Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 2b O 283/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
I. Tatbestand:
2Der Kläger begehrt von der Beklagten aus Amtshaftung Zahlung von Schmerzensgeld für eine unfallbedingte Verletzung, Ersatz des durch die Heilbehandlung entstandenen materiellen Schadens und der entstandenen außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung sowie Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem behaupteten Unfallgeschehen.
3Der Kläger fuhr am 30.12.2010 gegen 17.00 Uhr zu den am White-Bear-Lake-Platz in Ratingen-Lintorf befindlichen Altglascontainern, um dort Altglas zu entsorgen. Nachdem er seinen PKW am rechten Rand der Fahrbahn des White-Bear-Lake-Platzes auf Höhe der Container in Fahrtrichtung Breitscheider Weg abgestellt hatte, verließ der Kläger seinen PKW auf der Fahrbahnseite, holte das Altglas aus dem Kofferraum seines Wagens und begab sich zu den Altglascontainern, die dort auf dem Gehweg vor der Einmündung in die Straße Breitscheider Weg aufgestellt sind. Der Kläger trug festes Schuhwerk mit Profilsohle.
4Auf dem Rückweg von den Glascontainern zu seinem PKW rutschte der Kläger aus und stürzte, wobei Zeit, Ort und Ursache des Unfallgeschehens zwischen den Parteien streitig sind.
5Der Gehweg war im Bereich vor den Altglascontainern von einer geschlossenen Schneedecke überzogen. Am 30.12.2010 herrschten durchgängig Minustemperaturen, ohne dass tagsüber Schneefall zu verzeichnen war.
6Bei seinem Sturz zog sich der Kläger eine Fraktur am rechten Unterarm (distale Radiusfraktur Typ colles) zu. Wegen dieser Verletzung wurde der Kläger noch am selben Tag im St. Marien-Krankenhaus in Ratingen erstversorgt und unterzog sich am 31.12.2010 einer ambulanten Operation, in welcher die Fehlstellung des Knochens korrigiert und der Bruch mittels einer Platte fixiert wurde. Infolge der Verletzung war der Kläger bis einschließlich 13.02.2011 zu 100% arbeits- und erwerbsunfähig. In der Zeit vom Januar 2011 bis einschließlich März 2011 wurde der Kläger zudem krankengymnastisch behandelt, wodurch ihm Kosten in Höhe von € 88,80 entstanden.
7Bei dem White-Bear-Lake-Platz handelt es sich um eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Fläche innerhalb einer geschlossenen Ortslage. An den White-Bear-Lake-Platz grenzen das Schulzentrum der Beklagten sowie Sporthalle und Gelände des Sportvereins e.V. an. Für eine detaillierte Darstellung wird Bezug genommen auf die zu den Akten gereichte Skizze (Anlage K 2) und Luftbildaufnahme (Bl. 55 d. A.) der Örtlichkeiten. Die Sporthalle und das Gelände des Vereins waren auch während der am 30.12.2010 andauernden Schulferien für Vereinsmitglieder geöffnet.
8Der Kläger forderte die Beklagte mit vorgerichtlichen Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10.02.2011 und 03.09.2012 auf, ihre Einstandspflicht für die materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfallereignis anzuerkennen, was die Beklagte durch Schreiben der Z vom 15.11.2012 ablehnte.
9Der Kläger behauptet, er sei nachdem er das Altglas entsorgt und sich umgewandt habe, um zurück zu seinem PKW zu gehen, auf der vereisten Schneefläche vor den Glascontainern ausgerutscht und gestürzt. Er habe zwar die Schneedecke erkannt, nicht jedoch, dass diese vereist bzw. rutschig gewesen sei. Es sei bereits dunkel gewesen und die Oberfläche der Schneedecke infolge wochenlangen Liegens abgedunkelt gewesen. Für ihn sei daher weder erkennbar gewesen noch habe er damit rechnen müssen, dass der Gehweg in diesem Bereich nicht abgestumpft worden sei. Als er gegen 17.00 Uhr den Bereich des Gehwegs vor den Containern betreten habe, sei aufgebrachtes Streugut für ihn nicht erkennbar gewesen. Der Gehweg im Bereich vor den Glascontainern sei bereits längere Zeit vor dem Unfallgeschehen durchgehend mit Schnee bedeckt gewesen und nicht geräumt worden.
10Der Kläger ist der Ansicht, die Räumung des streitgegenständlichen Bereichs sei für die Beklagte weder unmöglich noch unzumutbar gewesen, da keine extremen Witterungsbedingungen vorgeherrscht haben. Selbst wenn die Beklagte am Tage des Unfalls Streugut aufgebracht habe, sei dies nicht ausreichend gewesen. Die Beklagte habe vorrangig die Pflicht gehabt, den Gehweg inklusive dem Platz vor dem Container von dem Schnee zu befreien, da es sich um einen verkehrswichtigen Bereich gehandelt habe.
11Der Kläger beantragt,
121. die Beklagte kostenfällig zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von € 2.500,00 aber nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.12.2010 zu zahlen,
132. die Beklagte kostenfällig zu verurteilen, an ihn € 88,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
143. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 30.12.2010 auf dem Gehweg des White-Bear-Lake-Platzes in Ratingen-Lintorf zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.
154. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von € 272,87 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Die Beklagte behauptet, sie habe durch den vor Ort tätigen Hausmeister des angrenzenden Schulgeländes am 30.12.2010 zwischen 7.00 und 8.00 Uhr sowie zwischen 15.00 und 16.00 Uhr abstumpfende Mittel streuen lassen. Dabei sei dunkler Splitt und Sand aufgebracht worden, welcher auf einer Schnee- und Eisdecke optisch gut erkennbar sei. Zudem haben sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Laternen befunden, so dass etwaige widrige Bodenverhältnisse für den Kläger ohne Weiteres erkennbar gewesen seien. Die Fläche vor den Altglascontainern sei täglich geräumt worden. Bei den winterlichen Verhältnissen, die am 30.12.2010 geherrscht haben, sei eine Veränderung des Straßenbelags quasi stündlich denkbar gewesen, weil Schneematsch durch vorbeifahrende Fahrzeuge oder städtische Streuwagen auf die Unfallstelle geschleudert werden könne. Aus den vom Kläger am 01.01.2011 angefertigten Lichtbildaufnahmen des Bereichs vor den Altglascontainern könne daher nicht auf die am 30.12.2010, also zwei Tage zuvor, herrschenden Bodenverhältnisse an dieser Stelle geschlossen werden.
19Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Uwe und der Zeugin Petra. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.04.2015 (Bl. 56 - 62 d. A.) verwiesen.
20Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
21Entscheidungsgründe:
22Die zulässige Klage ist unbegründet.
23Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des geltend gemachten Schmerzensgeldes gem. §§ 839 Abs. 1 Satz 1, 253 Abs. 2 BGB i.V. m. Art. 34 GG zu.
24Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass sich der Unfall so ereignet hat, wie es der Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung bekundet hat.
25Eine Amtspflichtverletzung der Beklagten im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG kann danach aber nicht festgestellt werden, da der Kläger nach seinen eigenen Angaben unmittelbar vor dem Altglascontainer und damit an einer Stelle zu Fall gekommen ist, an der die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht trifft.
26Gem. § 1 Abs. 1 StrReinG NRW obliegt der Stadt als Amtspflicht die Reinigung der öffentlichen Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften, wobei diese Reinigungspflicht gem. § 1 Abs. 2 StrReinG NRW ausdrücklich die Winterwartung durch Schneeräumen und Bestreuen der Gehwege und Fußgängerüberwege sowie der gefährlichen Stellen auf den Fahrbahnen bei Schnee und Eisglätte umfasst. Damit obliegt der Beklagten nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 1 lit. b), 3 Abs. 4 StrWG NRW i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 StrReinG NRW die Straßenreinigungspflicht für Fahrbahn und Verkehrsflächen wie Gehsteige im Bereich des White-Bear-Lake-Platzes in Ratingen-Lintorf. Die Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt Ratingen in der Fassung vom 21.12.2009 sieht für diesen Bereich keine Übertragung der Winterwartung auf andere anliegende Grundstückseigentümer vor.
27Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei dem Bereich vor den Altglascontainern aber nicht um eine Fläche von besonderer Verkehrsbedeutung, die eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht der Beklagten begründen könnte. Insbesondere war die Beklagte nicht verpflichtet, den streitgegenständlichen Bereich von der Schneedecke zu befreien, d.h. komplett zu räumen.
28Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht auf den öffentlichen Straßen unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung richten sich nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nach den Umständen des Einzelfalls. Die Räum- und Streupflicht besteht daher nicht uneingeschränkt, sondern steht unter dem Vorbehalt des Zumutbaren nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges, seiner Gefährlichkeit und der Stärke des zu erwartenden Verkehrs sowie der Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen. In diesem Rahmen hat die Stadt durch Schneeräumen und Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, zu beseitigen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.10.1997 - 18 U 24/97 = NVwZ-RR 1998, 708; BGHZ 112, 74 = NJW 1991, 33, 34). Zu sichern sind deshalb alle Gehwege innerhalb geschlossener Ortschaften, soweit auf diesen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet (BGH, NJW 1960, 41). Auch nach neuerer Rechtsprechung des BGH kommt dem Kriterium der Verkehrsbedeutung der jeweiligen Fläche für den Fußgängerverkehr maßgebliche Bedeutung für den Umfang der Sicherungspflicht zu (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2013 - III ZR 326/12, Rn. 15). Zwar geht das OLG Düsseldorf davon aus, dass zur Sicherung des Fußgängerverkehrs grundsätzlich strengere Anforderungen bei der Winterwartung gelten und nimmt insbesondere bezüglich der Gehwege und Fußgängerüberwege keine Einschränkung auf gefährliche Stellen an. Jedoch unterstellt das OLG Düsseldorf auch diese Anforderungen dem Vorbehalt der Zumutbarkeit (OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.10.1997 - 18 U 24/97 = NVwZ-RR 1998, 708, 709).
29Allein die Aufstellung von Glascontainern macht den Bereich nicht zu einem verkehrsbedeutenden Bereich, wie das OLG München für den Fall von Entsorgungscontainern auf einem Friedhof festgestellt hat. Dem Bereich vor einem Glascontainer kommt vielmehr keine generelle Verkehrsbedeutung zu. Eine Räum- und Streupflicht besteht daher nicht, wenn keine Pflicht zur Nutzung der Container besteht (OLG München, Beschluss vom 4.10.2011 - 1 U 3221/11 – zitiert nach juris). Dies gilt jedoch nicht nur für Container auf Friedhöfen, sondern auch darüber hinaus, da auch in diesem Fall keine besondere Verkehrsbedeutung besteht (vgl. OLG München, Beschluss vom 09.09.2010 – 1 U 2898/10 – zitiert nach juris). Der streitgegenständliche Container findet sich zwar an einem Gehweg. Nach dem Vorgenannten traf die Beklagte aber weder als Eigentümerin der Schule noch als Verkehrssicherungspflichtige die Pflicht, unmittelbar vor dem Container zu streuen, sondern nur, den Weg ausreichend zu streuen. Ob die Beklagte letzterem ausreichend nachgekommen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da eine etwaige Amtspflichtverletzung insoweit nicht kausal für die entstandenen Schäden wäre, da der Kläger unmittelbar vor dem Container zu Fall gekommen ist.
30Im Übrigen dürfte bei einem Anspruch auch im Falle der Annahme einer Verkehrssicherungspflichtverletzung ein erhebliches Mitverschulden des Klägers zu berücksichtigen sein, da der Kläger bei Dunkelheit bzw. Dämmerung in Kenntnis von möglicher Glätte durch auf der Straße, dem Parkplatz und dem Gehweg liegendem Schnee Altglas weggebracht hat. In Kenntnis dieses Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Entsorgung von Altglas kein dringendes, unaufschiebbares Geschäft ist, wäre es dem Kläger zuzumuten gewesen, das Altglas zumindest bei Tageslicht zu entsorgen.
31Mangels Haftung der Beklagten aus der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 30.12.2010 ist auch der Feststellungsantrag des Klägers unbegründet.
32Mangels Hauptanspruches steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Kosten sowie von Zinsen zu.
33Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
34Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
35Der Streitwert wird auf 3.088,80 EUR festgesetzt.
36Rechtsbehelfsbelehrung:
37Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
38a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
39b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
40Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
41Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu begründen.
42Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
43Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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Referenzen
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- III ZR 326/12 1x (nicht zugeordnet)
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