Beschluss vom Landgericht Kleve - 120 Qs-304 Js 1109/15 - 70/16
Tenor
Die sofortige Beschwerde vom 25.07.2016 wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
1
Gründe
I.
2Nachdem das Vorhaben der Staatsanwaltschaft Kleve, das gegen den Angeklagten gerichtete Verfahren wegen Abgabe einer falschen Eidesstattlichen Versicherung gegen Geldauflage von 100,--€ einzustellen, daran scheiterte, dass der Angeklagte, welcher zunächst sein Einverständnis und die fristgemäße Auflagenerfüllung erklärt hatte, trotz mehrfacher Zahlungsaufforderung und Fristverlängerungen innerhalb eines halben Jahres die 100,--€ nicht gezahlt hat, erließ das Amtsgericht Kleve gegen den Angeklagten und Beschwerdeführer am 06.05.2016 einen Strafbefehl wegen falscher Eidesstattlicher Versicherung und verhängte gegen ihn eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 €.
3Der Strafbefehl wurde dem Beschwerdeführer am 17.05.2016 zugestellt. Mit Schreiben vom 30.05.2016, eingegangen bei Gericht am 02.06.2016, legte der Beschwerdeführer Einspruch ein. Unter dem 16.06.2016 teilte das Amtsgericht Kleve dem Beschwerdeführer mit, dass sein Einspruch wegen Ablaufs der zweiwöchigen Einspruchsfrist verspätet und unzulässig sei.
4Nach fruchtlosem Ablauf einer ihm gewährten Erklärungsfrist verwarf das Amtsgericht Kleve den verspäteten Einspruch des Beschwerdeführers am 13.07.2016 als unzulässig und stellte ihm den Verwerfungsbeschluss am 19.07.2016 zu. Mit am 27.07.2016 eingegangenen Schriftsatz vom 25.07.2016 legte der Verteidiger des Beschwerdeführers gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein und beantragte gleichzeitig dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren.
5Der Angeklagte habe den Einspruch am Montag, den 30.05.2016 morgens verfasst und den Brief am gleichen Tag persönlich in den Postkasten der Bundespost eingeworfen, welcher täglich gegen 16.45 Uhr durch die Bundespost gelehrt werde. Er habe davon ausgehen dürfen, dass der Einspruch bei der gewöhnlichen Postlaufzeit beim Amtsgericht Kleve am 31.05.2016 eingehen würde. Die gewöhnliche Postlaufzeit von Goch (Aufgabeort) nach Kleve (Zustellungsort) betrage einen Tag. Mit einer längeren Postlaufzeit brauchte der Angeklagte nicht zu rechnen.
6Ferner überreichte der Verteidiger eine entsprechende eidesstattliche Versicherung des Angeklagten und einer Frau T.
II.
7Das Rechtsmittel wurde fristgerecht binnen 1 Woche (§§ 411 Abs. 1, 311 Abs. 2, 46 Abs. 2 StPO) eingelegt und ist damit zulässig, die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.
8Das Amtsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss den Einspruch des Angeklagten zu Recht verworfen, weil dieser verspätet eingelegt wurde, § 411 Abs. 1 StPO. Die Frist zur Einlegung des Einspruchs beträgt nach § 410 StPO zwei Wochen und begann vorliegend mit der Zustellung am 17.05.2016 (Zustellungsurkunde Bl. 38 R d.A.). Das am 02.06.2016 beim Amtsgericht Kleve eingegangene Schreiben wahrte diese Frist nicht.
9Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand war zurückzuweisen, dieser ist bereits unzulässig. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß den §§ 44, 45 StPO ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) innerhalb dieser Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen (vgl. Meyer-Großner, StPO, 58.Aufl; § 45 Rdn. 5) und schließlich die für die Wiedereinsetzung maßgebenden Tatsachen glaubhaft machen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO). Fristbeginn für den Antrag auf Wiedereinsetzung war hier Zugang des Schreibens des Amtsgerichts Kleve vom 16.06.2016, mit der ihm die verspätete Einspruchseinlegung mitgeteilt wurde und auf die er nicht reagiert hat, insbesondere hat er nicht innerhalb der Wochenfrist Angaben dazu gemacht, warum er ohne Verschulden säumig war. Erst über einen Monat später in Verbindung mit der Beschwerde gegen die Einspruchsverwerfung hat er erklären lassen, seinerseits die Einspruchsschrift rechtzeitig zur Post aufgegeben zu haben. Neben der nicht eingehaltenen Antragsfrist ist die Glaubhaftmachung nicht ausreichend. Die gleichzeitig vorgelegten Eidesstattlichen Versicherungen des Beschwerdeführers und der Frau T verhalten sich zwar zu Tag und Zeit des Einwurfs des Einspruchs; allerdings nicht zum Ort des Einwurfs. Auch bleibt offen, warum eine Frau T diesen Vorgang bestätigen kann, insbesondere den Inhalt des Einwurfes kannte.
10Darüber hinaus sind aber auch Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand rechtfertigen würden, nicht ersichtlich. Das in der Akte befindliche Einspruchsschreiben des Beschwerdeführers datiert zwar auf den 30.05.206, wurde somit innerhalb der Frist - zumindest vorgeblich - verfasst, mögliche Wiedereinsetzungsgründe vor dem Hintergrund langer Postlaufwege scheiden jedoch aus, da der Beschwerdeführer durch eigenes Verschulden den verspäteten Eingang zu vertreten hat. Er durfte nicht darauf vertrauen, dass dieses Schriftstück bereits am folgenden Tag (rechtzeitig) bei Gericht eingeht.
11Gemäß § 270 Satz 2 ZPO wird der Zugang eines Schriftstücks, das durch die Post übersandt wird, am folgenden Werktag vermutet, wenn der Empfänger im Bereich des Ortsbestellverkehrs ansässig ist (und das Schriftstück dort aufgibt), ansonsten am zweiten Werktag nach der Aufgabe zur Post. Zwar gilt die Vorschrift ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung nach unmittelbar nur für die Übersendung von Schriftsätzen im Zivilprozess im ersten Rechtszug vor den Landgerichten. Es erscheint aber sachgerecht, die darin enthaltene Wertung des Gesetzgebers über die regelmäßigen Postlaufzeiten im Strafprozess entsprechend anzuwenden (OLG Stuttgart, Beschluss vom 03. August 2009 – 1 Ss 1215/09 –, juris).
12Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 40, 42-46) geht davon aus, dass ein von der Post beförderter Brief im Inland regelmäßig nicht länger als 2 (Werk-)Tage unterwegs ist. Auch nach der Literatur ist inzwischen anerkannt, dass der Absender nicht darauf vertrauen kann, dass die Sendung bereits am nächsten Tag zugestellt wird (Meyer-Goßner, StPO, 58. Auflage, § 44 Rdn. 16. Ebenso ist nach § 2 Nr. 3 Post-Universaldienstleistungsverordnung im Inland eine Postlaufzeit von regelmäßig 2 Werktagen zu veranschlagen: Die Bundesregierung verpflichtet die Postunternehmen in der Vorschrift, im Jahresdurchschnitt mindestens 95 Prozent der an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen bis zum zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag auszuliefern. Eine regelmäßig nicht schutzwürdige, bloße Hoffnung auf rechtzeitigen Zugang vermag dagegen bei einem vernünftigen Absender die weitere Verpflichtung der Postunternehmen in § 2 Nr. 3 Post-Universaldienstleistungsverordnung, dass im Jahresdurchschnitt mindestens 80 Prozent der inländischen Briefsendungen am ersten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden müssen, schaffen. Nur im postalischen Ortsverkehr wird der Absender - entsprechend § 270 Satz 2 ZPO - wegen der Kürze der Entfernungen auf einen Zugang am darauf folgenden Werktag vertrauen dürfen.
13Zudem hat die Strafkammer auch den in ständiger Rechtsprechung aus Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundsatz, dass in Fällen des „ersten Zugangs“ zum Gericht bei Anwendung und Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des einfachen Rechts (§§ 44-47 StPO) die Anforderungen an die Erlangung der Wiedereinsetzung nicht in einer für den Beschwerdeführer unzumutbaren Weise überspannt werden dürfen (BVerfGE 25,158 (166)), berücksichtigt, der aber hier kein anderes Ergebnis zu begründen vermag.
14Nach diesen Grundsätzen durfte der Beschwerdeführer bei Einwurf seines Einspruchs nur einen Tag vor Ablauf der Einspruchsfrist nicht darauf vertrauen, dass dieser rechtzeitig am folgenden Werktag ausgeliefert werden würde, schon weil der Bestimmungsort Kleve außerhalb des postalischen Ortsverkehrs von Goch liegt. Dem Beschwerdeführer war vielmehr zuzumuten, sich entweder Gewissheit über die regelmäßige Postlaufzeit bei seinem Einlieferungspostamt zu erlangen, wo ihm hätte mitgeteilt werden müssen, dass eine Auslieferung am Folgetag jedenfalls nicht sicher gewährleistet sei. Auf diese Auskunft hin hätte er sich dann um eine anderweitige, schnellere Übermittlung seines Schriftsatzes etwa per Fax oder durch eigenhändigen Einwurf in den (Nacht-) Briefkasten des Amtsgerichts Kleve bemühen müssen. Alternativ war dem Beschwerdeführer, der die Einspruchsfrist als Überlegungsfrist voll ausschöpfen wollte, zuzumuten, sich am letzten Tag der Frist, am Dienstag, den 31.05.2016, jedenfalls telefonisch beim Amtsgericht Kleve zu erkundigen, ob sein Einspruch dort rechtzeitig eingegangen ist, um jegliche Zweifel auszuschließen. Da er dagegen lediglich darauf vertraut hat, dass seine Sendung vom späten Nachmittag des 30.05.2016 bereits am Folgetag bei der Behörde sein würde, kann er sich nicht darauf berufen, dass er gemäß § 44 StPO ohne Verschulden verhindert war, die Einspruchseinlegungsfrist einzuhalten. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann ihm deshalb nicht gewährt werden.
15Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.
16Unterschriften |
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Referenzen
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- StPO § 45 Anforderungen an einen Wiedereinsetzungsantrag 3x
- StPO § 410 Einspruch; Form und Frist des Einspruchs; Rechtskraft 1x
- 1 Ss 1215/09 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung 3x
- ZPO § 270 Zustellung; formlose Mitteilung 2x