Urteil vom Landgericht Kiel (5. Zivilkammer) - 5 O 64/14
Tenor
Die einstweilige Verfügung vom 28.02.2014 wird bestätigt.
Der Verfügungsbeklagte hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
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Die Verfügungsklägerin begehrt Unterlassung von Behauptungen von dem Verfügungsbeklagten. Die Verfügungsklägerin (im Nachfolgenden: Klägerin) ist niedergelassene Zahnärztin. Sie übernahm die Praxis mit Vertrag vom 11.12.2013 von dem Zahnarzt C. Wegen des Inhalts wird auf den Vertrag vom 11.02.2013 Bezug genommen. Am 22.01.2014 erschien der Verfügungsbeklagte (im Nachfolgenden: Beklagter) in der Praxis der Klägerin. Seine Versicherungskarte wollte er nicht aushändigen. Daraufhin suchte die Klägerin ihn im Wartezimmer auf. Der Beklagte führte aus, dass es im Zusammenhang mit der Praxisübernahme zu einem Fehler im Hinblick auf den Datenschutz und § 203 StGB gekommen sein könnte, da nicht das Einverständnis aller Patienten eingeholt worden sei. Er überreichte Auszüge eines Urteils des Bundesgerichtshofes, das einen ähnlichen Fall betraf. Er äußerte, dass er an die Öffentlichkeit damit gehen könne. Er wünschte eine Besprechung, deutete mögliche Schadensersatzansprüche an und hinterließ seine Visitenkarte. Die Klägerin forderte ihn daraufhin auf, die Praxis zu verlassen.
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Mit Schreiben vom 28.01.2014 wies der Beklagte die Klägerin erneut darauf hin, dass der Praxisübernahmevertrag fehlerhaft sein könnte. Weiter heißt es dort: „Leider haben Sie sich bisher noch nicht zu einem klärenden Gespräch bereit gefunden. Ich könnte Ihnen kostspielige Unannehmlichkeiten bereiten durch
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- Anfechtung des Praxisübernahmevertrages
- Strafanzeigen gegen Sie und C
- Meldung an die Zahnärztekammer
- Veröffentlichung des Vorgangs
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Bei Einschaltung von Anwälten auf beiden Seiten kämen meines Erachtens schnell Kosten von über 10.000,00 € zusammen, wobei Sie meines Erachtens schlechte Karten haben dürften, zu obsiegen. Aus diesem Grunde biete ich Ihnen noch einmal ein Gespräch an, mit dem Ziel, eine gütliche Einigung zu erreichen...“
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Daraufhin beauftragte die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten, der mit Schreiben vom 29.01.2014 die Sach- und Rechtslage darstellte und den Beklagten aufforderte, eine strafbewehrte Unterlassungsverfügung zu unterzeichnen. Mit Schreiben vom 06.02.2014 erwiderte der Beklagte: „Ihr o. a. unverschämtes und dummdreistes Schreiben vom 29.01. erhalten Sie anbei vollständig zurück. Ihre sämtlichen Behauptungen werden bestritten und zurückgewiesen. Da Ihre Mandantin anscheinend ein Gespräch ablehnt, wird sie die Konsequenzen zu tragen haben.“
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Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht eine einstweilige Verfügung mit dem Inhalt erlassen, dass es der Verfügungsbeklagte zu unterlassen hat, gegenüber Dritten ausdrücklich oder sinngemäß zu behaupten oder die Behauptung zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, bei Übernahme der Zahnarztpraxis ..., von C durch die Antragstellerin
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1. sei den Vertragsparteien ein Fehler unterlaufen,
2. habe die Antragstellerin gegen die Strafvorschrift des § 203 StGB verstoßen oder an einem solchen Verstoß mitgewirkt,
3. habe die Antragstellerin gegen berufsrechtliche Bestimmungen des Berufstandes der Zahnärzteschaft verstoßen oder an einem solchen Verstoß mitgewirkt.
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Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Beklagten. Er rügt, dass ihm mit der einstweiligen Verfügung die streitgegenständlichen Behauptungen gegenüber sämtlichen Dritten untersagt werden. Es sei aber sein gutes Recht, einen nach seiner Auffassung vorliegenden Verstoß bei der berufständischen Kammer oder gegenüber der Staatsanwaltschaft anzuzeigen.
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Ein Verstoß gegen § 203 StGB liege vor, da der BGH in seiner Entscheidung vom 11.12.1991 ausgeführt habe, dass die Zustimmung der Patienten bei Praxisübernahme in eindeutiger Weise einzuholen sei. Eine ausdrückliche Zustimmung habe es aber nicht gegeben. In Bezug auf seine Person liege auch keine konkludente Zustimmung vor, da er ausdrücklich keine Behandlung gewünscht habe.
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Er habe nicht mit den zu unterlassenden Äußerungen gedroht, sondern nur auf zu tragende Konsequenzen hingewiesen. Diese ergäben sich aus dem Schreiben vom 28.01.2014 und seien in der Übergabe der Angelegenheit an den Rechtsanwalt zu sehen.
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Der Beklagte stellte am 07.02.2014 Strafanzeige gegen den Zeugen C und die Klägerin und wandte sich an die Zahnärztekammer.
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Die Klägerin beantragt,
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die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
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Der Beklagte beantragt,
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die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Der Unterlassungsanspruch folgt aus § 824 BGB in Verbindung mit § 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB analog. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen zu. Der deliktische Rechtsschutz gegen unwahre Tatsachenbehauptungen, die die gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit der Antragstellerin beeinträchtigen, richtet sich nach § 824 BGB in Verbindung mit § 1004 BGB. Unter § 823 Absatz 1 BGB fallen demgegenüber abträgliche Werturteile und die Mitteilung schädigender wahrer Tatsachen (BGH NJW 1992, 1312).
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§ 824 BGB setzt die Behauptung oder Verbreitung einer unwahren Tatsache voraus, die geeignet ist, den Kredit eines Anderen zu gefährden, oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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Die Behauptung, bei der Praxisübernahme seien Fehler im Hinblick auf Datenschutz und Geheimhaltung der Patientendaten (§ 203 StGB) geschehen, enthält Elemente einer Tatsachenbehauptung sowie einer Meinungsäußerung. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist (BGH NJW 06, 830). Danach ist diese Äußerung in ihrem Grundaussagegehalt eine Tatsachenbehauptung, da es mit Mitteln des Beweises überprüfbar ist, ob bei der Praxisübernahme die Geheimhaltungspflicht der Patientendaten verletzt worden ist.
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Diese Tatsachenbehauptung ist unwahr. Die Klägerin hat in dem Praxisübernahmevertrag das Patientenrecht auf informationelle Selbstbestimmung in ausreichender Weise gewährleistet. In § 4 des Vertrages ist geregelt:
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„(1)
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Die Patientenkartei wird dem Praxisübernehmer inklusive aller Krankenunterlagen, Röntgenbilder und aller sonstigen in der Praxis vorhandenen Krankenbelege übereignet, soweit die Patienten in die Übergabe ihrer Krankenunterlagen an den Praxisübernehmer schriftlich einwilligen. Liegt bis zum Übergabestichtag keine schriftliche Einwilligung vor, gelten die folgenden Ziffern:
(2)
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Der Praxisübernehmer verpflichtet sich, die Alt-Kartei inklusive aller Krankenunterlagen separat und zugriffssicher in einem verschlossenen Aktenschrank unentgeltlich zu verwahren. Der Praxisübergeber erhält einen Zweitschlüssel zu dem Aktenschrank. Die Aufbewahrungsverpflichtung endet mit Ablauf der allgemeinen Aufbewahrungsfrist. Nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen hat der Praxisübernehmer den Praxisübergeber zu informieren und – sofern dieser nicht binnen einer Frist von einem Monat widerspricht – für ordnungsgemäße unentgeltliche Vernichtung der Patientenunterlagen zu sorgen. Widerspricht der Praxisübergeber, so hat er auf eigene Kosten binnen eines weiteren Monats die zur Vernichtung vorgesehenen Behandlungsunterlagen aus den Praxisräumen abzuholen und zur sachgemäßen Verwahrung zu übernehmen.
(3)
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Der Praxisübernehmer darf nur dann Zugriff auf die in der Alt-Kartei enthaltenen Krankenunterlagen nehmen, wenn
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a. der Patient entweder durch sein ausdrückliches schriftliches Einverständnis oder durch sein Erscheinen in der Praxis zur Behandlung schlüssig zum Ausdruck bringt, dass er die Nutzung der Krankenunterlagen durch den Praxisübernehmer wünscht,
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b. eine ausdrückliche schriftliche Anweisung des Patienten zur Übersendung von Kopien an einen anderen nachbehandelnden Zahnarzt/Arzt vorliegt.
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Liegt ein schriftliches oder schlüssiges Einverständnis des Patienten vor, darf der Praxisübernehmer dessen Krankenunterlagen in seine laufende Kartei übernehmen bzw. bei schriftlichem Einverständnis an einen nachbehandelnden Zahnarzt/Arzt übersenden. Die aus der Alt-Kartei entnommenen Krankenunterlagen werden in einer fortlaufenden Liste erfaßt.
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Die Herausgabe von Original-Krankenunterlagen bedarf der Zustimmung des Praxisübergebers.“
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Damit ist dem Gebot der Gewährleistung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Altpatienten des Praxisvorgängers Genüge getan. Die Klägerin hat gerade kein generelles Zugriffsrecht auf die Patientendaten. Die alte Akte des früheren Patienten darf nur bei ausdrücklicher oder konkludent durch Bitte auf Weiterbehandlung erteilter Zustimmung herausgenommen und eingesehen werden. Das bedeutet, dass der Praxisnachfolger keine Verfügungsbefugnis über die Altpatienten-Karteien hat. Dass die Patientendaten sich tatsächlich in den Praxisräumen befinden, führt nicht zu einer konkreten – nicht gestatteten – Einsichtnahme. In Anbetracht einer möglicherweise dringlichen nicht aufschiebbaren Behandlung eines Altpatienten ist dieses Zweischrank-Modell ein praktikabler Weg, da bei ausschließlichem Zugriff des Praxisvorgängers auf die Patientendaten mit entsprechender Aufbewahrung anderen Orts in dringenden Fällen eine schnelle Zugriffsmöglichkeit nicht gewährleistet ist.
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Dieses Modell widerspricht auch nicht den Anforderungen in dem vom Beklagten zitierten BGH-Urteil. Dort ist ausdrücklich zur Vermeidung größerer Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Behandlungsdaten eine vom Praxisübergeber oder der Standesorganisation zu treffende Vorsorge für die leicht erreichbare Aufbewahrung der Unterlagen genannt.
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Auch im Fall des Beklagten ist kein Patientengeheimnis verletzt worden. Die Klägerin hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben, dass die dem Beklagten mitgeteilt habe, nicht in seine Karteikarte geschaut zu haben.
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Die Verbreitung und Veröffentlichung dieser unwahren Tatsachenbehauptung ist auch geeignet, der Klägerin Nachteile für ihren Erwerb oder ihr Fortkommen zuzufügen. Die Einhaltung der ärztlichen Berufspflichten, insbesondere in Bezug auf die Patientendaten (Diagnose, Therapie usw.) stellt einen wesentlichen Umstand dar, der auf den guten Ruf und den weiteren Bestand der Arztpraxis Einfluss hat. Die ärztliche Schweigepflicht und der Umgang mit den sensiblen Patientendaten ist ein hohes Gut. Wird verbreitet, dass ein Arzt leichtfertig damit umgeht bzw. diese Geheimhaltungspflicht verletzt, wirkt dies in erheblichem Maße abschreckend auf die Patienten.
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Der Anspruch auf Unterlassung gemäß § 1004 BGB setzt nicht voraus, dass bereits eine rechtswidrige Beeinträchtigung erfolgt ist. Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch besteht, wenn ernsthafte und greifbare Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, der Anspruchsgegner werde sich in naher Zukunft rechtswidrig verhalten (BGH NJW RR 09, 184). Es müssen Umstände vorliegen, aus denen sich die Absicht eines rechtswidrigen Eingriffs ergeben.
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Solche Umstände liegen vor. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 28.01.2014 deutlich darauf hingewiesen, dass er der Klägerin kostspielige Unannehmlichkeiten bereiten könnte durch Anfechtung des Praxisübernahmevertrages, Strafanzeigen, Meldung an die Zahnärztekammer und Veröffentlichung des Vorgangs. Damit stellt er genau diese Maßnahme in Aussicht, wenn keine gütliche Einigung erfolgen sollte. Die Verwendung des Begriffs „könnte“ hindert nicht die Eigenschaft als Behauptung. Eine Behauptung kann auch in versteckter Form durch die Verklausulierung im Konjunktiv erfolgen. Dass er gleichzeitig die Einschaltung eines Rechtsanwalts ankündigt, macht die Ausführung der angedrohten Maßnahmen nicht weniger wahrscheinlich. Hinzu kommt, dass der Beklagte die vorbereitete Unterlassungserklärung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht unterschrieben hat, sondern in ungehöriger und beleidigender Weise zurückgewiesen hat. Das lässt nicht darauf schließen, dass er von einer Verbreitung Abstand nehmen wollte. Tatsächlich hat er der Staatsanwaltschaft sowie der Zahnärztekammer auch Mitteilung gemacht. Damit war eine Veröffentlichungsabsicht anzunehmen.
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Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Das Verhalten des Beklagten legte nahe, dass er eine Verbreitung der Behauptung zeitnah vornehmen würde.
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Der Tenor war nicht einzuschränken. Auch gegenüber der Staatsanwaltschaft oder der Ärztekammer dürfen unwahre Tatsachenbehauptungen nicht in Kenntnis der Unwahrheit aufgestellt werden. Soweit der Beklagte einen Verdacht gegenüber der Staatsanwaltschaft oder der Zahnärztekammer, die jeweils zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, äußern will, verbietet ihm das die einstweilige Verfügung nicht.
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