Urteil vom Landgericht Hamburg (24. Zivilkammer) - 324 O 40/20

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung vom 17.2.2020 wird aufgehoben und der ihr zugrundeliegende Antrag zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller darf die Kostenentscheidung durch die Antragsgegnerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Bestand einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin untersagt wurde, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen,

2

1. „...das Versprechen des deutschen Unternehmensgründers und Geschäftsführers der K. I. GmbH aus S., H. S., sowie seines kroatischen Vorstandsmitgliedes J. H., der K. C. (K2) und der K. Bank C. (K1) wären mit Gold abgesichert, ...“ und „The case of K. starts in S., Germany with Founder and Managing Director of K. I. GmbH, H. S., and his cohort, Croatian Board Member, J. H..“

3

2. ... „K. and its founding crooks ... J. H.“,

4

3. ... „The brutal and criminal K. „managers“ seem to employ every means to prevent the largescale gold scam comes to light... In a way, scammers like H. S., J. H., A. B., and O. T. have an easy game.“

5

Der Antragsteller ist alleiniger Vorstand der G. G1 S. B. C. AG, die ihren Sitz in H. hat.

6

Die Antragsgegnerin ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit Sitz in den USA. Sie betreibt unter anderem als Hostprovider die Plattform w..com, auf der die Kunden der Antragsgegnerin eigene Websites und Blogs einstellen und veröffentlichen können.

7

Zwischen dem Antragsteller und einer K. G. C. Pte. Ltd., deren Inhaber H. S. ist, bestand in den Jahren 2018 und 2019 eine geschäftliche Beziehung. So hat der Antragsteller als Vorstand einer G. G1 Corporate Capital AG im Juni 2018 mit H. S. als Geschäftsführer der K. G. C. Pte. Ltd. eine Vereinbarung getroffen, worin sich G. verpflichtete „geeignete Goldmienen“ und geeignete IT-Lösungen für K. G. zu suchen (Anlage ASt 28). Im Oktober 2018 vereinbarten die gleichen Parteien die Lieferung verschiedener Produkte wie Laptops, Telefone und „CashGold Exchange“-Maschinen von G. an K. G. (Anlage ASt 29). Im November 2019 schloss der Antragsteller als Vertreter der G. G. S. B. C. AG ein „Service Agreement“ mit der K. I. GmbH, wonach die G. G. S. B. C. AG für einen Betrag von 35.000 € die Verpackung und Verschiffung einer Lieferung von 35.000 Geräten an die K. I. GmbH übernehmen solle (Anlage ASt 30).

8

Zum Zwecke der Vermarktung ließ sich der Antragsteller zu verschiedenen Gelegenheiten und teilweise gemeinsam mit H. S. auf Videos festhalten, die sodann veröffentlicht wurden. Hierbei ging es dem Antragsteller in Erwartung einer gemeinsamen Zusammenarbeit darum, die von der G. G. S. B. C. AG produzierten Produkte zu bewerben, die die K. G. C. Pte. Ltd. vertreiben sollte. In diesen Videos bezeichnete sich der Antragsteller u.a. als „Chairman of the Board“ der K. I. GmbH, obwohl er nicht Gesellschafter oder Geschäftsführer dieser Gesellschaft war. Zu den Videos im Einzelnen:

9

In einem über die Plattform y..com abrufbaren Video wandte sich der Antragsteller an einem Schreibtisch sitzend an die Öffentlichkeit. Das Video ist betitelt als „Message From J. H. Chairman Of The K. Board“. In dem Video bezeichnet sich der Antragsteller als „Chairman of the Board“ und „President of the Group K. I.“ (Screenshot in Anlage AG 4).

10

Ein weiteres über die Plattform y..com abrufbares Video zeigt den Antragsteller auf der Bühne bei einer Veranstaltung der K. I. GmbH, dem „K. N. L.“ in A. im Jahr 2019. Der Antragsteller trat in diesem Video als „Chairman of the Board“ auf (Screenshot in Anlage AG 5).

11

Ein weiteres über y..com abrufbares Video zeigt ein Interview, das am Rande der „K. M. I. L.“ 2019 in D. geführt wurde. Der Antragsteller wurde in diesem Video gemeinsam mit H. S. interviewt, wobei der Antragsteller als „Board Member“ und als „Investor“ der K. I. GmbH vorgestellt wurde (Screenshot in Anlage AG 6).

12

Im Jahr 2019 kam es zum Streit zwischen dem Antragsteller und H. S.. Mit Schreiben vom 15.11.2019 erklärte der Antragsteller für die G. G. S. B. C. AG aufgrund ausgebliebener Zahlungen die Kündigung des Liefervertrags gegenüber der K. G. C. Pte. Ltd. (Anlage ASt 31) und untersagte mit Schreiben vom 01.12.2019 die weitere Verfügung über Ware der G. G. S. B. C. AG (Anlage ASt 33).

13

Über die K. I. GmbH wurde im Jahr 2019 in der Presse kritisch berichtet. So veröffentlichte die F. A. Zeitung im November 2019 einen Bericht, wonach die Staatsanwaltschaft gegen den H. S., den Gründer des Goldhändlers K., wegen Betrugs ermittele (Anlage ASt 14). Das Handelsblatt berichtete im November 2019, dass die BaFin die K.-Gruppe angewiesen habe, ihre angeblich mit G. gedeckte Währung K2 abzuwickeln (Anlage ASt 15). Auf einer Internetplattform fanden sich kritische Berichte über K. („Warnung: K. G. Dealer Machenschaften – Alles verschwunden?“, Anlage ASt 16). Rechtsanwaltskanzleien warben um geschädigte K.-Kunden (Anlage ASt 17).

14

In der 4. Kalenderwoche 2020 wurde der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers, am 23.01.2020 sodann auch der Antragsteller selbst, auf verschiedene Veröffentlichungen auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Plattform aufmerksam, in denen über den Antragsteller in Verbindung mit der K.-Unternehmensgruppe berichtet wurde:

15

Unter der URL https:// i.. h..... wurde über die Plattform der Antragsgegnerin folgender Text in deutscher Sprache nebst englischer Übersetzung verbreitet:

16

Immer wieder erleichtern dubiose Unternehmen die Taschen gutgläubiger Menschen mit immer größerem Setup, um Glaubwürdigkeit und Seriosität herzustellen. Der Fall K. zeigt, wie perfide die Strippenzieher dabei vorgehen. Das Versprechen des deutschen Unternehmensgründers und Geschäftsführers der K. I. GmbH aus S., H. S., sowie seines kroatischen Vorstandsmitgliedes J. H., der K. C. (K2) und der K. Bank C. (K1) wäre mit G. abgesichert, scheint jeglichem faktischen Nachweis zu entbehren.

17

(Anlage ASt 5)

18

Unter der URL https:// i.. f.. w..com/... wurde über die Plattform der Antragsgegnerin folgender Text verbreitet:

19

yet again confirming the whole concept of K. and its founding crooks H. S., J. H., A. B., and O. T. are nothing more than a made up fairy tale.

20

(Anlage ASt 6)

21

Unter der URL... .pdf wurde über die Plattform der Antragsgegnerin folgender Text verbreitet:

22

The brutal and criminal K. „managers“ seem to employ every means to prevent the large-scale gold scam comes to light ... In a way, scammers like H. S., J. H., A. B., and O. T. have an easy game.

23

(Anlage ASt 7)

24

Mit Schreiben vom 29.01.2020 wies der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Antragsteller auf 15 verschiedenen Websites fälschlicherweise als Gesellschafter oder Gründer der K. I. GmbH bezeichnet werde und forderte die Antragsgegnerin zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung auf (Anlagen ASt 18, 19). Dem Schreiben waren ein Auszug aus dem Handelsregister der K. I. GmbH, Gesellschafterlisten der K. I. GmbH sowie eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers beigefügt. In dem Anschreiben sowie in der beigefügten eidesstattlichen Versicherung war ausgeführt, dass der Antragsteller nie Gesellschafter, Gründer, Geschäftsführer, Mitglied der Geschäftsführung oder Chairman gewesen sei („... has never been a shareholder, founder or originator of K. I. GmbH, nor its managing director, member of the management or chairman.“). Eine Erläuterung, weswegen der Antragsteller sich auf den vorgenannten und öffentlich abrufbaren Videos – die der Antragsgegnerin zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt waren – u.a. als „Chairman of the Board“ der K. I. und „President of the Group K. I.“ bezeichnet hatte, ohne diese Funktionen tatsächlich inne zu haben, war in dem Schreiben nicht enthalten.

25

Die Antragsgegnerin teilte dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit E-Mail vom 03.02.2020 (Anlage ASt 20) mit, dass 12 der 15 vom Antragsteller angeführten Websites nicht von der Antragsgegnerin gehostet würden. Sofern diese Websites den Slogan „Powered by WordPress“ enthielten, weise dies lediglich auf die Verwendung der Wordpress-Software hin, die jedoch auf jedem beliebigen Webhost installiert werden könne. Hinsichtlich der drei vorgenannten URLs (i.. h..blog/..., i.. f.. w..com/..., w.. f.. w..com/...) handele es sich zwar um Inhalte, die auf w..com veröffentlicht worden seien. Als Internet Service Provider sei die Antragsgegnerin allerdings nicht in der Lage, die Wahrheit oder Unwahrheit der Inhalte, die von Bloggern auf w..com veröffentlicht würden, zu prüfen. Hierzu fehle es an hinreichend konkreten Informationen. Die Antragsgegnerin empfahl dem Antragsteller, sich direkt an die Blogger zu wenden, denen man die Beschwerde auch bereits weitergeleitet habe.

26

Am 04.02.2020 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegnerin. Auf einen gerichtlichen Hinweis (Bl. 14R) mahnte der Antragsteller die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 10.02.2020 (Anlage ASt 23) nochmals ab, dieses Mal beschränkt auf die drei streitgegenständlichen Veröffentlichungen. Im Übrigen war der Inhalt des Schreibens identisch mit dem Schreiben vom 29.01.2020. Insbesondere wies der Antragsteller nochmals darauf hin, er werde in den Veröffentlichungen fälschlicherweise als „board member“ oder „manager“ der K. I. GmbH bezeichnet. Eine Erläuterung, wie die Selbstbezeichnung in den öffentlichen Videos zu erklären sei, erfolgte nicht. Die Antragsgegnerin teilte hierauf am 11.02.2020 in ähnlicher Weise wie zuvor mit, dass man nicht in der Lage sei, die Wahrheit oder Unwahrheit der Inhalte, die von Bloggern auf w..com veröffentlicht würden, zu prüfen und es hierfür auch an hinreichend konkreten Informationen fehle (Anlage ASt 24).

27

Der Antragsteller erwirkte daraufhin die mit Beschluss vom 17.02.2020 erlassene einstweilige Verfügung.

28

Am 24.02.2020 – also wenige Tage nach Erlass der einstweiligen Verfügung – wandte sich die Antragsgegnerin erneut an den Antragsteller. Sie teilte darin mit, dass sie mittels einer Internetrecherche festgestellt habe, dass sich der Antragsteller öffentlich und bei offiziellen Veranstaltungen der K. I. GmbH als „Chairman of the Board“ und „President of the Group K. I.“ bezeichnet habe und er es sich deswegen gefallen lassen müsse, dass er in Blogs oder anderen Veröffentlichungen so bezeichnet werde (Anlage AG 3).

29

Die einstweilige Verfügung wurde der Antragsgegnerin – nachdem der Antragsteller am 09.03.2020 die Auslandszustellung beantragt hatte – am 15.07.2020 in den USA zugestellt (Bl. 57, 60).

30

Am 19.01.2021 hat die Antragsgegnerin Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung vom 17.02.2020 eingelegt.

31

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, der Antragsteller, der immer wieder öffentlich als Gesicht, Chairman of the Board, President und Investor der K. I. GmbH aufgetreten sei, müsse es hinnehmen, wenn er in Blogs und Medien so bezeichnet werde. Ob der Antragsteller nicht als Geschäftsführer in das Handelsregister eingetragen sei oder nicht in der Gesellschafterliste geführt werde, ändere daran nichts. Die vom Antragsteller vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seien falsch. Ihm gehe es darum, seine Beteiligung an fragwürdigen Geschäften der K. I. GmbH zu verschleiern.

32

Auch in der Presse werde darüber berichtet, dass der Antragsteller selbst als Chairman von K. aufgetreten sei. So habe das Handelsblatt am 11.11.2019 über Geschäfte von K. berichtet. Darin heiße es: „Die sozialen Medien nutzt K. auch für Werbung. Im April 2019 reist S. mit zwei seiner Geschäftspartner nach H.. In einem Youtube-Video steht S. mit J. H. und A. B. (Name geändert) in einem Tresorraum mit dicker Panzertür, hinter der angeblich 1,4 Tonnen G. lagern. Der Kroate H. tritt als „Chairman of the Board“ bei K.-Veranstaltungen auf. Er ist Chef der G. S. B. C. (G.) mit Sitz in der D. K-Allee und trägt gerne eine 700.000 Euro teure Uhr. Laut Handelsregister geht die G. auf die Firma G. G. C. AG zurück, deren wesentliches Asset ein Steinbruch in K. zu sein scheint. Fragen zu seiner Rolle bei K. hat H. nicht beantwortet.“ (Anlage AG 7)

33

Die G. G. S. B. C. AG – deren alleiniger Vorstand der Antragsteller ist – habe in einem in der B. M. veröffentlichten Advertorial unter der Überschrift „J. H.: Ein Erfolgsmensch“ veröffentlicht: „J. H. hat die Funktion als „Chairman of the board“ im Unternehmen „K.“ und im Unternehmen „G. S. B. C. AG“ (Anlage AG 8).

34

In einer Pressemitteilung der K. I. GmbH werde der Antragsteller als „Chairman of the Board“ bezeichnet (Anlage AG 9).

35

Darüber hinaus könne sich die Antragsgegnerin auf die für einen Hostprovider geltenden Haftungsbeschränkungen berufen. Es fehle an einem aus Sicht des Hostproviders unschwer erkennbaren Rechtsverstoß. Die Antragsgegnerin habe sogar nach eingehender Prüfung und Recherche eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers nicht feststellen können. Vielmehr sei der Antragsteller selbst als Chairman of the Board, President und Board Member der K. I. GmbH aufgetreten. Dies habe die Antragsgegnerin als Ergebnis ihrer Prüfung dem Antragsteller mit E-Mail vom 24.02.2020 unstreitig mitgeteilt.

36

Die Antragsgegnerin beantragt,

37

die einstweilige Verfügung vom 17.02.2020 aufzuheben und den zugrundeliegenden Antrag zurückzuweisen.

38

Der Antragsteller beantragt,

39

den Widerspruch der Antragsgegnerin gegen die einstweilige Verfügung vom 17.02.2020 zurückzuweisen und die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

40

Der Antragsteller meint, die angegriffenen Behauptungen seien unwahr. Er sei zu keinem Zeitpunkt Gesellschafter, Gründer, Founder, Co-Founder, Geschäftsführer, Mitglied der Geschäftsleitung oder Chairman der K. I. GmbH gewesen. Die Äußerungen, die den Antragsteller wahrheitswidrig mit einem Unternehmen in Verbindung bringen, dessen Geschäftsführer und Gründer in mehreren anderen Veröffentlichungen einer Straftat verdächtigt wird, verletzten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Die Nähe zu einem Unternehmen, dessen Geschäftsführer und Gründer im Verdacht stehe, seine Anleger getäuscht und betrogen zu haben, führe dazu, dass dem Antragsteller Geschäftschancen in erheblichem Umfang entgingen.

41

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hat der Antragsteller vorgebracht, er habe an öffentlichen Veranstaltungen von K. nur deshalb teilgenommen und sich an der Seite von Herrn S. in Youtube-Videos nur deswegen gezeigt, um die von seiner Gesellschaft, der G. G. S. B. C. AG, entwickelten Produkte zu präsentieren. In Erwartung einer gemeinsamen Zusammenarbeit sei er in diesem Zusammenhang auch als „Chairman of the Board“ von K. vorgestellt worden. Nachdem Ende 2019 jedoch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen K. bekannt geworden seien, habe er jede geschäftliche Beziehung zu dem Unternehmen abgebrochen.

42

Ob der Antragsteller sich in der Vergangenheit als Board Member von K. bezeichnet habe, sei für die Frage, ob die streitgegenständlichen Äußerungen auch in Zukunft getätigt werden dürfen, irrelevant. Zum einen habe der Antragsteller die fraglichen Positionen tatsächlich nie inne gehabt. Zum anderen müsse es dem Antragsteller möglich sein, einen Rechtsschein – so er einen solchen gesetzt habe – auch wieder aufzulösen.

43

Die Position eines „Chairman of the Board“ gebe es bei einer deutschen GmbH zudem nicht. Ins Deutsche übersetzt könne hiermit nur ein Sitz im Beirat oder Aufsichtsrat gemeint sein. Auch diese Funktion habe der Antragsteller allerdings nicht inne gehabt.

44

Weder er selbst noch die G. AG hätten im Übrigen eine Pressemitteilung mit der Überschrift „J. H.: Ein Erfolgsmensch“ veröffentlicht.

45

Im Hinblick auf die Haftung der Antragsgegnerin als Hostprovider ist der Antragsteller der Ansicht, dass die Antragsgegnerin mit den Schreiben vom 29.01. und 10.02.2020 ausreichend von der Rechtsverletzung und sogar unter Vorlage entsprechender Handelsregisterauszüge und eidesstattlicher Erklärungen des Antragstellers von der Rechtsverletzung in Kenntnis gesetzt worden sei. Soweit eine Stellungnahme der für die Einträge verantwortlichen Blogger ausgeblieben sei, habe die Antragsgegnerin von der Berechtigung der Beanstandung ausgehen müssen.

46

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird ergänzend auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.03.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

47

Nach dem Ergebnis der Widerspruchsverhandlung ist die einstweilige Verfügung aufzuheben und der ihr zugrunde liegende Antrag zurückzuweisen. Dem Antragsteller steht ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Verbindung mit Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG nicht zu.

I.

48

Die Antragsgegnerin trifft hinsichtlich der vom Antragsteller beanstandeten Veröffentlichungen nur eine eingeschränkte Verantwortlichkeit, weil sie sie weder verfasst noch sich ihren Inhalt zu Eigen gemacht hat. Sie kann lediglich als mittelbare Störerin in Anspruch genommen werden, weil sie über die von ihr betriebene Plattform w..com die technischen Möglichkeiten für eine Veröffentlichung der Blogs zur Verfügung gestellt und insbesondere den Abruf dieser Webseiten über das Internet ermöglicht hat.

49

Die Störerhaftung darf jedoch nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. Sie setzt die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat, eine Prüfung zuzumuten ist.

50

Nach der Rechtsprechung des BGH gilt für die Inanspruchnahme eines Hostproviders unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung für Blogs, die möglicherweise das Persönlichkeitsrecht verletzen, der folgende Maßstab:

51

Ein Hostprovider ist nicht verpflichtet, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Er ist aber verantwortlich, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Weist ein Betroffener den Hostprovider auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch den Nutzer eines Blogs hin, kann der Hostprovider als Störer verpflichtet sein, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern. [...] Allerdings wird sich bei der behaupteten Verletzung von Persönlichkeitsrechten eine Rechtsverletzung nicht stets ohne Weiteres feststellen lassen. Sie erfordert eine Abwägung zwischen dem Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit sowie Achtung seines Privatlebens aus Art. 1 I, 2 I GG, Art. 8 I EMRK und dem durch Art. 5 I GG, Art. 10 EMRK geschützten Recht des Providers auf Meinungs- und Medienfreiheit. Ist der Provider mit der Beanstandung eines Betroffenen konfrontiert, die richtig oder falsch sein kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den Blog Verantwortlichen erforderlich. [...] Ein Tätigwerden des Hostproviders ist nur veranlasst, wenn der Hinweis so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptungen des Betroffenen unschwer – das heißt ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung – bejaht werden kann. Dabei hängt das Ausmaß des insoweit vom Provider zu verlangenden Prüfungsaufwands von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere vom Gewicht der angezeigten Rechtsverletzungen auf der einen und den Erkenntnismöglichkeiten des Providers auf der anderen Seite.

52

(BGH Urt. v. 25.10.2011 − VI ZR 93/10, NJW 2012, 148 Rn. 24-26)

53

Nach diesem Maßstab besteht im vorliegenden Fall kein Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin. Nicht entschieden werden muss dabei, ob eine Haftung der Antragsgegnerin als mittelbare Störerin nach wie vor voraussetzt, dass der Rechtsverstoß nach der Beanstandung „unschwer – das heißt ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung – bejaht werden kann“ (BGH aaO., Rn. 26) oder ob sich auch für die Haftung eines Hostproviders Änderungen in Folge der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung eines Suchmaschinenbetreibers (vgl. BGH Urt. v. 27.07.2020 – VI ZR 405/18, NJW 2020, 3436, Rn. 41) ergeben.

54

Ausschlaggebend für die fehlende Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin ist, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin mit seinen Schreiben vom 29.01. und 10.02.2020 nicht vollständig, sondern in treuwidriger Weise verkürzt und unter Auslassung für die Beurteilung wesentlicher Umstände über die nach Auffassung des Antragstellers vorliegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen in Kenntnis gesetzt hat.

55

Um solche für die Beurteilung wesentliche Umstände handelt es sich bei den verschiedenen öffentlich zugänglichen und vom Antragsteller jedenfalls mitveranlassten Videoaufzeichnungen, in denen sich dieser selbst u.a. als „Chairman of the Board“ der K. I. GmbH und „President of the Group K. I.“ bezeichnet hat.

56

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass es – gerade im Bestreben, einen Hinweis an den Hostprovider möglichst konkret zu fassen – nicht Aufgabe des Betroffenen ist, dem Hostprovider auch sämtliche Sachverhaltsaspekte mitzuteilen, die gegen eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts sprechen könnten. Zu sehen ist allerdings, dass die Beanstandung des Betroffenen, insbesondere im Hinblick auf die nur mittelbar gegebenen Erkenntnismöglichkeiten des Hostproviders, aber auch im Hinblick auf den das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, gleichwohl so gefasst sein muss, dass der mitgeteilte Sachverhalt – gerade für den Fall, dass eine Stellungnahme des verantwortlichen Bloggers ausbleibt – nicht als Zerrbild der Wirklichkeit erscheint.

57

Im vorliegenden Fall haben sich die Beanstandungen des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin als im sprichwörtlichen Sinne nur die „halbe Wahrheit“ erwiesen. Zwar ist der Antragsteller unstreitig nicht Geschäftsführer oder Gesellschafter der K. I. GmbH gewesen. Er ist allerdings mehrfach öffentlich als „Chairman of the Board“ der K. I. GmbH aufgetreten und hat damit eine Ursache dafür gesetzt, dass der Antragsteller in den angegriffenen Äußerungen überhaupt in dieser Weise in Verbindung mit der K. I. GmbH gebracht wurde. Es liegt auf der Hand, dass eine Bewertung, ob auf dieser Grundlage eine Rechtsverletzung vorliegt, nach ganz unterschiedlichen Maßstäben erfolgen müsste als unter der bloßen Bezugnahme darauf, dass die angegriffenen Äußerungen nicht mit der gesellschaftsrechtlichen Lage übereinstimmten.

58

Der begriffliche Unterschied zwischen den vom Antragsteller in den selbst veranlassten Veröffentlichungen verwendeten Termini „Chairman of the Board“ oder „Board Member“ gegenüber den in den streitigen Äußerungen verwendeten Begriffen Vorstandsmitglied, Board Member oder Manager fällt dabei nicht ins Gewicht. Der Begriff „Chairman of the Board“ kann zwar sowohl als Vorsitzender des Aufsichts- oder Verwaltungsrats, als auch als Vorsitzender der Geschäftsführung verstanden werden. Insbesondere wenn sich der Antragsteller mit wichtigen Unternehmensnachrichten an die Öffentlichkeit wendet, wie dies im Video „Message From J. H. Chairman Of The K. Board“ geschehen ist, muss der Rezipient indes annehmen, dass es sich um eine geschäftsführende Rolle handelt. Diese Wahrnehmung deckt sich mit der Bezeichnung des Antragstellers als Vorstandsmitglied oder Manager in den streitigen Äußerungen.

59

Vor diesem Hintergrund kann es der Antragsgegnerin auch nicht zum Nachteil gereichen, dass sie eine Löschung zunächst abgelehnt hat und ihren Standpunkt, der Antragsteller müsse es sich aufgrund seiner Auftritte als „Chairman of the Board“ und „President of the Group K. I.“ gefallen lassen, dass er in Blogs oder anderen Veröffentlichungen so bezeichnet werde, erst am 24.02.2020 und damit wenige Tage nach Erlass der einstweiligen Verfügung, mitgeteilt hatte. Denn eine Haftung der Antragsgegnerin als mittelbare Störerin war im vorliegenden Fall aufgrund der dargelegten Defizite der Beanstandungen von vorneherein nicht entstanden.

II.

60

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 6, 711 ZPO.

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