Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 4b O 115/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand
2Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents A(nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung der Schadensersatz- und Entschädigungspflicht in Anspruch.
3Die Klägerin ist ausschließliche und allein verfügungsberechtigte Inhaberin des Klagepatents, das am 1. September 1998 unter Inanspruchnahme einer österreichischen Priorität vom 2. Dezember 1997 in deutscher Verfahrenssprache angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 9. Juni 1999 veröffentlicht, der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatentes am 12. November 2003. Das Klagepatent steht in Kraft.
4Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Säumen von Glaszuschnitten. Die Ansprüche 1 und 16, die von der Klägerin in diesem Rechtsstreit geltend gemacht werden, lauten wie folgt:
5Anspruch 1:
6„Verfahren zum Vorbereiten von Glaszuschnitten für die weitere Handhabung, insbesondere für das Herstellen von Isolierglasscheiben, wobei beide Kanten jedes Randes eines Glaszuschnittes zum Entfernen von Graten u. dgl. gleichzeitig mit Hilfe von Bearbeitungswerkzeugen mit je zwei Bandschleifern mit endlosen Schleifbändern bearbeitet werden, wobei sich die Ebenen, in welchen sich die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder laufen, im Bereich der Ebene eines Glaszuschnittes kreuzen, alle Ränder eines Glaszuschnittes bearbeitet werden, dadurch gekennzeichnet, daß die Kanten einander gegenüberliegender Ränder, die in Bewegungsrichtung eines im wesentlichen lotrecht ausgerichteten Glaszuschnittes, nämlich horizontal, verlaufen, bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt relativ zu wenigstens einem an den horizontalen Rändern des Glaszuschnittes angreifenden Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern bewegt wird, und daß die quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht, verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt stillsteht, indem wenigstens ein weiteres Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnittes bewegt wird.“
7Anspruch 16
8„Vorrichtung zum Ausführen des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 15, mit Bearbeitungswerkzeugen (64, 71, 72), die je ein Paar von Bandschleifern (10, 12) mit Schleifbändern (26) aufweisen, wobei die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes (3) angreifenden Trume der Schleifbänder (26) der Bandschleifer (10, 12) mit der Ebene des zu bearbeitenden Glaszuschnittes (3) spitze Winkel einschließen und in Ebenen verlaufen, die einander im Bereich des Randes eines Glaszuschnittes (3) kreuzen, dadurch gekennzeichnet, daß wenigstens zwei Bearbeitungswerkzeuge (64, 71, 72) mit je einem Paar von Bandschleifern (10, 12) vorgesehen sind, dass ein Bearbeitungswerkzeug (71) dem unteren, horizontalen Rand eines zu bearbeitenden Glaszuschnittes (3) zugeordnet ist, dass wenigstens ein zweites Bearbeitungswerkzeug (64, 72) im Maschinengestell (1) auf und ab verschiebbar geführt ist, dass das dem unteren horizontalen Rand des Glaszuschnittes (3) zugeordnete Bearbeitungswerkzeug (71) im Bereich einer Fördereinrichtung (4, 61) für einen zu bearbeitenden Glaszuschnitt (3) angeordnet ist, dass sich die am Rand des Glaszuschnittes (3) angreifenden Trume der Schleifbänder (26) dieses Bearbeitungswerkzeuges (71) einander im wesentlichen in der Höhe der Fördereinrichtung (4, 61) kreuzen, und daß das im Maschinengestell (1) auf und ab verschiebbar geführte Bearbeitungswerkzeug (64, 72) den lotrechten Rändern bzw. dem oberen horizontalen Rand des Glaszuschnittes (3) zugeordnet ist.“
9Wegen des Wortlauts der als „insbesondere, wenn“-Anträge geltend gemachten Unteransprüche 13, 14, 22, 23, 26, 29, 31 und 36 wird auf die als Anlage rop 1 zur Akte gereichte Klagepatentschrift Bezug genommen.
10Die in Italien ansässige Beklagte zu 1) stellt in Italien Säummaschinen her, die von ihr im Internet beworben werden. Wird die Startseite des Internetauftritts der Beklagten zu 1) unter B aufgerufen, erscheint diese sogleich in deutscher Sprache mit einer Abbildung der angegriffenen Säummaschine, wie aus der Anlage rop 9 ersichtlich. Über einen mit der Abbildung verbundenen Link ist eine Produktbeschreibung der Säummaschine abrufbar, die als Anlage rop 10 vorliegt. Weitere Abbildungen und ein weiterer in italienischer und englischer Sprache gehaltener Produktprospekt sind unter der Rubrik „Produkte und Lösungen“ unter den Stichworten „Flachglas“ und weiter „Isolierglas“ auffindbar und liegen als Anlage rop 7 und rop 8 vor. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um die deutsche Vertriebsgesellschaft der Beklagten zu 1). Sie ist im Internetauftritt der Beklagten zu 1) in der Rubrik „Kontakt“ als Ansprechpartner für Verkauf und Unterstützung („sales“ und „support“) in Deutschland angegeben. Die in den Anlagen rop 6 bis rop 10 wiedergegebene Säummaschine wird nachfolgend als angegriffene Ausführungsform bezeichnet.
11Die Klägerin sieht in dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform eine durch die Beklagten begangene mittelbare (Anspruch 1) und unmittelbare (Anspruch 16) Patentverletzung. Beide Kanten eines jeden Randes des Glaszuschnittes würden gleichzeitig bearbeitet. Ferner behauptet sie, der Glaszuschnitt stehe still, wenn das Bearbeitungswerkzeug der angegriffenen Ausführungsform die lotrechten Ränder des Glaszuschnitts bearbeite und sich auf und ab bewege. Eine Bewegung in horizontaler Richtung habe bei einer Besichtigung der angegriffenen Ausführungsform auf einer Messe in Mailand nicht festgestellt werden können. Auf eine etwaige Bewegung in horizontaler Richtung komme es letztlich aber nicht an, weil es bei wortsinngemäßer Auslegung des Klagepatentanspruchs nur auf eine Relativbewegung zwischen Schleifwerkzeug und Glasplatte ankomme. Der Glaszuschnitt werde aber – insoweit unstreitig – nicht auf und ab bewegt. Selbst wenn aber auf eine horizontale Bewegung abzustellen sein sollte, sei der Begriff des „Stillstehens“ nicht absolut zu verstehen. Kaum wahrnehmbare Minimalbewegungen der Glasscheibe in horizontaler Richtung schließe das Klagepatent nicht aus.
12Die Klägerin beantragt,
13I. die Beklagte zu verurteilen,
141. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,
15a) Vorrichtungen, mit welchen ein Verfahren zum Vorbereiten von Glaszuschnitten für die weitere Handhabung, insbesondere für das Herstellen von Isolierglasscheiben, ausgeübt werden kann, wobei beide Kanten jedes Randes eines Glaszuschnittes zum Entfernen von Graten u. dgl. gleichzeitig mit Hilfe von Bearbeitungswerkzeugen mit je zwei Bandschleifern mit endlosen Schleifbändern bearbeitet werden, wobei sich die Ebenen, in welchen sich die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder laufen, im Bereich der Ebene eines Glaszuschnittes kreuzen, wobei alle Ränder eines Glaszuschnittes bearbeitet werden
16Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an diese zu liefern,
17wobei die Kanten einander gegenüberliegender Ränder, die in Bewegungsrichtung eines im Wesentlichen lotrecht ausgerichteten Glaszuschnittes, nämlich horizontal, verlaufen, bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt relativ zu wenigstens einem an den horizontalen Rändern des Glaszuschnittes angreifenden Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern bewegt wird, und wobei die quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht, verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt stillsteht, indem wenigstens ein weiteres Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnittes bewegt wird,
18insbesondere wenn
19als Schleifbänder Diamantschleifbänder verwendet werden
20und/oder
21den Diamantschleifbändern eine Flüssigkeit zum Spülen und/oder Kühlen in dem Bereich zugeführt wird, in dem die Schleifbänder an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifen;
22b) Vorrichtungen zum Ausführen des Verfahrens zum Vorbereiten von Glaszuschnitten für die weitere Handhabung, insbesondere für das Herstellen von Isolierglasscheiben,
23wobei beide Kanten jedes Randes eines Glaszuschnittes zum Entfernen von Graten u. dgl. gleichzeitig mit Hilfe von Bearbeitungswerkzeugen mit je zwei Bandschleifern mit endlosen Schleifbändern bearbeitet werden, wobei sich die Ebenen, in welchen sich die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder laufen, im Bereich der Ebene eines Glaszuschnittes kreuzen, wobei alle Ränder eines Glaszuschnittes bearbeitet werden, wobei die Kanten einander gegenüberliegender Ränder, die in Bewegungsrichtung eines im Wesentlichen lotrecht ausgerichteten Glaszuschnittes, nämlich horizontal, verlaufen, bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt relativ zu wenigstens einem an den horizontalen Rändern des Glaszuschnittes angreifenden Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern bewegt wird, und wobei die quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht, verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt stillsteht, indem wenigstens ein weiteres Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnittes bewegt wird,
24mit Bearbeitungswerkzeugen, die je ein Paar von Bandschleifern mit Schleifbändern aufweisen, wobei die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder der Bandschleifer mit der Ebene des zu bearbeitenden Glaszuschnittes spitze Winkel einschließen und in Ebenen verlaufen, die einander im Bereich des Randes eines Glaszuschnittes kreuzen,
25in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
26wobei wenigstens zwei Bearbeitungswerkzeuge mit je einem Paar von Bandschleifern vorgesehen sind, wobei ein Bearbeitungswerkzeug dem unteren, horizontalen Rand eines zu bearbeitenden Glaszuschnittes zugeordnet ist, wobei wenigstens ein zweites Bearbeitungswerkzeug im Maschinengestell auf und ab verschiebbar geführt ist, wobei das dem unteren horizontalen Rand des Glaszuschnittes zugeordnete Bearbeitungswerkzeug im Bereich einer Fördereinrichtung für einen zu bearbeitenden Glaszuschnitt angeordnet ist, wobei sich die am Rand des Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder dieses Bearbeitungswerkzeuges einander im Wesentlichen in der Höhe der Fördereinrichtung kreuzen, und wobei das im Maschinengestell auf und ab verschiebbar geführte Bearbeitungswerkzeug den lotrechten Rändern bzw. dem oberen horizontalen Rand des Glaszuschnittes zugeordnet ist,
27insbesondere wenn
28das im Maschinengestell auf und ab verstellbar geführte Bearbeitungswerkzeug dem oberen horizontalen Rand eines Glaszuschnittes zugeordnet ist
29und/oder
30den Bandschleifern Düsenanordnungen zugeordnet sind, aus denen eine das Besäumen der Kanten der Ränder des Glaszuschnittes unterstützende Flüssigkeit beaufschlagt wird
31und/oder
32die Bandschleifer Schutzbleche tragen, die konzentrisch zu den Umlenkrollen gekrümmt sind
33und/oder
34an dem auf- und abbewegbaren Bearbeitungswerkzeug an den Rändern von Glasscheiben anliegende Führungsrollen vorgesehen sind
35und/oder
36die Vorrichtung mit einem Gehäuse ausgestattet ist, in dem wenigstens ein Bearbeitungswerkzeug und die Fördereinrichtung für die Glasscheiben angeordnet ist
37und/oder
38jede Transporteinheit ein die Glasscheiben abstützendes Endlosförderband und zwei an den Flächen der Glasscheiben angreifende Endlosförderglieder aufweist;
392. ihr unter Vorlage eines einheitlichen geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.07.1999 begangen haben, und zwar unter Angabe
40a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der Einkaufspreise,
41b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen und sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
42c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
43d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
44e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
45wobei die Beklagten hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Rechnungen, ersatzweise Auftragsbelege, weiter ersatzweise Auftragsbestätigungen, weiter ersatzweise Liefer- und Zollpapiere vorzulegen haben,
46wobei die Angaben zu lit. e) nur für die Zeit seit dem 12.12.2003 zu machen sind,
47wobei die Angaben zu den Einkaufspreisen sowie den Verkaufsstellen nur für die Zeit seit dem 30.04.2006 zu machen sind,
48wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
49II. festzustellen,
501. dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, an sie – die Klägerin – für die unter Ziffer I. 1.b) bezeichneten, in der Zeit vom 09.07.1999 bis zum 11.12.2003 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
512. dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr – der Klägerin – allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 12.12.2003 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
52Die Beklagten beantragen,
53die Klage abzuweisen.
54Die Beklagten sind der Auffassung, die Klägerin habe nicht substantiiert vorgetragen, dass beide Kanten jedes Randes eines Glaszuschnittes gleichzeitig bearbeitet würden. Soweit der Klagepatentanspruch verlange, dass der Glaszuschnitt bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder stillstehe, sei die Abwesenheit von Bewegung verlangt. Dabei gehe es nicht nur um die Abwesenheit einer vertikalen Bewegung. Kein Fachmann käme auf die Idee, den Glaszuschnitt auf und ab zu bewegen. Vielmehr komme es darauf an, dass eine horizontale Bewegung des Glaszuschnittes ausgeschlossen sei. Insofern behaupten die Beklagten, dass der Glaszuschnitt bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder durch die angegriffene Ausführungsform nicht stillstehe, sondern in horizontaler Richtung lediglich langsamer bewegt werde, um nicht nach einem Stillstand die Haftreibung überwinden zu müssen. Die Geschwindigkeit des horizontalen Vortriebs müsse von den Mitarbeitern eingestellt werde. In Abhängigkeit von der Höhe des Glaszuschnitts werde der horizontale Vortrieb so eingestellt, dass der Glaszuschnitt während der Bearbeitung der lotrechten Ränder etwa 15 mm vorwärts bewegt werde. Allerdings könne er nicht auf Null eingestellt werden.
55Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
56Entscheidungsgründe
57Die zulässige Klage ist unbegründet.
58Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Schadensersatz und Zahlung einer angemessenen Entschädigung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB, Art. II § 1 IntPatÜG. Es lässt sich weder feststellen, dass die angegriffene Ausführungsform gemäß § 10 Abs. 1 PatG geeignet ist, das mit dem Klagepatentanspruch 1 geschützte Verfahren anzuwenden, noch dass sie gemäß § 9 S. 2 Nr. 1 PatG von der Lehre des Klagepatentanspruchs 16 unmittelbar Gebrauch macht.
59I.
60Das Klagepatent schützt mit den Patentansprüchen 1 und 16 ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Säumen von Glaszuschnitten.
61In der Klagepatentschrift wird einleitend zum Stand der Technik erläutert, dass Glastafeln durch Ritzen und Brechen auf die gewünschte Größe zugeschnitten werden (Abs. [0002] der Anlage rop 1). Die so bearbeiteten Glasscheiben besäßen sehr scharfkantige, Grate aufweisende Ränder, was für die weitere Handhabung der Glasscheiben – etwa für die Herstellung von Isolierglasscheiben – nachteilig sei. Es bestehe die Gefahr, dass die Ränder der Glasscheiben aufbrächen oder dass sich jemand an den scharfen Rändern verletze. Zudem unterlägen die an den Rändern der Glasscheiben angreifenden Stütz- und Transportmittel wie Förderrollen oder Förderbänder durch unbearbeitete Ränder von Glasscheiben einem erhöhten Verschleiß (Abs. [0003] der Anlage rop 1).
62Zum Bearbeiten der Ränder sei – etwa aus der DE C– ein Kreuzbandschleifer zum Besäumen der Kanten von horizontal liegenden Glasplatten mit zwei endlosen, umlaufenden Schleifbändern bekannt (Abs. [0004] der Anlage rop 1).
63Vor diesem Hintergrund liegt der Erfindung die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Besäumen der Ränder von Glasscheiben zur Verfügung zu stellen, mit welchen Glasscheiben so bearbeitet werden können, dass ihre Ränder nicht mehr scharfkantig sind, insbesondere keine Grate aufweisen (Abs. [0005] der Anlage rop 1).
64Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent ein Verfahren und eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Anspruchs 1 (Verfahren) und des Anspruchs 16 (Vorrichtung) vor, die wie nachstehend gegliedert werden können.
65Anspruch 1:
661. Verfahren zum Vorbereiten von Glaszuschnitten für die weitere Handhabung, insbesondere für das Herstellen von Isolierglasscheiben.
672. Beide Kanten jedes Randes eines Glaszuschnittes werden zum Entfernen von Graten u. dgl. bearbeitet, und zwar:
682.1 gleichzeitig
692.2 mit Hilfe von Bearbeitungswerkzeugen
702.2.1 mit je zwei Bandschleifern mit endlosen Schleifbändern,
712.2.2 wobei sich die Ebenen, in welchen die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder laufen, im Bereich der Ebene eines Glaszuschnittes kreuzen.
723. Es werden alle Ränder eines Glaszuschnittes bearbeitet.
734. Die Kanten einander gegenüberliegender Ränder werden bearbeitet,
744.1 wenn es sich um die Ränder handelt, die in Bewegungsrichtung eines im Wesentlichen lotrecht ausgerichteten Glaszuschnittes, nämlich horizontal, verlaufen,
754.2 während der Glaszuschnitt relativ zu wenigstens einem an den horizontalen Rändern des Glaszuschnittes angreifenden Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern bewegt wird.
765. Die quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht, verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes werden bearbeitet,
775.1 während der Glaszuschnitt stillsteht,
785.2 indem wenigstens ein weiteres Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnittes bewegt wird.
79Anspruch 16:
801. Vorrichtung zum Ausführen des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 15 mit Bearbeitungswerkzeugen (64, 71, 72).
812. Die Bearbeitungswerkzeuge (64, 71, 72) weisen je ein Paar von Bandschleifern (10, 12) mit Schleifbändern (26) auf.
823.2 Die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes (3) angreifenden Trume der Schleifbänder (26) der Bandschleifer (10, 12) schließen mit der Ebene des zu bearbeitenden Glaszuschnittes (3) spitze Winkel ein und
833.3 verlaufen in Ebenen, die einander im Bereich des Randes eines Glaszuschnittes (3) kreuzen.
843. Wenigstens zwei Bearbeitungswerkzeuge (64, 71, 72) mit je einem Paar von Bandschleifern (10, 12) sind vorgesehen.
854. Ein Bearbeitungswerkzeug (71)
864.1 ist dem unteren, horizontalen Rand eines zu bearbeitenden Glaszuschnittes (3) zugeordnet und
874.2 ist im Bereich einer Fördereinrichtung (4, 61) für einen zu bearbeitenden Glaszuschnitt (3) angeordnet.
885. Wenigstens ein zweites Bearbeitungswerkzeug (64, 72)
895.1 ist im Maschinengestell (1) auf und ab verschiebbar geführt,
905.2 ist den lotrechten Rändern bzw. dem oberen horizontalen Rand des Glaszuschnittes (3) zugeordnet,
915.3 wobei sich die am Rand des Glaszuschnittes (3) angreifenden Trume der Schleifbänder (26) dieses Bearbeitungswerkzeuges (71) einander im Wesentlichen in der Höhe der Fördereinrichtung (4, 61) kreuzen.
92Der Klagepatentanspruch 1 verlangt im Merkmal 5.1, dass der Glaszuschnitt stillsteht, wenn die quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht, verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes bearbeitet werden (Merkmal 5). Der Stillstand ist als Ausschluss einer horizontalen Bewegung des Glaszuschnittes zu verstehen.
93Der Klagepatentanspruch 1 geht davon aus, dass der Glaszuschnitt grundsätzlich in horizontaler Richtung bewegt wird. Dies ergibt sich aus den Merkmalen 4.1 und 5. Demnach weist ein im Wesentlichen lotrecht ausgerichteter Glaszuschnitt eine Bewegungsrichtung auf, nämlich eine horizontale. In Bezug auf diese Bewegungsrichtung werden die Ränder des Glaszuschnitts definiert, nämlich in Bewegungsrichtung, also horizontal verlaufende Ränder und solche, die quer zur Bewegungsrichtung, also lotrecht verlaufen (Merkmale 4.1 und 5). Das Klagepatent geht dabei grundsätzlich davon aus, dass der Glaszuschnitt für verschiedene Bearbeitungsstationen in horizontaler Richtung befördert wird (vgl. bspw. Abs. [0015], [0022] oder Figur 3 der Anlage rop 1).
94Hinsichtlich der Bearbeitung der Ränder des Glaszuschnitts wird im Klagepatentanspruch 1 differenziert. In Bewegungsrichtung verlaufende horizontale Ränder sollen bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt bewegt wird, nämlich relativ zu wenigstens einem an den horizontalen Rändern des Glaszuschnitts angreifenden Bearbeitungswerkzeug (Merkmal 4.2). Dadurch ist es möglich, den Glaszuschnitt zu bearbeiten, während er befördert wird. Auf dieses Durchlaufverfahren, das höhere Taktzeiten erlaubt, wird in der Klagepatentschrift wiederholt ausdrücklich hingewiesen (bspw. Sp. 2 Z. 50 ff; Sp. 3 Z. 15 ff der Anlage rop 1). Die Bearbeitungswerkzeuge für die horizontalen Ränder können dabei ortsfest angeordnet sein. Damit die Bearbeitungswerkzeuge die horizontalen Ränder des Glaszuschnitts gleichwohl über ihre gesamte Länge bearbeiten können, wird der Glaszuschnitt nach der Lehre des Klagepatents an den Bearbeitungswerkzeugen entlang bewegt und so die erforderliche Relativbewegung bewirkt. Die für die Bearbeitung der quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht verlaufenden Ränder erforderliche Relativbewegung soll hingegen dadurch erzeugt werden, dass das Bearbeitungswerkzeug selbst entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnitts bewegt wird (Merkmal 5.2). Soweit angeordnet ist, dass der Glaszuschnitt währenddessen stillsteht (Merkmal 5.1), bezieht sich dies allein auf die Bewegung des Glaszuschnitts in horizontaler Richtung.
95Die Funktion des Stillstands besteht darin zu vermeiden, dass die Bearbeitungswerkzeuge während der Bearbeitung der lotrechten Ränder dem Glaszuschnitt in horizontaler Richtung nachgeführt werden müssen. Der Ausschluss einer vertikalen Bewegung durch das Merkmal 5.1 hat bei funktionaler Betrachtung hingegen keinen Sinn. Von einer vertikalen Bewegung des Glaszuschnitts ist in der gesamten Klagepatentschrift keine Rede. Die Beklagten haben zudem unbestritten vorgetragen, dass der Fachmann überhaupt nicht auf die Idee käme, den Glaszuschnitt in vertikaler Richtung zu bewegen, um eine Relativbewegung zwischen Glaszuschnitt und Bearbeitungswerkzeug zur Bearbeitung der lotrechten Ränder zu erzielen. Vielmehr genügt die Anordnung in Merkmal 5.2, dass die Relativbewegung für die Bearbeitung der lotrechten Ränder durch die Bewegung der Bearbeitungswerkzeuge bewirkt werden soll. Stattdessen wird im Merkmal 5 noch einmal die grundsätzliche Förderbewegung des Glaszuschnittes in horizontaler Richtung angesprochen. Nur auf diese kann sich der Stillstand beziehen.
96Der Begriff „stillstehen“ schließt eine Bewegung grundsätzlich aus. Allerdings kann der Klagepatentanspruch nicht dahingehend absolut verstanden werden, dass sich der Glaszuschnitt nicht im Geringsten mehr bewegen darf. Insbesondere ungewollte Minimalbewegungen, die etwa durch den Anpressdruck der Bearbeitungswerkzeuge oder ein gewisses Spiel in der Besäumvorrichtung hervorgerufen werden, führen sicherlich nicht aus der Lehre des Klagepatents heraus. Anders verhält es sich mit geringen Bewegungen jedoch dann, wenn sie technisch gewollt sind, vor allem wenn sie gleichermaßen bei der Bearbeitung der horizontalen Ränder zur Anwendung kommen können. Denn das Merkmal 5.1 ist in Abgrenzung zum Merkmal 4.2 zu verstehen: Demnach sollen die horizontalen Ränder während einer horizontalen Bewegung des Glaszuschnitts bearbeitet werden. Eine solche horizontale Bewegung soll hingegen nicht stattfinden, wenn die lotrechten Ränder des Glaszuschnitts bearbeitet werden. Dies schließt jedenfalls solche Bewegungen aus, die auch für die Bearbeitung der horizontalen Ränder in Betracht kommen.
97Der Klagepatentanspruch differenziert nicht zwischen langsamen und schnellen Bewegungen für die Bearbeitung der horizontalen und lotrechten Ränder. Vielmehr sind horizontale Bewegungen des Glaszuschnitts bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder durch den Begriff „stillstehen“ schlechterdings (mit Ausnahme der unwillkürlichen geringfügigen Bewegungen) ausgeschlossen. Es kommt auch nicht auf eine langsamere Bewegung in Abgrenzung zur Förderbewegung des Glaszuschnitts an. Der Klagepatentanspruch bezieht sich zwar auf eine (Förder-)Bewegung des Glaszuschnitts. Zweck und Geschwindigkeit dieser Bewegung bleiben aber völlig offen. Stattdessen wird in der Beschreibung des Klagepatents darauf hingewiesen, dass der Anpressdruck und die Geschwindigkeit der Schleifbänder der Bandschleifer mit zunehmender Geschwindigkeit des Glaszuschnitts erhöht werden können, wenn der Glaszuschnitt aus dem Stillstand auf die Transportgeschwindigkeit beschleunigt wird (Abs. [0049] der Anlage rop 1). Ebenso können zum Ende des Schleifvorgangs Anpressdruck und Schleifbandgeschwindigkeit reduziert werden, wenn sich auch die Geschwindigkeit der Glasscheibe, mit der sie relativ zu den Bearbeitungswerkzeugen bewegt wird, verringert (Abs. [0050] der Anlage rop 1). Demnach findet eine Bearbeitung der horizontalen Ränder bereits bei geringen Geschwindigkeiten statt, wenn der Glaszuschnitt aus dem Stillstand beschleunigt oder bis zum Stillstand abgebremst wird. Sind diese Bewegungen als horizontale Bewegung für die Bearbeitung horizontaler Ränder im Sinne von Merkmal 4.2 anzusehen, können sie nicht zugleich als Stillstand zur Bearbeitung der vertikalen Ränder angesehen werden.
98Die vorstehenden Ausführungen zum Klagepatentanspruch 1 gelten für den Patentanspruch 16 in vergleichbarer Weise. Gemäß Merkmal 1 dieses Anspruchs ist eine Vorrichtung zur Ausführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 15 geschützt. Diese Zweckangabe ist nicht bedeutungslos. Vielmehr muss die mit dem Klagepatentanspruch 16 geschützte Vorrichtung jedenfalls geeignet sein, eines dieser Verfahren durchzuführen. Da sämtliche Ansprüche letztlich auf den Klagepatentanspruch 1 rückbezogen sind, umfasst die Lehre des Klagepatentanspruchs 16 auch das Merkmal 5.1 des Anspruchs 1.
99II.
100Die angegriffene Ausführungsform ist nicht im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG geeignet, das mit dem Klagepatentanspruch 1 geschützte Verfahren auszuführen. Es ist nicht dargelegt, dass der Glaszuschnitt stillsteht, wenn die lotrechten Ränder bearbeitet werden (Merkmal 5.1). Damit fehlt es auch an einer Benutzung der patentgemäßen Lehre im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG.
101Die Klägerin hat keine genaue Kenntnis, wie die angegriffene Ausführungsform funktioniert. Dem Internetauftritt der Beklagten und den Produktunterlagen zur angegriffenen Ausführungsformen lässt sich nicht entnehmen, ob der Glaszuschnitt patentgemäß stillsteht, wenn seine lotrechten Ränder durch die angegriffene Ausführungsform bearbeitet werden. Die Klägerin stützt sich vielmehr auf die Angaben zweier Personen, die nach ihrem Vortrag auf einer Messe im Mailand am 23. und 24. Oktober 2013 (was ohnehin keine Verletzung in der Bundesrepublik Deutschland zu begründen vermag) die beanstandete Maschine besichtigt haben und aus einem Meter Entfernung und weiter keine horizontale Bewegung des Glaszuschnitts während des Vertikalschliffs feststellen konnten.
102Dies haben die Beklagten erheblich bestritten. Sie haben vorgetragen, dass während der Bearbeitung der lotrechten Ränder durchaus eine horizontale Bewegung des Glaszuschnitts stattfinde, die bei näherem Herantreten an die in Mailand ausgestellte Maschine auch hätte erkannt werden können. Dazu haben die Beklagten ausgeführt, dass sich der Glaszuschnitt auf der Messe in Mailand während der Bearbeitung in einer Kammer mit Sichtfenstern befunden habe, in der permanent Wasser versprüht werde, was die Sicht auf die ohnehin transparenten Glasplatten erschwere. Die Glasscheiben würden zur Bearbeitung der lotrechten Ränder nur abgebremst, aber nicht vollständig angehalten. Dies sei so gewollt, um den Kraftaufwand für die Beschleunigung der Glasscheiben nach Ende des Vertikalschliffs zu verringern. Die Kraft, die nach einem völligen Stillstand erforderlich sei, um die Glasscheibe zu beschleunigen, sei deutlich höher, als bei einer – ggf. auch nur langsamen – Bewegung der Glasscheibe, weil zunächst die Haftreibung überwunden werden müsse. Ergänzend haben die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2015 vorgetragen, dass der horizontale Vortrieb nicht auf Null eingestellt werden könne. Die Maschine werde so eingestellt, dass der Glaszuschnitt während der Bearbeitung der lotrechten Ränder 15 mm vorwärts bewegt werde.
103Diesem Vortrag ist die Klägerin nicht weiter entgegengetreten. Sie hat ihren Vortrag auf das Bestreiten der Beklagten hin nicht weiter konkretisiert. Es ist nicht ersichtlich, worauf die Klägerin ihre Überzeugung stützt, der Glaszuschnitt stehe innerhalb der angegriffenen Ausführungsform still, wenn die lotrechten Ränder bearbeitet werden. Die Tatsache, dass alle Ränder einer Glasplatte mit Abmessungen von 1000 mm x 1000 mm innerhalb von 12 Sekunden durch die angegriffene Ausführungsform bearbeitet werden können (vgl. S. 4 der Anlage rop 8 / 8a), lässt die Annahme zu, dass die Bearbeitung der lotrechten Ränder einer Glasscheibe regelmäßig nur wenige Sekunden dauert, in der der Glaszuschnitt nach dem Vortrag der Beklagten nur 15 mm bewegt wird. Warum die beiden beauftragten Personen auf der Messe in Mailand trotz der von den Beklagten geschilderten Umstände in der Lage gewesen sein sollten, eine so geringe Bewegung von einem völligen Stillstand der Glasplatte zu unterscheiden, ist nicht vorgetragen. Vor dem Hintergrund kann allenfalls davon ausgegangen werden, dass die Klägerin einen Stillstand der Glasscheibe in der angegriffenen Ausführungsform nur vermutet. Eine Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen kommt mangels Darlegung weiterer Umstände, aus denen sich der Stillstand des Glaszuschnitts ergeben könnte, nicht in Betracht.
104Die von den Beklagten geschilderte Bewegung der Glasplatte, während der ihre lotrechten Ränder von der angegriffenen Ausführungsform bearbeitet werden, kann nicht mehr als Stillstand im Sinne der Lehre des Klagepatents angesehen werden. Es handelt sich nicht um eine unwillkürliche Bewegung, sondern um eine Bewegung, die einen technischen Sinn hat, nämlich den Kraftaufwand für die Überwindung der Haftreibung zu vermeiden, wenn die Glasplatte zum vollständigen Stillstand gebracht würde. Ein Vortrieb von 15 mm innerhalb weniger Sekunden ist zwar eine sehr geringe Geschwindigkeit. Allerdings ist sie so hoch, dass – wie die Beklagten vorgetragen haben – technische Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die lotrechten Ränder entsprechend bearbeiten zu können, indem etwa die Länge und die Spannung der Schleifbänder der Bearbeitungswerkzeuge in Abhängigkeit vom Vortrieb eingestellt sein müssen. Zudem handelt es sich um eine Geschwindigkeit, bei der entsprechend einer im Klagepatent beschriebenen bevorzugten Ausführungsform bereits eine Bearbeitung der horizontalen Ränder einsetzen könnte (vgl. Abs. [0049] und [0050] der Anlage rop 1).
105III.
106Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, Merkmal 5.1 werde jedenfalls mit äquivalenten Mitteln verwirklicht, indem der Begriff „stillstehen“ als „im Wesentlichen stillstehen“ verstanden wird, vermag die Kammer dem nicht zu folgen.
107Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zu Grunde liegende Problem mit (zwar abgewandelten, aber) objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine im Prioritätszeitpunkt gegebenen Fachkenntnisse den Fachmann befähigt haben, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen der Gleichwirkung, der Auffindbarkeit und der Orientierung am Patentanspruch (Gleichwertigkeit) erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen (st. Rspr. des BGH; vgl. BGHZ 150, 161 ff. = GRUR 2002, 511 ff. – Kunststoffhohlprofil; BGHZ 150, 149 ff. = GRUR 2002, 515, 518 – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2002, 519, 521 – Schneidmesser II; GRUR 2002, 527, 528 f. – Custodiol II; GRUR 2007, 410, 415 f. – Kettenradanordnung; GRUR 2007, 959, 961 – Pumpeinrichtung, GRUR 2007, 1059, 1063 – Zerfallzeitmessgerät; GRUR 2011, 313, 317 – Crimpwerkzeug IV).
108Im Streitfall fehlt es jedenfalls an der Gleichwertigkeit des alternativen Mittels. Es mag sein, dass der Fachmann grundsätzlich in der Lage war, die alternative Lösung, bei der der Glaszuschnitt nicht absolut stillsteht, sondern langsam weiter bewegt wird, aufzufinden. Für eine solche Lösung bieten die Klagepatentansprüche jedoch keinen Anhalt. Dieser lehrt den Fachmann, dass der Glaszuschnitt zur Bearbeitung seiner lotrechten Ränder stillstehen soll, während er zur Bearbeitung der horizontalen Ränder in horizontaler Richtung entlang der Bearbeitungswerkzeuge bewegt werden soll. Wenn der Fachmann dem Stillstehen des Glaszuschnitts einen technischen Sinn beimisst, dann dass dadurch vermieden wird, die für die Bearbeitung der lotrechten Ränder erforderlichen Bearbeitungswerkzeuge nachzuführen. Eine technische Lösung, die eine Bewegung des Glaszuschnitts auch während der Bearbeitung der lotrechten Ränder vorsieht und entsprechende Maßnahmen zum Ausgleich des Vortriebs erforderlich macht, wird der Fachmann verwerfen, da sie nicht am Sinngehalt der technischen Lehre orientiert ist, sondern dazu im Widerspruch steht. Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass der Stillstand in Abgrenzung zur horizontalen Bewegung des Glaszuschnitts bei der Bearbeitung der horizontalen Ränder zu verstehen ist. Denn dazu stehen Äquivalenzüberlegungen im Widerspruch, die eine langsame Bewegung bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder zulassen, bei der auch eine Bearbeitung horizontaler Ränder möglich ist.
109IV.
110Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
111Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.
112Streitwert: 750.000,00 EUR
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Referenzen
- PatG § 10 2x
- PatG § 139 1x
- PatG § 2 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- PatG § 3 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- PatG § 140b 1x
- PatG § 9 2x
- § 1 IntPatÜG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- BGB § 259 Umfang der Rechenschaftspflicht 1x