einem gemeinsamen Haushalt oder einer Wohnung bei gleichzeitiger Inanspruchnahme extern angebotener entgeltlicher Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege zu ermöglichen. Sie sind stationären Einrichtungen dann gleichgestellt, wenn die in der ambulant betreuten Wohnform extern angebotenen Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege als Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Betreuungs- oder Pflegekräfte zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden und der Anbieter der extern angebotenen Betreuungs- und Pflegeleistungen nicht frei wählbar ist.
28Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts handelt es sich bei der Außenwohngruppe, in welcher der Betreute lebt, nicht um eine stationäre Einrichtung oder einer dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform entsprechend der vorgenannten Legaldefinition. Vielmehr war bei der Bemessung der Fallpauschale zugrunde zu legen, dass die Außenwohngruppe als sonstige Wohnform einzuordnen ist.
29Insoweit hält die Kammer an ihrer in einem gleich gelagerten Beschwerdeverfahren (I-5 T 83/21), welches einen identischen Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Eingliederungshilfe des T betraf, geäußerten Rechtsauffassung im Beschluss vom 24.06.2021 nicht mehr fest. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung waren der Kammer die Beschlüsse des Bundesgerichtshofes vom 02.06.2021 (XII ZB 582/21) und vom 16.06.2021 (XII ZB 46/21) noch nicht bekannt.
30Ist im Einzelfall zweifelhaft, welcher Wohnform des § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen entspricht, ist dem durch eine teleologische Auslegung der Vorschrift zu begegnen. Da dem Gesetz die Vorstellung zugrunde liegt, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim bzw. in einer ambulant betreuten Wohnform lebt, ist für die Auslegung entscheidend, ob die in der Einrichtung angebotenen Versorgungs- und Pflegeleistungen generell geeignet sind, einem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abzunehmen (BGH, Beschluss v. 05.05.2021 – XII ZB 580/20 = BeckRS 2021, 14454; BGH, Beschluss v. 02.06.2021 – XII ZB 582/20 = BeckRS 2021. 22331). Unter Anwendung dieser Grundsätze kann vorliegend nicht angenommen werden, dass es sich bei dem von dem Betroffenen angemieteten Zimmer in der Außenwohngruppe um eine stationäre Einrichtung bzw. dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform handelt, weil von dem Träger der Einrichtung tatsächliche Betreuung oder Pflege nicht in dem Maß zur Verfügung gestellt oder vorgehalten wird, sodass dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abgenommen wird. Die Leistungen, die der Betreute aufgrund des mit dem T e.V. geschlossenen Vertrags zusteht, beschränken sich auf die Überlassung eines Zimmers in einer Außenwohngruppe verbunden mit Assistenzleistungen, welche – je nach Bedarf – von der Motivation bis zur stellvertretenden Ausführung reichen. Seitens der Einrichtung werden körperbezogene Pflegeleistungen sowie behandlungspflegerische Maßnahmen übernommen, soweit diese keine besonderen medizinischen Fachkenntnisse erfordern. Bei Bedarf ist das T bei der Vermittlung erforderlicher therapeutischer Hilfen behilflich. Das T erbringt Fachleistungen im Rahmen der Hauswirtschaft – je nach Bedarf- als Assistenzleistungen oder übernimmt diese vollständig. Zudem umfassen die Pflegeleistungen die Zubereitung und Bereitstellung von Mahlzeiten, Wäscheversorgung, Reinigung von Privatwäsche sowie die Grundreinigung des persönlichen Wohnraums und der Gemeinschaftsräumlichkeiten.
31Zwar verkennt die Kammer nicht, dass in einem erheblichen Umfang Leistungen angeboten werden, die dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten erleichtern. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Einordnung als stationären Einrichtung oder einer solchen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform aber entscheidend, dass der Träger der Einrichtung eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Außenwohngruppe vorhält. Dafür genügt es nicht, dass die für die Unterstützung der Bewohner zuständigen Fachkräfte während der üblichen Büroöffnungszeiten in der Einrichtung anwesend sind und darüber hinaus nur ein Notfalldienst in Form einer Rufbereitschaft besteht, da die Betreuten gerade nicht auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen können, wie es in einer stationären oder gleichgestellten Einrichtung möglich wäre (BGH, Beschluss v. 05.05.2021 – XII ZB 580/20 = BeckRS 2021, 14454; BGH, Beschluss v. 02.06.2021 – XII ZB 582/20 = BeckRS 2021, 22331). So ist es hier. Der T e.V. hält gerade keine Rund-um- die-Uhr-Versorgung in der Außenwohngruppe in B vor. Die für die Unterstützung zuständigen Fachkräfte sind nicht ständig, sondern nur zweimal täglich in der Außenwohngruppe anwesend, da das Konzept der Wohngruppe nach den Angaben des T e.V. auf die Verselbständigung der Klienten ausgerichtet ist und darauf abzielt, auf das Leben außerhalb des T vorzubereiten.
32Der Betreute war schließlich nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts im Vergütungszeitraum mittelos, § 5 Abs. 4 VBVG.
33Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG i.V.m. Nr. C 5.2.1 der Vergütungstabelle C beträgt die einem Betreuer zu bewilligende monatliche Fallpauschale, wenn der Betreute – wie hier – seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einer stationären Einrichtung oder einen solchen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform hat, ab dem 25. Monat der Betreuung für einen vermögenslosen Betreuten 171,00 EUR. Für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 23.06.2021 bis 22.03.2022 ergibt sich somit eine festzusetzende Vergütung von 1539 €.
34III.
35Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 80, 81 Abs. 1 FamFG.
36Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen einer Zulassung nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die für die Abgrenzung zwischen stationären Einrichtungen und diesen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen sowie anderen Wohnformen wesentlichen Punkte sind inzwischen durch die obergerichtliche Rechtsprechung entschieden.
37Rechtsbehelfsbelehrung:
38Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht gegeben. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
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