Urteil vom Landgericht Köln - 26 O 134/21
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
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T A T B E S T A N D :
2Der Kläger verlangt verzinsliche Rückzahlung der Beiträge, die er auf zwei bei der C Lebensversicherung AG geschlossene Versicherungsverträge geleistet hat:
31. Vertrag Nr. 00000:
4Mit Versicherungsbeginn zum 1.10.2003 wurde eine kapitalbildende Lebensversicherung abgeschlossen.
5Mit Schreiben vom 3.2.2009 kündigte der Kläger den Vertrag, der zum 1.4.2009 beendet wurde. Die Beklagte ermittelte mit Schreiben vom 13.3.2009 einen Rückkaufswert in Höhe von 880,26 € und zahlte diesen aus.
6Unter dem 29.1.2020 erklärte der Kläger den Widerspruch, den die Beklagte zurückwies.
72. Vertrag Nr. 00000
8Zum 1.9.2004 wurde ein weiterer kapitalbildender Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen.
9Am 29.10.2004 trat der Kläger die Ansprüche aus dem Vertrag zur Darlehenssicherung an die C Bausparkasse ab; die Abtretung wurde der Beklagten angezeigt. Nach Freigabe der abgetretenen Rechte im Jahr 2015 erfolgte auf Antrag des Klägers vom 12.9.2017 eine Bezugsrechtsänderung.
10Mit Schreiben vom 18.8.2020 erklärte der Kläger den Widerspruch, den die Beklagte zurückwies.
11Der Kläger behauptet, er habe von der Beklagten (jeweils) einen Versicherungsschein erhalten, nicht aber einen Versicherungsantrag noch die Verbraucherinformationen nach § 10a VAG a.F. In den Verbraucherinformationen fehlten die Angaben über Rückkaufswerte, über die Leistungen aus prämienfreier Versicherung und über das Ausmaß, in dem diese garantiert sind, auch die Angabe der garantierten Rückkaufswerte. Hilfsweise sei die Widerspruchsbelehrung zum Vertrag 00000 unwirksam, weil sie nicht drucktechnisch hervorgehoben sei und der Hinweis auf die Text- bzw. Schriftform fehle. Bezüglich des Vertrags 00000 habe er keine Belehrung erhalten. Hilfsweise trägt er vor, dass er weder die Versicherungsbedingungen noch die notwendigen sämtlichen Verbraucherinformation erhalten habe.
12Der Kläger beantragt:
131. Es wird festgestellt (als Zwischenfeststellungsklage), dass dem Zustandekommen der Verträge mit den Nummern 00000 und 00000 zwischen dem Kläger und der Beklagten wirksam widersprochen wurde.
142. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger bezüglich des unter 1. genannten Versicherungsvertrags geordnet Auskunft darüber zu erteilen:
15a) auf welche einzelnen Bestandteile (wie z.B. Verwaltungskosten, Abschlusskosten, Risikokosten, Sparbetrag der für den Kläger angelegt wurde) die von dem Kläger gezahlten Prämien aufgeteilt wurden und wie hoch diese Anteile (absolut oder prozentual) sind,
16b) soweit die Aufteilung auf die einzelnen Bestandteile nicht über die gesamte Prämienzahlungszeitraum gleich blieben, mitzuteilen, für welche Monate oder Beitragszahlungen welche Aufteilung (absolut oder prozentual) stattfand,
17c) wann welche Anteile der gezahlten Prämien (Kosten) abgeflossen – also nicht mehr im Vermögen der Beklagten vorhanden waren – sind und wohin diese abflossen,
18d) wie die nicht oder noch nicht abgeflossenen Anteile der gezahlten Prämien in der gesamten Zeit in welcher diese Anteile im Vermögen der Beklagten vorhanden waren bzw. sind – nach Zeitraum aufgeschlüsselt – konkret verwendet bzw. eingesetzt wurden und welche Nutzungen die Beklagte mit den einzelnen Beträgen – nach Zeitraum aufgeschlüsselt – erwirtschaftete,
19e) welche eigenen Gelder aufgrund des Erhaltes der Prämien eingespart wurden in der gesamten Zeit, in welcher die Prämien im Vermögen der Beklagten vorhanden waren bzw. sind – nach Zeitraum aufgeschlüsselt – konkret verwendet bzw. eingesetzt wurden und welche Nutzungen die Beklagte mit den einzelnen Beträgen – nach Zeitraum aufgeschlüsselt – erwirtschaftete
203. Die Beklagte wird verurteilt, die Richtigkeit der erteilten Auskünfte an Eides statt zu versichern.
214. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger alle gezahlten Prämien abzüglich bereits ausgezahlter Beträge und abzüglich der tatsächlich angefallenen Risikokosten und zuzüglich tatsächlich gezogener Nutzungen (deren Höhe erst nach erfolgter Auskunft berechnet werden kann) nebst Zinsen in Höhe von 9%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
225. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.085,95 EUR freizustellen
23Die Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hält die Widersprüche für verfristet und beruft sich auf Verwirkung bzw. Rechtsmissbrauch.
26Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
27E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
28Die Klage ist bezüglich der Zwischenfeststellungklage unzulässig, insgesamt aber auch nicht begründet.
29Unabhängig von den aufgeworfenen Fragen des Nichterhaltes von Unterlagen, der Ordnungsgemäßheit der erteilten Belehrung und der Unvollständigkeit von Verbraucherinformationen war der Kläger war in jedem Fall aus Rechtsgründen gehindert, noch am 29.1.2020 bzw. 18.8.2020 wirksam einen Widerspruch gegen die 2003 bzw. 2004 abgeschlossenen Versicherungsverträge zu erklären. Nach den besonderen Umständen des Einzelfalles ist die Geltendmachung des Widerspruchsrechts bzw. des Bereicherungsanspruchs rechtsmissbräuchlich, so dass dem Klageanspruch vorliegend der Einwand von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entgegensteht.
30Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann nach den Umständen des Einzelfalls die Ausübung des Widerspruchs-, Widerrufs- oder Rücktrittsrechts verwirkt sein oder sich als grob widersprüchliches und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßendes Verhalten des Versicherungsnehmers darstellen. Besondere Gegebenheiten können die Annahme rechtfertigen, dass der Versicherer berechtigterweise mit einem Widerspruch des Versicherungsnehmers nicht mehr rechnen muss und auch der Versicherungsnehmer insoweit nicht mehr schutzwürdig ist (BGH, Beschluss vom 11.11.2015 – IV ZR 117/15 –, Beschluss vom 27.1.2016 – IV ZR 130/15 – ; OLG Köln, Urteil vom 6.11.2015 – 20 U 108/15 – , Urteil vom 19.9.2014 – 20 U 69/14 – ). Allgemein gültige Maßstäbe können hierzu allerdings nicht aufgestellt werden; es ist vielmehr jeweils im Einzelfall von dem Tatrichter festzustellen, ob im vorliegenden Einzelfall die Ausübung des Widerspruchsrechts trotz unzureichender Belehrung oder unvollständiger Verbraucherinformationen mit Treu und Glauben nicht in Einklang zu bringen ist (BGH, Beschluss vom 27.9.2017 – IV ZR 506/15 –, NJW 2018, 161). Entscheidend ist, ob Umstände vorliegen, die der Versicherer dahin verstehen durfte, dass der Versicherungsnehmer unabhängig von einem etwaigen Lösungsrecht unbedingt den Vertrag fortsetzen wollte (BGH, Urteil vom 16.12.2016 – IV ZR 399/15 –). Demzufolge wird in der Rechtsprechung auch in Fällen einer unrichtigen Belehrung bei Hinzutreten besonderer Umstände ein Rechtsmissbrauch bzw. eine Verwirkung angenommen. Als besondere Umstände sind dort etwa die Inanspruchnahme der Versicherung als Kreditsicherheit (BGH IV ZR 130/15), der Ablauf der Versicherung nach langem Zeitraum oder ein langer Zeitraum mit bestätigenden Handlungen des Versicherungsnehmers angenommen worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann es treuwidrig sein, wenn der Versicherungsnehmer dem Vertragsschluss widerspricht, nachdem der Versicherungsvertrag nach einer Vertragskündigung auf ausdrückliches Verlangen des Versicherungsnehmers fortgesetzt worden ist (BGH IV ZR 117/15; im Anschluss hieran OLG Köln, Urteil vom 3.5.2016 – 20 U 29/16 –). Das Oberlandesgericht Köln hat im Urteil vom 19.9.2014 (20 U 69/14) Verwirkung bei einem Zeitraum von 20 Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerruf angenommen und dabei darauf abgestellt, dass die Frage der Kenntnis von einem Widerrufsrecht nur ein Element im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände darstelle. Entscheidend sei auch der Zweck des Widerrufsrechts, dem Versicherungsnehmer, der sich möglicherweise voreilig zu einem Vertragsabschluss entschieden habe, eine rechtliche Handhabe zu geben, um den Vertrag nicht fortsetzen zu müssen. Dieser Zweck verblasse im Laufe der Zeit und trete dann in den Hintergrund, wenn der Versicherungsnehmer den abgeschlossenen Vertrag über viele Jahre hinweg fortführe und so zu erkennen gebe, dass er am Vertrag festhalten werde.
31Vorliegend hat der Kläger den Vertrag 00000 im Februar 2009 gekündigt und den von der Beklagten im Hinblick auf diese Vertragsbeendigung erbrachte Zahlung widerspruchslos hingenommen. Sofern er dann erst im Jahr 2020 den Widerspruch erklärt hat, ist dieser vom Schutzzweck des § 5a VVG a.F. nicht mehr umfasst, zumal der Kläger auch nach Abrechnung des Vertrags den wirksam begründeten Bestand des Vertrags, aus dem er während der Laufzeit auch Versicherungsschutz genossen hat, nicht in Abrede gestellt hat.
32Ansprüche aus dem Vertrag 00000 hat der Kläger während der Vertragslaufzeit zur Darlehenssicherung an die Bausparkasse abgetreten und nach späterer Freigabe das Bezugsrecht geändert. Insbesondere mit der Abtretung zur Darlehenssicherung hat er gegenüber der Beklagten auch deutlich zum Ausdruck gebracht, den Bestand des Vertrages nicht in Zweifel zu ziehen, sondern ihn sich wirtschaftlich auch die die Sicherungsabtretung nutzbar zu machen. Ein zeitlich enger Zusammenhang zwischen dem Vertragsschluss und der Abtretung ist nicht erforderlich, vielmehr bekräftigt die erst Jahre nach Vertragsbeginn erfolgte Abtretung das Festhalten des Klägers an dem Vertrag.
33Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau kann zur fortbestehenden Überzeugung der Kammer schließlich auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die hier zwischen Vertragsabschluss und Widerruf liegende Zeitspanne den Zeitraum von 10 Jahren, in dem sogar nur eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erfolgen kann (LG Aachen, Urteil vom 31.1.2019 – 9 O 168/18 – BeckRS 2019, 8959; Beschluss OLG München vom 1.10.2019 – 25 U 2787/19; Beschluss OLG Bamberg vom 20.8.2019 – 1 U 116/19), jeweils weit überschreitet.
34Da ein Anspruch auf Feststellung der Wirksamkeit der Widersprüche, auf vorbereitende Auskunfts- und schließlich auf Rückzahlungsansprüche nicht besteht, scheidet auch ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlicher Anwaltskosten aus.
35Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 I, 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO.
36Streitwert: 65.235,11 €
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Referenzen
- 20 U 108/15 1x (nicht zugeordnet)
- § 10a VAG 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 117/15 2x (nicht zugeordnet)
- 9 O 168/18 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- 20 U 69/14 2x (nicht zugeordnet)
- § 5a VVG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 2x
- IV ZR 399/15 1x (nicht zugeordnet)
- 1 U 116/19 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 130/15 2x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 506/15 1x (nicht zugeordnet)
- 20 U 29/16 1x (nicht zugeordnet)
- 25 U 2787/19 1x (nicht zugeordnet)