Urteil vom Landgericht Bonn - 9 O 214/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, es sei denn die Beklagte leistet ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
1
Tatbestand
2Der Kläger schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der E Lebensversicherung-AG der E2, einen Versicherungsvertrag über eine private Lebensversicherung. Versicherungsbeginn war der 1.4.2011. Die Vertragsdauer war auf 28 Jahre festgelegt. Die monatlichen Beiträge beliefen sich auf 100 DM bei 100%iger Fondsanlage im E3 PlusInvest.
3Während der Vertragsdauer zahlte der Kläger Prämien in einer Gesamthöhe von 6.800,29 EUR. Mit Schreiben vom 24.01.2013 erklärte der Kläger den „Widerruf/Rücktritt/Widerspruch“ sowie hilfsweise die Kündigung des Versicherungsverhältnisses. Die Beklagte bestätigte die Beendigung des Versicherungsvertragsverhältnisses durch Kündigung zum 31.01.2013. Sie zahlte ein Rückkaufswert i.H.v. 4.540,29 EUR an den Kläger aus.
4Der Kläger ist der Ansicht, der Vertrag sei ordnungsgemäß widerrufen worden. Die Widerrufsbelehrung der Beklagten sei formal fehlerhaft. Insbesondere sei die Widerrufsbelehrung nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben. Es hätte außerdem darauf hingewiesen werden müssen, dass der Widerruf ohne Begründung erfolgen sowie der Widerrufsadressat angegeben werden müssen. Zuletzt ist er der Ansicht, die Rechten und Pflichten des Versicherungsnehmers nach dem Widerspruch müssten in der Widerrufsbelehrung aufgeführt sein. Die Regelung aus § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. könne über dieses Erfordernis nicht hinweghelfen, da insoweit ein Verstoß gegen Europarecht vorliegen. Der Kläger ist außerdem der Auffassung, es läge die Verletzung einer vorvertraglichen Informations- und Beratungspflicht durch die Beklagte vor. Den Erhalt der Versicherungsbedingungen bestreitet der Kläger mit Nichtwissen.
5Der Kläger beantragt,
61. die Beklagte zu verurteilen, an sich 5.870,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1.06.2013 zu zahlen,
72. die Beklagte zu verurteilen, an sich 788,02 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
8Hilfsweise beantragt der Kläger,
9die Beklagte zu verurteilen,
10a. in prüfbarer und – soweit für die Prüfung erforderlich – belegter Form darüber Auskunft zu erteilen, mit welchen Abschlusskosten die Beklagte den Zeitwert nach § 176 Abs. 3 VVG und welchem Abzug sie die Auszahlungsbeträge für den abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag belastet hat,
11b. die von der Beklagten erteilten Auskünfte durch die Vorlage entsprechender Unterlagen zu belegen,
12c. gegebenenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte an Eides statt zu versichern und
13d. die Beklagte zu Zahlung eines Betrages in einer nach der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.09.2011 zu verurteilen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagte behauptet, ihre Rechtsvorgängerin habe dem Kläger entsprechend dem Versicherungsvertrag mit Schreiben vom 16.03.2001 den insgesamt 17-seitigen Originalversicherung-Versicherungsschein vom gleichen Tage, der neben der auf Seite 2 in Fettdruck gehaltenen Belehrung über das dem Kläger zustehende 14-tägige Widerspruchsrecht, unter anderem auch die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung und die Produktbedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung umfasste und dem Kläger spätestens am 19.03.2001 zuging. Sie nimmt Bezug auf die als Anlage K2 vorgelegten Versicherungsunterlagen.
17Entscheidungsgründe
18Die zulässige Klage ist unbegründet.
19Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Rückerstattung und Verzinsung der geleisteten Beiträge. Auch der Hilfsantrag ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Auskunftsanspruch.
201. Die Beiträge sind von der Beklagten nicht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zu erstatten. Sie sind durch den Kläger nicht ohne rechtlichen Grund, sondern in Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtung zur Beitragszahlung gezahlt worden. Der Versicherungsvertrag ist wirksam zustandegekommen und konnte später nicht mehr widerrufen werden.
21a) Der Versicherungsvertrag konnte geschlossen werden, ohne dass die erforderlichen Verbraucherinformationen bereits bei Antragstellung vorlagen (Policenmodell). § 5a Abs. 1 VVG a. F. , der für den Vertragsschluss als vor Inkrafttreten der Gesetzesänderungen zum 1. Januar 2008 abgeschlossenen Sachverhalt noch gilt, sah diese Art des Vertragsschlusses ausdrücklich vor, ist keiner anderen Auslegung zugänglich und verstieß nicht gegen europarechtliche Vorgaben. Nach dieser Bestimmung trat eine vertragliche Bindung erst durch Nichtausübung des grundsätzlich zwei Wochen nach Überlassung der erforderlichen Unterlagen erlöschenden Widerspruchsrechtes ein. Damit war den Vorgaben von Art. 36 der konsolidierten Lebensversicherungsrichtlinie vom 5. November 2002 (2002/83/EG) entsprochen (vgl. Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. 1998, § 5a Rn. 8, siehe OLG Köln, Urteil vom 24. Februar 2012, 20 U 159/11). Art. 5 sowie Nr. 1 i) der Klauselrichtlinie vom 5. April 1993 (93/13/EG) sind bereits deshalb nicht einschlägig, weil sie Transparenz, Inhalt und Wirksamkeit einzelner Klauseln betreffen und nicht die Wirksamkeit des Vertragsschlusses selbst in Frage stellen (Art. 6 Abs. 1 der Klauselrichtlinie, § 306 Abs. 1 BGB).
22b) Der Vertrag ist nicht auf Grund des klägerseits erklärten Widerspruches nach § 5a VVG a. F. unwirksam. Der Widerspruch war bereits unwirksam, weil er nicht innerhalb der Widerspruchsfrist von 14 Tagen (§ 5a Abs. 1 VVG a. F.) erklärt worden ist. Die Frist begann gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a. F. mit Zugang des Versicherungsscheins und war daher zum Zeitpunkt des Widerspruchs bereits abgelaufen.
23(1) Der Kläger hat den Versicherungsschein zeitnah erhalten. Die dahingehende Behauptung der Beklagten gilt als zugestanden, weil der Kläger sie nicht in prozessual erheblicher Weise bestreitet. Ihr Bestreiten mit Nichtwissen (Bl. 12) ist nach § 138 Abs. 4 ZPO unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift kann sich eine Partei zu Vorgängen, die Gegenstand eigener Wahrnehmung waren, nicht mit Nichtwissen erklären. Eine Ausnahme hiervon ist lediglich für den Fall anerkannt, dass die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich nicht mehr erinnern zu können (BGH, NJW 1995, 130). Die vorgebliche Erinnerungslücke ist nicht glaubhaft, weil die Klägerin jahrelang Prämien gezahlt hat, ohne je zu erwähnen, dass ihr gar kein Versicherungsschein vorlag.
24(2) Durch den Zugang des Versicherungsscheins ist die Widerspruchsfrist nach § 5a Abs. 1 VVG a. F. in Gang gesetzt worden. Der Versicherungsschein enthält an verschiedenen Stellen alle nach § 10a VAG a. F. erforderlichen Informationen, insbesondere die Versicherungsbedingungen.
25Der Versicherungsschein enthält insbesondere eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung. Diese findet sich auf Seite 2 des Versicherungsscheins und wird drucktechnisch deutlich hervorgehoben. Die Belehrung steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben. Insbesondere erfolgte sie in drucktechnisch deutlicher Form. Dies fordert ausreichende Lesbarkeit und setzt die Verwendung einer hinreichend großen Schrift voraus. Darüber hinaus muss sich der Belehrungstext in einer nicht zu übersehenden Weise aus dem übrigen Text hervorheben. Dem ist ausreichend dadurch Rechnung getragen worden, dass die Widerspruchsbelehrung auf der jeweiligen zweiten Seite des Versicherungsscheins in Fettdruck hervorgehoben ist. Zwar sind auch auf der ersten Seite bereits einzelne Überschriften in Fettdruck hervorgehoben, der Belehrungstext ist aber im gesamten fett hervorgehoben worden und setzt sich so deutlich ab. Die Belehrung ist auch nicht an versteckter Stelle untergebracht. So findet sie sich zwar auf der Rückseite des Versicherungsscheins, vorliegend sind jedoch sämtliche Rückseiten bedruckt, so dass die Bedruckung der Rückseite des Versicherungsscheins nicht überraschend ist. Darüber hinaus folgen unter der Widerrufsbelehrung die Unterschriften, so dass die Widerrufsbelehrung schon aus diesem Grund wahrgenommen werden musste. Die Widerrufsbelehrung entsprach auch den inhaltlichen Anforderungen. Insbesondere muss der Empfänger des Widerspruchs nicht angegeben werden. Dies ergibt sich aus § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. Darüber hinaus fordert § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. auch keine Belehrung über die Rechtsfolgen des Widerspruchs. Auch die Angabe dass der Widerspruch ohne Begründung eingelegt werden kann ist nicht erforderlich. (Vergleiche dazu OLG Köln, Urteil vom 18.06.2012-Az. 20 U 187/11, vorgelegt als Anl. B1, Bl. ### der Akte). Die Klägerin ist damit über das Widerspruchsrecht sowie Beginn und Dauer der Widerspruchsfrist ausreichend belehrt worden.
26(3) Da somit die reguläre Widerspruchsfrist von 14 Tagen galt, kommt es auf die Bestimmung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F., derzufolge das Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, und deren Wirksamkeit vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorgaben nicht an.
27c) Die Unwirksamkeit der Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswertes unter Verrechnung von Abzugs- und Stornokosten führt nicht zur Nichtigkeit des Vertrages und damit zur Rechtsgrundlosigkeit der Beitragszahlungen insgesamt. Etwaige Lücken sind durch dispositives Recht (§ 306 Abs. 2 BGB) oder ergänzende Vertragsauslegung zu schließen.
282. Der geltend gemachte Anspruch lässt sich nicht unter dem Gesichtspunkt eines Widerrufs nach §§ 499 Abs. 2, 355 BGB a. F. aus § 346 BGB herleiten.
29Bei etwaigen Ratenzahlungszuschlägen im Sinne einer insgesamt höheren Prämienlast bei monatlicher Beitragsfälligkeit als etwa bei vierteljährlicher oder jährlicher Beitragsfälligkeit handelt es sich in Ermangelung dispositiver Regelungen über die Fälligkeit von Folgeprämien nicht um einen Zahlungsaufschub im Sinne von § 499 BGB a. F. (OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 20. April 2011, 20 U 11/11).
303. Der Kläger kann die Beiträge nicht wegen unterlassener Aufklärung über Rückvergütungen als Schadensersatz zurückverlangen. Die Beklagte war nicht verpflichtet, den Kläger über ihr etwa auf Grund des Vertragsschlusses zufließende Rückvergütungen zu informieren. Die Beklagte vermittelte keine Fondsbeteiligung, sondern "verkaufte" ihre eigene Versicherungspolice. Dass sie ein eigenes Interesse am Vertragsschluss hatte, lag auf der Hand. Die Rechtsprechung zu Anlageberatungsverträgen ist auf fondsgebundene Personenversicherungen nicht übertragbar (siehe OLG Köln, Urteil vom 24. Februar 2012, 20 U 159/11). Anders als in der vom Kläger herangezogenen Entscheidung des BGH (Urt. v. 11.07.2012 – IV ZR 164/11, NJW 2012, 3647) stellt sich der Abschluss der streitgegenständlichen Lebensversicherung bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht als Anlagegeschäft dar. In dem vom BGH entschiedenen Fall handelt es sich um einen besonderen Ausnahmefall, in dem die Versicherung des Todesfallrisikos gegenüber der Renditeerwartung von untergeordneter Bedeutung war. Die Entscheidung hat Ausnahmecharakter im Hinblick auf das dort dargestellte Versicherungsmodell und kann nicht auf sämtliche Lebensversicherungen übertragen werden.
314. Die Forderung des Klägers ist nicht unter dem Gesichtspunkt der mangelhaften Belehrung über das Widerspruchsrecht der Klägerin vor. Wie bereits dargelegt, ist die Widerrufsbelehrung der Klägerin ordnungsgemäß gewesen. Den Zugang bestreitet der Kläger in prozessual unzulässiger Weise. Ein Schadensersatzanspruch besteht daher auch aus diesem Gesichtspunkt nicht.
325. Der Klägerin steht kein weiterer Rückkaufswert (§ 176 VVG a. F.) zu. Von einem den ausgezahlten Betrag übersteigenden Rückkaufswert ist nicht auszugehen. Das gilt unabhängig davon, ob die Versicherungsbedingungen zur Berechnung des Rückkaufswertes wirksam sind oder nicht. Bei eingezahlten Prämien im Wert von 6.800,29 EUR und einem ausgezahlten Rückkaufswert i.H.v. 4.540,29 EUR ist davon auszugehen, dass der ausgezahlte Betrag der Hälfte des ungezillmerten Fondguthabens entspricht.
336. Da der Klägerin der unter Ziffer 5 geprüfte Anspruch nicht zusteht, ist auch der als Hilfsantrag geltend gemachte Auskunftsanspruch unbegründet.
34II. Da der Kläger die Beiträge nicht zurückverlangen kann, steht ihr auch kein Anspruch auf Verzinsung oder Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten zu.
35Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
36Der Streitwert wird auf 5.870,38 EUR festgesetzt.
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