Urteil vom Landgericht Köln - 3 O 234/19
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 14.161,58 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.05.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 11 % und die Beklagte zu 89 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet in Höhe von 110 % des jeweils beigetriebenen Betrages.
1
T a t b e s t a n d :
2Die 1986 geborene Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückerstattung aus ihrer Sicht zu Unrecht gezahlten Arzthonorars.
3Die Klägerin ließ sich bei der Beklagten – einer Privatklinik, die im Schwerpunkt Liposuktionen bei Patientinnen mit Lipödem durchführt - am 14.08.2018, 15.10.2018 und 12.11.2018 Fett an den Armen und den Beinen absaugen. Über einen privaten Abrechnungsdienstleister für Ärzte ließ die Beklagte der Klägerin am 16.08.2018, 17.10.2018 und 14.11.2018 jeweils 5.300,-- EUR pauschal in Rechnung stellen. Der pauschalen Abrechnung lag ein zwischen den Parteien am 09.07.2018 geschlossener „Behandlungsvertrag“ zugrunde, der jeweils den sich ergebenden Gesamtbetrag der Behandlungskosten ausweist und in dem es im Übrigen unter anderem heißt:
4„Hiermit erkläre ich durch meine Unterschrift, dass ich die Kosten meiner Behandlung für die im Folgenden näher bezeichnete Operation in vollem Umfang übernehmen werde:
5Wahlleistung: Lymphologische Liposculptur nach Prof. Cornely in folgenden Arealen: Arme komplett, Beine außen, beine innen.
6Mir ist bekannt, dass diese operative Behandlung nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung ist. Die Behandlung ist jedoch, wie mein Arzt mir versichert hat, aus ärztlicher Sicht sinnvoll und medizinisch indiziert. Ich bitte daher, die Eingriffe an mir durchzuführen und privat in Rechnung zu stellen. Mir ist bekannt, dass weder gesetzliche noch private Krankenversicherungsträger verpflichtet sind, einen Anteil von dieser Privatliquidation für den Eingriff oder mehrere Eingriffe zu erstatten. Dies entbindet mich jedoch nicht davon, die erbrachte Leistung in vollem Umfang zu bezahlen. Mir ist ebenfalls bekannt, dass die DGmbH als konzessionierte Privatklinik nicht auf Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abrechnet. (…)“
7Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte schulde dem Bereicherungsrecht zufolge die Rückgewähr des vereinnahmten Honorars. Weil die Beklagte nämlich gehalten gewesen sei, die von ihr erbrachten ärztlichen Leistungen auf der Grundlage der GoÄ abzurechnen, indes mit der Pauschalabrechnung eine gebührenordnungskonforme Rechnung nicht vorliege, habe sie ihre Zahlungen ohne Rechtsgrund erbracht.
8Die Klägerin beantragt,
9die Beklagte zu verurteilen, an sie 15.900,-- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.05.2019 zu zahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Die Beklagte bezweifelt die Aktivlegitimation der Klägerin, sollte diese Erstattungen von ihrer Krankheitskostenversicherung erhalten haben. Jedenfalls sei sie selbst nicht passivlegitimiert, weil die streitgegenständliche Forderung – unstreitig – an einen Abrechnungsdienstleister abgetreten worden sei und die Klägerin ihre Zahlungen auch an diesen erbracht habe. Ohnehin seien aber auch die Zahlungen an den Abrechnungsdienstleister nicht ohne Rechtsgrund erfolgt, schon weil – worauf die Klägerin mit dem Behandlungsvertrag unstreitig hingewiesen worden sei – sie als konzessionierte Privatklinik der GOÄ nicht unterworfen sei, ihr vielmehr die Möglichkeit freier Preisgestaltung offen stehe. Vor diesem Hintergrund liege der Rechtsgrund in der erfolgten Behandlung, für die das vertraglich vereinbarte Honorar zu zahlen gewesen sei. Hilfsweise nehme sie eine Abrechnung auf Basis der GoÄ vor, hiernach ergebe sich, dass sogar ein ärztliches Honorar von 16.229,67 EUR geschuldet sei.
13Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher und mündlicher Sachverständigengutachten. Für das Beweisergebnis wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G vom 08.11.2020 ebenso Bezug genommen wie auf die Sitzungsniederschrift vom 11.01.2022.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
15Die Klage ist in Höhe eines Betrages von 14.161,58 EUR begründet.
16Die Klägerin hat insoweit einen Rückerstattungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, weil in dieser Höhe ein rechtlicher Grund für die Zahlung der Klägerin fehlt.
17Die Klage scheitert – anders als die Beklagte meint – nicht an der fehlenden Aktivlegitimation der Klägerin. Denn die pauschale Mutmaßung der Beklagten, die Krankheitskostenversicherung der Klägerin habe dieser die im Hause der Beklagten angefallenen Behandlungskosten erstattet – was die Klägerin bestreitet – ist erkennbar ins Blaue hinein aufgestellt und daher unbeachtlich. Die streitgegenständlichen Rechnungen sind jedenfalls an die Klägerin selbst gerichtet. Die Beklagte behauptet eine – im Falle einer Liposuktion ohnehin fernliegende – Erstattung durch einen Krankheitskostenversicherer auch nicht, sondern weist lediglich erklärend darauf hin, dass eine solche – was gemäß § 194 Abs. 2 VVG zutreffend ist – zum Übergang auch bereicherungsrechtlicher Ansprüche auf den Versicherer führen würde. Indes vermag die Kammer – wie dargelegt – von einer entsprechenden Erstattung mit der Folge eines Anspruchsübergangs nicht auszugehen.
18Der Beklagten kann auch nicht in der Erwägung gefolgt werden, sie selbst sei nicht passivlegitimiert, weil die Klägerin jegliche Zahlung nicht an sie, sondern an die von ihr zum Zwecke des Forderungeinzugs eingeschaltete N -GmbH erbracht habe.
19Die Zahlung an die N -GmbH führt nämlich nicht zur Annahme einer Leistung im bereicherungsrechtlichen Sinne an den Finanzdienstleister, die eine Leistungsbeziehung zwischen den Parteien – und damit einen unmittelbaren bereicherungsrechtlichen Anspruch – sperren würde.
20Vielmehr ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Mehrpersonenverhältnissen - um ein solches handelt es sich bei der Einschaltung einer Abrechnungsstelle durch den ärztlichen Behandler – die etwa erforderlich werdende Rückabwicklung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Von Ausnahmefällen abgesehen - etwa demjenigen, dass auch eine vermeintliche eigene Verbindlichkeit gegenüber dem Zessionar besteht - ist in – wie hier – Fällen der Abtretung eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung regelmäßig ausschließlich zwischen dem Schuldner und dem Zedenten vorzunehmen (BGH, Urteil vom 06.07.2012, Az. V ZR 268/11 [Rn. 7]; BGH, Urt. vom 02.11.1988, Az. IVb ZR 102/87 [Rn. 11]; jeweils zitiert nach JURIS und mit zahlreichen wN; Palandt/Sprau, BGB 80. Aufl., § 812 Rn. 66 mwN). Denn durch die Zahlung an den Zessionar möchte der Schuldner regelhaft seine Verpflichtung gegenüber dem Zedenten erfüllen. Zwischen dem Schuldner - hier der Beklagten - und dem Zessionar - mithin der Klägerin - entsteht vor diesem Hintergrund durch die Zahlung nur ein Zuwendungsverhältnis, das für sich genommen keine Leistungsbeziehung darstellt (BGH a.a.O.). Insbesondere spricht das für den Schuldner bei einer etwaigen Rückforderung bestehende Risiko der Insolvenz auf der Gläubigerseite im Regelfall für eine Inanspruchnahme - ausschließlich - des Zedenten. Denn zahlt der Schuldner an den Zessionar im Vertrauen darauf, dass die Angaben seines Vertragspartners - des Zedenten - über die gemachte Forderung zutreffend sind, so erscheint es gerechtfertigt, ihm auch das Risiko der Insolvenz seines Vertragspartners aufzubürden, sollte sich - wie hier - später herausstellen, dass das Vertrauen des Schuldners nicht gerechtfertigt war. An dieser Risikozuordnung kann und darf sich durch die Abtretung der behaupteten Forderung nichts ändern. Es besteht insbesondere kein Grund, die Rechtsstellung des Schuldners hinsichtlich der Rückforderung aufgrund der Abtretung zu verbessern oder zu verschlechtern (so zuletzt OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.10.2018, Az. 8 W 43/18 [Rn. 26 bis 28] zitiert nach JURIS explizit für den Fall einer Abtretung ärztlichen Honorars an eine ärztliche Abrechnungsstelle bei Unbegründetheit des ärztlichen Honoraranspruchs und zu der Frage, von wem die ärztliche Vergütung in diesem Fall zurückverlangt werden kann).
21Die Beklagte kann weiterhin nicht damit gehört werden, ein Rechtsgrund für die Zahlung der Klägerin liege in dem Umstand, dass diese – zudem erfolgreich – in ihrem Hause ärztlich behandelt worden sei. Die Beklagte verkennt, dass ihr Zahlungsanspruch nur in dem durch die GoÄ vorgesehenen Rahmen besteht und sie demnach um den nach dieser Gebührenordnung nicht begründeten Teil des gezahlten Honorars ungerechtfertigt bereichert ist (vgl. etwa OLG Köln, Urt. vom 21.12.2009, Az.: 5 U 52/09 [Rn. 52] zitiert nach JURIS).
22Der Verweis der Beklagten, sie sei als konzessionierte Privatklinik nicht zu einer Abrechnung nach der GoÄ verpflichtet, verfängt ebenfalls nicht.
23Eine Bindung an die GoÄ für die Behandlung in einer Privatklinik entfällt nur, wenn im – hypothetischen – Fall der Behandlung in einem Plankrankenhaus ein totaler Krankenhausvertrag vorgelegen hätte. Die Bezeichnung als Klinik - im allgemeinen Sprachgebrauch ein Synonym für Krankenhaus - beschreibt nämlich schon begrifflich eine Einrichtung der stationären Versorgung. Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass nur dann, wenn neben der reinen ärztlichen Leistung auch andere Leistungen einer klinischen Versorgung - insbesondere eine pflegerische Betreuung, ein stationäre Unterbringung und die Verpflegung - vereinbarungsgemäß geschuldet sind, eine Abrechnung außerhalb der GoÄ möglich sein soll (KG, Urt. vom 04.10.2016 – Az.: 5 U 8/16 – [Rn. 41] zitiert nach JURIS; BSG, Urt. vom 11.09.2012 – Az.: B 1 KR 3/12 R – [Rn. 38] zitiert nach JURIS).
24Ausgehend von dieser Definition musste die Beklagte allerdings auf Basis der GoÄ abrechnen, weil sie die Kriterien einer Privatklinik nicht erfüllt, schon weil sie nicht über die Kapazitäten verfügt, um Patientinnen – stationär – in ihrem eigenen Hause unterzubringen, sondern sich insoweit – zwischen den Parteien unstreitig – der Ressourcen nahegelegener Krankenhäuser der Regelversorgung, in denen ihre Patientinnen stationär untergebracht, versorgt, gepflegt und verpflegt werden, bedienen muss.
25Der Umstand, dass die Beklagte somit – wie ausgeführt – in Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit der GoÄ unterlag, führt zum Scheitern des vereinbarten Pauschalhonorars, denn die Gebührenordnung ermöglicht die Vereinbarung ärztlicher Pauschalhonorare grundsätzlich nicht (Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht 3. Auflage, § 2 GoÄ Rn. 3).
26Die nachgeholte Abrechnung der ärztlichen Bemühungen der Beklagten auf Basis der GoÄ – zu der die Beklagte hilfsweise berechtigt war (vgl. OLG Köln, Urt. vom 21.12.2009, Az.: 5 U 52/09 [Rn. 51] zitiert nach JURIS) – begründet allerdings einen Honoraranspruch nur in Höhe des zuerkannten Betrages.
27Hierbei ist die Kammer davon ausgegangen, dass die Beklagte die Ziffer 2454 GoÄ für jede Extremität bei jeder Behandlung nur einfach – und nicht mehrfach – abzurechnen berechtigt ist.
28Dies folgt nach Auffassung des Gerichts in erster Linie aus dem Wortlaut dieser Gebührenziffer.
29Die Leistungsbeschreibung von Nr. 2454 GOÄ lautet ausdrücklich dahingehend, dass die Entfernung von überstehendem Fettgewebe an einer Extremität abgerechnet werden könne. Damit nimmt die GOÄ selbst in der einschlägigen Gebührennummer eine Begrenzung des von der Gebühr umfassten Leistungsumfangs insofern vor, als auf das von der operativen Maßnahme betroffene Körperteil abzustellen ist, nicht hingegen auf die Anzahl der zur Erreichung dieses Ziels - mithin die Entfernung des Fettgewebes an der jeweiligen Extremität – jeweils notwendigen Einzelschritte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 04. Dezember 2007, Az.: 4 U 48/07 [Rn. 34, 35] zitiert nach JURIS).
30Auch ein Vergleich des Wortlauts der – im hiesigen Verfahren ebenfalls streitigen, dazu sogleich – Gebührenziffer 491 GoÄ mit der Leistungsbeschreibung der Ziffer 2454 GoÄ lässt eine andere Auslegung als diejenige, die Nr. 2454 GoÄ könne je Extremität nur ein einziges Mal abgerechnet werden, nicht zu.
31Denn während die Gebührenziffer 2454 explizit auf die Leistungserbringung an der Extremität als solcher – und nicht an deren verschiedenen Bereichen – abstellt, wird die Erfüllung der Ziffer 491 GoÄ als „Infiltrationsanästhesie, großer Bezirk“ beschrieben. Auch diese jeweils unterschiedliche Wortwahl des Verordnungsgebers verdeutlicht somit nach dem Dafürhalten des Gerichts, dass im ersteren Fall die Behandlung der jeweiligen Extremität nur einmalig in Ansatz gebracht werden kann, während die letztgenannte Gebührenziffer innerhalb einer einzigen Behandlung einer einzelnen Extremität mehrfach abrechenbar ist, schon weil ohne weiteres vorstellbar ist, dass eine Extremität in mehrere große Bezirke unterteilbar ist.
32Zusätzlich wird die – vorstehend erläuterte – Auslegung auch durch die gutachterlichen Feststellungen untermauert und gestützt.
33Der Sachverständige Prof. Dr. G hat in seinen schriftlich und mündlich erstatteten Gutachten nämlich ausgeführt, eine leitliniengerechte Fettentfernung sei von vornherein nur möglich, wenn das Fett über verschiedene Zugangswege in verschiedenen Arealen der jeweils behandelten Extremität abgesaugt werde. Auch dieser Umstand verdeutlicht, dass der Verordnungsgeber sich in Ansehung des Umstands, dass bei der Verwirklichung der Gebührenziffer 2454 GoÄ – zwingend – verschiedene Areale bearbeitet werden müssen, bewusst für die einheitliche Abrechnung der verschiedenen Areale in (lediglich) einer Gebührenziffer entschieden hat. Dass für die Durchführung der Leistungen dieser Gebührenziffer die – gegebenenfalls auch wiederholte – Ausführung verschiedener Behandlungsschritte erforderlich ist, ist der gebührenrechtlich definierten Leistung somit den gutachterlichen Ausführungen zufolge immanent und kann damit nicht zur mehrfachen Abrechnung der Position führen.
34Zusätzlich sei – so der Sachverständige weiter – zwar eine Unterteilung der jeweiligen Extremität in mehrere – anatomisch zwanglos begründbare – Areale möglich, indes bleibe es dennoch dabei, dass ein (Teil)Areal einer Extremität in der medizinischen Begrifflichkeit nicht mit der Extremität als solcher gleichgesetzt werde und eine Extremität gegenüber dem Areal ein festgelegter – anderer – Begriff sei.
35Die Kammer hat keine Bedenken, die sorgfältig erarbeiteten und besonders verständlich erläuterten gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G ihrer Urteilsfindung zugrundezulegen.
36Die anhand der vorstehend erläuterten Kriterien vorzunehmende Auslegung der Gebührenziffer bedeutet für die Entfernung von Fettgewebe an einem Bein im Hinblick auf Nr. 2454 GOÄ sonach, dass es nicht entscheidend darauf ankommt, wie viele Einzelschritte erforderlich sind, um das Ziel, die Entfernung des Fettgewebes an dem jeweiligen Bein zu erreichen. Entscheidend ist allein, an wie vielen Extremitäten die Maßnahme nach Nr. 2454 GOÄ ausgeführt worden ist. Im Falle der hiesigen Klägerin waren das sowohl die unteren als auch die oberen Extremitäten, was dazu führt, dass die Gebührenziffer je Behandlungstag nur einmal für jedes Bein und jeden Arm angesetzt werden kann.
37Mit Blick auf die von der Klägerin ebenfalls als nicht GoÄ-konform abgerechnet gerügte Gebührenziffer 491 ist die Kammer der Auffassung, dass diese Ziffer für jedes der abgesaugten Beine achtfach und für jeden der abgesaugten Arme sechsfach in Ansatz gebracht werden kann.
38Der Wortlaut dieser Gebührenregelung ermöglicht ihrem Wortlaut nach nämlich die – jeweilige – Abrechnung der Gebührenziffer für einen großen Bezirk (einer Extremität).
39Der Sachverständige Prof. Dr. G – dem das Gericht auch insoweit folgt – hat zu dieser Fragestellung ausgeführt, anatomisch lasse sich jedes Bein in acht große Bezirke unterteilen. Denn sowohl der Ober- als auch der Unterschenkel bestünden ihrerseits jeweils aus vier großen Bezirken: ventral, dorsal, lateral und medial. Bei den Armen verhalte es sich hingegen so, dass wegen des geringeren Volumens der Unterarme nur sechs- und nicht acht – große Bezirke je Arm anzunehmen seien.
40Aus Sicht der Kammer ist es vor diesem Hintergrund naheliegend, dass der Verordnungsgeber sich für die Frage, über wie viele „große Bezirke“ eine Extremität verfügt, an der anatomisch sinnvollen und somit medizinisch anerkannten Unterteilung hat orientieren wollen.
41Weiterhin ist die Beklagte – entgegen der Auffassung der Klägerin – berechtigt, in ihrer Analogberechnung die Gebührenziffer GoÄ-Nr. 1 („Beratung“) neben der Gebührenziffer GoÄ-Nr. 7 („vollständige körperliche Untersuchung“) anzusetzen. Denn zu den von diesen Ziffern erfassten ärztlichen Leistungen hat der Sachverständige Prof. Dr. G – gut nachvollziehbar – erläutert, das von der Ziffer 1 abgedeckte Beratungsgespräch habe aus ärztlicher Sicht einen vollständig anderen Inhalt als die der Ziffer 7 zugrundeliegende Untersuchung. Da somit – den gutachterlichen Ausführungen zufolge – die Leistungen keiner dieser Gebührenziffern denknotwendig von der jeweils anderen miterfasst sind, erachtet die Kammer deren parallele Abrechnung als unbedenklich.
42Die weiteren Positionen der von der Beklagten nachgeholten Berechnung stellen sich demgegenüber als unbegründet dar.
43Soweit die Beklagte Sachkosten in ihre nachgeholte Honorarrechnung einfließen lässt, konnte der Sachverständige eine Einschätzung zu deren Angemessenheit nicht treffen. Es hätte hier der Beklagten oblegen, Einkaufsnachweise vorzulegen. Dies hat sie versäumt, was – mangels von der Beklagten dargelegter Schätzgrundlage – zum Wegfall der Sachkosten führt.
44Gleiches gilt für die – nirgendwo nachgewiesene – Kompressionswäsche.
45Zu den – von der Klägerin bestrittenen – Übernachtungskosten gilt, dass die Beklagte im hiesigen Verfahren – in Abweichung zu einem der Parallelverfahren – einen Nachweis nicht vorgelegt hat, weshalb die Übernachtungskosten ebenfalls zu streichen waren.
46Weiterhin nicht berücksichtigungsfähig ist die Vergütung für die apparative Lymphdrainage, weil der Sachverständige – dem das Gericht auch in diesem Punkt folgt – in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt hat, diese sei anhand der Behandlungsunterlagen medizinisch nicht nachvollziehbar.
47Schlussendlich musste die von der Beklagten – pauschal – mit jeweils 700 EUR in Ansatz gebrachte manuelle Lymphdrainage entfallen. Manuelle Therapie kann – so sie stattgefunden hat – nach den hierfür in der GoÄ vorgesehenen abrechenbaren Ziffern angesetzt werden. Ein pauschales Honorar verbietet sich allerdings auch insoweit.
48Ausgehend von den vorstehenden rechtlichen Erwägungen durfte die Beklagte für die Behandlung der Klägerin einen Betrag von 1.738,42 EUR verlangen, der sich anhand der von der Beklagten erstellten Analogliquidationen (Bl. 64 ff. und Bl. 107 ff. der Akte) wie folgt errechnet:
4914.08.2018 |
GoÄ-Nr. 34 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
40,22 EUR |
GoÄ-Nr. 7 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
21,45 EUR |
|
GoÄ-Nr. 2454 |
Faktor 2,3 |
2-fach (nur Beine) |
247,74 EUR |
|
GoÄ-Nr. 491 |
Faktor 2,3 |
16-fach (nur Beine) |
259,52 EUR |
|
15.08.2018 |
GoÄ-Nr. 1 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
10,72 EUR |
GoÄ-Nr. 7 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
21,45 EUR |
|
15.10.2018 |
GoÄ-Nr. 34 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
40,22 EUR |
GoÄ-Nr. 7 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
21,45 EUR |
|
GoÄ-Nr. 2454 |
Faktor 2,3 |
2-fach (nur Arme) |
247,74 EUR |
|
GoÄ-Nr. 491 |
Faktor 2,3 |
12-fach (nur Arme) |
194,64 EUR |
|
16.10.2018 |
GoÄ-Nr. 1 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
10,72 EUR |
GoÄ-Nr. 7 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
21,45 EUR |
|
12.11.2018 |
GoÄ-Nr. 34 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
40,22 EUR |
GoÄ-Nr. 7 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
21,45 EUR |
|
GoÄ-Nr. 2454 |
Faktor 2,3 |
2-fach (nur Beine) |
247,74 EUR |
|
GoÄ-Nr. 491 |
Faktor 2,3 |
16-fach (nur Beine) |
259,52 EUR |
|
13.11.2018 |
GoÄ-Nr. 1 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
10,72 EUR |
GoÄ-Nr. 7 |
Faktor 2,3 |
1-fach |
21,45 EUR |
|
1.738,42 EUR
51Nicht übersehen hat die Kammer, dass die Klägerin selbst in ihrem Schriftsatz vom 23.06.2020 – beispielhaft – einen Honoraranspruch der Beklagten errechnet hat, der den der Urteilsfindung im hiesigen Verfahren zugrunde liegenden Betrag überschreitet. Aus Sicht des Gerichts handelt es sich bei den in diesem Schriftsatz angesetzten – höheren – Beträgen allerdings nicht um ein die Klägerin bindendes Schuldanerkenntnis im Sinne von § 781 BGB, sondern um die bloße Erarbeitung eines Vergleichsvorschlags, mit dem die Klägerin der Beklagten im Sinne einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits entgegenzukommen beabsichtigte. Denn die Beklagte hat durch das explizite Bestreiten der einzelnen Rechnungspositionen in diesem Schriftsatz deutlich gemacht, dass die zugunsten der Beklagten angenommenen Honorarbestandteile für den Fall einer streitigen Entscheidung nicht von Bestand sein sollten.
52Vor diesem Hintergrund muss sich die Klägerin – nachdem der von ihr angestrebte Vergleich nicht zustandegekommen ist – an dem für eine vergleichsweise Lösung als hypothetisch angenommenen höheren Honoraranspruch der Beklagten im – nunmehr eingetretenen – Fall einer streitigen Entscheidung nicht festhalten lassen.
53Bei einem nach der Gebührenordnung berechtigten Honorar von 1.738,42 EUR errechnet sich ein Rückforderungsanspruch der Klägerin, um den die Beklagte ungerechtfertigt bereichert ist, von 14.161,58 EUR (15.900,-- EUR ./. 1.738,42 EUR).
54Zinsen werden aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB geschuldet; anders, als im Parallelverfahren, lässt sich im hiesigen Verfahren ein konkretes Datum für die Leistungsverweigerung der Beklagten entnehmen.
55Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
56Der Streitwert wird auf 15.900,-- EUR festgesetzt.
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Referenzen
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