Urteil vom Landgericht Köln - 10 O 7/20
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Forderung vollstreckbar.
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Tatbestand:
2Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz für sein Auto.
3Der Kläger kaufte am 02.04.2019 einen T zum Preis von 13.300,- €. Das Auto wies eine Laufleistung von 132 000 km auf. Er leistete eine Anzahlung von 9.000,- € und schloss für den übrigen Betrag einen Kredit ab, den er monatlich mit 100,- € und einer Schlussrate von 933,67 € abtragen sollte. Der Gesamtbetrag dieses Kredits betrug 4.433,67 €.
4Die Beklagte ist Herstellerin des in diesem Auto verbauten Motors XX ###
5Die Laufleistung des Fahrzeugs betrug am 31.07.2020 160 713 km.
6Der Kläger zahlte insgesamt 11.300,- €, sodass noch eine restliche Darlehensverbindlichkeit von 2.233,67 € offen steht.
7Beides macht der Kläger - unter Anrechnung von Nutzungsersatz - geltend.
8In dem Fahrzeug ist eine Fahrkurven-/Zykluserkennung verbaut. Diese funktioniert so, dass der Prüfstand anhand der Fahrkurve erkannt und sodann dafür gesorgt wird, dass der NEFZ-Prüfzyklus mit einem leeren oder fast leeren Speicherkatalysator durchgeführt wird. Hierdurch wird bewirkt, dass während des elf Kilometer langen Testzyklus so wenige Regenerationsphasen wie möglich stattfinden, bei denen höhere Emissionen entstehen. Da diese üblicherweise alle fünf Kilometer stattfinden, kann es ohne die Fahrkurvenerkennung sowohl zu zwei als auch zu drei Regenerationsphasen während des Prüfzyklus kommen. Die Emissionsgrenzwerte werden auch ohne Einsatz der Fahrkurvenerkennung zur Optimierung der Abgasemissionen eingehalten.
9Der Kläger behauptet, im Fahrzeug sei - soweit unstreitig - ein Thermofenster verbaut, über das die Beklagte das Kraftfahrtbundesamt nicht aufgeklärt habe.
10Er meint, hieraus ergebe sich die Unzulässigkeit des Thermofensters. Die Fahrkurvenerkennung stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da diese jedenfalls zu einer unzulässigen Optimierung innerhalb der Grenzwerte führe. Da die Abschalteinrichtung – so behauptet er – bewusst verbaut worden seien, sei von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung auszugehen.
11Er hat zunächst beantragt mit der am 05.02.2020 zugestellten Klageschrift unter Ziffer 1 beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 8.612,50 EUR sowie Zinsen in Höhe von 278,31 EUR, nebst weiterer Zinsen aus 9.800,00 EUR in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.01.2020 zu zahlen und die Klagepartei von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der D Bank AG aus dem Kreditvertrag zur Kreditnummer 0000 in Höhe von derzeit noch 3.633,67 EUR freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges T mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XXX000 und Übertragung des der Klagepartei gegenüber der D Bank AG zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeuges.
12In der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2020 hat er sodann beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 8.183,49 EUR sowie Zinsen in Höhe von 501,13 EUR nebst weiterer Zinsen aus 10.400,00 EUR in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 20.07.2020 zu zahlen, und die Klagepartei von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der D Bank AG aus dem Darlehensvertrag zur Darlehensvertragsnummer 0000 in Höhe von derzeit noch 3.033,67 EUR freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges T mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XXX000 und Übertragung des der Klagepartei gegenüber der D Bank AG zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeuges; 2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet; und sinngemäß: 3. festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von 1.029,01 EUR erledigt hat.
13Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
14Die Kammer hat die Klage mit Urteil vom 28.08.2020 abgewiesen.
15Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht Köln mit Urteil vom 11.06.2021 (Az. 19 U 111/20, Bl. 596 ff. d.A.) das Urteil der Kammer aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Köln zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kammer übersehen habe, dass unstreitig eine Fahrkurven- bzw. Zykluserkennung verbaut sei, deren Wirkungsweise im Hinblick auf die Stickstoffemissionen des Fahrzeugs und damit ihre Zulässigkeit im Streit stehen und beweisbedürftig seien und der Kläger die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten habe.
16Der Kläger beantragt nunmehr,
171. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 9.083,49 EUR sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen und die Klagepartei von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der D aus dem Darlehensvertrag zur Darlehensvertragsnummer 0000 in Höhe von derzeit noch 2.233,67 EUR freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges T mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XXX000;
182. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Die Beklagte behauptet, das Abgasrückführungssystem arbeite in einem Thermofenster von -24°C bis +70°C zu 100% und sei nur außerhalb dieses Bereichs inaktiv.
22Sie meint, die Fahrkurvenerkennung stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da sie gerade nicht dazu eingesetzt wird, um die Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Eine unzulässige Abschalteinrichtung liege nur dann vor, wenn die Fahrkurvenerkennung Emissionsminderungen bewirkt, die erforderlich seien, um die gesetzlichen Grenzwerte im Prüfzyklus einzuhalten.
23Entscheidungsgründe:
24I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
25Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung besteht weiterhin – auch ohne Durchführung einer Beweisaufnahme – nicht, und zwar sowohl hinsichtlich des offenbar aufrecht erhaltenen Vortrags des Klägers zum sog. Thermofenster als auch zur Fahrkurven-/Zykluserkennung.
261. Hinsichtlich des Thermofensters ist eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht dargelegt, was das Berufungsgericht im Urteil vom 11.06.2021 (Bl. 598 d.A.) bereits zutreffend ausgeführt hat. Hieran ist die Kammer zudem gebunden, § 563 Abs. 2 ZPO.
272. Aber auch hinsichtlich der Fahrkurven-/Zykluserkennung ist nicht von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung auszugehen.
28Nach Ansicht der Kammer ist es für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht – worüber die Parteien unter dem Stichwort der Grenzwertkausalität streiten – erforderlich, dass die Emissionsgrenzwerte wegen der Abschalteinrichtung eingehalten werden. Nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 sind Abschalteinrichtungen unzulässig, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern. Eine Kausalität im Hinblick auf die Einhaltung der Grenzwerte ist hierbei zum einen nicht erforderlich, und zum anderen ist es auch unstreitig, dass vorliegend die Grenzwerte nicht wegen der Fahrkurven-/Zykluserkennung, sondern auch ohne diese eingehalten werden. Schon deswegen ist eine Beweisaufnahme jedenfalls entbehrlich.
29Hierauf kommt es aber nicht an, da der erforderliche Schädigungsvorsatz bzw. Sittenwidrigkeitsvorwurf der Beklagten nicht ausreichend dargelegt ist.
30Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Im Allgemeinen genügt es dafür nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. In diesem Rahmen spielen Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden, die die Bewertung eines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen, eine Rolle. Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es im Wesentlichen auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsner, BGB, § 826 Rn. 31).
31Hierzu wäre es also zumindest erforderlich, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Fahrkurven-/Zykluserkennung in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. In dem Fall, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt hätte, würde es ihr an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlen (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 826 Rn. 8).
32Einen solchen Vorsatz hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Auch im nachgelassenen Schriftsatz vom 25.08.2021 hat sie hinsichtlich eines Bewusstseins der Beklagten bzgl. der Unzulässigkeit nur pauschal oder hinsichtlich eines Thermofensters vorgetragen. Dass aber aufseiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes, verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben, vorhanden gewesen sei, ergibt sich insbesondere nicht – wie der Kläger meint – aus der allgemeinen Lebenserfahrung, wenn man bedenkt, dass – wie die Beklagte unbestritten vorgetragen hat – das Kraftfahrtbundesamt die streitgegenständliche Abschalteinrichtung nach langwieriger Untersuchung als zulässig einstuft. In einem solchen Fall kann der Beklagten nicht unterstellt werden, dass sie von dem Gegenteil ausgegangen ist. Konkreten Vortrag hierzu lässt der Kläger vermissen. Ob sich dies aus der vom Kläger mit pauschalem Verweis vorgelegten Anlage BK1 (Bl. 395 ff. d.A.) ergibt, ist für die Kammer nicht ersichtlich.
333. Die Klage war auch deshalb abzuweisen, da der Kläger seinen Schaden nicht hinreichend dargelegt hat, da er – trotz Hinweises in der mündlichen Verhandlung – keine Angaben zum aktuellen Kilometerstand gemacht hat.
34Eine Schätzung nach § 287 ZPO käme hierbei nicht in Betracht, da die Kammer nicht ausreichend Anknüpfungstatsachen vorliegen hat. Zwar ist der Kilometerstand bei Kauf im April 2019 und der im Zeitpunkt der ersten mündlichen Verhandlung im Juli 2020 bekannt, völlig unbekannt sind aber die Lebensumstände des Klägers und ob die Fahrleistung des Klägers zwischen April 2019 und Juli 2020 üblich oder außergewöhnlich war und sich auf die Zeit zwischen Juli 2020 und August 2021 übertragen lässt.
35II. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
36III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; ein Fall des § 97 ZPO liegt nicht vor, da das endgültige Obsiegen des Berufungsführers vom Ausgang der erneuten Entscheidung abhängig war (vgl. MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 97 Rn. 17). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
37Der Streitwert wird auf 12.246,17 EUR bis zum 19.07.2020 und ab dann auf 11.317,16 EUR festgesetzt.
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Referenzen
- BGB § 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung 1x
- 19 U 111/20 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- BGB § 31 Haftung des Vereins für Organe 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung 1x
- ZPO § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x