Urteil vom Landgericht Freiburg - 7 Ns 330 Js 5488/04 - AK 52/05

Tenor

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Staufen vom 21.04.2005 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird an das Schöffengericht Freiburg verwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Die Berufung des Angeklagten ist damit gegenstandslos.

Gründe

 
I.
Durch Urteil des Amtsgerichts Staufen vom 21.04.2005 wurde der Angeklagte wegen Diebstahls und Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25,-- Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil legten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte jeweils form- und fristgerecht Berufung ein. Während die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel eine höhere Bestrafung forderte, erstrebte der Angeklagte einen Freispruch. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren an das zuständige Schöffengericht verwiesen.
II.
Mit Strafbefehl vom 24.03.2004 war dem Angeklagten vorgeworfen worden,
1. am 03.02.2004 gegen 15.00 Uhr in B. in den Geschäftsräumen der Fa. N. einen Feinkostbecher Antipasti im Wert von 5,-- Euro aus der Selbstbedienungstheke entnommen und in den Geschäftsräumen verzehrt zu haben, ohne die Ware anschließend an der Kasse bezahlt zu haben.
2. anschließend den Ladendetektiv L., der wegen dieses Vorgangs die Polizei habe rufen wollen, mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben, wodurch dieser kurzzeitig benommen gewesen und zu Boden gefallen sei.
Wie bereits vor dem Amtsgericht hat der Angeklagte auch in der Berufungshauptverhandlung diese Tatvorwürfe bestritten. Weder habe er einen Feinkostbecher an sich genommen und dessen Inhalt verzehrt, noch habe er irgendeine Tätlichkeit begangen. Vielmehr sei er freiwillig mit dem Ladendetektiv ins Büro gegangen und habe auch die Angabe seiner Personalien nicht verweigert. Das hätte im Übrigen auch keinen Sinn ergeben, denn er sei als langjähriger Kunde der Fa. N. dort bekannt gewesen. Völlig grundlos habe der Zeuge L. ihn dann angegriffen, worauf er sich dagegen gewehrt habe.
Demgegenüber gab der 51 Jahre alte vereidigte Zeuge L. glaubhaft an, er habe auf Grund der installierten Videoüberwachungsanlage den Bereich der Feinkosttheke, einer Selbstbedienungseinrichtung, auf dem Monitor in seinem Büro beobachtet und dabei gesehen, dass der Angeklagte einen etwa 300 g Inhalt fassenden Plastikbehälter mit gemischter Ware (Oliven und andere Antipasti) gefüllt habe. Beim Weitergehen habe der Angeklagte begonnen, diese Ware zu verzehren. Als verantwortlicher Hausdetektiv habe er deshalb sofort sein Büro verlassen und sich in den Verkaufsraum begeben, wo er nur einen Gang weiter direkt gegenüber vom Angeklagten gestanden und diesen beobachtet habe. Der Angeklagte habe den Inhalt des Plastikbehälters vollständig verzehrt und dann das leere Gefäß im Haushaltsmittelgang in ein Fach gelegt. Anschließend sei der Angeklagte durch die Kassenzone in den Vorraum des Ladens gegangen, wobei er mit den Worten „ich habe nichts“ seine leeren Hände demonstrativ hoch gehalten habe.
Er selbst sei dem Angeklagten unmittelbar gefolgt, habe ihm im Vorraum der Kassen seinen Ausweis gezeigt und ihn ins Büro gebeten, ohne dass der Angeklagte erkennbar darauf reagiert habe. Deshalb habe er ihn ein zweites Mal angesprochen mit den Worten, er möge mitkommen ins Büro, da man etwas zu klären habe. Der Angeklagte habe zunächst erwidert, er wisse nicht, was das solle, sei aber nach einigem Zögern dann doch mit ins Büro gekommen. Im Büro habe er den Angeklagten auf die Nichtbezahlung des Feinkostbechers angesprochen, was der Angeklagte mit den Worten bestritten habe, er - der Zeuge - solle keinen Blödsinn reden, und außerdem habe er keine Beweise. Nunmehr habe der Zeuge sich angeschickt, telefonisch die Polizei herbeizurufen. Daraufhin habe sich der Angeklagte zur Tür begeben, die nach innen zu öffnen gewesen sei. Um zu verhindern, dass der Angeklagte sich entferne, habe er diesen am Arm gefasst und ihm gesagt, dass er vorläufig festgenommen sei, wobei er sich auf § 127 StPO berufen habe. Der Angeklagte habe gelacht und geantwortet, das könne er nicht. Obwohl er - der Zeuge - seinen Fuß von innen gegen die Tür gestellt habe, sei es dem deutlich kräftigeren Angeklagten gelungen, diese zu öffnen und hinauszugehen. Der Zeuge habe den Angeklagten jedoch nicht losgelassen, so dass dieser ihn mit nach draußen gezogen und dort vergeblich versucht habe, ihn abzuschütteln.
Als der Zeuge den Angeklagten weiter festgehalten und der Zeugin M. an der Käsetheke zugerufen habe, sie solle den Chef rufen, habe der Angeklagte sich umgedreht, ihm einen Tritt gegen das rechte Schienbein versetzt und begonnen, mit der Faust auf ihn einzuschlagen. Er - der Zeuge - sei zweimal am Kopf getroffen worden und zu Fall gekommen, wobei er mit dem linken Knie hart auf den Steinboden geprallt sei. Gleichwohl habe er den Angeklagten nicht losgelassen, worauf dieser ihm einen weiteren Faustschlag gegen das Kinn versetzt habe, so dass er durch die Wucht des Schlages mit dem Kopf auf den Steinboden aufgeschlagen sei und seine Brille verloren habe, die am rechten Glas beschädigt worden sei. Durch den Aufprall seines Kopfes auf den Steinboden sei er kurz benommen und zunächst zu weiteren Handlungen nicht mehr in der Lage gewesen. In diesem Moment sei ein Mitarbeiter ihm zu Hilfe gekommen, und nach einiger Zeit sei es ihnen beiden mit vereinten Kräften gelungen, den Angeklagten wieder in das Büro zu verbringen. Auch dort habe der Angeklagte noch randaliert, so dass ein Milchgefäß verschüttet und der Monitor beschmutzt worden sei.
Etwa 15 Minuten später habe er sich übergeben müssen, und eine Stunde später sei er zu seinem Hausarzt gegangen, der folgende Verletzungen festgestellt habe: Verdacht auf Gehirnerschütterung, Prellungen am Kopf im Bereich der linken Schläfe und des Hinterhaupts, Prellung des Gesichts im Bereich des linken Jochbeins, Prellung des Os Sacrum und des rechten Schienbeines sowie Schürfverletzung und Bluterguss an der linken Schläfe. Bis zum 14.02.2004 sei er arbeitsunfähig gewesen. Erst einige Tage später seien Schmerzen im linken Knie aufgetreten, die so stark geworden seien, dass er jetzt nicht mehr Ski laufen könne und auch das Tennisspielen habe aufgeben müssen. Da die Schmerzen auch heute noch andauerten, habe sein Arzt ihm empfohlen, sich am Knie operieren zu lassen, da von einem größeren Schaden auszugehen sei. Er werde sich diesbezüglich noch mit einem Facharzt beraten, da nach ersten Informationen nicht ausgeschlossen werden könne, dass selbst eine Operation keine Verbesserung dieses Schadens bewirke. Nachdem er bis zu diesem Vorfall rund 17 Jahre lang als Ladendetektiv gearbeitet habe, habe er nun als Folge dieser Knieverletzung eine neue Tätigkeit als Kurierfahrer aufnehmen müssen, da er z.B. nicht mehr in der Lage sei, einem flüchtenden Ladendieb hinterherzulaufen.
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Der gleichfalls vereidigte Zeuge PHM K. berichtete glaubhaft, er sei mit seinem Kollegen PHK H. zur Fa. N. gekommen, da ihnen telefonisch gemeldet worden sei, ein renitenter Ladendieb werde festgehalten. Man habe die Beteiligten angehört, und entweder der Ladendetektiv oder der Geschäftsführer habe ihnen das leere Plastikgefäß gezeigt, dessen Inhalt im Wert von etwa 5,-- Euro der Angeklagte verzehrt haben solle. Auch habe der Detektiv über Kopfschmerzen geklagt.
III.
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Bei dieser Sachlage ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte eines räuberischen Diebstahls nach § 252 StGB und einer schweren Körperverletzung nach § 226 StGB strafbar gemacht haben könnte. Bei vorläufiger Bewertung der bisher erhobenen Beweise drängt sich auf, dass der Angeklagte Gewalt verübt hat, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten.
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Zunächst hat der Angeklagte den Tatbestand des Diebstahls dadurch erfüllt, dass er die Feinkostartikel an sich genommen und sie sich unmittelbar darauf einverleibt hat, ohne den entsprechenden Preis von etwa 5,-- Euro zu bezahlen. Schon das Oberlandesgericht Köln hat entschieden, dass derjenige, der in einem Selbstbedienungsladen eine Flasche öffne und daraus trinke, den Gewahrsam an dem Getränk deshalb inne habe, weil in dem Augenblick des Trinkens der Inhaber des Ladens von dem Gewahrsam an dem im Mund des Täters befindlichen Teil des Getränks ausgeschlossen werde, da es in diesem Augenblick nach der Lebensauffassung eindeutig der Herrschaftssphäre des Täters zuzuordnen sei (NJW 1986, 392). Für den vorliegenden Fall gilt nichts anderes, so dass der Diebstahl der Feinkostartikel vollendet war, als der Angeklagte das leer gegessene Plastikgefäß in ein Regal stellte und den Ladenbereich verließ, ohne zu bezahlen.
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Ebenso unstreitig ist, dass der Angeklagte auf frischer Tat betroffen gegen den Ladendetektiv Gewalt verübt hat.
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Zur Überzeugung der Kammer hat der Angeklagte auch in Besitzerhaltungsabsicht gehandelt, was heißt, dass seine Gewaltanwendung zum Ziel hatte, sich den Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten (vgl. Schönke-Schröder StGB 26. Aufl. § 252 Rn 7). Ein auf frischer Tat betroffener Dieb, der die entwendete Sache noch bei sich hat, diese Sache behalten will und deshalb Gewalt anwendet, macht sich des räuberischen Diebstahls nach § 252 StGB strafbar, selbst wenn er anschließend überwältigt wird und die entwendete Sache ihm wieder abgenommen werden kann. Der vorliegende Fall weist nun die Besonderheit auf, dass der Angeklagte die entwendete Sache nicht nur behalten wollte, sondern sie bereits endgültig behalten hat, indem er sie sich einverleibt hat. Selbst wenn er anschließend überwältigt wird, kann ihm die entwendete Sache nicht mehr ohne weiteres abgenommen werden - zumindest nicht ohne einen medizinischen Eingriff. Damit hat der Angeklagte bereits wie ein Eigentümer über die entwendete Sache verfügt und sie durch den Vorgang des Verzehrens - aus der Sicht des geschädigten Eigentümers - unwiederbringlich zerstört; aus der Sicht des Angeklagten jedoch nutzbringend verwertet, da er ein Hungergefühl gestillt oder zumindest ein Lustbedürfnis befriedigt hat. Im Vergleich zu einem räuberischen Dieb, dem die entwendete Sache alsbald wieder abgenommen und an den Eigentümer zurückgegeben werden kann, hat der Angeklagte deshalb ein „mehr“ an strafwürdigem Unrecht verwirklicht, da in seinem Fall die entwendete Sache dem Eigentümer gerade nicht mehr zurückgegeben werden kann.
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Wenn also im ersten Fall der Tatbestand des räuberischen Diebstahls erfüllt ist, dann muss dies zur Überzeugung der Kammer erst recht für den vorliegenden Fall gelten, in welchem der Angeklagte durch die rasche Verwertung des Diebesguts durch Verzehr den von ihm durch die Tat angestrebten Nutzen vollumfänglich erlangt hat. Die durch den Verzehr der Feinkostartikel bewirkte Verbesserung seines körperlichen Befindens wollte sich der Angeklagte durch die Gewaltanwendung auch erhalten, denn es lag nicht ganz außerhalb jeglicher Möglichkeit, den bestreitenden Angeklagten durch die Verabreichung eines Brechmittels zur Preisgabe seines Mageninhalts zu bewegen und ihn durch die Untersuchung desselben eines kurz zuvor erfolgten Verzehrs von Oliven u. ä. zu überführen. Ein solcher Sachbeweis wäre durchaus geeignet gewesen, die zeugenschaftlichen Bekundungen des Ladendetektivs über den Verzehrvorgang und die des Polizeibeamten über das Auffinden des leeren Feinkostbehälters am angegebenen Ort nicht unerheblich zu untermauern.
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Diese Bewertung durch die Kammer wird auch durch die eigene Einlassung des Angeklagten insoweit gestützt, als dieser ausdrücklich darauf hingewiesen hat, die Nichtangabe seiner Personalien wäre zwecklos gewesen, da er als langjähriger Kunde des N.-Marktes bekannt und daher leicht zu ermitteln gewesen sei. Auch daraus hat die Kammer zusätzlich den Schluss gezogen, dass die Gewaltanwendung gerade nicht dazu gedient hat, die Feststellung seiner Person zu verhindern (vgl. dazu den ähnlich gelagerten Fall des OLG Köln NJW 1967, 739 mit Anm. Schröder in NJW 1967, 1335).
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Im Übrigen ist nicht auszuschließen - was unter Umständen näherer Prüfung und Darlegung durch einen rechtsmedizinischen Sachverständigen bedarf -, dass der Angeklagte durch seine erhebliche und nachhaltige Gewaltanwendung gegen den Ladendetektiv eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen haben könnte, wenn festgestellt werden sollte, dass der Zeuge L. sein linkes Kniegelenk auf Dauer nur noch äußerst eingeschränkt gebrauchen könnte.
IV.
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Bei den Vorschriften der §§ 252, 226 StGB handelt es sich jeweils um Verbrechen, für die gemäß §§ 28, 25 GVG das Schöffengericht ausschließlich zuständig ist, selbst wenn die Voraussetzungen für die Annahme eines minder schweren Falles nach § 249 Abs. 2 bzw. § 226 Abs. 3 StGB vorgelegen haben sollten. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Staatsanwaltschaft unter dem 12.03.2004 wegen des Tatgeschehens einen Strafbefehl bei dem Strafrichter beantragt und dieser den Strafbefehl auch erlassen hatte. Vielmehr war gemäß § 328 Abs. 2 StPO das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das ausschließlich zuständige Schöffengericht F. zu verweisen. Dieses wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu entscheiden haben (vgl. Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 464 Rn 3).

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