Urteil vom Landgericht Bonn - 25 Ns-555 Js 306/13-93/19
Tenor
Auf die Berufung des Angeklagten wird das angefochtene Urteil aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen sowie die dem Angeklagten darin entstandenen eigenen, notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
1
Gründe:
2A.
3Durch das angefochtene Urteil ist der Angeklagte wegen Volksverhetzung in sechs Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt worden.
4Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
5Die Berufung hatte Erfolg.
6Eine Verständigung i.S.v. § 257 c StPO hat nicht stattgefunden.
7B.
8Aufgrund der Angaben des Angeklagten und des Inhalts des verlesenen Auszuges aus dem Bundeszentralregister konnte die Kammer zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten folgende Feststellungen treffen:
9( Diverse Angaben zum Lebenslauf des Angeklagten.)
10( weitere Angaben zum Lebenslauf des Angeklagten.)
11Strafrechtlich ist der Angeklagte bisher nicht in Erscheinung getreten.
12C.
13I.
14Dem Angeklagten ist mit Strafbefehl der Staatanwaltschaft Bonn vom 29.10.2018 vorgeworfen worden, in der Zeit vom 03.11.2013 bis heute gem. §§ 130 Abs. 2 Nr. 1 a) und b), 53 StGB in sieben Fällen Schriften, die die Menschenwürde von Teilen der Bevölkerung dadurch angreifen, dass sie beschimpft und böswillig verächtlich gemacht werden, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht zu haben.
15Konkret wurde dem Angeklagten zur Last gelegt:
16Als Betreiber des Internetforums www.B.de verfasste und veröffentlichte der Angeklagte verschiedene Eigen- und Fremdbeiträge, in dem er Frauen in besonderer Weise herabwürdigt, ihnen ein Recht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft abspricht und er sie auf ihre Fortpflanzungsfähigkeit reduziert.
17Im Einzelnen handelt es sich um folgende Beiträge:
181.
19Seit dem 03.11.2013 ist in dem besagten Forum der unter dem Kürzel des Angeklagten „D“ veröffentliche Beitrag „Nicht Armut, sondern Arbeits-Unlust ist weiblich“ abzurufen, in dem der Angeklagte Frauen als minderwertige Menschen degradiert, die allein zu Fortpflanzungszwecken, nicht jedoch zur Erwerbstätigkeit geschaffen seien. So heißt es in dem Beitrag „Wofür sind die Weiber denn geschaffen ? Für die Reproduktion ! Das Weib steht den Tieren näher, der Mann den Himmelswesen.“
20Zudem befürwortet der Angeklagte, das Wahlrecht für Frauen abzuschaffen.
212.
22In dem Beitrag des Angeklagten “Sind Weiber Menschen zweiter Klasse- oder nur Fußballspieler zweiter Klasse“ vom 14.07.2014 spricht der Angeklagte Frauen eine gleichwertige Bedeutung und letztlich gar ihr Menschsein ab und kommt zu dem Ergebnis „Männer sind Menschen erster Klasse. Und Weiber sind Menschen zweiter Klasse. Sie haben am Menschengeschlecht teil, reproduzieren es auch, aber repräsentieren es nicht.“
233.
24Als Administrator veröffentlichte der Angeklagte am 22.12.2014 unter der Überschrift „Mein (Jahre-?) Schlußwort“ einen Beitrag, in dem er den Frauen ihr Menschsein abspricht bzw. sie als minderwertige Menschen bezeichnet. Der Beitrag ist heute noch abrufbar. Wörtlich schreibt der Angeklagte „Männer sind Menschen im eigentlichen Wortsinne. Weiber nehmen am Menschsein zwar teil, aber sie repräsentieren den Menschen nicht.
25Man kann das vergröbert auch so ausdrücken: Weiber sind Menschen zweiter Klasse. - Oder: Weiber sind minderwertige Menschen.“
264.
27Am 09.08.2016 veröffentlichte der Angeklagte einen Artikel unter der Überschrift „Kategorienfehler als Grundlage einer Staatsdoktrin. Warum das Weib kein eigentlicher Mensch ist“. Auch in diesem Beitrag kommt er zu dem Ergebnis, dass das „Weib“ dem Tier näher ist. So heißt es hier: „Aus dem Skizzierten läßt sich folgern: Der Mann ist der - eigentliche - Mensch; das Weib nimmt am Menschsein teil, aber es repräsentiert den Menschen nicht. Sein Menschsein ist insofern uneigentlich. Es erhält den Menschen, gibt ihm aber keine Bestimmung.
28Die Doktrin der Gleichheit von Mann und Weib ist so wahnhaft wie die Doktrin der Gleichheit von Mensch und Tier.
295.
30In dem Beitrag „Das Gift der Gynokratie:“Mutti zerstört Vaters‘ Land““ veröffentlicht am 11.09.2016 fordert der Angeklagte erneut die Abschaffung des "Weiberwahlrechts“.
316.
32In einem Beitrag vom 18.03.2016 beschimpft der Angeklagte unter seinem Kürzel D das Verhalten der Frauen als parasitär. „Parasitismus hat ein Geschlecht“. Nach seiner pauschalierten Darstellung beschränken sich Frauen darauf, das Geld auszugeben, das die Männer erarbeiten.
337.
34Am 19.05.2016 veröffentlichte der Angeklagte in dem oben genannten Forum unter dem Kürzel D den Beitrag „Gelobt sei, was uns hart macht.“ Im letzten Abschnitt dieses Beitrages berichtet er von einer Dominanz „der Weiber im öffentlichen Dienst und im Schul- und Bildungswesen“. Das zahlenmäßige Vorherrschen von Frauen in diesem Arbeits- und Berufsspektrum ist für ihn Zeichen einer geistig-moralischen Mangelerscheinung. Er vergleicht die seiner Meinung nach vorliegende hohe Zahl von Frauen in diesen Bereichen mit Schlammwürmern in einem Tümpel. Durch diese gleichsetzende Betrachtungsweise würdigt der Angeklagte Frauen in besonderer Weise herab.
35Alle vorgenannten Beiträge sind seit dem Tag ihrer Veröffentlichung für eine unbeschränkte Anzahl von Internetnutzern frei abrufbar.
36In all den genannten Artikeln ist es das Anliegen des Angeklagten, Frauen als minderwertige, nur menschenähnliche Wesen herabzustufen. Der Angeklagte spricht ihnen eigene Rechte ab.
37Mit dem angefochtenen Urteil vom 07.05.2019 hat das Amtsgericht Bonn den Angeklagten – nach vorherigem rechtlichen Hinweis – in sechs Fällen wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 2 Nr. 1 a) und c) StGB verurteilt und den Fall Nr. 5 gem. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Das Amtsgericht hat pro Tat eine Einzelstrafe von 25 Tagessätzen zu je 10,00 € verhängt und diese sechs Einzelstrafen auf eine Gesamtgeldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 10,00 € zurückgeführt.
38II.
39Der Angeklagte hat unumwunden eingeräumt, Verfasser aller fraglichen Beiträge zu sein. Er meint jedoch, diese Inhalte verbreiten zu dürfen, weil sie seiner Ansicht nach von der Meinungsfreiheit gedeckt seien.
40Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung i.S.v. § 130 Abs. 2 StGB in rechtlicher Hinsicht nicht.
41III.
42Voraussetzung einer jeden Strafbarkeit gem. § 130 Abs. 1 und 2 StGB ist, dass der Täter gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe bzw. gegen Teile der Bevölkerung agitiert. Der Angeklagte agitiert in seinen Artikeln ganz allgemein gegen Frauen. Diese sind nicht unter eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe zu subsumieren. Insoweit verbleibt nur der Begriff „Teile der Bevölkerung“.
43Dieser Begriff ist für sich genommen eher schwammig und meint andere Gruppierungen, als die in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten, wie nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen.
44§ 130 StGB aF sprach von verschiedenen Klassen der Bevölkerung. Darunter wurde eine Mehrheit von Personen mit gemeinsamer Bezeichnung, die aus sozialen Gründen oder übereinstimmender Anschauungen oder Interessen als verbunden betrachtet wurden und zu anderen Teilen des Volkes in Gegensatz standen, verstanden (vgl. Schwarz, StGB, 21. Aufl. 1958, Anm. 1) zu § 130). Durch das StrÄndG vom 30.10.1960 (BGBl. I, 478) ist dieser Begriff abgelöst worden durch „Teile der Bevölkerung“, weil der Begriff „Klassen“ als soziologisch überholt galt (vgl. Schwarz-Dreher, StGB, 30. Aufl. 1968, Ziffer 3) zu § 130). Im entsprechenden Gesetzgebungsverfahren war zunächst diskutiert worden, den Begriff „Klasse“ durch den Begriff „durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe“ zu ersetzen (vgl. BT-Drucksache 3/918, Entwurf eines Gesetzes gegen Volksverhetzung vom 05.03.1959). Ziel der Ausweitung des Begriffes war es, nicht nur Gruppen mit gleicher oder ähnlicher Weltanschauung zu erfassen, sondern auch solche Gruppen, deren Schwerpunkt der Gemeinsamkeiten auf politischem Gebiet liegt.
45Durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 (BGBl. I 3186) wurde der Tatbestand des § 130 StGB völlig neu gefasst. Es wurde erstmals ein neuer Absatz 2 eingefügt. In diesem wurde der Tatbestand des sog. Rassenhasses, der bisher – neben der Gewaltdarstellung – in § 131 StGB geregelt war, neu gefasst. In diesem Zusammenhang wurde erstmals neben dem Begriff „Teile der Bevölkerung“ die vier Gruppen in Absatz 2 aufgenommen, die heute in Absatz 1 von § 130 StGB aufgezählt sind. Allerdings hieß die letzte Gruppe damals noch „durch ihr Volkstum bestimmte“ Gruppe.
46Anhand dieses historischen Ausblicks wird deutlich, dass die Definition des Begriffes „Teile der Bevölkerung“ nicht per se auf der Hand liegt, aber doch schon eine deutliche Eingrenzung erfahren hat. So stehen im Vordergrund die Weltanschauung oder die soziale oder politische Ausrichtung einzelner Bevölkerungsgruppen.
47Dementsprechend ist sich die heutige Rechtsprechung und das Schrifttum einig, dass der Begriff „Teile der Bevölkerung“ eine Mehrzahl von Menschen darstellen, die z.B. durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder durch ihre soziale oder wirtschaftlichen Verhältnisse, ihren Beruf oder ihre soziale Funktion als besondere Gruppe erkennbar sind (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, Rz 4 zu § 130 mit zahlreichen Rspr.-Nachweisen; Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Rz 3 zu § 130 ebenfalls mit zahlreichen Rspr.-Nachweisen; Schäfer in Müko, StGB, 3. Aufl. 2017, Rz 30 zu § 130).
48Als hinreichend bestimmte Gruppe für Teile der Bevölkerung im Sinne dieser Vorschrift werden regelmäßig folgende Beispiele genannt: die Arbeiter, die Arbeitgeber, die Bauern, die Beamten (auch Teile davon wie die Staatsanwälte, die Richter, die Soldaten), die Katholiken, die Protestanten, die Juden, dunkelhäutige oder farbige Menschen, die Zigeuner, die Sinti oder die Roma, die in Deutschland lebenden Ausländer, die Flüchtlinge, die Migranten, die Deutschtürken, die Aussiedler, die Besitzenden, die Kapitalisten, die Kommunisten, die Sozialhilfeempfänger, die Punker, die Bayern, die Schwaben, die Vertriebenen usw.
49Dabei fällt aber auf, dass an keiner Stelle eine geschlechtsspezifische Bestimmung von Teilen der Bevölkerung vorgenommen wird, also etwa die Frauen oder die Männer.
50Entgegen dem von dem angefochtenen Urteil auf dessen S. 13 erweckten Anschein vertritt auch nicht Prof. Dr. N in seinem Aufsatz (JR 2011, 380 ff) die Ansicht, dass unter Teile der Bevölkerung auch ein bestimmte Geschlechtsgruppe zu subsumieren ist. Der Aufsatz beschäftigt sich vielmehr mit der Frage, ob Volksverhetzung auch gegen die in Deutschland lebende deutsche Gesamtbevölkerung nach der Terminologie des § 130 StGB möglich. Die Frage eines etwaigen Geschlechterschutzes durch § 130 StGB wird hier nicht erörtert. Dies überrascht auch nicht, weil nach dem historisch gewachsenen Sinn und Zweck der Vorschrift (Volksverhetzung) ein allgemeiner Geschlechterschutz gerade nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst wird.
51Dies wird auch bestätigt, wenn man die weitere Entwicklung des § 130 StGB betrachtet. Zwar ist diese Vorschrift in letzter Zeit wiederholt geändert und redaktionell neu gefasst worden, u.a. durch Gesetz vom 16.03.2011 zur Umsetzung eines europäischen Rahmenbeschlusses (BGBl. I 418) und durch das 49. StrÄndG vom 21.01.2015 (BGBl. I 10). Wenn der Gesetzgeber also den Tatbestand des § 130 StGB entgegen seines historisch gewachsenem Verständnisses um einen allgemeinen Geschlechterschutz hätte erweitern wollen, hätte er dazu hinreichend Gelegenheit gehabt. Stattdessen hat er aber beispielsweise eine geschlechtsspezifische Schlechterstellung im Vertragswesen bzw. im Vertragsanbahnungswesen durch das AllGleichbehandlungsG vom 14.08.2006 sanktioniert und keine Erweiterung der vier im Einzelnen in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgezählten Gruppen um eine weitere, geschlechtsbestimmte Gruppe vorgenommen. Dies hätte an dieser Stelle auch wenig Sinn gemacht, weil die vier Gruppen nahezu wortgleich § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch entnommen sind. In § 6 VStGB ist aber der Völkermord unter Strafe gestellt. Schutzgut ist also auch insoweit nicht eine bestimmte Geschlechtergruppe.
52Nach alledem ist davon auszugehen, dass ganz allgemein „die Frauen“ oder „die Männer“ oder „die Angehörigen eines diversen Geschlechts“ nicht als „Teile der Bevölkerung“ im Sinne der Vorschrift des § 130 StGB anzusehen sind. Ob vor dem aufgezeigten Hintergrund auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die strafrechtliche Bestimmtheitsanforderung an den Begriff „Teile der Bevölkerung“ i.S.d. § 130 StGB bestehen, ist aus Sicht der Kammer zwar zu bejahen, bedarf aber aufgrund der hier vertretenen Auffassung keiner näheren Erörterung.
53Die letztlich nur als krude zu bezeichnenden Äußerungen des Angeklagten, die er auch nach wie vor im Internet unter www.B.org ganz allgemein über Frauen verbreitet, sind im Ergebnis also nicht strafbar gem. § 130 Abs. 2 StGB und zwar allein deshalb, weil „die Frauen“ nicht unter den Begriff “Teile der Bevölkerung“ im Sinne dieser Vorschrift zu subsumieren sind.
54Nach alledem war der Angeklagte vom Vorwurf der Volksverhetzung aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
55Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung gem. § 185 StGB kam vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Unabhängig von der Frage, ob diese Art der Kollektivbeleidigung überhaupt unter den Schutzbereich des § 185 StGB fällt, weil Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit des konkret Geschädigten bestehen, fehlt es vorliegend an dem gem. § 194 StGB erforderlichen Strafantrag, den eine Person aus dem Kreise der kollektiv Beleidigten hätte stellen müssen.
56D.
57Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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Referenzen
- StGB § 131 Gewaltdarstellung 1x
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- StGB § 194 Strafantrag 1x
- StGB § 185 Beleidigung 2x
- StPO § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten 1x
- § 6 VStGB 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 130 Volksverhetzung 14x
- StPO § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten 1x