Urteil vom Landgericht Bielefeld - 6 O 385/15
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.500,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.05.2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den außergerichtlichen Gebührenforderungen der T. Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, i.H.v. 413,64 € freizustellen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 120,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 60,00 € seit dem 17.12.2015 und aus weiteren 60,00 € seit dem 06.10.2016 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen und derzeit nicht absehbaren immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 17.02.2015 in H. zu erstatten, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 65 % und die Beklagte zu 35 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld aus Amtspflichtverletzung wegen eines Sturzes am 17.02.2015 in der H.er Innenstadt.
3Ende 2014 errichtete die Beklagte auf dem C.er Platz in der H.er Fußgängerzone eine Stufenanlage, auf der sich auf einer Art Podest ein Wasserband befindet. Vom Juwelier D. aus kommend, beginnt dieses Podest ebenerdig, es fällt in Richtung des Kaufhauses L. zu beiden Seiten über die gesamte Länge und am Ende durch Stufen ab. D.h. auf drei Seiten des Podestes befinden sich jeweils drei Stufen. Links-und rechtsseitig der Anlage, vom Kaufhaus L. aus betrachtet, verjüngen sich die Stufen und laufen in Richtung L.straße komplett aus. Die Stufen und das Platzpflaster sind aus Granit, die Stufen sind dabei dunkler als das Pflaster des C.er Platzes unterhalb der Stufen.
4Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass in den Monaten nach Anlegung der Stufenanlage jedenfalls vor dem Sturz der Klägerin mehrere Passanten in diesem Bereich stürzten, worüber auch in der lokalen Presse berichtet wurde.
5Der 17.02.2015, der Unfalltag, war ein Markttag. D.h. auf dem C.er Platz waren Marktstände aufgebaut. Die Klägerin ging an diesem Tag gegen 10:45 Uhr aus Richtung des Juweliers D. kommend in Richtung des Kaufhauses L.. Sie nahm hierzu ihren Weg über das Podest und wollte es über die Stufen wieder verlassen. Im letzten Drittel des Podestes stürzte die Klägerin auf der dritten und letzten Stufe der Treppenanlage. Die Klägerin hatte die Treppenanlage an sich wahrgenommen. Die ersten beiden Stufen hatte sie gesehen, die dritte Stufe übersah sie jedoch und stürzte zu Boden. In dem Bereich, in dem die Klägerin stürzte, beträgt der Versatz der untersten Stufe lediglich 4 cm. Die beiden oberen Stufen weisen ein Versatz von 11 cm aus.
6Bei dem Sturz zog sich die Klägerin eine dislozierte Radiusmehrfragmentextensionsfraktur rechts zu. Sie wurde noch am Tag des Sturzes im St. Elisabeth Hospital in H. behandelt, konnte aber nicht sofort operiert werden, weil das Handgelenk zunächst abschwellen musste. Am 23.02.2015 wurde die Klägerin stationär aufgenommen und operiert. Sie blieb bis zum 02.03.2015 in stationärer Behandlung.
7Im Anschluss musste die Klägerin für vier Wochen eine Schiene tragen. Nach der Operation war die Hand stark geschwollen, was zu einer erheblichen Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit sowie der Streckung und Beugung der Hand-und Fingergelenke führte. Vom 17.02.2015 bis zum 30.03.2015 war die Klägerin zu 100 % erwerbsgemindert. Inwieweit darüber hinaus eine Erwerbsminderung der Klägerin bestand, ist zwischen den Parteien streitig. Es besteht seit dem Unfall eine Einschränkung der Palmarflexion und der Dorsalflexion der rechten Hand sowie eine deutliche Knochenauftreibung über dem ulnaren Handgelenk. Die grobe Kraft der rechten Hand endgradig ist eingeschränkt. Bei intensiver Bewegung und Belastung hat die Klägerin noch Schmerzen.
8Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.05.2015 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten ein Schmerzensgeld i.H.v. 4.000,00 € geltend und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 26.05.2015.
9Die Klägerin holte bezüglich der Verletzungsfolgen zwei ärztliche Befundberichte vom 30.03.2015 und vom 22.09.2016 ein. Hierfür entstanden jeweils Kosten i.H.v. 60,00 €, die sie mit den Klageanträgen zu 3) und 5) geltend macht.
10Die Klägerin hat zunächst in der Klageschrift die Ansicht vertreten, ihr stehe ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 4.000,00 € zu. Nunmehr ist die Klägerin auf der Grundlage des ärztlichen Befundberichtes vom 22.09.2016 der Ansicht, ein Schmerzensgeld sei in Höhe von mindestens 12.000,00 € angemessen.
11Die Klägerin behauptet, der damalige Behindertenbeauftragte der Stadt H. sei in die Planung des Wasserbandes und der Stufenanlage nicht einbezogen gewesen.
12Zu den Verletzungsfolgen behauptet sie, bei ihr habe unfallbedingt über den 30.03.2015 hinaus eine 100-prozentige Minderung der Erwerbsfähigkeit bis zum 31.12.2015 bestanden. Vom 01.01.2016 an betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit bis heute 30 %. Mit einer vollständigen Wiederherstellung sei nicht zu rechnen. Die haushaltsspezifische Minderung der Erwerbsfähigkeit habe noch bis zum 15.04.2015 100% betragen, vom 16.04.2015 bis zum 15.05.2015 30 % und vom 16.05.2015 bis 16.06.2015 30%.
13Mit der am 03.08.2015 zugestellten Klage beantragt die Klägerin,
141. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.05.2015 zu zahlen.
152. die Beklagte zu verurteilen, sie von den außergerichtlichen Gebührenforderungen der T., Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB freizustellen, somit i.H.v. 413,64 €
16In der mündlichen Verhandlung vom 16.12.2015 hat die Klägerin die Klage um die Anträge erweitert,
173. die Beklagte zu verurteilen, an sie 60,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
184. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr, der Klägerin, sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 17.02.2015 in H. zu erstatten, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
19In der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2016 hat die Klägerin ihre Klage weiter um den Antrag erweitert,
205. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 60,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe ihre Verkehrssicherungspflichten bei der Planung der Treppenanlage nicht verletzt. Hierzu behauptet sie, der für die Umsetzung der Planung bei ihr zuständige Fachbereich Grünflächen habe bei der Planung der Umgestaltung des C.er Platzes alle Regeln der Technik eingehalten. Die realisierte Planung entspreche den einschlägigen DIN-Vorschriften. Die unterschiedliche Stufenhöhe stelle für den normalaufmerksamen Passanten keine über die Treppenanlage als solche hinausgehende Gefahrenquelle dar. Der Sturz der Klägerin beruhe nicht auf mangelnder Wahrnehmbarkeit der Treppenanlage, sondern auf schlichter Unaufmerksamkeit der Klägerin.
24Wegen des weiteren Sach-und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
25Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und mündliche Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Gutachten des Sachverständigen H. vom 29.04.2016 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2016.
26Entscheidungsgründe:
27Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
28I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der mit dem Antrag zu 4) gestellte Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Das Feststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich aus drohender Verjährung. Es genügt für die Zulässigkeit, dass künftige Schäden mindestens entfernt möglich sind. Dies ist der Fall. Es ist insbesondere nicht absehbar, ob weitere operative Behandlungen notwendig werden.
29II. Die Klage ist teilweise begründet.
301. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1) in Höhe von 3.500,00 € begründet.
31Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schmerzensgeld in dieser Höhe aus §§ 839, 253 BGB, Art. 34 GG.
32a) Die Beklagte hat bei der Planung der Stufenanlage ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Die Stufenanlage stellte in dem Bereich, in dem die Klägerin gestürzt ist, eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar.
33Gebietskörperschaften haben bezüglich der ihrem Verantwortungsbereich unterfallenden Verkehrsflächen tunlichst darauf hinzuwirken, dass Verkehrsteilnehmer nicht zu Schaden kommen. Dabei müssen sie als Sicherungspflichtige allerdings nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorkehrungen treffen. Eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, ist praktisch nicht erreichbar. Vorsorgemaßnahmen sind nur dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung anderer ergibt (BGH, Urteil vom 15.04.1975 - VI ZR 19/74 juris Rn. 8). Dies ist dann zu bejahen, wenn eine Gefahrenquelle trotz Anwendung der von den Verkehrsteilnehmern zu erwartenden eigenen Sorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar ist oder diese sich auf die Gefahrenlage nicht rechtzeitig einstellen können. Dabei ist die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen ganz maßgeblich durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt. Diese orientieren sich wesentlich an dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsflächen und der Verkehrsbedeutung (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006 - 9 U 143 / 05).
34Wendet man diese Maßstäbe auf den Streitfall an, so ist die Stufenanlage an der Stelle, an der die Klägerin stürzte, eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle. Denn sie ist für die sich dort bewegenden Fußgänger bei Anwendung der von Ihnen zu erwartenden Eigensorgfalt nicht ohne weiteres beherrschbar.
35Die letzte Stufe der Stufenanlage ist an der Unfallstelle aus der Draufsicht von oben nur sehr schwer erkennbar. Dies lässt sich insbesondere auf den Fotos Nr. 13 und 14 im Sachverständigengutachten erkennen. Aber auch das von der Beklagten eingereichte Foto der Stufenanlage (Bl. 171 d.A) führt zu keiner anderen Bewertung. Alleine der Unterschied der Gesteinsfarbe zwischen den Treppenstufen und dem darunter befindlichen Pflaster des Platzes führt nicht zu einer ausreichenden Erkennbarkeit. Bei genauem Hinsehen lässt sich zwar erkennen, dass der Granitstein der Treppe in einem gräulicheren Ton gehalten ist als das Pflaster des Platzes. Besonders kontrastreich ist die Farbgebung aber entgegen der Ansicht der Beklagten nicht. Vielmehr lässt die Farbgebung erkennen, dass aus gestalterischen Gründen hier miteinander gut harmonierende Farbtöne gewählt wurden. Diese Farbwahl geht ersichtlich zulasten der Erkennbarkeit der Stufen. Hinzu kommt, dass die unterste Stufe nur einen sehr geringe Höhe aufweist, was ihre Erkennbarkeit von oben noch erschwert. Auch die abweichende Verlegerichtung des Pflasters auf dem Platz führt nicht zu einer hinreichenden Erkennbarkeit der Stufe. Dies liegt unter anderem daran, dass sich unterhalb der Stufe noch eine Pflasterreihe befindet, die in derselben Richtung verlegt ist wie die Stufe und sich allein in Farbgebung und Größe der Platten von der Stufe unterscheidet.
36Entsprechend hat der Sachverständige in seinem Gutachten und in seiner mündlichen Anhörung überzeugend erläutert, dass durch die schlechte Erkennbarkeit der Stufen ein erhöhtes Risiko für Sturzunfälle besteht. Dieses erhöhte Unfallrisiko ist überdies auch durch die vor dem Sturz der Klägerin unstreitig geschehenen anderweitigen Stürze indiziert.
37Das Gericht verkennt bei dieser Bewertung nicht, dass sich die Stufe bei genauem Hinsehen des auf das Problem fixierten Betrachters sicher erkennen lässt. Jedoch ist bei der Bewertung der Erkennbarkeit in Rechnung zu stellen, dass die Aufmerksamkeit des Passanten in einer Fußgängerzone und insbesondere im Bereich eines Marktes abgelenkt ist. Hiermit muss die verkehrssicherungspflichtige Gemeinde rechnen. Fußgängerzonen wie auch Marktplätze lösen gesteigerte Anforderungen im Hinblick auf die Beschaffenheit des begehbaren Untergrunds aus (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006 - 9 U 143/06, NJW-RR 2006,110 0,1101; Urteil vom 07.05.1993 -9 U 227/92, juris). In solchen Bereichen kann seitens der verkehrssicherungspflichtigen Gemeinde nicht damit gerechnet werden, dass der Fußgänger auf jeden Schritt achtet. Im vorliegenden Fall standen in der Nähe der Unfallstelle unterhalb der Stufenanlage Marktstände. Diese stellten eine zusätzliche Ablenkung zu dem in einer Fußgängerzone ohnehin vorhandenen Ablenkungspotenzial dar.
38Bei der Bewertung der Erkennbarkeit der Stufe ist ferner zu berücksichtigen, dass es älteren Menschen und Menschen mit Sehschwäche schwerer fällt, so leichte Farbunterschiede zu erkennen, wie Stufe und Platzpflaster sie hier aufweisen. Die Klägerin gehört zu beiden genannten Personenkreisen. Auch und gerade auf diese Personenkreise muss die verkehrssicherungspflichtige Stadt bei der Gestaltung von Treppenanlagen Rücksicht nehmen.
39Die vorliegende Stufenanlage genügt nicht den maßgeblichen Sicherheitserwartungen des Verkehrs. Auch wenn, wie die Beklagte anhand vorgelegter Fotos vorträgt, in zahlreichen anderen deutschen Städten Stufenanlagen mit unterschiedlichen Stufenhöhen, die dem Gelände angepasst auslaufen, vorhanden sind, führt dies nicht zu der Annahme, dass die hier in Rede stehende Stufenanlage den Sicherheitserwartungen des Verkehrs genügt. Bei der Beurteilung dieser Frage muss die konkrete Gestaltung der jeweiligen Stufenanlage betrachtet werden. Die Treppenanlagen, von denen die Beklagte Fotos vorgelegt hat, weichen gestalterisch jedenfalls zu einem großen Teil wesentlich von der Stufenanlage in H. ab. So sind vielfach scharfe Kontraste zwischen Stufenfarbe und Farbe des sonstigen Platzpflaster gewählt, völlig unterschiedliche Pflasterungen gewählt und teilweise zusätzliche Markierungen angebracht (vgl. z.B. Bl. 71, Bl. 99, Bl.100 d.A.).
40Schließlich ist die Verletzung von DIN-Vorschriften keine Voraussetzung einer Verkehrssicherungspflichtverletzung. Insoweit ist unerheblich, ob die vom Sachverständigen angewandten Vorschriften auf die hier in Rede stehende Stufenanlage Anwendung finden und ob sie Schutzwirkung ausschließlich für behinderte Verkehrsteilnehmer oder auch für Nichtbehinderte entfalten.
41b) Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte war auch ursächlich für den Sturz der Klägerin. Die Beklagte hat die Darstellung des Sturzhergangs durch die Klägerin nicht bestritten. Danach stürzte die Klägerin zu Boden, weil sie die letzte Stufe nicht als solche erkannt hatte.
42c) Die Beklagte hat ihre Verkehrssicherungspflicht auch schuldhaft verletzt. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten war das Problem der Erkennbarkeit der Stufen Gegenstand des Abwägungsprozesses bei Planung der Stufenanlage. Die Beklagte war sich des Problems also durchaus bewusst. Sie hat sich dennoch - wohl aus gestalterischen Gründen - dafür entschieden, keine weiteren Maßnahmen zur besseren Erkennbarkeit der Stufen vorzunehmen. Es stehen nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen einfache und wenig aufwendige Maßnahmen zur Herstellung einer besseren Erkennbarkeit der Stufen zur Verfügung. Insbesondere hätte z.B. durch eine farblich abgesetzte Stufenmarkierung eine hinreichende Erkennbarkeit erreicht werden können, wie der Sachverständige auf Seite 14 seines Gutachtens ausführt.
43Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Behindertenbeauftragte der Stadt H. in die Planungen einbezogen war oder nicht und welche Stellungnahme er gegebenenfalls hierzu abgegeben hat. Selbst wenn der Behindertenbeauftragte einbezogen gewesen wäre und, wie die Beklagte behauptet, sich gegen taktile Aufmerksamkeitsfelder unmittelbar vor den Stufen ausgesprochen hätte, so würde dies die Beklagte nicht entlasten. Sie hätte dennoch erkennen können und müssen, dass alleine die Farbwahl und die Wahl der Verlegerichtung des Pflasters keine ausreichende Erkennbarkeit der Stufen gewährleisten.
44d) Der Klägerin ist kein Mitverschulden nach § 254 BGB anzurechnen. Das Gericht ist angesichts der schwierigen Erkennbarkeit der letzten Stufe davon überzeugt, dass der Sturz der Klägerin nicht, wie die Beklagte meint, auf schlichter Unaufmerksamkeit der Klägerin beruhte. Selbst wenn der Klägerin eine leichte Unaufmerksamkeit zur Last fallen sollte, so überwiegt in jedem Fall das Verschulden der Beklagten so weit, dass ein etwaiges klägerisches Mitverschulden vollständig dahinter zurücktritt.
45Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Vorwurf gegen die Beklagte nicht an ein Unterlassen in Form des Versäumnisses gebotener Sicherheitsvorkehrungen anknüpft, sondern an ein Gefahr verursachendes aktives und planvolles Handeln (vergleiche hierzu OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006 a.a.O.) Zulasten der Beklagten fällt zudem ins Gewicht, dass die Beklagte bereits vor dem Sturz der Klägerin Kenntnis von Stürzen mehrerer Passanten im Bereich des Wasserbandes hatte. Dennoch entschied sich die Beklagte bewusst nicht dafür, dauerhaft Abhilfe zu schaffen, sondern vertraute darauf, dass die Sturzhäufigkeit dort zurückgehen würde.
46d) Der Höhe nach hält das Gericht ein Schmerzensgeld von 3.500 € für angemessen.
47Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes stehen im Hinblick auf die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes die Umstände im Vordergrund, die den Verletzten betreffen, also unter anderem Ausmaß und Schwere der Verletzung und der Schmerzen, Dauer der stationären Behandlung sowie Belastung durch Operationen und andere Behandlungsmaßnahmen. Das Verbleiben von dauernden Behinderungen oder Entstellungen und das Alter des Verletzten sind dabei weitere Bemessungsfaktoren, wobei sich hohes Alter schmerzensgeldmindernd auswirkt. (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl. 2014, § 253, Rn. 15 f.).
48Bei der Schmerzensgeldbemessung hat das Gericht insbesondere die folgenden Umstände berücksichtigt: Die zum Zeitpunkt des Sturzes 79-jährige Klägerin wurde wegen des erlittenen dislozierten handgelenksnahen Speichenbruchs einmal operiert und verblieb nach der Operation eine Woche lang in stationärer Behandlung. Im Anschluss musste sie für vier Wochen eine Schiene tragen. Die Hand war in der Folgezeit noch stark geschwollen, was behandelt werden musste.
49Das Gericht geht davon aus, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin, wie von ihr vorgetragen, vom 17.02.2015 bis zum 31.12.2015 zu 100 % gemindert war und seit dem zu 30 % gemindert ist. Die Beklagte hat diese unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichts vom 22.09.2016 vorgetragenen Tatsachen nicht ausdrücklich bestritten. Sofern aus der Klageerwiderung vom 29.07.2015 zu entnehmen sein sollte, dass jede weitere Erwerbsminderung ab dem 30.03.2015 bestritten sein soll, wäre ein solches pauschales Bestreiten nach Vorlage des ärztlichen Attests jedenfalls unerheblich.
50Ebenfalls unbestritten ist der weitere auf der Grundlage des ärztlichen Befundberichts vom 22.09.2016 vorgebrachte Tatsachenvortrag hinsichtlich der noch bestehenden Einschränkungen der Beweglichkeit des Handgelenks und der Knochenauftreibung über dem Handgelenk sowie der Vortrag zu Schmerzen der Klägerin bei intensiver Bewegung und Belastung. Das Gericht hat die Verletzung auch in Augenschein genommen. Das Handgelenk ist an der Außenseite deutlich dicker. Es ist weiter noch eine Narbe von der Operation zu sehen.
51Nach dem Vortrag der Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung, den die Beklagte nicht bestritten hat, kann sie noch Haus-und Gartenarbeit mit der Hand verrichten, wobei sie das Handgelenk nicht so lange belasten kann und die eingeschränkte Beweglichkeit sich dabei störend auswirkt.
52Das Gericht orientiert sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes an den Entscheidungen anderer Gerichte. Das Landgericht Hamburg hat bei einer einmalig operierten Radiusfraktur und stationärer Behandlung von fünf Tagen einen Schmerzensgeldbetrag von 3.500 € für angemessen erachtet (LG Hamburg, Urteil vom 23.01.2015 - 331 O 5 / 13, BeckRS 2015, 02035). Das Landgericht Waldshut-Tiengen hat im Jahr 2000 für eine dislozierte Radiusfraktur bei sechstägiger stationärer Krankenhausbehandlung ein Schmerzensgeld von 5.000 DM (2.556,46 EUR) ausgeurteilt (LG Waldshut-Tiengen - Urteil vom 30. 6. 2000 - 1 O 60/00, Slizyk, Beck'sche Schmerzensgeld-Tabelle Nr 3735, IMMDAT Stand 17. November 2015).
53e) Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 S. 2.
542. Die Klage ist mit dem Klageantrag zu 2) in voller Höhe begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten als Kosten erforderlicher Rechtsverfolgung i.H.v. 413,64 € aus §§ 839, 249 BGB, Art. 34 GG. Der Anspruch ist auch der Höhe nach begründet. Unter Berücksichtigung der berechtigten Schmerzensgeldforderung i.H.v. 3.500,00 € betragen die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale von 20,00 € und Mehrwertsteuer 413,64 €.
553. Die Klage ist mit den Klageanträgen zu 3) und 5) begründet. Die damit geltend gemachten Kosten für die ärztlichen Befundberichte sind ebenfalls als Kosten erforderlicher Rechtsverfolgung nach den vorgenannten Vorschriften ersatzfähig.
564. Auch mit dem Klageantrag zu 4) ist die Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, weil die Beklagte der Klägerin nach den obigen Ausführungen für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Sturzereignis vom 17.02.2015 haftet. Der Tenor war dahingehend einzuschränken, dass die Feststellung der Ersatzfähigkeit derzeit nicht absehbarer immaterieller Zukunftsschäden festgestellt wird. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung absehbare Zukunftsschäden sind bereits bei der Bemessung des ausgeurteilten Schmerzensgeldes zu berücksichtigen.
57III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.
58Die Kosten des Rechtsstreits waren im tenorierten Umfang der Klägerin aufzuerlegen. Die Klägerin unterliegt hinsichtlich des Schmerzensgeldantrages in erheblichem Umfang, da ihre Schmerzensgeldvorstellung deutlich übersetzt ist. Den Feststellungsantrag hat das Gericht bei der Kostenentscheidung mit einem Streitwert von 1.000,00 € berücksichtigt.
59Der Streitwert wird auf 13.000,00 EUR festgesetzt.
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Referenzen
- BGB § 253 Immaterieller Schaden 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 254 Mitverschulden 1x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- VI ZR 19/74 1x (nicht zugeordnet)
- 9 U 227/92 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung 2x
- 1 O 60/00 1x (nicht zugeordnet)
- 9 U 143/06 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 249 Art und Umfang des Schadensersatzes 1x