Urteil vom Landgericht Flensburg (2. Zivilkammer) - 2 O 278/20

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin mit Ausnahme derjenigen Kosten, die durch die Beauftragung des Sachverständigen Dipl.-Ing. H. angefallen sind. Letztere trägt die Beklagte.

Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Für die Beklagte ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten aus übergegangenem Recht einen Gesamtschuldnerinnenausgleich geltend.

2

Die Klägerin ist die Haftpflichtversicherung der G… Baugenossenschaft eG (im Folgenden: G.). Die WEG … 4 (im Folgenden: WEG) beauftragte die G. im Jahr 2012 mit der Erbringung von Architektenleistungen im Zusammenhang mit der Flachdachsanierung an ihrer Immobilie in N… . Die G. erstellte insbesondere eine Sanierungsplanung.

3

Die WEG beauftragte sodann die Beklagte durch VOB/B-Bauvertrag vom 6.6.2012 mit der Durchführung der von der G. geplanten Sanierungsarbeiten an der Dachkonstruktion. Die Beklagte führte diese Arbeiten aus. Unter dem 23.11.2012 meldete die Beklagte gegenüber der G. schriftlich Bedenken an. Für den Inhalt des Bedenkenhinweises wird auf die Anlage B2, Bl. 54 d. A. Bezug genommen.

4

Die ausgeführte Art der Dachsanierung hielt die Vorgaben der Energieeinsparverordnung (ENEV) nicht ein. Die WEG führte gegen die G. vor der 2. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg zum Az. 2 O 14/17 einen Vorprozess. Durch Urteil vom 31.1.2020 verurteilte die Kammer die G., an die WEG 93.000,00 € nebst Zinsen zu zahlen und stellte die Schadensersatzpflicht der G. im Hinblick auf Folgeschäden fest. Die Kammer ging dabei im Hinblick auf die Nichteinhaltung der Vorgaben der ENEV von einem Planungsfehler der G. aus, der dazu führte, dass diese an die WEG Schadensersatz in Form eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags von 93.000,00 € zu zahlen hatte.

5

Die G. verkündete in dem Vorprozess der hiesigen Beklagten den Streit, woraufhin diese dem Vorprozess auf Seiten der G. beitrat.

6

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die hälftige Erstattung der in dem Verfahren 2 O 14/17 ausgeurteilten Beträge, die die Klägerin an die WEG zahlte.

7

Die Beklagte hat sich zunächst damit verteidigt, dass sie den Planungsfehler der G. weder erkannt habe noch habe erkennen können. Die Kammer hat daraufhin ein Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H. eingeholt, das zu dem Ergebnis kam, dass die Nichteinhaltung der ENEV für die Beklagte klar erkennbar gewesen sei. Die Beklagte hat daraufhin mitgeteilt, zwischenzeitlich Zugriff auf alte Dateien aus dem Computer des seinerzeit für das Bauvorhaben zuständigen Meisters bekommen zu haben. Infolge der Sichtung dieser Unterlagen geht die Beklagte nunmehr selbst davon aus, dass sie die Nichteinhaltung der Vorgaben der ENEV erkannt hat.

8

Die Klägerin beantragt,

9

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 46.500,00 € nebst 9 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 4.12.2018 zu zahlen,

10

2. festzustellen dass die Beklagte an sie 1/2 des Schadens zu bezahlen hat, den sie im Rahmen des Urteils des LG Flensburg Az. 2 O 14/17 noch an die Wohnungseigentümergemeinschaft WEG…4 in N… zu zahlen hat.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Die Beklagte behauptet, sie habe im Rahmen einer Baustellenbesprechung vom 17.7.2012 mündlich darauf hingewiesen, dass die ausgeschriebene Dämmung nach ENEV nicht ausreichend sei. Um diese Vorgaben einhalten zu können, habe sie eine Vakuumdämmung empfohlen, was aber bereits im Rahmen der Baustellenbesprechung abgelehnt worden sei. Die Beklagte verweist hierzu auf ihr Baustellenbesprechungsprotokoll (Anlage B1, Bl. 53 d. A.). Die Klägerin behauptet, auf Grund der energetischen Bedenken habe sie im Anschluss an die Baustellenbesprechung vom 17.7.2012 ein Nachtragsangebot Nr. NA12-017 vom 23.7.2012 (Anlage B3, Bl. 63 d. A.) vorgelegt, mit dem statt der vorgesehenen 8 cm starken EPS Dämmung der WLG 035 eine 8 cm starke PIR Dämmung der WLG 025 habe eingebaut werden sollen. Dieses Nachtragsangebot - mit dem unstreitig zumindest eine verbesserte Wärmedämmung erreicht worden wäre - sei nicht beauftragt worden, da die WEG nicht bereit gewesen sei, die Mehrkosten von rund 3.500,00 € zu tragen.

14

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B1, M. K. und B2. . Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 3.12.2021 (Bl. 84 ff. d. A.).

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist erfolglos. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

16

I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Betrags in Höhe von 46.500,00 € gemäß §§ 637 Abs. 3, 634 Nr. 2, 633, 631 i. V. m. § 426 Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG.

17

Es kann dahinstehen, ob das Werk der Beklagten aufgrund der fehlenden Einhaltung der Vorgaben der ENEV mangelhaft ist oder ob die Beklagte einen gegenüber der WEG als Bauherrin ausreichenden Bedenkenhinweis im Hinblick auf diesen Umstand erteilt hat. Denn jedenfalls steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Beklagte einen mündlichen Bedenkenhinweis erteilt hat, der im Innenverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu einer alleinigen Haftung der Klägerin führt.

18

Auch wenn § 4 Abs. 3 VOB/B vorsieht, dass eine Bedenkenanzeige schriftlich zu erfolgen hat, ist ein mündlicher Bedenkenhinweis nicht gänzlich unbeachtlich, sondern kann gegebenenfalls zu einem anspruchsausschließenden Mitverschulden des Auftraggebers führen (vgl. Werner/Pastor - Manteufel/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Rn. 2022). Aus Sicht der Kammer kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte den Bedenkenhinweis vorliegend direkt gegenüber der Bauherrin oder gegenüber der Klägerin erteilt hat und ob die Klägerin gegebenenfalls für die Entgegennahme eines Bedenkenhinweises für die Bauherrin bevollmächtigt war. Denn vorliegend ist nicht zu entscheiden, ob die Haftung der Beklagten gegenüber der Bauherrin vollständig entfällt, sondern über das Innenverhältnis der Haftung zwischen Klägerin und Beklagter. Bei der Nichteinhaltung der ENEV handelt es sich um einen Planungsfehler der Klägerin, der sich in dem Gewerk der Beklagten lediglich realisiert hat. Es oblag vorrangig der Klägerin, die Bauherrin über die geeigneten Maßnahmen zu beraten und über Vor- und Nachteile der gewählten Lösung aufzuklären. Wenn daher die Beklagte die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass die gewählte Lösung nicht fachgerecht ist, weil die Vorgaben der ENEV nicht eingehalten werden, so ist dies jedenfalls im Innenverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten ausreichend, um eine von § 426 Abs. 1 S. 1 BGB abweichende Haftungsverteilung zu rechtfertigen und die Haftung vollständig auf die Klägerin zu verlagern.

19

Nach der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass die Beklagte einen ausreichenden Bedenkenhinweis mindestens mündlich gegenüber der Klägerin erteilt hat. Dass dies dem ursprünglichen eigenen Vortrag der Beklagten entgegensteht, wonach sie selbst die Nichteinhaltung der ENEV nicht erkannt habe, hindert eine entsprechende Überzeugung der Kammer nicht. Denn die Beklagte hat dies nachvollziehbar damit erklärt, dass ihr nicht alle entscheidenden Unterlagen vorlagen und sie daher erst später Kenntnis von den konkreten Inhalten der Kommunikation zwischen den damals am Bau Beteiligten erhalten hat.

20

Das Protokoll der Baustellenbesprechung vom 17.7.2012 (Anlage B1, Bl. 53 d. A.) beschreibt genau denjenigen Umstand, aufgrund dessen die Planung der Klägerin in dem Urteil der Kammer zum Verfahren 2 O 14/17 (veröffentlicht in NJW 2020, 2813) als mangelhaft angesehen wurde. Denn es werden hierin Bedenken angemeldet mit dem Hinweis „Dämmung wie ausgeschrieben nach ENEV nicht ausreichend.“ Es lässt sich nicht mehr mit vollständiger Sicherheit nachverfolgen, ob dieses Baustellenbesprechungsprotokoll der Klägerin oder der WEG übergeben wurde. Nach der Beweisaufnahme ist die Kammer aber davon überzeugt, dass der Inhalt dieses Protokolls tatsächlich Gegenstand der Besprechung am 17.7.2012 war. Dies hat der Zeuge B1., der das Protokoll nach eigenen Angaben selbst geschrieben hat, überzeugend dargestellt. Er berichtete, dass er mit den Herren B2. und K. im Rahmen dieser Besprechung über das Problem der fehlenden Einhaltung der Vorgaben der ENEV gesprochen habe, wobei insbesondere letzterer für die Klägerin tätig war. Der Zeuge B1. schilderte weiter, dass im Rahmen der Besprechung bereits über Lösungsmöglichkeiten gesprochen worden sei. Insbesondere habe er ein Muster einer Vakuumdämmung dabei gehabt, bei deren Einsatz die Vorgaben der ENEV hätten eingehalten werden können. Es sei dann noch eine weitere Alternative diskutiert worden in Form einer PIR-Dämmung. Bezüglich dieser Alternative liegt der Kammer das Nachtragsangebot Nummer NA12-017 vom 23.7.2012 (Anlage B3, Bl. 63 d. A) vor. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Angebot nicht tatsächlich unterbreitet worden wäre. Da das Angebot unstreitig eine bessere Wärmedämmung beinhaltet, als beauftragt wurde, erscheint auch naheliegend, dass dieses Angebot gerade vor dem Hintergrund der Nichteinhaltung der ENEV unterbreitet wurde.

21

Auch der Zeuge K. hat berichtet, dass die Dämmstärke diskutiert worden sei. Er erinnerte sich nicht konkret daran, ob die Nichteinhaltung der ENEV thematisiert wurde, schloss dies aber auch nicht aus. Gleiches gilt für den Zeugen B2., der sich ebenfalls daran erinnerte, dass die Dämmwerte problematisch gewesen seien. Auch der Zeuge B2. konnte nicht sicher sagen, „ob über die Einhaltung der ENEV als solche“ gesprochen wurde, konnte sich aber „sehr gut vorstellen“, dass von der Beklagten ein Hinweis erteilt wurde, wie in dem Baustellenbesprechungsprotokoll enthalten. Da die Dämmstärke unmittelbar mit den Vorgaben der ENEV zusammenhängt, hält die Kammer es auch nach diesen Aussagen für unmittelbar naheliegend, dass die Beklagte ihre Bedenken so an die Klägerin weiterleitete, wie es im Baustellenbesprechungsprotokoll enthalten ist und wie es der Zeuge B1. berichtete.

22

Gegenüber der Klägerin war der Hinweis auf die Nichteinhaltung der ENEV in Kombination mit dem Vorschlag einer Vakuumdämmung auch inhaltlich ausreichend, um die Beklagte von einer Haftung frei werden zu lassen. Insbesondere bedurfte es keiner zusätzlichen Erläuterungen im Hinblick auf die mit der Nichteinhaltung der ENEV verbundenen Nachteile, da die Klägerin insoweit selbst fachkundig war und der Bedenkenhinweis daher als selbsterklärend angesehen werden kann. So schilderte es auch der Zeuge B1., der meinte, dass es da „nicht so viel zusätzlich zu erklären“ gab. Die Kammer schließt sich dieser Einschätzung an.

23

II. Aus denselben Gründen, aus denen kein Zahlungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten besteht, ist auch der Feststellungsantrag unbegründet und besteht auch kein Zinsanspruch der Klägerin.

24

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 96 ZPO. Die Kosten der Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten sind der Beklagten aufzuerlegen, da diese Beweisaufnahme zu Lasten der Beklagten ausgegangen ist und nur aufgrund des ursprünglichen, unzutreffenden Vortrags der Beklagten erforderlich wurde.

25

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für die Klägerin aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO und für die Beklagte aus § 709 S. 1, 2 ZPO.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen