Urteil vom Landgericht Halle - 6 O 83/15

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen einer steuerlichen Beratung.

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Die Klägerin ist Berufsbetreuerin. Der Beklagte war seit Anfang der 1990er Jahre ihr Steuerberater.

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Der Beklagte erstellte für die Klägerin für die Jahre 2005-2010 die Jahresabschlüsse und steuerlichen Deklarationen, so auch die Umsatzsteuererklärungen. Hierbei behandelte der Beklagte die Klägerin als umsatzsteuerpflichtig. Die Steuerlast wurde entsprechend der steuerlichen Deklarationen antragsgemäß festgesetzt und die ermittelte Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt. Für das Jahr 2010 betrug die abgeführte Umsatzsteuer 15.078,41 €.

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Einspruch gegen die Festsetzung wurde nicht eingelegt. Die Umsatzsteuerbescheide wurden bestandskräftig; das zuständige Finanzamt ... hob den Vorbehalt der Nachprüfung der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2010 am 2.1.2012 auf.

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Mit Urteil vom 17.2.2009 (Az. XI R 67/06) entschied der Bundesfinanzhof, dass sich ein zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege gehörender und gemeinnützigen Zwecken dienender Verein - sog. Betreuungsverein - für die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung für Betreuungsleistungen unmittelbar auf die günstigere Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (bzw. Art. 132 Abs. 1 lit. g der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie) berufen kann und dessen Umsätze nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. ebenfalls Art. 132 Abs. 1 lit. g der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie) steuerfrei sind.

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Mit Urteil vom 25.4.2013 (Az. V R 7/11) entschied der Bundesfinanzhof, dass gerichtlich gemäß § 1896 BGB zur Erbringung von Betreuungsleistungen bestellte Berufsbetreuer bei dieser Leistung als anerkannte Einrichtung im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 132 Abs. 1 lit. g der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie handeln und sich für die Steuerfreiheit der aufgrund dieser Bestellung erbrachten Betreuungsleistungen auf das Unionsrecht berufen können.

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Nachträgliche Versuche, eine Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuer unter Verweis auf diese Rechtsprechung beim Finanzamt zu erwirken, blieben aufgrund der eingetretenen Bestandskraft ohne Erfolg.

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Die Klägerin meint, sie sei Berufsbetreuerin im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. g der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie; dies sei dem Beklagten auch bekannt gewesen. Sie behauptet, der Beklagte habe sie uneingeschränkt und umfassend aufgrund eines Dauermandats in steuerlichen Sachen beraten und vertreten. Die ihr gegenüber ergangenen Steuerbescheide habe sie dem Beklagten zur Prüfung vorgelegt. Unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten waren die von ihr erbrachten Leistungen steuerfrei und hätten von dem Beklagten auch so erfasst und erklärt werden müssen. Es handele sich um eine vermeidbare Steuerschuld, hinsichtlich derer eine Beratung hätte stattfinden müssen. Es sei auch ein Musterverfahren beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg unter dem Az. 5 K 5224/10 wegen der gleichen Rechtsfrage anhängig gewesen. Der Beklagte hätte jedenfalls seit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 17.2.2009 von der Frage der möglichen Umsatzsteuerfreiheit der Betreuungsleistungen von Berufsbetreuern Kenntnis haben können und müssen, ggf. auch Spezialzeitschriften zur Lektüre heranziehen müssen. Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagte danach verpflichtet gewesen wäre, die sich abzeichnende Rechtsänderung nach diesem Urteil auch hinsichtlich der Berufsbetreuer bei der Erstellung der Umsatzsteuererklärungen zu beachten und ggf. gegen die Umsatzsteuerbescheide Einspruch einzulegen. Dann wären diese nicht bestandskräftig geworden und der Klägerin hätte ein Anspruch auf Erstattung der gezahlten Umsatzsteuer zugestanden.

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Mit ihrer am 13.3.2015 zugestellten Klage beantragte die Klägerin ursprünglich, den Beklagten zu verurteilen, an sie 66.068,29 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Nachdem die Klägerin ihre Klage im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29.6.2015 teilweise zurückgenommen hat, beantragt sie nunmehr,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 12.954,89 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Der Beklagte hat der teilweisen Klagerücknahme zugestimmt und beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

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Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 12.954,89 € aus §§ 675, 280 Abs. 1 BGB.

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Die Parteien waren durch einen Steuerberatungsvertrag nach § 675 BGB miteinander verbunden. Unabhängig von der Frage, welchen Umfang die Mandatierung hatte und ob es sich bei der Klägerin tatsächlich um eine Berufsbetreuerin im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. g der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem) handelte, sieht das Gericht nach dem Vortrag der Klägerin eine Pflichtverletzung aus dem Steuerberatungsvertrag als nicht gegeben an. Dass, was die Klägerin von dem Beklagten hinsichtlich der Beobachtung und Prüfung (und Prognose) der Rechtslage verlangt, sprengt nach Ansicht des Gerichts den Pflichtenrahmen eines steuerlichen Beraters. Bei der Erstellung der Umsatzsteuererklärung für das noch streitgegenständliche Jahr 2010 und im Nachgang der Festsetzung ist ihm keine Pflichtverletzung vorzuwerfen.

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Art und Umfang der Pflichten des Steuerberaters bestimmen sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles; in erster Linie kommt es auf den Inhalt der mit dem Mandanten getroffenen Vereinbarung an. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Steuerberater die Interessen seines Mandanten im steuerlichen Bereich nach jeder Richtung und umfassend wahrnehmen. Im Rahmen seines Mandats hat der Steuerberater seinen Mandanten umfassend zu beraten und von sich aus - also ungefragt - über alle bedeutsamen steuerlichen Einzelheiten (vor allem Möglichkeiten der Steuerersparnis) und deren Felgen zu unterrichten. Insbesondere muss der Steuerberater seinen Auftraggeber möglichst vor Schaden bewahren.

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Die höchstrichterliche Rechtsprechung muss ihm bekannt sein; er hat seine Beratung grundsätzlich auch dann an ihr auszurichten, wenn sie im Schrifttum bekämpft wird und nicht auszuschließen ist, dass sie sich in Zukunft ändert. Der Steuerberater ist jedoch nicht zur Prüfung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes verpflichtet, solange keine entsprechende Vorlage eines Finanzgerichts an das BVerfG veröffentlicht ist oder sich ein gleich starker Hinweis auf die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung aus anderen Umständen ergibt.

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Der Steuerberater muss (nur) über die in den amtlichen Sammlungen und in den einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften veröffentlichten Entscheidungen der obersten Bundesgerichte orientiert sein. Wird in der Tages- oder Fachpresse über Vorschläge zur Änderung des Steuerrechts berichtet, die im Falle ihrer Verwirklichung von dem Mandanten des Beraters erstrebte Ziele unter Umständen vereiteln oder beeinträchtigen, kann der Steuerberater gehalten sein, sich aus allgemein zugänglichen Quellen über den näheren Inhalt und den Verfahrensstand solcher Überlegungen zu unterrichten, um danach prüfen zu können, ob es geboten ist, dem Mandanten Maßnahmen zur Abwehr drohender Nachteile anzuraten (vgl. zu allem Heermann, in: MüKo-BGB, 6. Auflage 2012, § 675 Rn. 42 f. mit vielen weiteren Nachweisen auf die einschlägige Rechtsprechung).

18

Hiernach ergibt sich, dass das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25.4.2013 (Az. V R 7/11 - juris) zur Steuerfreiheit der Betreuungsleistungen von Berufsbetreuern für den Pflichtenstandard in Bezug auf die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2010 nicht herangezogen werden kann, da diese bereits im Januar 2012 bestandskräftig wurde.

19

Soweit die Klägerin meint, aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17.2.2009 (Az. XI R 67/06 - juris) zur Steuerfreiheit der Betreuungsleistungen sogenannter Betreuungsvereine ließen sich Rückschlüsse auch auf die Rechtsstellung von Berufsbetreuern ziehen, ist anzumerken, dass sich das Urteil vom 17.2.2009 ausdrücklich nur mit der Rechtsstellung eines anerkannten Verbandes der freien Wohlfahrtspflege beschäftigte und nicht mit Berufsbetreuern. Im Gegenteil: Der Bundesfinanzhof nahm in diesem Urteil gerade Bezug auf den Unterschied zwischen sozialen Einrichtungen und Berufsbetreuern und die durch sie vereinnahmten Entgelte (bei dem Vergleich der vereinnahmten Entgelte für § 4 Nr. 18 UStG). Dass die Rechtsprechung zur Umsatzsteuerfreiheit auch auf Berufsbetreuer erstreckt werden wird, ließ sich daraus nicht herleiten. Parallel entschied der Bundesfinanzhof denn auch mit Urteil vom 11.3.2009 (Az. XI R 68/06 - juris) allein in Bezug auf einen anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege im Unterschied zu den Berufsbetreuern.

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Soweit einem Steuerberater allgemein die Kenntnis einer veröffentlichten Vorlageentscheidung zur (möglichen) Rechtswidrigkeit eines Steuergesetzes oder die Beachtung eines gleich starken Hinweises auf die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung abverlangt wird, ist hinzuweisen auf die ebenfalls § 4 Nr. 18 UStG betreffende Vorlageentscheidung des Bundesfinanzhofs an den Europäischen Gerichtshof vom 2.3.2011 (Az. XI R 47/07 - juris). Indes ging es in diesem Verfahren um die Vergleichbarkeit - und demnach steuerliche Gleichbehandlung - der Betreuungsleistungen der benannten anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege mit den Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes und nicht um die Betreuungsleistungen von Berufsbetreuern. Hierauf aufbauend brachte der Bundesfinanzhof das Verfahren mit dem Az. V R 7/11 mit Beschluss vom 12.1.2012 zum Ruhen, in welchem sich der Hinweis auf die Entscheidungserheblichkeit der angeregten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auch für die Betreuungsleistungen von Berufsbetreuern findet. Indes wurde dieser Beschluss nicht amtlich veröffentlicht und datiert aus der Zeit nach Eintritt der Bestandskraft des Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 2010.

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Was die Klägerin hier von dem Beklagten verlangt, ist nicht nur eine Kenntnis der in Rede stehenden Problemstellung, sondern eine Prüfung auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 17.2.2009 und eine Prognose, dass unter Anwendung europarechtlicher Maßstäbe nicht nur die anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege, sondern - ohne dass der Bundesfinanzhof sich hierzu geäußert hätte - auch die Berufsbetreuer von der Umsatzsteuer befreit sind, da sie sich unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 lit. g der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie berufen können. Dies sprengt nach Ansicht des Gerichts den Pflichtenrahmen eines steuerlichen Beraters. Wenn die Klägerin meint, der Beklagte hätte Spezialzeitschriften zur Lektüre heranziehen müssen, bleibt sie den Vortrag, welches Ergebnis eine entsprechende Lektüre gebracht hätte, ob beispielsweise die mögliche Europarechtswidrigkeit der Umsatzsteuerpflicht der Berufsbetreuer Gegenstand allgemein zugänglicher Veröffentlichungen war, schuldig. Wegen der richtungsweisenden Bedeutung, die höchstrichterlichen Entscheidungen zukommt, hat sich ein Steuerberater grundsätzlich an dieser Rechtsprechung zu orientieren; dies war die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 17.2.2009, die nichts zu den Berufsbetreuern enthielt. Andere hinreichend deutliche Anzeichen für eine absehbare Entwicklung in der Rechtsprechung sind jedenfalls nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt wurden (vgl. insoweit BGH, NJW-RR 2006, 273 m.w.N.). Dies gilt auch für die Behauptung der Klägerin, es habe ein Musterverfahren beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg unter dem Az. 5 K 5224/10 gegeben; ob dieses Verfahren in allgemein zugänglichen Quellen bekannt gemacht wurde oder nicht, ist nicht geklärt. Der von der Klägerin angeführte Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 2.3.2011 mit dem Az. XI R 47/07 hat nicht den von ihr zitierten Inhalt. Vielmehr handelt es sich um den oben angeführten Beschluss vom 12.1.2012, der nur Bezug nimmt auf den Beschluss vom 2.3.2011.

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Maßgeblich für die Besteuerung war für den Veranlagungszeitraum 2010 vielmehr das Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 21.9.2000 zur steuerlichen Behandlung von Betreuungsleistungen, an welches die Finanzämter gebunden waren. Hiernach waren die Umsätze eines Berufsbetreuers umsatzsteuerpflichtig.

23

Im Ergebnis liegt eine Pflichtverletzung bei der steuerlichen Beratung durch den Beklagten nicht vor.

24

Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

25

Mangels eines Hauptanspruchs kann die Klägerin auch keinen Zinsanspruch geltend machen.

26

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 und 4, 709 S. 1 und 2 ZPO.


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