Beschluss vom Landgericht Hagen - 1 T 113/22
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 25.05.2022 – 44 M 536/22 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1
G R Ü N D E
2Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat in der Sache keinen Erfolg.
3I.
4Mit Schreiben vom 17.03.2022 beauftragte die Gläubigerin den Gerichtsvollzieher zunächst mit der Abnahme der Vermögensauskunft gemäß § 5a VwVG NRW in Verbindung mit § 802c ZPO. In dem Vollstreckungsauftrag bescheinigt die Gläubigerin zugleich die Vollstreckbarkeit einer Forderung in Höhe von 2.492,40 €. In der in Bezug genommenen Forderungsaufstellung sind Musikschulgebühren, Kostenbeiträge im Rahmen von Hilfe zur Erziehung und eine Forderung gem. § 5 UVG zzgl. Nebenkosten enthalten. Wegen des Vollstreckungsauftrags wird auf den als Ablichtung aus der beigezogenen Sonderakte des Gerichtsvollziehers D (DR II 333/22) zur Gerichtsakte genommenen elektronischen Posteingang vom 17.03.2022 Bezug genommen.
5Der Vollstreckungsauftrag ist maschinenschriftlich mit dem Namen der verantwortlichen Person, jedoch nicht mit einem Dienstsiegel versehen. Er wurde elektronisch über das besondere elektronische Behördenpostfach übersandt.
6Nach einem kurzen Schriftwechsel zwischen dem Gerichtsvollzieher und der Gläubigerin lehnte der Gerichtsvollzieher den Auftrag mit Schreiben vom 05.05.2022 ab und führte zur Begründung aus, dass auch elektronisch eingereichte Vollstreckungsaufträge mit einem Dienstsiegel zu versehen seien.
7Daraufhin wandte sich die Gläubigerin mit Schreiben vom 06.05.2022 an den Gerichtsvollzieher und vertrat die Auffassung, der Vollstreckungsauftrag müsse nicht in gesiegelter Form eingereicht werden. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass sie seit dem 01.01.2022 gem. § 130d ZPO schriftlich einzureichende Anträge als elektronisches Dokument übersenden müsse. Gemäß § 130a Abs. 3, 4 ZPO sei bei Nutzung eines sicheren Übertragungswegs eine qualifizierte elektronische Signatur nicht erforderlich.
8Der Gerichtsvollzieher legte die Eingabe der Gläubigerin vom 06.05.2022 als Erinnerung aus, half dieser nicht ab, sondern gab die Sache mit Schreiben vom 09.05.2022 an das zuständige Amtsgericht Hagen ab.
9Auf Nachfrage bestätigte die Gläubigerin mit Schreiben vom 20.05.2022 gegenüber dem Amtsgericht Hagen, dass die Eingabe vom 06.05.2022 als Erinnerung gemäß § 766 Abs. 2 ZPO zu verstehen sei. Zu ihrer Rechtsauffassung führte die Gläubigerin weiter aus, es liege ein ordnungsgemäßer Auftrag vor. Der Vollstreckungsauftrag sei über das besondere elektronische Behördenpostfach übermittelt worden, was einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 4 Nr. 3 ZPO darstelle. Aus diesem Grund reiche eine einfache Signatur der verantwortlichen Person aus. Etwas anderes ergebe sich nicht aus § 5a Abs. 4 S. 2 VwVG NRW. Danach seien nur solche Vollstreckungsaufträge mit einem Dienstsiegel zu versehen, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt worden seien. Unter diese Ausnahmeregelung fielen nur solche Verwaltungsakte, bei denen bereits die Regelung selbst automatisch erstellt werde. Dies sei nur bei einer vollautomatischen Bescheid- bzw. Auftragserstellung der Fall, die hier nicht vorliege.
10II.
11Das Amtsgericht hat die Erinnerung der Gläubigerin mit Beschluss vom 25.05.2022 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Vorgehen des Gerichtsvollziehers sei nicht zu beanstanden. Aus § 5a Abs. 4 S. 2 VwVG ergebe sich, dass grundsätzlich Dienstsiegel und Unterschrift erforderlich seien und nur das Unterschriftserfordernis bei Massenverfahren entfalle. An dem Erfordernis des Dienstsiegels ändere sich auch durch die Vorschrift des § 130a ZPO nichts. Diese Norm regele lediglich die vorgeschriebene Art der Übermittlung, nicht hingegen die Anforderungen an die Erklärung über die Vollstreckbarkeit der Forderung.
12Gegen den ihr am 02.06.2022 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts wendet sich die Gläubigerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 15.06.2022. Eine weitere Begründung durch die Gläubigerin erfolgte nicht.
13Die Gläubigerin hat hilfsweise für den Fall, dass das Beschwerdegericht von ihrer Rechtsauffassung abweichen möchte, beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
14III.
15Die zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist unbegründet. Zutreffend hat das Amtsgericht die Erinnerung der Gläubigerin gegen die Ablehnung des Vollstreckungsauftrags durch den Gerichtsvollzieher zurückgewiesen. Der Gerichtsvollzieher hat den Vollstreckungsauftrag zurecht abgelehnt, weil der Vollstreckungsauftrag, der auch die Erklärung der Vollstreckungsbehörde über die Vollstreckbarkeit enthielt, nicht mit einem Dienstsiegel versehen war.
161.
17Die Zwangsvollstreckung erfordert grundsätzlich die Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels gemäß § 754 ZPO. Hiervon abweichend wird bei Vollstreckungsaufträgen in der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 5a Abs. 4 S. 1 VwVG NRW die Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung ersetzt durch die schriftliche Erklärung der Vollstreckungsbehörde über die Vollstreckbarkeit. Da der Vollstreckungsauftrag in Verbindung mit der Vollstreckbarkeitserklärung die alleinige Voraussetzung für die Anordnung von staatlichem Zwang und damit die einzige Urkunde ist, die der Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht erhalten, dürfen keine Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Aus diesem Grund ist der Vollstreckungsauftrag mit einer Unterschrift und einem Dienstsiegel zu versehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18.12.2014 – I ZB 27/14, NJW 2015, 2268 Rn. 16).
18Das Erfordernis eines Dienstsiegels besteht nach der vorstehend zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich und entgegen den rechtlichen Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht nur für Vollstreckungsaufträge, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt wurden. Nichts anderes folgt aus dem insoweit durchaus missverständlich formulierten § 5a Abs. 4 VwVG NRW, der in Satz 1 allgemein lediglich die „schriftliche Erklärung“ über die Vollstreckbarkeit fordert, während nach den Sätzen 2 und 3 gerade ein mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellter Vollstreckungsauftrag mit einem Dienstsiegel und dem Namen des zuständigen Bediensteten zu versehen ist, wobei es keiner Unterschrift bedarf.
19Vor dem Hintergrund des bereits beschriebenen Bedürfnisses, keinen Zweifel an der Echtheit der Erklärung über die Vollstreckbarkeit zuzulassen, kann nach Sinn und Zweck der Norm in § 5a Abs. 4 S. 2 und 3 VwVG NRW nur eine Erleichterung für Masseverfahren gesehen werden, in denen auf die Unterschrift verzichtet werden kann. Diesem Zweck liefe es entgegen, wenn zwar das Unterschriftenerfordernis in diesen Fällen wegfiele, jedoch eine andere Voraussetzung – die Anbringung eines Dienstsiegels – zusätzlich hinzukäme.
20Dies entspricht auch der Intention des Landesgesetzgebers. So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 5a Abs. 4 S. 2 und 3 VwVG NRW (Landtag NRW, Drucksache 16/11845, S. 32):
21„Auch bei einem mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellen Vollstreckungsauftrag ist ein Dienstsiegel (im Gegensatz zur Unterschrift) künftig weiterhin erforderlich.“
22Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der Erleichterung durch § 5a Abs. 4 S. 2 und 3 VwVG NRW davon ausging, dass auch bei einem nicht automatisiert erstellten Vollstreckungsauftrag die Anbringung eines Dienstsiegels erforderlich sei und dieses Erfordernis – im Gegensatz zum Unterschriftenerfordernis – fortbestehen solle. Hinzu kommt, dass die Gesetzesbegründung ausdrücklich auf die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.12.2014 (I ZB 27/14) Bezug nimmt, aus der – wie bereits dargelegt – das Erfordernis der dienstlichen Siegelung hervorgeht.
232.
24Der Umstand, dass Vollstreckungsaufträge von Behörden gemäß den §§ 753 Abs. 4, Abs. 5, 130a, 130d ZPO als elektronisches Dokument einzureichen sind, führt nicht dazu, dass das Erfordernis eines Dienstsiegels entfallen würde.
25Tatsächlich ist die Gläubigerin als Behörde gemäß §§ 753 Abs. 4, Abs. 5, 130d ZPO verpflichtet, Vollstreckungsaufträge als elektronisches Dokument einzureichen, wobei nach § 130a Abs. 3, Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ZPO bei der Nutzung eines sicheren Übermittlungsweges – hier über das besondere elektronische Behördenpostfach und die elektronische Poststelle des Gerichts – die einfache Signatur der verantwortlichen Person ausreicht. Die Übermittlung eines elektronischen Dokuments nach den vorstehenden Maßgaben führt dazu, dass das prozessuale Schriftlichkeitsgebot gewahrt wird, indem fingiert wird, dass das eingegangene Dokument der Schriftform entspricht (vgl. Ulrici, in: BeckOK-ZPO, 45. Edition, Stand: 01.07.2022, § 753 Rn. 20). Über die Schriftform hinausgehende Formerfordernisse werden durch die elektronische Übermittlung hingegen nicht berührt, da die elektronische Übermittlung nach Maßgabe des § 130a ZPO nur das Schriftformerfordernis ersetzt (vgl. Greger, in: Zöller-ZPO, 34. Auflage 2022, § 130a Rn. 2).
26Das nach den vorstehenden Ausführungen unter Ziffer III. 1. bei Vollstreckungsaufträgen einer Behörde in Verbindung mit der Vollstreckbarkeitserklärung erforderliche Anbringen eines Dienstsiegels wird somit nicht durch die elektronische Übermittlung des Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg entbehrlich.
27Denn das Dienstsiegel gibt über die Unterschriftsleistung hinaus dem Empfänger die Gewähr dafür, dass die Wirksamkeit der Erklärung maßgebenden Vorschriften eingehalten sind. Die Beifügung des Stempels oder Siegels der Behörde begründet eine erhöhte Gewähr für die Ordnungsmäßigkeit der Erklärung (OLG Dresden Beschl. v. 29.4.2015 – 17 W 415/15 - BeckRS 2015, 13319). Die Kammer geht davon aus, dass diese für ein nach § 29 Abs. 3 GBO erforderliches Dienstsiegel erfolgten Rechtsausführungen auf den vorliegenden Fall des Erfordernisses der Siegelung des Vollstreckungsauftrags gem. § 5a Abs. 4 VwVG NRW übertragbar sind, da in beiden Fällen das Dienstsiegel die Funktion übernimmt, besondere Gewähr für die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens und der Erklärung.
28Soweit die Beschwerdeführerin ausführt, gem. § 130a ZPO sei keine qualifizierte Signatur erforderlich, ist dies zutreffend, führt aber zu keinem anderen Ergebnis. Das Fehlen einer qualifizierten Signatur wurde weder vom Gerichtsvollzieher noch vom Vollstreckungsgericht gerügt.
293.
30Im vorliegenden Fall entspricht somit der von der Gläubigerin in elektronischer Form übermittelte Vollstreckungsauftrag in Verbindung mit der Vollstreckbarkeitserklärung nicht den von § 5a Abs. 4 VwVG NRW vorgesehenen Anforderungen, sodass der Auftrag durch den Gerichtsvollzieher richtigerweise zurückzuweisen war. Zwar ist die Schriftform des Vollstreckungsauftrags trotz der einfachen Signatur gewahrt, indem das Dokument über einen sicheren Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ZPO übermittelt wurde. Dem Dokument fehlt jedoch das erforderliche Dienstsiegel.
31IV.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, wobei die Gläubigerin nach § 122 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW Gebührenfreiheit genießt.
33V.
34Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen. Die Rechtsfrage, ob ein Vollstreckungsauftrag in Verbindung mit einer Vollstreckbarkeitserklärung nach § 5a Abs. 4 VwVG NRW trotz seiner elektronischen Übermittlung über einen sicheren Übermittlungsweg mit einem Dienstsiegel versehen sein muss, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Gerade seit dem Inkrafttreten des § 130d ZPO wird in der Praxis immer wieder die vom Beschwerdegericht für unzutreffend erachtete Auffassung vertreten, dass bei elektronischer Übermittlung über einen sicheren Übermittlungsweg das Erfordernis einer Siegelung des Vollstreckungsauftrags gem. § 5a Abs. 4 VwVG NRW entfalle.
35Es ist zu erwarten, dass die hier für klärungsbedürftig erachtete Frage in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten wird, weshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist. Die Frage ist – soweit ersichtlich – bislang höchstrichterlich nicht geklärt.
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Referenzen
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- §§ 753 Abs. 4, Abs. 5, 130a, 130d ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 802c Vermögensauskunft des Schuldners 1x
- §§ 753 Abs. 4, Abs. 5, 130d ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- § 130d ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- § 5a Abs. 4 S. 2 VwVG 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 754 Vollstreckungsauftrag und vollstreckbare Ausfertigung 1x
- 44 M 536/22 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 130a Elektronisches Dokument 8x
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