Urteil vom Landgericht Dortmund - 4 O 124/12
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 418,50 € (in Worten: vierhundertachtzehn 50/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2011 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 128,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.10.2012 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 96 % und die Beklagte zu 4 %. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Die Mutter des Klägers, Frau I, wurde am Morgen des 24.10.1992 stationär im Hause der Beklagten aufgenommen. Im Rahmen des damaligen Geburtsmanagements kam es zu Behandlungsfehlern, an deren Folgen die Mutter des Klägers verstarb. Der Kläger selbst erlitt unter der Geburt aufgrund des fehlerhaften Geburtsmanagements massive körperliche und geistige Behinderungen. Mit Schreiben vom 06.09.1995, Bl. 12 und 13 d. A., erkannte die Beklagte die Haftung für den Tod der Frau I und für die Geburtsschäden des Klägers dem Grunde nach mit Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils an. In der Folgezeit wurden die Schäden seitens der Beklagten auch stets im Einvernehmen der Parteien reguliert. Mit Schreiben vom 06.04.2010 wandten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers an die Beklagte und strebten eine Verständigung über die Basis der Regulierung des Verdienstausfallschadens an. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der Kläger die Schule mit dem Abitur im August 2011 beendet und sich von September 2011 bis Februar 2014 eine 2 ½ jährige Berufsausbildung zum Steuerfachangestellten angeschlossen hätte.
3Als Termin für den Beginn des Verdienstausfallschadens wurde übereinstimmend September 2011 vorgemerkt.
4Mit Schreiben vom 05.10.2011 wandten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers erneut an die Beklagte und bezifferten den Verdienstausfallschaden für das erste Ausbildungsjahr (September 2011 bis August 2012) mit monatlich 476,25 €.
5Mit Schreiben vom 08.11.2011 lehnte die Beklagte eine Begleichung des geltend gemachten Verdienstausfallschadens jedoch ab.
6Seit dem 04.10.2011 besucht der Kläger die Hellweg Werkstätten in L, eine Werkstatt für behinderte Menschen, und erhält ein Ausbildungsgeld in den ersten 12 Monaten in Höhe von 63,00 € und in den weiteren 12 Monaten in Höhe von 75,00 €. Nachdem der Kläger das Eingangsverfahren absolviert hat, befindet er sich im Berufsbildungsbereich.
7Der Kläger ist der Ansicht, dass die Kosten für seine Beschäftigung in der Behindertenwerkstatt nicht mit dem Erwerbsschaden kongruent seien, sondern vielmehr eine Kongruenz mit den vermehrten Bedürfnissen bestehe. Hierzu behauptet er, dass seine Behinderung derart schwer sei, dass nicht zu erwarten sei, dass er irgendwann in die Lage versetzt werden könnte, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Tätigkeit in der Werkstatt könne ihn nicht in die Lage versetzen, eine auch nur annähernd gleichwertige Erwerbsfähigkeit, wie sie ohne den Behandlungsfehler bestehen würde, zu erlangen und damit einen Erwerbsschaden abzuschwächen oder abzuwenden. Er ist der Ansicht, dass dementsprechend eine sachliche Kongruenz zum Erwerbsschaden vorliege.
8Der Kläger beantragt,
91. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum September 2011 bis August 2012 5.022,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 837,00 € seit dem 27.10.2011 sowie jeweils 418,50 € seit dem 02.11.2011, 02.12.2011, 02.01.2012, 02.02.2012, 02.03.2012, 02.04.2012, 02.05.2012, 02.06.2012, 02.07.2012 sowie 02.08.2012 zu zahlen.
102. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum September 2012 bis August 2013 monatlich im Voraus 442,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus jeweils ab dem 02. eines jeden Monats zu zahlen.
113. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 828,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger für den mit der Klage begehrten Erwerbsschaden von September 2011 bis August 2013 nicht aktivlegitimiert sei, da der Anspruch gemäß § 116 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit als Leistungsträger seiner Ausbildung in der Behindertenwerkstatt übergegangen sei. Hierzu trägt die Beklagte vor, dass die Maßnahmekosten für die Beschäftigung in der Behindertenwerkstatt mit dem Erwerbsschaden des Klägers kongruent seien. Ein darüber hinausgehender eigener Erwerbsschaden des Klägers bestehe daher nicht.
15Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die Klage ist zulässig, aber zum überwiegenden Teil unbegründet.
18Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch in Höhe von 418,50 € gemäß §§ 843 Abs. 1 BGB. Ein weitergehender Anspruch steht dem Kläger hingegen nicht zu.
19Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte aufgrund von Fehlern im Geburtsmanagement für die Schäden des Klägers in vollem Umfang einzustehen hat. Da der Kläger durch diese Behandlungsfehler auch in seiner Erwerbstätigkeit beeinträchtigt ist, hat die Beklagte dem Kläger auch seinen Erwerbsschaden zu ersetzen, der sich für den Monat September 2011 nach Abzug der Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge und des Ausbildungsgeldes der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 63,00 € auf rechnerisch unstreitig 418,50 € beläuft. Der Anspruch des Klägers ist – soweit es den Monat September 2011 betrifft - auch nicht gemäß § 116 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit als Leistungsträger übergegangen, da bereits eine zeitliche Kongruenz zwischen den Ansprüchen des Klägers und den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit nicht besteht. Unstreitig ist der Kläger erst seit dem 04.10.2011 in der Behindertenwerkstatt beschäftigt. Daher hat die Bundesagentur für Arbeit für den Monat September 2011 noch keine Leistungen erbracht, so dass ein Anspruchsübergang gemäß § 116 SGB X offensichtlich nicht in Betracht kommt. Dem Kläger steht daher insoweit ein Anspruch in Höhe von 418,50 € zu.
20Weitergehende Ansprüche des Klägers bestanden jedoch nicht, da die Ansprüche im Übrigen gemäß § 116 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit als Leistungsträger übergegangen waren.
21Soweit der Kläger den Ersatz seines Erwerbsschadens für die Monate Oktober 2011 bis August 2013 begehrt, lag eine zeitliche Kongruenz seiner Ansprüche mit den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit vor.
22Die Kammer ist im Übrigen der Auffassung, dass die Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte mit den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit auch sachlich kongruent sind, so dass die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 SGB X erfüllt sind.
23Nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X gehen zivilrechtliche Schadensersatzansprüche eines Geschädigten auf einen Sozialversicherungsträger oder Sozialhilfeträger über, der ihm wegen der Schädigung Sozialleistungen zu erbringen hat. Der Zweck dieser Vorschrift besteht darin, dass eine Doppelleistung an den Geschädigten vermieden werden soll. Der Geschädigte soll nicht für ein und dasselbe Interesse durch den Schädiger und den Sozialleistungsträger entschädigt werden, so dass eine Bereicherung durch die Schädigung eingetreten wäre (vgl. auch Beschluss des OLG Braunschweig vom 10.04.2006 - Aktenzeichen 1 U 2/06; Kater, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: 77 Ergänzungslieferung 2013, SGB X, § 116 Rn. 5).
24Die sachliche Kongruenz besteht, wenn die Leistung des Sozialversicherungsträgers oder Sozialhilfeträgers nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Behebung eines Schadens gleicher Art dient. Dies ist der Fall, wenn sie in einem inneren Zusammenhang mit ihm steht (vgl. BGH NJW 1982, 1638), wobei es maßgeblich darauf ankommt, ob beide Ansprüche dieselbe Zweckrichtung verfolgen (vgl. BGH NJW 1984, 2628). Eine sachliche Kongruenz ist daher anzunehmen, wenn die Leistungen des Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgers bei einer Gesamtbetrachtung zumindest auch dazu bestimmt ist, einen Ausgleich der unfallbedingten Aufwendungen des Geschädigten herbeizuführen (vgl. Kater, a.a.O., SGB X, § 116 Rn. 102).
25Im Rahmen des Ersatzes von Erwerbsschäden sind Leistungen des Sozialversicherungsträgers oder Sozialhilfeträgers dann kongruent, wenn sie dazu bestimmt sind, die schadensbedingte Beeinträchtigung im Erwerb des Verletzten auszugleichen (vgl. Kater, a.a.O., SGB X, § 116 Rn 118). Im Übrigen besteht Kongruenz auch dann, wenn die Leistungen nicht dem Entgeltersatz, sondern der Rückgewinnung der Erwerbsfähigkeit dienen.
26Hierzu zählt nach Auffassung der Kammer auch die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt, jedenfalls solange sich der Kläger gemäß § 40 SGB IX im Eingangsverfahren oder im Berufungsbildungsbereich befindet. Insoweit ist in § 39 SGB IX geregelt, dass Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen erbracht werden, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern.
27Unstreitig hat der Kläger das Eingangsverfahren in der streitgegenständlichen Werkstatt absolviert, so dass er sich daran anschließend im Berufsbildungsbereich gemäß § 40 Abs. 1, Abs. 3 SGB IX befindet. In diesem Stadium ist es jedoch ausdrückliches gesetzlich verankertes Ziel der Sozialleistungen, die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen. Daher ist die Leistung der Bundesagentur für Arbeit dazu bestimmt, die schadensbedingte Beeinträchtigung im Erwerb des Klägers auszugleichen, so dass eine sachliche Kongruenz anzunehmen ist. Seine Beschäftigung erfolgte infolge seiner schadenskausalen Erwerbsunfähigkeit. Im Ergebnis hat die Bundesagentur für Arbeit die Sozialleistungen daher als Ausgleich der Schadensfolge des Behandlungsfehlers erbracht.
28Schließlich ist der Forderungsübergang auch nicht gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 SGB IX ausgeschlossen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er durch den Übergang seiner Ansprüche aus § 843 BGB auf die Bundesagentur für Arbeit hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII geworden ist.
29Da die Bundesagentur für Arbeit seit Oktober 2011 unstreitig monatliche Maßnahmekosten von über 3.000,00 € erbringt, sind die fortlaufenden Ansprüche des Klägers von Oktober 2011 bis August 2013 stets in voller Höhe gemäß § 116 SGB IX auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen. Ein eigener Anspruch des Klägers bestand für diese Zeit daher nicht mehr.
30Der Kläger hat ferner einen Anspruch auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 128,52 €. Diese errechneten sich in Anbetracht eines berechtigten vorgerichtlichen Streitwerts von 418,50 €. Die Kammer ist im Übrigen der Auffassung, dass eine Geschäftsgebühr von 2,0 angemessen war. Denn zum einen ist die Angelegenheit für den Kläger von hoher Bedeutung, zum anderen ist sie rechtlich als schwierig einzustufen. Unter Berücksichtigung des berechtigten Streitwerts in Höhe von 418,50 € errechnete sich daher bei einer 2,0-fachen Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer eine Gesamtbetrag von 128,52 €.
31Die Zinsansprüche folgen aus §§ 286, 288, 291 ZPO.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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