Urteil vom Landgericht Flensburg (3. Zivilkammer) - 3 O 332/06

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 215.497,52 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 96.504,54 € seit dem 06. Juli 2005, auf 75.890,78 € seit dem 6. Januar 2006, auf 34.164,18 € seit dem 21. Juli 2006 und auf 8.937,73 € ab dem 16.11.2006 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 80 % der Kosten für sämtliche weiteren Leistungen zu erstatten, die diese als Folge des Arbeitsunfalls des Versicherten M. G. am 17. März 2005 durch Absturz vom Dach eines Mehrfamilienhauses in ... N., K. Str. …, zukünftig zu erbringen haben wird, sofern diese den Anspruch gemäß Ziffer 1 überschreiten und den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Versicherten M. G. gegen den Beklagten nicht überschreiten.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 20 % und der Beklagte zu 80 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist ein gesetzlicher Unfallversicherer, der den Beklagten als Arbeitgeber eines Versicherten für Aufwendungen nach einem Arbeitsunfall in Anspruch nimmt.

2

Die Klägerin ist gesetzlicher Unfallversicherer für den Bereich der Bauwirtschaft.

3

Der Beklagte betreibt ein kleines Unternehmen für Sanitär- und Heizungstechnik, Bauklempnerei und Solaranlagen.

4

Der Beklagte erhielt gemeinsam mit der Fa. S. & S. T. GmbH den Auftrag, eine Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Mehrfamilienhauses in ... N., K. Str. 5 zu installieren.

5

Die Anlage sollte auf dem Dach des Hauses angebracht werden. Die Dacheindeckung des Hauses bestand aus Betondachsteinen. Die Traufhöhe des Daches betrug 9,70 m bei einer Dachneigung von 35°. Die Gebäudelänge betrug 33,60 m und die Gesamtlänge der zu installierenden Photovoltaikanlage betrug 23,00 m.

6

Am 17. März 2005 begab sich der Beklagte mit seinem langjährigen Arbeitnehmer M. G. zum vorgenannten Mehrfamilienhaus, um die Arbeiten gemeinsam mit einem Mitarbeiter der Firma S. & S. T., dem Herrn H., aufzunehmen. Es wurden für die Dacharbeiten 2 Sicherheitsgurte im Firmenfahrzeug mitgenommen.

7

Das Mehrfamilienhaus war an diesem Tage nicht eingerüstet. Es war zum Materialtransport und zur Personenbeförderung eine Hubarbeitsbühne herangeführt worden. Die Hubarbeitsbühne war bis zur Dachrinne hoch gefahren worden.

8

Gegen 13.15 Uhr rutschte Herr G. beim Wegräumen der verwendeten Werkzeuge auf der Dachfläche aus und stürzte über die ca. 9,70 m hohe Traufe ab.

9

Infolge des Sturzes erlitt Herr G. die folgenden Verletzungen:

10

- frontale Schädelfraktur und Orbitafraktur mit ausgedehnten Mittelgesichtsfrakturen

- kleines epidurales Hämatom rechts temporal sowie frontale Kontusionsblutung beidseitig

- Rippenserienfraktur rechts mit Hämothorax

- offene Luxationsfraktur Ellenbogen rechts mit Trümmerfraktur proximale Ultra

- Trümmerfraktur rechts distaler Radius

- distale Radiusmehrfragmentfraktur links mit Fraktur des Os naviculare links

- Milzeinriss

- Nierenkontusion

- stabile Beckenfraktur mit Fraktur Massa lateralis beidseitig

- Schambeinastfraktur beidseits

11

Die Folgeschäden und der gesundheitliche Zustand des Herrn M. G. machte zunächst eine stationäre Heimunterbringung erforderlich.

12

Ihm wurde mit Rentenbescheid vom 24.05.2006 eine Minderung der Erwerbsunfähigkeit (MdE) in Höhe von 100 % bescheinigt. Als Folgen des Unfalles wurden anerkannt: Beschwerden nach Kopfverletzung; knöchern fest verheilte Brüche des Mittelgesichts, der Rippen 3-12 rechts, des Brustbeins, des Ellenbogens rechts, des Schienbeinköpfchens rechts, des vorderen Beckenrings beidseits, der Beckenschaufel rechts sowie des Kreuzbeins beidseits; Sehnervenschwund mit Sehschärfenherabsetzung rechts; Doppelbildsehen; Aufhebung des Riechvermögens; Aufhebung der Unterarmbewegung des Unterarms rechts; endgradige Bewegungseinschränkung im rechten Ellenbogengelenk beim Beugen des Armes sowie der rechten Hüfte und Milzverlust.

13

Der Versicherte G. leidet zudem unter einer erhöhten Reizbarkeit und einer postraumatischen Epilepsie. Auch lassen sich Restsymptome einer rechtskörperseitigen Lähmung nachweisen.

14

Zum Gesundheitszustand das Versicherten G. wird zudem auf die von der Klägerin vorgelegten neurologisch - psychiatrischen, unfallchirurgischen und augenärztlichen Gutachten verwiesen (Bl. 59 ff. d.A.).

15

Mit Schreiben vom 05.07.2005 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die bis dahin entstandenen Aufwendungen für den Versicherten in Höhe von 120.631,05 € geltend. Nachdem sich der Haftpflichtversicherer des Beklagten meldete, bezifferte die Klägerin mit Schreiben vom 05.01.2006 weitere Aufwendungen in Höhe von 94.863,48 €. Die Versicherung des Beklagten lehnte mit Schreiben vom 06.03.2006 einen Ausgleich zunächst ab.

16

Mit Bescheid vom 22.05.2006 verhängte die Klägerin ein Bußgeld gegen den Beklagten wegen Verstoßes gegen die Unfallverhütungsvorschriften.

17

Mit Schreiben vom 20.07.2006 machte die Klägerin ihre weitergehenden Aufwendungen in Höhe von 42.705,22 € geltend.

18

Die Klägerin macht mit der vorliegenden Klage die von ihr behaupteten Gesamtaufwendungen in Höhe von insgesamt 269.371,91 € geltend. Die von der Klägerin u.a. geltend gemachten Verwaltungskosten beruhen auf einem Generalvertrag zwischen der Klägerin und den Krankenversichern. Für die Auszahlungsleistungen der Krankenversicherer sind Gebühren vereinbart worden.

19

Die Klägerin behauptet, dass die Arbeiten auf dem Dach bereits einige Stunden angedauert hätten, bevor der Beklagte die Anweisung, die Arbeiten aufgrund sich verschlechternder Wetterverhältnisse (starker Wind und leichter Regen) einzustellen, gegeben habe. Das auf dem Dach noch befindliche Werkzeug habe auf Weisung des Beklagten weggeräumt werden sollen und auf den Dachboden des Gebäudes gelagert werden sollen.

20

Man habe sich nicht mehr in einer Sichtungsphase befunden. Es seien insgesamt 3 Personen vor Ort gewesen, die bereits 6 Stunden im Einsatz gewesen seien. Auch hätten sich bereits zahlreiche Werkzeuge auf dem Dach befunden. Beim Abtransportieren dieser Werkzeuge sei es zum Unfall gekommen.

21

Der vorgesehene Anseilschutz sei zudem nicht hinreichend. Es wäre bei einem Verkehrsweg auf dem Dach zwischen Luke und Leiter ein Weg von 6 m zurückzulegen gewesen, so dass auch ein dementsprechendes Schlaffseil von gleicher Länge erforderlich gewesen wäre.

22

Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen seien für Rettungstransport, stationäre Behandlungskosten, stationäre Heimunterbringungskosten, Krankentransporte, Krankengymnastik, Fahrtkostenerstattung für Besuchsfahrten von Angehörigen, Medikamente, Verletztengeld, Rentenversicherungs- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, Verwaltungskosten der Sozialversicherer, eine Verletztenrente, ärztliche Gutachten und Berichte entstanden (für die einzelnen Positionen wird auf die Anlage K 11 Bl. 49 bis 50 d.A. und die beiden Bände der Unfallakte Bezug genommen).

23

Die Klägerin beantragt, mit der am 16.11.2006 zugestellten Klage,

24

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 269.371,91 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 120.631,05 € seit dem 6. Juli 2005, auf 94.863,48 € seit dem 6. Jan. 2006 auf 42.705,22 € seit dem 21. Juli 2006 und auf 11.172,16 € ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

25

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten für sämtliche weiteren Leistungen zu erstatten, die diese als Folge des Arbeitsunfalls des Versicherten M. G. am 17. März 2005 durch Absturz vom Dach eines Mehrfamilienhauses in 25899 Niebüll, Königsberger Str. 5, zukünftig zu erbringen haben wird, sofern diese den Anspruch gem. Ziff. 1 überschreiten.

26

Der Beklagte behauptet, dass die Arbeiten an der Baustelle noch gar nicht aufgenommen gewesen seien. Man habe sich noch in der Phase der Gefährdungsbeurteilung befunden und habe die Arbeiten noch vorbereitet. Für die Ausführung der Arbeiten an der Photovoltaikanlage seien 4 bis 5 Arbeitnehmer notwendig gewesen.

27

Man habe eine Sicherheitsgarnitur auf das Dach mitgenommen. Der Beklagte sei auf das Dach gestiegen und habe das Sicherungsseil hierbei verwendet. Das Sicherungsseil habe er gemeinsam mit seinem Arbeitnehmer M. G. angebracht. Er habe Haken im Dach befestigt und eine Leiter an diesen Haken befestigt.

28

Nachdem die Arbeiten wegen des schlechten Wetters abgebrochen worden seien, habe der Beklagte die Baustelle verlassen, um sich mit dem Aufraggeber über die Einrüstung des Gebäudes zu unterhalten. Er habe nicht damit rechnen können, dass sein zuverlässiger, langjähriger Arbeitnehmer eigenmächtig ohne das Sicherungsseil auf dem Dach zu verwenden, auf das Dach steige.

29

Der Arbeitnehmer sei über die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften wiederholt belehrt worden. Auch sei er am Tage des Unfalls auf eine entsprechende Vorsicht und die Einhaltung der Absicherung beim Betreten des Dachs hingewiesen worden.

30

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen H.. Zum Inhalt der Beweisaufnahme und zum weiteren Vortag der Parteien wird auf das Sitzungsprotokoll vom 15.03.2007 und 25.10.2007 verwiesen.

31

Zudem wird auf die bei der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

32

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

I.

33

Die Klägerin kann von dem Beklagten nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 215.497,52 € verlangen.

34

1. Der Beklagte ist eine Person deren Haftung nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII gegenüber dem Versicherten ausgeschlossen ist, so dass ein Aufwendungsersatz nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII in betracht kommt. Die Haftung des Beklagten ist als Unternehmer nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII auf eine vorsätzliche Herbeiführung eines Versicherungsfalles beschränkt. Der Versicherte G. war für das Unternehmen des Beklagten als Arbeitnehmer tätig und erlitt einen Personenschaden durch einen Arbeitsunfall und damit einem Versicherungsfall i.S.d. § 7 SGB VII.

35

2. Der Kläger hat den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Er hat grob fahrlässig gegen die Unfallverhütungsvorschriften verstoßen und hierdurch eine Ursache für den Sturz des Versicherten G. gesetzt. Das Verhalten des Beklagten stellt einen objektiv und subjektiv groben Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten eines Unternehmers bei Ausführung von Arbeiten in über 3 m Höhe dar.

36

Die Unfallverhütungsvorschriften wenden sich an den Unternehmer und sind von ihm zu erfüllen (BGH NJW 1977, 898, 899). Der Beklagte verstieß durch die fehlende Anbringung eines Auffangschutzes und durch unterbliebene Verwendung und Anweisung einen Anseilschutz zu verwenden gegen die Vorschrift § 12 der BGV C 22.

37

Der Arbeitsplatz des Versicherten fiel unter die Vorschrift des § 12 der BGV C 22, da die Absturzhöhe über 3,00 m lag, so dass bei den hier durchgeführten Dacharbeiten eine Absturzsicherung vorhanden sein musste.

38

Nach der schlüssigen und nachvollziehbaren Aussage des Zeugen H. befanden sich einige Werkzeuge (ua Wanne, Sparrenanker) auf dem Dach und es dauerten die Arbeiten auf dem Dach bereits 2,5 bis 3 Stunden an, so dass es sich jedenfalls um einen zu sichernden Arbeitsplatz nach § 12 der BGV C 22 handelte. Der durch die glaubhafte Zeugenaussage widerlegte Einwand des Beklagten, dass man sich noch in der Phase der Gefährdungsbeurteilung befunden habe, schließt eine Haftung daher nicht aus.

39

Zudem dürfte der Einwand unerheblich sein, da die Vorschrift des § 12 der BGV C 22 nicht zwischen Vorarbeiten und Arbeiten differenziert. Beides findet an einem Arbeitsplatz statt und ein Ausnahmefall nach § 12 Abs. 4 BGV C 22, dessen Voraussetzungen auch schon aufgrund des Umfanges der Arbeiten nicht gegeben sind, liegt nicht vor.

40

Der Beklagte hat für die erforderlichen Maßnahmen nach § 12 Abs. 1 und 2 der BGV C 22 unstreitig nicht gesorgt und damit gegen die Vorschrift verstoßen. Die spätere Errichtung eines Fangzauns zur Fortsetzung der Arbeiten an der Baustelle belegt zudem, dass eine Absicherung nach § 12 Abs. 2 der BGV C 22 möglich gewesen wäre.

41

Die vom Beklagten an der Baustelle mitgeführten Stricke stellen keinen Anseilschutz i.S.d. § 12 Abs. 3 der BGV C 22 dar und es wurde zudem nicht vom Beklagten dafür Sorge getragen, dass diese nicht ausreichenden Stricke oder der im Transporter liegende Gurt verwendet wurden.

42

Nach der Schilderung des Zeugen H. sind die vom Beklagten als Sicherungsgarnituren bezeichneten Seile, einfache Stricke gewesen ohne weitere Vorkehrungen zum Schutze der Person gegen Einschnürungen oder zur Befestigung am Körper. Nach der BG-Regel 198 sind Sicherungen mit einem Geschirr und einem Gurt versehen, so dass eine Sicherung i.S.d. Vorschrift des § 12 Abs. 3 der BGV C 22 nicht gegeben war (hier wird auf den Inhalt der Anlage K 17 Bl. 186 d. A. verwiesen). Von einem Anseilschutz kann bei Verwendung einfacher Seile nicht gesprochen werden. Die Verwendung von einfachen Seilen erhöht sogar das Risiko, zu stolpern, sich zu verfangen oder sich zu verletzen, so dass eine Vorkehrung i.S.d. § 12 Abs. 3 der BGV C 22 nicht getroffen wurde.

43

Auch sagte der Zeuge glaubhaft aus, was auch ohne Vortrag der Klägerin zu Gunsten der Klägerin zu verwerten ist (s. BGH NJW 2001, 2177), dass sich ein Gurt im Transporter befunden habe, so dass dieser Anseilschutz nicht verwendet wurde. Der im Transporter gelagerte Gurt, wurde nach der Aussage des Zeugen H. und den Angaben des Beklagten nicht eingesetzt und befand sich nicht zugriffsbereit und montiert an der Arbeitsstätte.

44

Eine zweite Garnitur war nach der Aussage des Zeugen nicht vorhanden, so dass ein ausreichender Anseilschutz auch aus diesem Grunde nicht am Arbeitsplatz vorhanden war und damit auch nicht verwendet wurde.

45

Zudem verstieß das Verhalten des Beklagten gegen die Handlungsverpflichtung aus § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 der BGV C 22. Der Beklagten trug keine Sorge dafür, dass ein Anseilschutz - der ohnehin gegenüber einem Auffangschutz nur subsidiär zulässig ist - verwendet wurde. Der Beklagte war mit dem Zeugen H. und dem Geschädigten G. gemeinsam auf dem Dach und nahm die Arbeiten auf. Nach der Aussage des Zeugen H. und dem späteren Vortrage des Beklagten wurde weder ein Seil zum Arbeiten noch der im Transporter befindliche Gurt eingesetzt. Der Beklagte hat damit weder die Verwendung des nicht geeigneten Seils angewiesen noch sich für die Verwendung des Gurtes eingesetzt.

46

Der Beklagte handelte aufgrund des Verstoßes gegen die Vorschrift des § 12 der BGV C 22 und aufgrund der Umstände des Einzelfalles auch objektiv und subjektiv nicht entschuldbar pflichtwidrig. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (BGH NJW 2001, 2092, 2093). Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sei, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH a.a.O.). Bei einem Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift liegt eine schwere Verletzung der Sorgfaltspflicht regelmäßig vor, wenn diese mit eindeutigen Sicherheitsanweisungen vor tödlichen Gefahren schützen soll (BGH a.a.O.; BGH NJW-RR 1989, 339, 340). Die Vorschrift schützt die Arbeitnehmer bei Dacharbeiten, zumindest bei einer Traufenhöhe von mehr als 9,00 m, gegen tödliche Gefahren (s. nur OLG Schleswig, Urteil vom 13.06.2006 Az.: 3 U 96/05, S. 10), so dass eine objektiv schwere Pflichtverletzung indiziert ist.

47

Grundsätzlich rechtfertigt ein objektiv grober Pflichtenverstoß für sich allein nicht den Schluss auf ein entsprechendes gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt (BGH NJW 2001, 2092, 2093). Eine Inanspruchnahme des privilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs ist nur dann gerechtfertigt, wenn auch subjektiv eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 1 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGH NJW 2001, 2092, 2093). Eine subjektive Vorwerfbarkeit kann bei einer Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften, die vor tödlichen Gefahren schützen indiziert sein. Dabei spielt insbesondere eine Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen hat, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren. Im letzteren Fall kann der objektive Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten ein solches Gewicht haben, dass der Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt ist (BGH NJW 2001, 2092, 2093 mN). Der Beginn der Arbeiten und die Ausführung der Arbeiten erfolgte ohne jegliche Schutzvorkehrungen. Der mitgebrachte Gurt wurde nicht eingesetzt und stand auf dem Dach nicht zur Verfügung. Auch hat der Beklagte nicht den Einsatz des Gurtes angewiesen oder diesen selbst verwendet.

48

Die vorhandenen Stricke und deren einmalige Verwendung im Rahmen der Arbeiten durch den Versicherten G. stellt keine Verwendung eines Anseilschutzes i.S.d. § 12 Abs. 3 der BGV C 22 dar (s.o.). Es wurde keine von den vorgeschriebenen Schutzvorrichtungen zum Einsatz gebracht noch auf den Einsatz von Schutzvorkehrungen durch den Beklagten hingewirkt, so dass bei Durchführung der Arbeiten von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen gänzlich abgesehen wurde.

49

Auch ist eine subjektive Vorwerfbarkeit aufgrund der Umstände des Falles zu bejahen. Das Verhalten des Beklagten verstieß gegen § 12 der BGV C 22 und ist nicht entschuldbar. Es musste dem Beklagten, der zusammen mit dem Zeugen H. und dem Versicherten G. auf dem Dach arbeitete, unmittelbar einleuchten, dass bei einer Fallhöhe von 9,00 m, feuchtem Betondach mit 35° Neigung und sich verschlechternder Witterungsverhältnisse (starker Wind und später Regen) ein sicheres Arbeiten nicht möglich war.

50

Der Zeuge H. schilderte, dass die mitgeführten Stricke lediglich einmal zum Einsatz kamen. Der Zeuge bugsierte mit dem Strick den Versicherten G. bis zur Dachrinne, um es diesem zu ermöglichen, die Brille des Beklagten, die ihm vom Winde vom Kopf geweht worden war, aus der Dachrinne zu holen. Spätestens dieser Vorfall lässt eine Gleichgültigkeit gegenüber den Absturzgefahren zum Ausdruck kommen, die nicht mehr entschuldbar ist. Es ist kaum noch nachvollziehbar, dass die Gefahren durch eine fehlende Sicherung nicht erkannt wurden und die Arbeiten zunächst weitergeführt wurden.

51

Zudem war der Beklagte sich der Gefahr bewusst, da nach den nachvollziehbaren Angaben des Zeugen H., der Hinweis erteilt wurde, vom Wind erfassten Gegenständen nicht nachzulaufen und vorsichtig zu sein.

52

3. Der Klägerin kann nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII ein Mitverschulden des Versicherten G. in Höhe von 20 % entgegengehalten werden. Nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII kann der Versicherer nur in Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs Rückgriff nehmen, so dass dieser sich ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB auf seinen originären gesetzlichen Anspruch anrechnen lassen muss (OLG Schleswig, a.a.O., S. 16; Rolfs, in Erfurter Kommentar, 8. Aufl., § 110 SGB VII, Rn. 7 mN).

53

Bei Abwägung der Verschuldensanteile könnte der Beklagten dem Anspruch des Versicherten ein Mitverschuldensanteil entgegenhalten, der bei Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsanteile mit 20 % zu veranschlagen ist.

54

Das Verhalten des Versicherten G. war für den Versicherungsfall ursächlich. Der Versicherte G. kannte ebenso wie der Beklagte die gefahrbegründenden Umstände. Der Versicherte G. befand sich ca 2,5 bis 3 Stunden auf dem Dach. Auch war er den schlechten Witterungsverhältnissen ausgesetzt und überblickte die Situation objektiv auf dem Dach.

55

Auch war es der Versicherte G. der mit Hilfe eines Stricks die fortgewehte Brille des Beklagten aus der Dachrinne zog.

56

Jedoch überwiegt das Verschulden des Beklagten wesentlich. Die Unfallverhütungsvorschriften richten sich gerade an den Beklagten. Es liegt im Verantwortungs- und Fürsorgebereich des Beklagten, dass diese Vorschriften eingehalten werden (s. nur OLG Schleswig a.a.O., S. 17). Der Beklagte hatte nach § 4 der BGV C 22 für die Maßnahmen nach § 12 der BGV C 22 Sorge zu tragen. Auch für die tatsächliche Verwendung eines ohnehin auf dem Dach nicht vorhandenen bzw. nicht ausreichenden Anseilschutzes trug der Beklagte nach § 12 Abs. 3 a. E. der BGV C 22 die Verantwortung.

57

Wesentlich ist aber auch, dass der Beklagte selbst auf dem Dach tätig wurde, ohne eine Sicherungsmaßnahme zu ergreifen. Der Beklagte musste sich als Arbeitgeber bewusst sein, dass seine Arbeitnehmer seinem negativen Beispiel folgen. Es kann einem Arbeitnehmer nur vermindert vorgeworfen werden, dass er die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften nicht beachtete, wenn zugleich der vornehmlich rechtlich und wirtschaftlich Verantwortliche die Sicherheitsanforderungen gröblich verletzt.

58

Der Einwand des Beklagten, dass der Versicherte G. eigenmächtig sich ohne Sicherung auf das Dach begeben habe, ist durch die Beweisaufnahme widerlegt. Der Zeuge H. schilderte ausführlich und nachvollziehbar, dass zuvor ohne Anseilschutz gearbeitet wurde. Auch sagte er aus, dass das Werkzug sich auf dem Dach befunden habe, so dass es dem Beklagten einleuchten musste, dass die notwendigen Aufräumarbeiten auch ohne den im Transporter verbliebenen Gurt angegangen werden.

59

Schließlich ist auch die Behauptung des Beklagten, dass er über die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften belehrt habe und er den Versicherten G. angewiesen habe, einen Anseilschutz zu verwenden, durch die Zeugenaussage widerlegt bzw. ohne Einfluss auf ein etwaiges Mitverschulden des Versicherten G.. Der Beklagte selbst arbeitete ohne Sicherung auf dem Dach. Eine möglicherweise zuvor erteilte Anweisung verlor durch dieses widersprüchliche Verhalten des Beklagten jegliche Verbindlichkeit und Glaubhaftigkeit gegenüber dem Versicherten G..

60

4a) Der Kläger kann Ersatz von Aufwendungen in Höhe von insgesamt 215.497,52 € beanspruchen.

61

Die Klägerin hat durch die Vorlegung der Unfallakte Aufwendungen in Höhe von 269.371,91 € schlüssig vorgetragen und nachgewiesen. Die Einwände des Beklagten, dass eine Prüfung der Kausalität und der Aufwendungshöhe nicht möglich sei ist durch Vorlage der Einzelnachweise beseitigt worden. Ein einfaches Bestreiten der Aufwendungshöhe ist angesichts der vorgelegten Einzelnachweise nicht mehr hinreichend.

62

Die Einzelpositionen sind auch ersatzfähig. Zu ersetzen sind sämtliche Aufwendungen der Sozialversicherungsträger, dh Leistungen nach Gesetz oder Satzung einschließlich Ermessensleistungen sowie bezifferbaren Verfahrenskosten (Ricke, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Lieferung 2007, § 110 SGB VII Rn. 8).

63

Die dargelegten Kosten für den Einsatz eines Rettungswagens, des Rettungsdienstes, von Krankentransporten, von stationären Behandlungs- und Heimunterbringungskosten, Krankengymnastik, Medikamenten, Verletztengeld, Rentenversicherungs- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, Verwaltungskosten der Sozialversicherer, eine Verletztenrente und Fahrtkosten sind ersatzfähig.

64

Die den Krankenversichern aufgrund öffentlichrechtlicher Vereinbarung geschuldeten Verfahrensgebühren und die Kosten für Gutachten und Berichte sind als Verfahrenskosten auch ersatzfähig (s. Rolfs, in Erfurter Kommentar, 8. Aufl., § 110 SGB VII, Rn. 7).

65

b) Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin übersteigt auch nicht die fiktive zivilrechtliche Verpflichtung des Beklagten gegenüber dem Versicherten zum Ersatze des entstandenen Schadens.

66

Dem Beklagten wäre mindestens ein Verdienstausfall in Höhe von 72.819,20 € (2 Jahre und 7 Monate bei einem monatlichen Durchschnittsverdienst von 2.349,00 €) für den Zeitraum 25.03.2005 bis 25.10.2007 entstanden. Dies entspricht dem vorgetragenen Bruttojahresverdienst im Zeitraum vor der Verletzung in Höhe von 28.188,08 € (s. Bl. 15 der Unfallakte Bd. 1).

67

Eine Minderung des Anspruchs, z.B. durch Leistungen Dritter, sind vom darlegungspflichtigen Beklagten nicht geltend gemacht worden, so dass von einem Verdienstausfall in der berechneten Höhe auszugehen ist (wie hier zur Darlegungslast: Schmitt, SGB VII, 2. Aufl., § 110 Rn. 13 mwN; a.A. OLG Karlsruhe r+s 2007, 260 f.). Zudem übersteigt der im übrigen von der Klägerin vorgetragene Schaden den Aufwendungsersatzanspruch (s.u.), so dass eine Einstellung dieser Position nicht entscheidungserheblich ist.

68

Ferner ist ein fiktiver Schmerzensgeldanspruch in die Berechnung einzustellen (s. nur BGH NJW 2006, 3563 ff., OLG Karlsruhe r+s 2007, 260 f., a.A. Rolfs, in Erfurter Kommentar, 8. Aufl., § 110 SGB VII, Rn. 7 mwN), der nach den erlittenen Verletzungen und Schmerzen sowie Dauerschäden mit vollständiger Aufhebung der Erwerbsfähigkeit mit 75.000,00 € angemessen bemessen ist (bei vergleichbaren Verletzungen wurden Schmerzensgeldbeträge in diesem Rahmen zugesprochen [vgl. OLG Frankfurt ZfS 1994, 82; LG Aachen Urteil vom 22.11.1990, 8 O 467/90; OLG Bamberg Urteil vom 12.05.1998, 5 U 236/96]). Zudem kann auf die von der Klägerin vorgelegten Gutachten verwiesen werden.

69

Schließlich sind die Folgenden von der Klägerin geltend gemachten Kosten auch vom zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Klägers umfasst:

70

Rettungstransporte in Höhe von

 4.754,09 €

die Kosten für die stationäre Heilbehandlung in Höhe von

 202.325,12 €

die Kosten für die stationäre Heimunterbringung in Höhe von

 20.801,34 €

Krankentransporte

 2.461,35 €

Krankengymnastik

 1.156,80 €

Fahrtkostenerstattung

 6.333,04 €

Medikamente

 1.037,08 €

Summe:

 238.868,82 €

zzgl. Schmerzensgeld in Höhe von 75.000,00 €

 313.868,82 €

zzgl. Verdienstausfall in Höhe von 72.819,20 €

 386.088,02 €

Verschuldensquote von 80%=

309.350,41 €

71

Eine Begrenzung des Anspruchs aus § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII ist aufgrund der Höhe der zivilrechtlich ersatzfähigen Schäden des Versicherten nicht eingetreten.

II.

72

Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Es sind aufgrund der körperlichen Dauerschäden auch in Zukunft weitere Schäden bzw. Aufwendungen zu erwarten, so dass ein Feststellungsinteresse gegeben ist.

73

Der Feststellungsausspruch war nach § 110 Abs. 1 S. 1 SBG VII in der Höhe zu begrenzen. Eine Verpflichtung des Beklagten besteht nur in Höhe der fiktiven zivilrechtlichen Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz.

III.

74

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1, 291 BGB.

IV.

75

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.


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