Urteil vom Landgericht Hamburg - 307 O 248/17

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.917,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.12.2016 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Parteien streiten um die Erstattung von Umsatzsteuer, die für individuell für Versicherungsnehmer der Klägerin in der Krankenhausapotheke der Beklagten hergestellte Arzneimittel gezahlt wurde.

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Bei der Klägerin handelt es sich um die private Krankenversicherung der Krebspatienten J.- D. H., N. W., F. B., B. L. und R. K., wobei erstgenannter nur zu 30% bei der Klägerin versichert und im Übrigen beihilfeberechtigt ist. 2013 erhielten diese fünf Krebspatienten im Rahmen einer ambulanten Krebsbehandlung in der Krankenhausapotheke der Beklagten individuell für sie hergestellte Krebsmedikamente zur Anwendung in der Chemotherapie. Die Beklagte rechnete diese Medikamente gegenüber den Patienten inklusive 19% Umsatzsteuer ab. Die Klägerin erstattete die betreffenden Rechnungsbeträge gegenüber den fünf Patienten vollständig im tarifgemäßen Umfang, wobei sich der Umsatzsteueranteil hieran auf insgesamt EUR 6.917,74 belief. Für den näheren Inhalt der Rezepte und Rechnungen wird ergänzend Bezug genommen auf die Anlage BLD 1 (Tabellarische Übersicht) sowie das Anlagenkonvolut BLD 2 (Einzelne Rechnungen, Rezepte und Leistungsabrechnungen).

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Mit Urteil vom 24.09.2014 - V R 19/11 - entschied der Bundesfinanzhof, dass Umsätze aus der Verabreichung von Zytostatika im Rahmen einer ambulanten, in einem Krankenhaus durchge- führten ärztlichen Heilbehandlung als ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 14b UStG n.F. (= § 4 Nr. 16b UStG a. F.) umsatzsteuerfrei sind. Auf dieses Urteil reagierte das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 28. September 2016 an die Obersten Finanzbehörden der Länder und erklärte u.a. folgendes:

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„... Für Umsätze, die vor dem 1. April 2017 ausgeführt werden, wird es für das Besteuerungsverfahren nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschnitt 4.14, 6 Abs. 2 Nr. 3 UStAE dem allgemeinen Steuersatz unterwirft und insoweit aus den damit zusammen- hängenden Eingangsleistungen unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG den Vorsteuerabzug geltend macht.“

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Für den weiteren Inhalt dieses Schreibens wird ergänzend Bezug genommen auf die Anlage BLD 4.

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Die Klägerin trägt vor,

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in Anbetracht der Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 24.09.2014 seien die streitgegenständlichen Rechnungen in Höhe der jeweils berechneten Umsatzsteuer von 19% überhöht. Aus diesem Grund habe die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung dieser Beträge aus ungerechtfertigter Bereicherung i.V.m. §§ 198, 86 VVG.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 6.917,74 zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

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Hilfsweise beantragt die Klägerin,

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die Beklagte zu verpflichten, die streitgegenständlichen Rechnungen dergestalt abzuändern, dass die Umsätze aus den patienten-individuellen Zubereitungen umsatzsteuerfrei sind.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte trägt vor,

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der Umstand, dass die Beklagte sich unter Berufung auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. September 2016 (Anlage BLD 4) dazu entschieden habe, die Umsätze bis zum 01.04.2017 steuerlich als umsatzsteuerpflichtig zu behandeln, habe auch Bindungswirkung gegenüber den Kostenträgern und deren Versicherten.

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Zudem habe sich die Beklagte bei den Preisvorgaben nicht nur an den seinerzeit geltenden Umsatzsteuervorgaben der Finanzverwaltung, sondern auch an den Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung orientiert.

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Ferner erübrigten sich vorliegend jegliche Überlegungen zu §§ 812 ff. BGB, weil die Patienten und die Beklagte eine Bruttopreisvereinbarung getroffen hätten, d.h. eine Vereinbarung, bei der die Umsatzsteuer nur als unselbständiger Bestandteil inkludiert sei. Insbesondere im privaten Bereich sei eine solche Bruttopreisvereinbarung üblich. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung stelle eine etwaig fehlerhafte Ermittlung der Umsatzsteuer im Falle des Vorliegens einer Bruttopreisvereinbarung grundsätzlich nur einen rechtlich unerheblichen Motivirrtum dar. Die Patienten hätten sich darüber hinaus im Zweifelsfall gar keine Gedanken über einen etwaigen Umsatzsteueranfall gemacht.

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Des Weiteren könne die Beklagte sich auf Entreicherung berufen, da sie die Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt habe.

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Schließlich würde die Beklagte im Hinblick auf den Wegfall des Vorsteuerabzugs einen Schaden erleiden, wenn man sie zur Rückerstattung der gesamten Umsatzsteuer verpflichten würde.

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Für den weiteren Sach- und Streitstand wird ergänzend Bezug genommen auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst der dazugehörigen Anlagen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung der Umsatzsteuer aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt BGB i.V.m. §§ 194, Abs. 2, 86 Abs. 1 VVG. Die Versicherungsnehmer der Klägerin haben jeweils einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte (hierzu unter 1.), der gemäß §§ 86 Abs.1 Satz 1, 194 Abs. 2 VVG auf die Klägerin übergegangen ist (hierzu unter 2.). Im Einzelnen:

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1. Die Versicherungsnehmer der Klägerin haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des Umsatzsteueranteils in Höhe von insgesamt EUR 6.917,74 aus § 812 Abs. 1, Satz 1, 1. Alt BGB.

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1.1 Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Versicherungsnehmer die in dem Anlagenkonvolut BLD 2 enthaltenen Rechnungsbeträge - inklusive eines Umsatzsteueranteils in Höhe von insgesamt EUR 6.971,74 - gegenüber der Beklagten ausgeglichen haben.

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1.2 Hinsichtlich des Umsatzsteueranteils ist die Leistung ohne Rechtsgrund erfolgt. Insbesondere ergibt sich ein solcher Rechtsgrund nicht aus der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Versicherungsnehmern der Klägerin und der Beklagten, die der Lieferung der Medikamente zugrunde liegt:

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Die verbreitete Unterscheidung zwischen Nettopreisvereinbarung und Bruttopreisvereinbarung, auf die hier die Beklagtenseite bei ihrer Argumentation maßgeblich abstellt, führt vorliegend im Ergebnis aufgrund der besonderen Gegebenheiten des zu entscheidenden Falles nicht weiter. Anders als bei üblichen Werk - oder Kaufver- trägen, im Zusammenhang mit welchen die Abgrenzung zwischen Netto- und Bruttopreisabreden von der Rechtsprechung entwickelt worden ist, lässt sich der Patient einer Chemotherapie im Zweifelsfall vor Durchführung der Behandlung überhaupt keinen Preis für die zum Einsatz zu bringenden Medikamente nennen, denn - anders als bei üblichen Werk- oder Kaufverträgen - ist der Preis hier in aller Regel kein ausschlaggebendes Kriterium dafür, ob er die Behandlung überhaupt eingeht oder nicht. Die sich im weiteren Verlauf der Behandlung sodann ergebende Schriftlage ist insoweit nicht eindeutig: während die Medikamentenpreise in dem „Beleg zum Rezept“ jeweils ohne genaue Bezifferung des Steueranteils pauschal als „Gesamtbrutto“ bezeichnet werden, wird in den Rechnungen, die die Beklagte gegenüber den Versicherungsnehmern der Klägerin erstellte, jeweils gesondert ein Umsatzsteueranteil von 19% ausgewiesen (vgl. zum ganzen Anlagenkonvolut BLD 2).

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Sowohl den „Belegen zum Rezept“ als auch den Rechnungen lässt sich indessen entnehmen, dass die Versicherungsnehmer der Klägerin und die Beklagte bei Durchführung der Behandlung und Zahlung hierfür übereinstimmend davon ausgingen, dass die Lieferung der Medikamente umsatzsteuerpflichtig sei. Diese übereinstimmende Annahme der Parteien des Behandlungsvertrages hat sich mit dem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 24.09.2014 - V R 19/11 - als Irrtum herausgestellt. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung festgestellt, dass die Umsätze aus der Verabreichung von Zytostatika im Rahmen einer ambulanten, in einem Krankenhaus durchgeführten ärztlichen Heilbehandlung als ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 14b UStG n.F. (= § 4 Nr. 16b UStG a.F.) umsatzsteuerfrei sind. Entgegen der beklagtenseits vertretenen Rechtsauffassung ändert sich an dieser Rechtslage auch nichts durch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. September 2016 (Anlage BLD 4). Soweit darin festgestellt wird, es sei für das Besteuerungsverfahren nicht zu beanstanden, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschnitt 4.14, 6 Abs. 2 Nr. 3 USTAE dem allgemeinen Steuersatz unterwirft und insoweit aus den damit zusammenhängenden Eingangsleistungen den Vorsteuerabzug geltend macht, betrifft dies ausschließlich das Verhältnis zwischen dem Unternehmer und der Finanzverwaltung. Letztere darf es nicht beanstanden, wenn der Unternehmer sich dafür entscheidet, ältere Umsätze dem normalen Umsatzsteuersatz zu unterwerfen. Diese Möglichkeit begründet aber gerade keine Pflicht - und ist mithin im Außenverhältnis zwischen dem Unternehmer und dem Patienten unbeachtlich; anderenfalls hätte es der Unternehmer in der Hand, im Zusammenwirken mit der Finanzverwaltung einseitig zu Lasten des Patienten eine an sich gerade nicht bestehende Umsatzsteuerpflicht zu begründen; dies liefe im Ergebnis auf einen - unzulässigen - Vertrag zu Lasten Dritter hinaus.

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Rechtsfolge dieses beiderseitigen Irrtums ist eine Anpassung des Vertrages nach § 313 Abs. 2 BGB. Die Vertragsparteien hatten die gemeinsame Vorstellung, dass die Verabreichung der Medikamente ein umsatzsteuerpflichtiges Geschäft darstelle. Diese Vorstellung hat sich im Nachhinein als falsch herausgestellt. Da es sich bei der Umsatzsteuer für den Unternehmer - hier also die Beklagte - lediglich um einen durchlaufenden Posten handelt - kann davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die Rechnungsbeträge jeweils komplett um diesen Anteil gekürzt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die Umsatzsteuer überhaupt nicht anfällt. Das Argument der Beklagtenseite, der angesetzte Preis hätte sich dann aber jedenfalls insoweit erhöht, als der Beklagten der Vorsteuerabzug entgangen wäre, lässt sich abstrakt hören; trotz ausführlicher Erörterung dieses Punktes in der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2018 legt die Beklagte indessen auch in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 12. März 2018 nicht dar, wie sich der Verlust des Vorsteuerabzugs konkret für jede einzelne streitgegenständliche Medikamentenlieferung ausgewirkt hätte. Mithin kann dieser Vortrag hier keine Berücksichtigung finden.

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1.3 Ohne Erfolg beruft die Beklagte sich auf den Einwand der Entreicherung. Sie hat zwar die Umsatzsteuer an die Finanzverwaltung weitergeleitet; nach Aktenlage ist allerdings davon auszugehen, dass die Beklagte die gestellten Rechnungen (noch) berichtigen und die gezahlten Umsatzsteuerbeträge gemäß § 37 Abs. 2 AO vom Finanzamt erstattet verlangen kann. Es ist nichts dazu vorgetragen, dass insoweit bereits ein bestandskräftiger Steuerbescheid ergangen sei.

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2. Der bereicherungsrechtliche Rückzahlungsanspruch der Versicherungsnehmer ist gemäß §§ 86 Abs. 1 Satz 1, 194 Abs. 2 VVG auf die Klägerin übergegangen, nachdem diese ihren Versicherungsnehmern die diesen entstandenen Auslagen ersetzt hat. Speziell für den Krankenversicherungsvertrag ist in § 194 Abs. 2 VVG geregelt, dass § 86 Abs.1 und Abs. 2 VVG entsprechend anzuwenden sind, wenn dem Versicherungsnehmer oder einer versicherten Person ein Anspruch auf Rückzahlung ohne rechtlichen Grund gezahlter Entgelte gegen den Erbringer von Leistungen zusteht, für die der Versicherer auf Grund des Versicherungsvertrags Erstattungsleistungen erbracht hat. Gemäß § 86 Abs. 1 VVG geht der Anspruch gegen den Dritten auf den Versicherer über, soweit er im Innenverhältnis an den Versicherungsnehmer geleistet hat.

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3. Der geltend gemachte und vollumfänglich zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

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