Urteil vom Landgericht Hamburg (14. Zivilkammer) - 314 O 146/20

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückzahlung von Prämien zu zwei ehemals bestehenden Lebensversicherungsverträgen nebst Verzinsung aus abgetretenem Recht in Anspruch.

2

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin (Versicherungsnehmerin) schloss Anfang 2004 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten zwei Lebensversicherungsverträge ab (Versicherungsnummer …. (neu: LV …) sowie … (neu: LV …). Die Verträge sind im sogenannten Policenmodell zustande gekommen. Die Versicherungsnehmerin hat die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die üblichen Verbraucherinformationen erst mit dem Versicherungsschein (Anlagen KGR 1 und KGR 8) erhalten. Die Policenbegleitschreiben enthielten auf Seite 1, vorletzter Absatz, die folgende Widerspruchsbelehrung:

3

„Die nach § 10 a VAG erforderlichen Verbraucherinformationen sind im Antrag und in der Versicherungsurkunde enthalten. Sie können innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Briefes den Verträgen in Textform (z.B. per Brief, Fax oder E-Mail) widersprechen. Die Frist ist gewahrt, wenn der Widerspruch rechtzeitig abgesandt wird“

4

Hinsichtliches des Vertrages mit der Versicherungsnummer …. (neu: LV …) wurde die Versicherung auf Antrag der Versicherungsnehmerin vom 08.09.2011 zum 01.10.2011 beitragsfrei gestellt und auf Fortführungsantrag vom 05.03.2013 wurde die Beitragspflicht wieder in Kraft gesetzt. Mit Schreiben vom 05.03.2013 änderte die Versicherungsnehmerin zudem das Bezugsrecht im Todesfall. Mit Schreiben vom 07.02.2017 beantrage die Versicherungsnehmerin erneut die Beitragsfreistellung mit der Begründung, dass sie sich die Beitragszahlung vorübergehend nicht leisten könne. Für die diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Anlagen B3 bis B6 verwiesen.

5

Hinsichtliches des Vertrages mit der Versicherungsnummer …. (neu: LV …) wurde die Versicherung auf Antrag der Versicherungsnehmerin vom 22.10.2008 zum 01.11.2008 beitragsfrei gestellt und auf Fortführungsantrag vom 02.09.2010 wurde die Beitragspflicht wieder in Kraft gesetzt. Mit Schreiben vom 05.03.2013 änderte die Versicherungsnehmerin zudem das Bezugsrecht im Todesfall. Mit Schreiben vom 07.07.2014 beantrage die Versicherungsnehmerin erneut die Beitragsfreistellung mit der Begründung, dass sie sich die Beitragszahlung aufgrund eines Umzuges vorübergehend nicht leisten könne. Für die diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Anlagen B13 bis B16 verwiesen.

6

Die Versicherungsnehmerin kündigte beide Verträge zum 1.3.2018. Die Beklagte bestätigte jeweils die Kündigung. Auf den Vertrag mit der Versicherungsnummer ... (neu: LV ...) hatte die Versicherungsnehmerin insgesamt 45913,00 EUR eingezahlt und erhielt nach der Kündigung von der Beklagen 43277,83 EUR ausgezahlt. Auf den Vertrag mit der Versicherungsnummer ... (neu: LV ...) hatte die Versicherungsnehmerin insgesamt 29325,00 EUR eingezahlt und erhielt nach der Kündigung von der Beklagen 25489,50 EUR ausgezahlt.

7

Mit Schreiben jeweils datiert vom 27.03.2018, unterzeichnet am 22.04.2018, widerrief die Versicherungsnehmerin die streitgegenständlichen Versicherungsverträge (KGR 3 und KGR 9). Weiterhin trat sie jeweils mit Erklärungen gleichen Datums die sich aus dem Widerruf ergebenden Rückabwicklungsansprüche an die Klägerin ab (KGR 5 und KGR 11). Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 24.07.2018 (KGR 4 und KGR 11) unter Beifügung der Widerspruchsschreiben der Versicherungsnehmerin sowie der Abtretungsanzeigen die Beklagte zunächst zur Offenlegung diverser Unterlagen sowie zur Anerkennung des Rückabwicklungsanspruches dem Grunde nach auf. Mit weiteren Schreiben vom 17.04.2020 (KGR 6 und KGR 12) forderte sie jeweils die Rückabwicklung der Verträge.

8

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die von der Beklagten verwendete Widerspruchsbelehrung fehlerhaft sei. Dadurch, dass die Widerspruchsbelehrung den Beginn der Frist an den Zugang dieses Briefes knüpfe, habe sie nicht ausreichend darüber informiert, dass der Beginn der Frist daran geknüpft sei, dass der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen nach § 10 a VAG übersandt wurden. Es hätte vielmehr eines Hinweises auf sämtliche fristauslösenden Unterlagen bedurft. Diese Belehrung genüge nicht den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a. F. Zudem sei die Belehrung unter dem Gesichtspunkt der unzureichenden Hervorhebung fehlerhaft. Die Belehrung über das Widerspruchsrecht füge sich unauffällig in den Rest des Textes ein und genüge damit den Anforderungen an eine deutliche Hervorhebung nicht.

9

Die Klägerin ist daher der Auffassung, dass der Versicherungsnehmerin ein unbegrenztes Widerspruchsrecht zugestanden habe und die Versicherungsnehmerin den Versicherungsverträgen noch wirksam habe widersprechen können. Zudem sei ihr Widerspruchsrecht auch nicht verwirkt, da es hierfür am erforderlichen Umstandsmoment fehle.

10

Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht die Rückzahlung der geleisteten Prämien abzüglich Wertersatz für den genossenen Versicherungsschutz zuzüglich von der Beklagten gezogene Nutzungen abzüglich der ausgezahlten Ablaufleistung. Bezüglich der Berechnungen wird auf die Berechnungen in der Klagschrift (Bl.46-48 sowie Bl.49-51) verwiesen.

11

Die Klägerin beantragt,

12

1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 11.570,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 24.04.2020 zu zahlen.

13

2. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 10.501,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 28.04.2020 zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin. Der Widerspruch sei erst nach Abtretung der Ansprüche aus den Verträgen an die Klägerin erklärt worden. Auch stehe der Klägerin als gewerblicher Policenkäuferin kein Widerspruchsrecht zu, denn das Widerspruchsrecht sei ein individuelles Recht des Vertragsschließenden zur Überprüfung seiner Entscheidung und kein „handelbares“ Wirtschaftsgut.

17

Die Beklagte ist ferner der Auffassung, dass die Widerspruchsbelehrung den gesetzlichen Vorgaben entspreche. Die Belehrung sei auf dem einseitigen Policenbegleitschreiben, dass auf der Versicherungsurkunde im Brief liege, plaziert, sodass sie einem aufmerksamen Versicherungsnehmer nicht entgehen könne, auch wenn er nicht explizit danach suche. Auch inhaltlich sei die Widerspruchsbelehrung gesetzeskonform, indem sie für den Fristbeginn auf „den Zugang dieses Briefes“ abstelle. Mithin sei die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen und die erklärten Widersprüche seien verfristet.

18

Zudem beruft sich die Beklagte auch auf Verwirkung/Treuwidrigkeit. Das für die Verwirkung erforderliche Zeitmoment sei mit einem Zeitablauf von 15 Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerspruch gegeben. Das Umstandsmoment ergebe sich hinsichtlich beider Verträge aus den vertragsindividuellen Besonderheiten. Insbesondere der erfolgten Beitragsfreistellung und späteren - auf Antrag der Versicherungsnehmerin erfolgten - beitragspflichtigen Wiederinkraftsetzung der Verträge, der Bezugsrechtsänderungen, den konkludenten Zustimmungen zur jährlichen Beitragsdynamik und ausdrücklichen Ablehnung in einzelnen Vertragsjahren, der Abgabe einer Vielzahl von Vertragserklärungen während der Vertragslaufzeit und der Geltendmachung der Wirksamkeit des Vertrages gegenüber dem Finanzamt zur Verringerung der Steuerlast.

19

Vorsorglich beruft sich die Beklagte zudem auf die Einrede der Verjährung.

20

Bezüglich der Erklärung der Widersprüche und der Abtretungsvereinbarungen legt die Klägerin jeweils die Forderungskauf- und Abtretungsvereinbarungen, die Zusatzvereinbarungen sowie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Anlagenkonvolut KGR 16 und KGR 17 vor. Sie ist der Auffassung, dass die Abtretung wirksam sei.

21

Hinsichtlich des Parteivortrags im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

22

1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin ist aktivlegitimiert. Sie hat die Abtretung der aus den erklärten Widersprüchen in Betracht kommenden Ansprüche der Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte durch Vorlage der entsprechenden Urkunden (Abtretungs- und Forderungskaufverträge) nachgewiesen.

23

2. Die Klage ist jedoch in der Sache unbegründet.

24

Der Klägerin steht weder ein bereicherungsrechtlicher Anspruch in Höhe von 11.570,00 EUR aus dem Vertrag mit der Versicherungsnummer ... (neu: LV ...) zu (a), noch ein bereicherungsrechtlicher Anspruch in Höhe von 10.501,00 EUR aus dem Vertrag mit der Versicherungsnummer ... (neu: LV ... .3) (b) zu. Da es der Klägerin jeweils jedenfalls gem. §§ 242, 404 BGB nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a. F. zu berufen.

25

a) Vertrag mit der Versicherungsnummer ... (neu: LV ...)

26

aa) Die streitgegenständliche Widerspruchsbelehrung leidet hier bereits unter dem formellen Mangel, das sie nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben worden ist. Die Widerspruchsbelehrung hebt sich in keiner Weise von dem übrigen, sich im Policenbegleitschreiben befindlichen Text ab.

27

bb) Inhaltlich erachtet das Gericht indes die streitgegenständliche Widerspruchsbelehrung für ordnungsgemäß. Das Gericht verweist insofern auf die Ausführungen des OLG München (Beschluss vom 20.05.2020, Az.: 25 U 5783/19) und schließt sich den dortigen Ausführungen in vollem Umfang an:

28

1.1. Inhalt

29

Die Belehrung zum Fristbeginn ist ausreichend. Zutreffend verweist die Berufung zwar darauf, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht genügt, wenn die Belehrung dahingehend erfolgt, dass die Frist mit Überlassung des Versicherungsscheins zu laufen beginnt, da das Gesetz auf die Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation abstellt und die Belehrung daher (wenn nicht im Einzelfall die Versicherungsbedingungen und die weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation in den Versicherungsschein mit aufgenommen wurden) unrichtig ist.

30

Allerdings stellt die vorliegende Belehrung für den Fristbeginn auf den Zugang „dieses Briefes“, der alle erforderlichen Unterlagen (das Policenbegleitschreiben mit der Widerspruchsbelehrung und die Versicherungsurkunde, die neben den üblicherweise den Versicherungsschein bildenden reinen Vertragsinformationen auch die Versicherungsbedingungen und die weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation) enthielt, ab und war daher zutreffend. Damit lagen mit dem Brief dem Kläger alle erforderlichen Informationen vor. Der Kläger konnte die Frist richtig berechnen. Ohne Weiteres wird dem Versicherungsnehmer deutlich, wann die Frist zu laufen beginnt (mit Erhalt des Briefs, der die Belehrung und die Versicherungsurkunde enthält) und ohne weiteres kann er erkennen, um welche Unterlagen es sich handelt, da er die beigefügte Urkunde nur durchsehen muss (vgl. z. B. auch OLG Köln, Urteile vom 06.12.2013 – Az. 20 U 144/13; 25.09.2015 – Az. 20 U 97/15, 29.04.2016 – Az. 20 U 184/15 und vom 03.05.2016 – Az. 20 U 18/16, BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2015 – Az. IV ZR 16/14, vom 29.06.2016 – Az. IV ZR 492/15, 21.03.2017 – Az. IV ZR 138/16 und vom 08.12.2016 – Az. IV ZR 144/16). Dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung – der Versicherungsnehmer soll die Frist zutreffend berechnen können und sein Widerspruchsrecht form- und fristgerecht ausüben können – ist Rechnung getragen (vgl Senat, Beschluss vom 20.04.2015 – Az. 25 U 4040/14, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.11.2015 – Az. IV ZR 264/15 zurückgewiesen – in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 28.04.2015 wurde die Problematik der ordnungsgemäßen Belehrung über den Beginn der Widerspruchsfrist ausdrücklich gerügt und darauf hingewiesen, dass das Policenbegleitschreiben nur vom Erhalt dieser Unterlagen spricht und dass - insoweit im behaupteten Widerspruch dazu – erst in der Belehrung auf S. 21 des Versicherungsscheins auf die Überlassung der im Gesetz genannten Unterlagen abgestellt wurde; Beschluss vom 20.04.2015 – Az. 25 U 237/15, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.11.2015 – Az. IV ZR 267/15 zurückgewiesen; Beschluss vom 20.04.2015 – Az. 25 U 4235/14, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.11.2015 – Az. IV ZR 263/15 zurückgewiesen; Urteil vom 24.01.2014 – Az. 25 U 2705/13, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 30.07.2015 – Az. IV ZR 75/14 zurückgewiesen; Beschluss vom 23.04.2012 – Az. 25 U 3887/11, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 22.07.2015 – Az. IV ZR 173/12 zurückgewiesen; Beschluss vom 20.02.2014 – Az. 25 U 1522/13, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 21.07.2015 – Az. I ZR 102/14 zurückgewiesen; Beschluss vom 22.02.2014 – Az. 25 U 1522/13, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 21.07.2015 unter Az. IV ZR 102/14 zurückgewiesen; Beschluss vom 06.06.2013 – Az. 25 U 4780/12, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 28.11.2013 unter Az. IV ZR 144/13 zurückgewiesen; Beschlüsse vom 25.01.2018 und vom 20.02.2018 – Az. 25 U 3741/17; Beschluss vom 11.01.2018 – Az. 25 U 3916/17; Beschluss vom 28.11.2017 – Az. 25 U 3147/17, Beschlüsse vom 22.11.2017 und vo 02.11.2017 – Az. 25 U 4262/16; Beschluss vom 18.07.2017 – Az. 25 U 1934/17, Beschluss vom 30.06.2017 – Az. 25 U 1996/17, Beschluss vom 1402.2017 – Az. 25 U 63/17; Beschluss vom 11.05.2016 – Az. 25 U 1821/16. Auch das Oberlandesgericht Hamm vertritt diese Auffassung: Eine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a. F. ist auch dann wirksam, wenn sie die notwendigen Bestandteile der Verbraucherinformation nicht auflistet (OLG Hamm – Beschlüsse vom 26.06.2015 und 30.07.2015 – Az. 20 U 48/15, VersR 2016, 777). Die Belehrung erweckt vorliegend gerade nicht den Eindruck, der Fristbeginn werden nur an den Erhalt eines die reinen Vertragsdaten enthaltenden Versicherungsscheins (vgl. zur Unwirksamkeit in diesen Fällen BGH, Urteil vom 27.04.2016 – Az. IV ZR 200/14; BGH, Urteil vom 19.11.2014 – Az. IV ZR 329/14) geknüpft, da allgemein auf den Erhalt des Briefs mit dem Begleitschreiben und der Versicherungsurkunde abgestellt wird, Im Policenbegleitschreiben ist ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch die Verbraucherinformationen in der Versicherungsurkunde enthalten sind. Die Versicherungsbedingungen sind Teil der Verbraucherinformation (Abschnitt I 1b der Anlage D zum VAG). Die Verbraucherinformationen müssen in der Widerspruchsbelehrung nicht als solche bezeichnet sein. So hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12.07.2016 – Az. IV ZR 558/15 entschieden: „… Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, wird trotz Verwendung des Begriffs „Beilagen“ im Versicherungsschein hinreichend klar, dass es sich auch bei den unter diesen Begriff angeführten Verbraucherinformationen um Unterlagen im Sinne der Widerspruchsbelehrung handelt …“ (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21.07.2016 – Az. IV ZR 17/16; BGH, Urteil vom 13.07.2016 – Az. IV ZR 541/15, r+s 2016, 609). Dem folgt der Senat. § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a. F. verlangt bei Aushändigung des Versicherungsscheins eine Belehrung „über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer“, nicht aber eine über den genauen Inhalt dieser gesetzlichen Vorschrift. Die Vorschrift schreibt die Formulierung und Begrifflichkeit der Belehrung nicht vor, die Begriffe „Versicherungsschein“, „Versicherungsbedingungen“ und „Verbraucherinformation“ müssen nicht zwingend verwendet werden. Dem Versicherungsnehmer muss sich aus der Belehrung nur erschließen, welche Unterlagen er erhalten haben muss, damit die Widerspruchsfrist zu laufen beginnt. Es genügt, wenn sich diese aus dem Inhalt des Anschreibens bzw. der Versicherungsurkunde hinreichend deutlich ergeben. Dem Versicherer ist es nicht verwehrt, sämtliche relevanten Unterlagen in einer Urkunde zusammenzufassen (z. B. Senat, Beschlüsse vom 11.07.2018 und 21.08.2018 – Az. 25 U 1768/18; die Nichtzulassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 17.07.2019 – Az. IV ZR 227/18 zurückgewiesen Senat, Beschluss vom 11.01.2018 – Az. 25 U 3916/17; Beschluss vom 22.11.2017 – Az. 25 U 4262/16; Beschluss vom 12.01.2018 – Az. 25 U 3174/17).

31

cc) Ob allein der formelle Mangel der fehlenden drucktechnischen Hervorhebung i.S.d. § 5a VVG alter Fassung einen relevanten Belehrungsfehler dergestalt darstellt, dass der Versicherungsnehmerin im Grundsatz das sog. ewige Widerspruchsrecht mit der Folge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrages zusteht, kann im Ergebnis dahinstehen, da es der Klägerin auch unter der Prämisse einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung gem. §§ 242, 404 BGB nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a. F. im Jahr 2018 und somit 14 Jahre nach Abschluss des Vertrags im März 2004 zu berufen.

32

Das Widerspruchsrecht der Klägerin bzgl. des Vertrags ist jedenfalls verwirkt. Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages zu laufen beginnt, ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit des Gläubigers über einen gewissen Zeitraum bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (BGH, Urt. v. 07.05.2014, Az. IV ZR 76/11 – zitiert nach juris). Die Rechtsausübung kann aber auch wegen widersprüchlichen Verhaltens unzulässig sein. Widersprüchliches Verhalten ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann dann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, aaO.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Ausübung des Widerspruchsrechts auch bei unzureichender Belehrung wegen widersprüchlichen Verhaltens gem. § 242 BGB im Einzelfall ausgeschlossen sein, wenn besonders gravierende Umstände vorliegen, die dem Versicherungsnehmer die Geltendmachung seines Anspruchs verwehren (BGH, Beschluss vom 11.11.2015 und 13.01.2016 zum Az. IV ZR 117/15; vom 27.01.2016 und 22.03.2016 zum Az. IV ZR 130/15; Urt. v. 27.09.2017, Az. IV ZR 506/15 – jeweils zitiert nach juris). Ob die Umstände nach § 242 BGB eine Versagung der Rückabwicklung rechtfertigen, ist eine Frage der Würdigung im Einzelfall und bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (BGH, Urt. v. 11.05.2016 – IV ZR 334/15).

33

Im vorliegenden Fall geht das Gericht davon aus, dass sowohl das Zeitmoment der Verwirkung erfüllt ist, als auch besonders gravierende Umstände vorliegen, die der Klägerin die Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruches verwehren.

34

Das erforderliche Zeitmoment liegt vor und ist mit einem Zeitablauf zwischen Vertragsschluss im März 2004 und Ausübung des Widerspruchs im Juli 2018 mit über 14 Jahren auch erheblich.

35

Für das Umstandsmoment kommt es in erster Linie auf das Verhalten der ursprünglichen Versicherungsnehmerin an, weil mit der Verwirkung die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden soll. Wenn das Umstandsmoment sich auch nicht durch Zeitablauf erledigt, besteht gleichwohl eine Wechselwirkung zwischen Umstands- und Zeitmoment. Je länger der abgelaufene Zeitraum ist, umso geringer dürfen die Anforderungen an das Umstandsmoment sein (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.2015, Az. XII ZR 224/03).

36

Angesichts des erheblichen Zeitraums zwischen Vertragsabschluss und Widerspruch von mehr als 14 Jahren wertet das Gericht die folgenden Umstände als besonders gravierend.

37

Nach der Beitragsfreistellung im Jahr 2011 beantragte die Versicherungsnehmerin im Jahre 2013 die Beitragspflicht wieder in Kraft zu setzen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts ein gravierender Umstand. Denn nachdem die Versicherungsnehmerin mit ihrem Antrag auf Fortführung der Beitragszahlung gezeigt hatte, dass sie die Wideraufnahme des Versicherungsschutzes wollte, durfte sich die Beklagte darauf einstellen, dass der Vertrag Bestand hat (vgl. Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgericht vom 25.06.2020, Az. 9 U 101/20).

38

Auch die mit Datum vom 5.3.2013 beantragte Änderung des Bezugsrechts im Todesfall stellt einen gravierenden Umstand dar. Denn dies stellt eine inhaltliche Einwirkung der Versicherungsnehmerin auf den Vertrag und dessen Ausgestaltung dar, weshalb ihr hinsichtlich des Vertrauens auf den Fortbestand des Vertrages ein besonderer Stellenwert zukommt. Denn einer Bezugsrechtsänderung ist immanent, dass die Versicherungsnehmerin den Vertrag weiterführen und an diesem bis zum Eintritt des Versicherungsfalls festhalten möchte.

39

Auch die erneute Beitragsfreistellung im Jahr 2014 ist verwirkungsrelevant. Hierbei kommt insbesondere der Begründung der Versicherungsnehmerin, nämlich, dass diese Beitragsfreistellung nur vorübergehend aufgrund ihrer aktuellen finanziellen Situation erfolgen sollte, besondere Bedeutung zu. Denn sie gab hierdurch gegenüber der Beklagten ausdrücklich zu erkennen, dass sie beabsichtige in Zukunft - sobald ihre finanzielle Situation sich bessere - den Vertrag wieder aufzunehmen und folglich an ihm festzuhalten.

40

Schlussendlich streitet auch der Ablauf von mehr als zehn Jahren zwischen dem Vertragsabschluss und dem Widerruf des Vertrags für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts. Dies begründet sich in der Wertung des BGB, welches mit der 10-jährigen Frist des § 124 Abs.3 BGB sogar im Falle der arglistigen Täuschung nach 10 Jahren eine Rechtssicherheit herstellen will.

41

Bei der Würdigung der jeweiligen Umstände hat das Gericht berücksichtigt, dass die Beklagte die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie die Versicherungsnehmerin formell nicht ordnungsgemäß belehrt hat. Allein dieser Umstand rechtfertigt es aber nicht, der Beklagten die Schutzbedürftigkeit abzusprechen. Vielmehr durfte sich die Beklagte hier bei einer Gesamtschau aller relevanten Umstände des Einzelfalls darauf einrichten, dass die Versicherungsnehmerin keinen Widerspruch mehr gegen den Vertrag erklärt. Die erfolgte Geltendmachung des Widerspruchsrechts stellt sich als treuwidrig im Sinne des § 242 BGB dar.

42

b) Vertrag mit der Versicherungsnummer ... (neu: LV ....3)

43

aa) Hinsichtlich der formellen Unwirksamkeit und der inhaltlichen Ordnungsgemäßheit der Widerspruchsbelehrung wird auf die Ausführungen unter a) aa)-bb) verwiesen.

44

bb) Auch bei diesem Vertrag kann dahinstehen, ob der formelle Mangel der fehlenden drucktechnischen Hervorhebung i.S.d. § 5a VVG alter Fassung einen relevanten Belehrungsfehler mit der Folge darstellt, dass der Versicherungsnehmerin im Grundsatz das sog. ewige Widerspruchsrecht mit der Folge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrages zusteht. Da es der Klägerin auch hier unter der Prämisse einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung gem. §§ 242, 404 BGB nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a. F. im Jahr 2018 und somit 14 Jahre nach Abschluss des Vertrags im Mai 2004 zu berufen.

45

Das Widerspruchsrecht der Versicherungsnehmerin ist jedenfalls nach den unter a) cc) dargestellten Maßstäben verwirkt.

46

Auch im vorliegenden Fall geht das Gericht davon aus, dass sowohl das Zeitmoment der Verwirkung erfüllt ist, als auch besonders gravierende Umstände vorliegen, die der Klägerin die Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruches verwehren.

47

Das erforderliche Zeitmoment liegt vor und ist mit einem Zeitablauf zwischen Vertragsschluss im Mai 2004 und Ausübung des Widerspruchs im Juli 2018 mit über 14 Jahren auch erheblich.

48

Für das Umstandsmoment kommt es in erster Linie auf das Verhalten der ursprünglichen Versicherungsnehmerin an, weil mit der Verwirkung die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden soll. Wenn das Umstandsmoment sich auch nicht durch Zeitablauf erledigt, besteht gleichwohl eine Wechselwirkung zwischen Umstands- und Zeitmoment. Je länger der abgelaufene Zeitraum ist, umso geringer dürfen die Anforderungen an das Umstandsmoment sein (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.2015, Az. XII ZR 224/03).

49

Angesichts des erheblichen Zeitraums zwischen Vertragsabschluss und Widerspruch von mehr als 14 Jahren wertet das Gericht die folgenden Umstände als besonders gravierend.

50

Nach der Beitragsfreistellung im Jahr 2008 beantragte die Versicherungsnehmerin im Jahre 2010 die Beitragspflicht wieder in Kraft zu setzen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts ein gravierender Umstand. Denn nachdem die Versicherungsnehmerin mit ihrem Antrag auf Fortführung der Beitragszahlung gezeigt hatte, dass sie die Wiederaufnahme des Versicherungsschutzes wollte, durfte sich die Beklagte darauf einstellen, dass der vertrag Bestand hat (vgl. Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgericht vom 25.06.2020, Az. 9 U 101/20).

51

Auch die mit Datum vom 5.3.2013 beantragte Änderung des Bezugsrechts im Todesfall stellt einen gravierenden Umstand dar. Denn dies stellt eine inhaltliche Einwirkung der Versicherungsnehmerin auf den Vertrag und dessen Ausgestaltung dar, weshalb ihr hinsichtlich des Vertrauens auf den Fortbestand des Vertrages ein besonderer Stellenwert zukommt. Denn einer Bezugsrechtsänderung ist immanent, dass die Versicherungsnehmerin den Vertrag weiterführen und an diesem bis zum Eintritt des Versicherungsfalls festhalten möchte.

52

Auch die erneute Beitragsfreistellung im Jahr 2014 ist verwirkungsrelevant. Hierbei kommt insbesondere der Begründung der Versicherungsnehmerin, nämlich, dass diese Beitragsfreistellung nur vorübergehend aufgrund ihrer aktuellen finanziellen Situation im Zusammenhang mit einem Umzug erfolgen sollte, besondere Bedeutung zu. Denn sie gab hierdurch gegenüber der Beklagten ausdrücklich zu erkennen, dass sie beabsichtige in Zukunft - sobald ihre finanzielle Situation sich bessere - den Vertrag wieder aufzunehmen und folglich an ihm festzuhalten.

53

Schlussendlich streitet auch hier der Ablauf von mehr als zehn Jahren zwischen dem Vertragsabschluss und dem Widerruf des Vertrags für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts. Dies begründet sich in der Wertung des BGB, welches mit der 10-jährigen Frist des § 124 Abs.3 BGB sogar im Falle der arglistigen Täuschung nach 10 Jahren eine Rechtssicherheit herstellen will.

54

Bei der Würdigung der jeweiligen Umstände hat das Gericht berücksichtigt, dass die Beklagte die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie die Versicherungsnehmerin nicht ordnungsgemäß belehrt hat. Allein dieser Umstand rechtfertigt es aber nicht, der Beklagten die Schutzbedürftigkeit abzusprechen. Vielmehr durfte sich die Beklagte hier bei einer Gesamtschau aller relevanten Umstände des Einzelfalls darauf einrichten, dass die Versicherungsnehmerin keinen Widerspruch mehr gegen den Vertrag erklärt. Die erfolgte Geltendmachung des Widerspruchsrechts stellt sich als treuwidrig im Sinne des § 242 BGB dar.

55

3. Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen, insbesondere den Zinsanspruch und die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten.

56

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

57

Beschluss vom 05.08.2021:

58

Der Streitwert wird auf 22.071,00 € festgesetzt.

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