Teilurteil vom Landgericht Magdeburg (4. Kammer für Handelssachen) - 36 O 15/16

Tenor

Die Zwischenfeststellungsklage der Beklagten wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Wesentlichen die Übertragung eines Gasnetzes. Die Beklagte fordert die Feststellung, dass der Gaskonzessionsvertrag vom 17.06.2015 zwischen der Stadt Leipzig und der Klägerin nichtig sei.

2

Die Klägerin ist ein kommunales Unternehmen, dessen Anteil über die Leipziger Versorgung- und Verkehrsgesellschaft mbH (LVV) zu 100 % von der Stadt Leipzig gehalten werden. Die LVV hält auch 100 % der Anteile an der Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH und 74,65 % der Anteile an der Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH.

3

Während die Klägerin bereits Inhaberin einer Konzession für das Gasversorgungsnetz für das Stadtgebiet von Leipzig in den Grenzen von 1993 ist, ist die Beklagte Eigentümerin der streitgegenständlichen Gasverteilungsanlagen in den ehemaligen Umlandgemeinden und nunmehr eingemeindeten Ortsteilen der Stadt Leipzig.

4

Die Stadt Leipzig machte Mitte Juni 2014 das Auslaufen der Gaskonzessionsverträge im Bundesanzeiger bekannt und forderte interessierte Energieunternehmen auf, Interessensbekundungen abzugeben. Am 22.02.2014 versandte die Verfügungsbeklagte einen ersten Verfahrensbrief, der unter anderen die Grundlagen der Vergabe und der Vergabekriterien enthielt; auf die Anlage B 3 zur Klageerwiderung wird verwiesen. Im Oktober 2014 versandte sie einen zweiten Verfahrensbrief mit der Begründung, sie habe die Auswahlkriterien aus Rechtsgründen zwischenzeitlich angepasst. Dieser Verfahrensbrief beschrieb diverse Auswahlkriterien zu den Kategorien „Regelungen Konzessionsvertrag“, auf die 170 Punkte entfielen, und „Regelungen des Netzbewirtschaftungskonzepts“ auf die 250 Punkte entfielen; dies entsprach einem Anteil von 49,52 % der möglichen Gesamtpunktzahl. Das Unterkriterium Versorgungssicherheit bewertete die Verfügungsbeklagte mit insgesamt 110 Punkten (26,19 % der möglichen Gesamtpunktzahl). Im Verfahrensbrief wies die Stadt Leipzig zudem darauf hin, die Angebote nach der so genannten relativ vergleichenden Bewertungsmethode bewerten zu wollen und so dem Angebot die volle Punktzahl zu geben, dass im Verhältnis zu den anderen Angeboten das jeweilige Auswahlkriterien am besten erfüllt, sowie anderen Angeboten eine dem Erfüllungsgrad, bezogen auf das Angebot des besten Bewerbers, entsprechend niedrigere Punktzahl zu erteilen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Verfahrensbrief (Anlage B 4) wird Bezug genommen.

5

Nur die Klägerin und die Beklagte bekundeten Interesse.

6

Am 10.11.2014 fanden Verhandlungen zwischen der Stadt Leipzig und der Beklagten statt, die daraufhin am 09.12.2014 ein finales Angebot abgab (Anlage B 6).

7

Am 15.04.2015 beschloss der Rat der Stadt Leipzig, den neuen Gaskonzessionsvertrag mit der Klägerin abzuschließen. Grundlage war eine Beschlussempfehlung des Dezernats Allgemeine Verwaltung, wonach die Stadtwerke Leipzig GmbH den Zuschlag für den streitgegenständlichen Gaskonzessionsvertrag erhalten sollte und der Oberbürgermeister ermächtigt wurde, den Konzessionsvertrag abzuschließen. Der Beschluss wurde einstimmig bei einer Enthaltung angenommen. Im Stadtrat saßen zum damaligen Zeitpunkt 9 Stadträte, die als Anteilseignervertreter bei der Klägerin ein Aufsichtsratsmandat besaßen. Zudem besaßen einige Räte zugleich Aufsichtsratsmandate in der Holdunggesellschaft LVV sowie bei den Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH und der Leipziger Wasserwerke GmbH.

8

Die Beklagte erhielt am 29.04.2015 ein Absageschreiben. Aus diesem ergab sich, dass die Klägerin 414 von 420 Punkten, die Beklagte 388 von 420 Punkten erzielt hatte. Hinsichtlich der Begründung wird auf das Schreiben der Stadt (Anlage B 9 zur Klageerwiderung) Bezug genommen.

9

Die Beklagte beantragte beim Landgericht Leipzig der Erlass einstweilige Verfügung gegen die Stadt Leipzig um die Vergabe an die Klägerin zu verhindern, welche das Landgericht Leipzig jedoch zurückwies. Auf das am 17.06.2015 verkündete Endurteil des Landgerichts Leipzig (Anlage K 7 zur Klage) wird verwiesen.

10

Am 17.06.2015 schloss die Klägerin mit der Stadt Leipzig einen Gaskonzessionsvertrag mit Beginn 01.01.2016 ab. Diese Entscheidung wurde am 07.07.2015 bekannt gegeben und im Bundesanzeiger veröffentlicht.

11

Die Klägerin meint, die Beklagte sei mit etwaigen Rügen präkludiert. Sie habe während des Verfahrens keine Verfahrensrügen erhoben oder Fragen gestellt. Sie habe in dem Verfahren in dem hiesigen Verfahren Rügen erhoben, die nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht Leipzig gewesen sein.

12

Die Klägerin beantragt,

13

1. die Beklagte zu verurteilen,

14

a) der Klägerin das Eigentum an den Verteilungsanlagen für den Betrieb der Gasnetze der allgemeinen Versorgung im Gebiet der Ortsteile Kleinpösna, Miltitz, Rückmarsdorf, Böhlitz-Ehrenberg, Burghausen, Stahmeln, Wiederitzsch, Lausen, Mölkau, Liebertwolkwitz, Althen, Lindenthal, Knautnaundorf, Podelwitz, Radefeld, Baalsdorf, Seehausen, Hsdorf, Plaußig, Holzhausen, Lützschena und Engelsdorf der Stadt Leipzig gem. den im Übersichtsplan (Anlage K2) gekennzeichneten und in Anlage K3 konkretisierten Eigentumsgrenzen und demnach bestehend aus den Gasverteilungsanlagen im Sinne der Anlage 1 zur Gasnetzentgeltverordnung (Gasbehälter, Erdgasverdichteranlagen, Rohrleitungen/Hausanschlussleitungen, Mess-, Regel- und Zähleranlagen sowie Fernwirkanlagen) der im Übersichtsplan (Anlage K2) rot eingezeichneten Hochdruckebene sowie der damit verbundenen blau, violett und grün eingezeichneten Netzebenen Mittel- und Niederdruck zu übertragen;

15

b) alle für den Betrieb der nach Ziff. 1. lit. a) herauszugebenden Gasverteilungsanlagen bestehenden schuldrechtlichen und dinglichen Grundstücksnutzungsrechte an die Klägerin zu übertragen und, soweit erforderlich, ihre Zustimmung zur Eintragung der Klägerin in das Grundbuch zu erteilen bzw., soweit eine Übertragung nicht möglich ist, zu deren Ausübung zu überlassen unter der Maßgabe, dass die Beklagte die Klägerin von allen Verbindlichkeiten aus diesen Rechtsverhältnissen freistellt, die bis zum Übertragungszeitpunkt entstanden sind und die Verträge der Klägerin im Original übergeben werden;

16

c) der Klägerin alle vorhandenen Informationen und Unterlagen zu den nach Ziff. 1. lit.) a) und b) herauszugebenden Gasverteilungsanlagen und Rechten, d. h. Netzpläne des Hoch-, Mittel- und Niederdrucknetzes in analoger und digitalisierter Form (GIS), eine digitalisierte technische und geographische Bestandsdokumentation (Abnahmeprotokolle, Prüfunterlagen, Störungsberichte und -protokolle sowie Schadensstatistiken) und Angaben über die Betriebsmittelausstattung der Übergabestationen sowie der Leitzentrale, herauszugeben;

17

d) der Klägerin eine zählpunktscharfe Auflistung aller Anschlussnehmer, Anschlussnutzer und Netznutzer im Gebiet nach Ziff. 1. lit. a) herauszugebenden Gasverteilungsanlagen, sowohl einspeise- als auch bezugsseitig, mit technischen Daten zu den jeweiligen Messeinrichtungen in elektronischer und weiterverarbeitbarer sowie in andere Dateiformate konvertierbarer Form (Excel-Format) mit den dazugehörigen Verträgen im Original herauszugeben;

18

e) der Klägerin eine zählpunktscharfe Auflistung aller Marktpartner der Beklagten (insbesondere Lieferanten, Messstellenbetreiber und Messdienstleister) im Gebiet der nach Ziff. 1. lit. a) herauszugebenden Gasverteilungsanlagen mit Kontaktdaten in elektronischer und weiterverarbeitbarer sowie in andere Dateiformate konvertierbarer Form (Excel-Format) mit den dazugehörigen Verträgen im Original herauszugeben;

19

f) der Klägerin eine anlagenscharfe Auflistung aller an die nach Ziff. 1. lit. a) herauszugebenden Gasverteilungsanlagen angeschlossenen Biogasaufbereitungsanlagen mit den dazugehörigen technischen Daten in elektronischer und weiterverarbeitbarer sowie in andere Dateiformate konvertierbarer Form (Excel-Format) herauszugeben;

20

Zug um Zug gegen Zahlung einer Vergütung in Höhe von 22.128.600,00 EUR zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer,

21

2. der Klägerin Auskunft zu erteilen,

22

a) über den im Zeitpunkt der tatsächlichen Übergabe aktuellen Bestand der für den Betrieb der Gasverteilnetze der allgemeinen Versorgung im Gebiet Ortsteile Kleinpösna, Miltitz, Rückmarsdorf, Böhlitz-Ehrenberg, Burghausen, Stahmeln, Wiederitzsch, Lausen, Mölkau, Liebertwolkwitz, Althen, Lindenthal, Knautnaundorf, Podelwitz, Radefeld, Baalsdorf, Seehausen, Hsdorf, Plaußig, Holzhausen, Lützschena und Engelsdorf der Stadt Leipzig notwendigen Verteilungsanlagen durch die Vorlage eines vollständigen Mengengerüstes mit der Beschreibung der Anlagen nach Umfang (Anzahl bzw. Leitungslänge), Art, Alter und Standort, gegliedert nach:

23

- Gasbehälter
- Erdgasverdichteranlagen
- Hoch-, Mittel- und Niederdruckleitungen
- Hausanschlussleitungen
- Mess-, Regel- und Zähleranlagen
- Fernwirkleitungen;

24

b) über vereinnahmte und nicht aufgelöste Ertragszuschüsse (z. B. Baukostenzuschüsse und Anschlusskostenbeiträge) für die nach Ziff. 2. lit. a) zu benennenden Anlagengüter, aufgegliedert nach deren Passivierungsjahr unter Angabe der angesetzten Nutzungsdauern sowie der Auflösungsmethode;

25

c) über die im jeweiligen Zeitpunkt ihrer Errichtung erstmalig aktivierten Anschaffungs- und Herstellungskosten (historische Anschaffungs- und Herstellungskosten) für die nach Ziff. 2. lit. a) zu benennenden Anlagengüter mit Angabe des Aktivierungsjahres;

26

d) über die zuletzt nach § 6 ARegV ermittelten und von der zuständigen Regulierungsbehörde bei der Festlegung des Ausgangsniveaus für die Bestimmung der Erlösobergrenzen zugrunde gelegten kalkulatorischen Restwerte des Sachanlagevermögens für die nach Ziff. 2. lit. a) zu benennenden Anlagengüter;

27

e) über die zuletzt für die nach Ziff. 2. lit. a) zu benennenden Anlagengüter von der zuständigen Regulierungsbehörde bei der Festlegung des Ausgangsniveaus für die Ermittlung der kalkulatorischen Abschreibungen gem. § 6 ARegV herangezogenen Nutzungsdauern im Sinne von § 6 Abs. 5 GasNEV;

28

f) über die von der zuständigen Regulierungsbehörde bei der erstmaligen Ermittlung der kalkulatorischen Restwerte gem. § 32 Abs. 3 GasNEV zugrunde gelegten Nutzungsdauern für die nach Ziff. 2. lit. a) zu benennenden Anlagengüter;

29

g) über die Höhe der jährlichen Wartungs- und Instandhaltungsaufwendungen, die in dem zuletzt nach § 6 ARegV ermittelten Ausgangsniveau der Erlösobergrenzen der aktuell laufenden Regulierungsperiode enthalten sind und auf die nach Ziff. 2. lit. a) zu benennenden Anlagengüter entfallen,

30

h) über das Unterhaltungskonzept (Inspektion, Wartung, Instandhaltung) und die Wartungs- und Instandhaltungsaufwendungen für die nach Ziff. 2. lit. a) zu benennenden Anlagengüter nach Anlagengruppen, Maßnahme und Alter sortiert für die letzten drei Geschäftsjahre sowie als Planwerte für das laufende Geschäftsjahr und die nächsten fünf Geschäftsjahre;

31

i) über die Investitionen für die nach Ziff. 2. lit. a) zu benennenden Anlagengüter, sortiert für die letzten drei Geschäftsjahre sowie als Planwerte für das laufende Geschäftsjahr und die nächsten fünf Geschäftsjahre;

32

3. sofern den Klageanträgen zu Ziff. 1. und 2. ganz oder teilweise stattgegeben wird,

33

a) festzustellen, dass die Parteien gegenseitig zum Ausgleich desjenigen Betrages verpflichtet sind, der sich aus der Differenz zwischen der für die Übertragung der in Ziff. 1. benannten Gegenstände, Rechte und Pflichten von der Klägerin gem. der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts Zug um Zug zu erbringenden Gegenleistung und demjenigen Wert ergibt, der zum tatsächlichen Übertragungszeitpunkt unter Anwendung der bei der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts für die Bestimmung der Gegenleistung maßgeblichen Bewertungsmethodik und unter Berücksichtigung der zum tatsächlichen Übertragungszeitpunkt vorhandenen Kenntnisse;

34

b) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Verzögerung der zum 01.01.2016 geschuldeten eigentumsrechtlichen Übertragung der nach Ziff. 1. lit. a) herauszugebenden Gasverteilungsanlagen entstanden ist und noch entstehen wird.

35

Die Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen

37

Sie erhebt widerklagend Zwischenfeststellungswiderklage und beantragt,

38

festzustellen, dass der zwischen der Stadt Leipzig und der Klägerin abgeschlossene Gaskonzessionsvertrag für die Ortsteile der Stadt Leipzig (Kleinpösna, Miltitz, Rückmarsdorf, Baalsdorf, Seehausen, Hsdorf, Plaußig, Holzhausen, Lützschena, Burghausen, Engelsdorf, Wiederitzsch, Lausen, Böhlitz-Ehrenberg, Stahmeln, Mölkau, Liebertwolkwitz, Althen, Lindenthal, Knautnaundorf, Radefeld und Podelwitz) nichtig sei.

39

Die Klägerin beantragt,

40

die Zwischenfeststellungsklage abzuweisen.

41

Die Beklagte meint, die Klage sei teilweise unzulässig, da mehrere Klageanträge nicht hinreichend bestimmt sein. Und das Netzentflechtungskonzept der Klägerin sei fehlerhaft. Sie ist der Auffassung, dass die Klägerin nicht neues Energieversorgungsunternehmen geworden sei, weil der Konzessionsvertrag nach §§ 19 Abs. 2 GWB, 46 EnWG, 134 BGB nichtig sei.

Entscheidungsgründe

I.

42

Die Zwischenfeststellungsklage ist zulässig.

43

§ 256 Abs. 2 ZPO erlaubt dem Beklagten durch Erhebung einer Widerklage, zu beantragen, dass ein Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt, festgestellt wird.

44

Ein streitiges Rechtsverhältnis liegt hier in der Frage, ob der zwischen der Stadt Leipzig und der Klägerin geschlossenen Konzessionsvertrag wirksam ist. Diese Entscheidung ist vorgreiflich, denn ohne die Wirksamkeit des Konzessionsvertrages kann die Klägerin nicht wirksam Ansprüche eines Neukonzessionärs aus § 46 EnWG geltend machen.

45

Die begehrte Feststellung bezieht sich auf einen Gegenstand, der über den rechtskraftfähigen Gegenstand des Rechtsstreits hinausgeht. Zulässig ist nämlich die Zwischenfeststellungsklage bereits dann, wenn mit der Hauptklage mehrere selbständige Ansprüche aus demselben Rechtsverhältnis geltend gemacht werden, selbst wenn diese in ihrer Gesamtheit alle denkbaren Ansprüche erschöpfen (BGH, Urteil vom 07.03.2013 – VII ZR 223/11, Rn. 19, RGZ 144, 54, 59 ff.). Die Klägerin macht hier aufgrund der von ihr behaupteten Stellung als Neukonzessionärin mehrere Ansprüche – nämlich Herausgabeanspruch, Auskunftsanspruch und Feststellung eines Schadensersatzanspruchs – geltend, so dass die Zwischenfeststellungsklage zulässig ist.

46

Der Rechtsstreit ist allerdings noch nicht vollständig entscheidungsreif, da über die Frage, welches die angemessene Gegenleistung ist, noch Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens einzuholen. Ein Teilurteil über die Zwischenfeststellungsklage vor Entscheidung über die Hauptklage ist zulässig (BGH, Urteil vom 17.11.2005 – IX ZR 162/04 -, Rn.7, zitiert nach juris; Zöller, ZPO, 31. Auflage, Rn. 22 zu § 254).

II.

47

Die Zwischenfeststellungsklage ist indes unbegründet.

48

Der zwischen der Stadt Leipzig und der Klägerin am 17.6.2015 der zwischen der Stadt Leipzig und der Klägerin am 17.06.2015 abgeschlossene Gaskonzessionsvertrag für die streitgegenständlichen 22 Ortsteile ist nicht nichtig. Er verstößt nicht gegen § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB, 46 EnWG i.V.m. § 134 BGB.

49

Allerdings gilt für die Stadt Leipzig das Diskriminierungsverbot nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB. Die Gemeinde ist marktbeherrschender Anbieter der Wegenutzungsrechte in ihrem Gebiet (BGH, Urteil vom 17.12.2013 – KZR 66/12 – Stromnetz Berkenthin, Rn 20 ff., zitiert nach juris). Daraus folgt, dass die Gemeinde im Auswahlverfahren keinen Bewerber um die Konzession unbillig behindern oder diskriminieren darf.

50

Soweit die Beklagte Verletzungen gerügt hat und damit im einstweiligen Rechtsschutz unterlegen ist, kann im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes eine Rechtskraftwirkung nicht erkannt werden.

51

Die Beklagte ist mit ihren weiteren Einwänden auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie die nun behaupteten Verfahrens Rechtsverletzungen nicht bereits während der Ausschreibung oder im Verfügungsverfahren gegen die Stadt Leipzig gerügt hat. Der BGH lehnt grundsätzlich eine – unter Heranziehung entsprechender Vorschriften des GWB begründete - Präklusion ab (BGH, Urteil vom 17.12.2014, a.a.O. Rn. 117). Im Falle einer Konzessionsvergabe liege eine untypische Situation vor, da der Altkonzessionär einem Überlassungsanspruch ausgesetzt ist, der allein dem wirksam beauftragten Konzessionär zusteht. Eine befreiende Netzüberlassung sei daher nur geboten, wenn der Altkonzessionen unabhängig von seinem Verhalten im Vergabeverfahren geltend machen kann, dass dem Vertragspartner der Gemeinde nicht wirksam neuer Konzessionär geworden ist.

52

Aus dem Diskriminierungsverbot folgen Anforderungen an das zu beobachtende Verfahren (1.) und an die Beachtung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen (2.), die indes durch die Klägerin nicht verletzt worden sind.

53

1. Zu den auf das Verfahren bezogenen Anforderungen gehören die Beachtung des Transparenzgebotes und die Beachtung des Neutralitätsgebotes.

54

a) Dem Transparenzgebot ist Genüge getan. Dieses verlangt, dass das Auswahlverfahren so gestaltet werden muss, dass die interessierten Unternehmen erkennen können, worauf es der Stadt bei der Auswahlentscheidung ankommt (OLG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2015 – 2 U 60/15, Rn. 58).

55

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Stadt Leipzig ihre Erwartungen hinreichend konkretisiert und den Bewerbern bekannt gemacht. Eine weitere Gewichtung einzelner Auswahlkriterien war nicht erforderlich.

56

Weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung haben bislang Vorgaben aufgestellt, wie die Auswahlkriterien konkret auszugestalten sind. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass letztlich eine zu weitgehende Konkretisierung und Fixierung der Erwartungen die Einbringung neuer Ideen, die grundsätzlich erwünscht ist, verhindert (vgl. Gemeinsamer Leitfaden des Bundeskartellamts und der Bundesnetzagentur; LG Köln, Urteil vom 22.12.2015 – 88 O (Kart) 64/15, Rn. 123, zitiert nach juris). Danach muss eine starke Konkretisierung etwa durch Bildung von Unter-Unterkriterien vermieden werden, weil sonst eine fortschrittshemmende Festschreibung erfolgt.

57

Nach diesen Grundsätzen ist eine Detaillierung der Anforderungen durch Bildung von Kriterien und Unterkriterien über den hier von der Stadt Leipzig vorgelegten Katalog nicht erforderlich. Der Konzessionsgeberin muss ein Entscheidungsspielraum zugestanden werden, ob sie einzelne Aspekte zu einem eigenständigen Auswahlkriterium macht oder bei einem Kriterium mehrere einzelne Aspekte in die Bewertung einfließen lässt.

58

Die Kriterien sind im zweiten Verfahrensbrief hinreichend ausdifferenziert und beschrieben und mit der Angabe der auf sie im Einzelnen entfallenden Bewertungspunkte in ihren Schwerpunkten deutlich gewichtet. Sie sind zudem eingehend erläutert worden. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte haben sich in der Lage gesehen, im Hinblick auf diese Kriterien, Angebote zu unterbreiten. Dies gilt insbesondere für das von der Beklagten gerügte Kriterium "Betriebliche Organisation", bei der beide Bewerber die volle Punktzahl erhalten hat. Dass die Beklagte die Bewertungskriterien als hinreichend transparent angesehen hat, folgt aus dem Umstand, dass sie nicht um Klarstellung gebeten hat.

59

Die von der Beklagten im Einzelnen geübte Kritik überzeugt nicht:

60

aa) Konkret rügt die Beklagte dass die Stadt Leipzig ein Unter-Unterkriterium "Instandhaltung und Investitionen" (II. 1. a) aa) gebildet hat, welches sie mit 30 Punkte gewertet hat, und welches sie in der Weise erläutert hat, dass die Qualität des Konzeptes bezogen auf die Versorgungssicherheit bewertet werde. Das Konzept solle sich zur Instandhaltungs- und Investitionsstrategie äußern, die Maßstäbe zum Ersatz, Austausch, zur Wartung und zur Reparatur von Betriebsmitteln aufzeigen und Aussagen zu zukünftigen Investitionen zum Erhalt der Netzfunktion und der Versorgungssicherheit beinhalten; Investitionsverpflichtungen, die die Versorgungssicherheit dauerhaft aufrecht hielten, würden positiv gewertet. Anders als die Beklagte hält das Gericht dieses Kriterium mit den gegebenen Erläuterungen nicht für intransparent. Anders als in der zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19.11.2015 – 2 U 60/15 -, Rn. 63, zitiert nach juris, hat die Stadt Leipzig nicht zwei verschiedene Kriterien zusammengefasst, ohne diese zu gewichten. Denn anders als dort lassen sich die von der Stadt Leipzig beschrieben Investitionen nicht als Investitionen in die Erweiterung des Netzes verstehen. Vielmehr macht die Erläuterung deutlich, dass Instandhaltung und Investitionen einem gemeinsamen Ziel - der Versorgungssicherheit - dienen und eine Expansion nicht verlangt wird. Eine begrifflich genaue Differenzierung zwischen den Maßnahmen der Instandhaltung und den Investitionen war an dieser Stelle nicht erforderlich, weil im Vordergrund das gemeinsame Ziel, nämlich der Erhalt des Gasnetzes unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit stand.

61

bb) Auch das Unterunterkriterium II. 1. bb) "Netzentwicklungs- und Modernisierungsstrategie (Allgemein und unter Berücksichtigung der Energiewende", welches die Stadt Leipzig mit 25 Punkten gewichtet hat, hält die Kammer nicht für intransparent. Die weitere Erläuterung, wonach das Konzept detaillierte und nachvollziehbare Aussagen zu Netzentwicklungs- und Modernisierungsstrategien, zu Strategien zu einer Verbesserung der Netzstruktur und der Entwicklung zu einem intelligenten Netz und entsprechende Investitionsverpflichtungen darstellen soll, zeigt auf, dass es sich um homogene Kriterien handelt. Die Verbesserung der Netzstruktur hin zu einem intelligenten Netz lässt sich ohne weiteres unter den Oberbegriff Netzentwicklungs- und Modernisierungsstrategie fassen. Es gehört zur Vollständigkeit dieser so aufgezeichneten Maßstäbe, dass auch die zur Verwirklichung notwendigen Investitionsverpflichtungen mit abgefragt werden.

62

cc) Auch kann es zulässig sein, einzelne Aspekte beispielhaft zu benennen, wie dies im Kriterium II. 2. b geschehen ist. Die Stadt Leipzig hat dort beim Kriterium "Qualität des Konzeptes betreffend die Erhaltung bzw. Steigerung der Effizienz der Netzstruktur und des Netzbetriebs" einzelne Aspekte mit der Einleitung "z.B." aufgelistet, nämlich eine effiziente Ressourcennutzung, die Nutzung von Synergieeffekten, die Darstellung der Prozesseffizienz und die Steigerung der Anzahl der Netzanschlüsse. Diese Einleitung macht deutlich, dass die Darstellung dieser Aspekte eine Möglichkeit, aber kein Muss ist. Sie fungiert damit einerseits als Ideengeber, lässt aber andererseits den Bewerbern die Möglichkeit offen, das Kriterium der Effizienz auszufüllen, und ermöglicht so auch die Einbringung neuer Ideen.

63

dd) Die Beklagte bemängelt beim Unterkriterium II.1.b) bb) "Reaktionszeiten bei Störungen", dass es in den Erläuterung heißt, der Konzessionär habe einen 24-Stunden-Notdienst vorzuhalten, der dem sicheren Netzbetrieb diene. Das Personal müsse dabei zeitnah zur Verfügung stehen, um Störungen umgehend zu beseitigen. Ein Verstoß gegen Transparenz ist nicht erkennbar. Der Bieter musste davon ausgehen, dass in diesem Merkmal nicht die Existenz des 24-Stunden-Notdienstes – die unzweifelhaft gegeben sein musste –, sondern seine praktische Gewährleistung abgefragt werde.

64

ee) Bedenklich ist auch nicht, dass die Stadt Leipzig bei dem Unterkriterium "Nähe der Betriebsstätte/dem Stützpunkt zum Versorgungsgebiet" (Unterkriterium II. 1. b) cc) ausgeführt hat, dass eine Betriebsstätte in unmittelbarer Nähe des Versorgungsgebiets grundsätzlich als positiv gewertet werde. Für die Beklagte war dieses Merkmal hinreichend transparent, um die volle Punktzahl zu erhalten. Die Angabe konkrete Entfernungen wäre wettbewerbsbeschränkend gewesen. Es liegt auf der Hand, dass neben Entfernung z.B. auch konkrete Anbindung von Bedeutung war, um die unmittelbare Nähe zu gewährleisten. Hier von vornherein Einschränkungen zu machen oder einen zu großen Detaillierungsgrad vorzuschreiben, hätte dem Grundsatz der Bestenauslese widersprochen.

65

ff) Nicht nachvollziehbar ist die Kritik an dem Merkmal "Prognose der Entwicklung der Höhe der Netznutzungsentgelte im Sinne der GasNEV" (Unterkriterium II. 2. a). Mit der von der Stadt Leipzig in den Erläuterungen gegebenen Maßgabe, dass Ausgangspunkt die derzeitigen Netznutzungsentgelte der Bieter sind und zukünftig niedrigere Netznutzungsentgelte bei nachvollziehbare Prognose positiv gewertet würden, ist eine Vermischung von Ist-Zustand und Zukunftseinschätzung unter dem Merkmal der Preisgünstigkeit nicht erfolgt. Deutlich wird danach, dass die Stadt Leipzig lediglich eine Prognose verlangt. Dass für diese Prognose zunächst einmal der Ausgangspunkt bestimmt werden muss, ändert nichts daran, dass unter diesem Merkmal ausschließlich eine (anhand vorhandener Daten) plausibilisierte Zukunftsbetrachtung abgefragt wurde.

66

gg) Soweit die Beklagten beim Kriterium "Einrichtung, Besetzung und Öffnungszeiten ortsnaher Kundencenter" (Unterkriterium II. 2. a) aa) meint, hier hätten diverse Unterkriterien gebildet werden müssen, die zwingend eigenständig zu gewichten wären, so macht diese Kritik wieder deutlich, dass eine solche Festschreibung dem Prinzip der Bestenauslese widersprechen kann, da durch eine zu weitgehende Detaillierung neue Gestaltungsmöglichkeiten verhindert werden. Die von der Beklagten geforderte Bildung und eigene Gewichtung von Unter-Unterkriterien in Form von "Einrichtung von ortsnahen Kundencentern, Besetzung der Kundencenter, Öffnungszeiten der Kundencenter, Erreichbarkeit der Bieter in den Kundencentren, Angaben zu sonstigen Kommunikationsmitteln, Bearbeitungsfristen von Kundenanfragen und vertragliche Zusicherung der Einhaltung der Fristen" hätte den Blick darauf verhindert, dass zwischen diesen Merkmalen eine Wechselwirkung besteht, indem z. B. geringere Öffnungszeiten durch bessere sonstige Erreichbarkeit durch andere Kommunikationsmittel ausgeglichen werden können, wenige gut gelegene Kundencentern, vielen außerhalb gelegenen Kundencentern vorzuziehen sein könnten.

67

hh) Auch bei den Unterkriterien "Qualifikation der Kundenberater" (Unterkriterium II. 3. a) cc) und "Qualität und Verbindlichkeit des Beschwerdemanagements" (Unterkriterium II.3. a) dd) ist nicht ersichtlich, dass weitere Differenzierungen notwendig waren. Hier sind verschiedene – auch die Aufrechterhaltung des Qualifikationsniveaus betreffende – Konzepte denkbar, so dass eine Präzisierung einengend wirken würde.

68

ii) Beim Unterkriterium "Darstellung einschlägiger Umweltzertifizierung" (Unterkriterium II. 3. b) aa) ist offensichtlich, dass weitere Erläuterungen entbehrlich sind. Es ist ohne weiteres anzunehmen, dass Qualität und Zahl für die Bewertung eine Rolle spielen, ohne dass bereits an dieser Stelle schon ein Verhältnis genannt zu werden braucht.

69

jj) Im Unterkriterium "Darstellung konkreter Maßnahme zur Berücksichtigung von Umweltbelangen im Rahmen der Einrichtung und des Betriebs von Gasversorgungsnetzen" (Unterkriterium III. 3. b) bb) bemängelt die Beklagte wiederum Unbestimmtheit und meint, dass die beispielhafte Aufzählung von umweltfreundlichen Fuhrparks, Minimierung des Flächenverbrauchs, Baumschonung im Rahmen der Leitungsverlegung deutlich mache, dass zwingend eine Untergewichtung vorgenommen werden müsse. Doch auch an dieser Stelle wird deutlich, dass eine weitere Untergewichtung im Wettbewerb letztlich zu einer Beschränkung auf die von der Stadt Leipzig genannten Gesichtspunkte geführt hätte, und weitere – vielleicht sogar noch effektivere Maßnahmen des Umweltschutzes - gar nicht in Erwägung gezogen worden wären.

70

kk) Die Beklagte meint das Unterkriterium "Bereitschaft zur Einbindung erneuerbarer Energien in das örtliche Gasverteilernetz" (Unterkriterium II.3. b) cc) sei als Auswahlkriterium ungeeignet, weil insofern eine gesetzliche Pflicht zum unverzüglichen Anschluss an das Netz bestünde. Da der Gesetzgeber jedoch selbst in § 8 Abs. 6 EEG 2014 den Begriff mit "spätestens innerhalb 8 Wochen" konkretisiert, besteht durchaus Spielraum zur Unterschreitung der gesetzlichen Verpflichtungen (Vgl. OLG Celle, Urteil vom 17.03.2016, a.a.O., Rn. 74). Aber nicht nur mit kurzen Fristen, sondern auch mit kundenbezogenem Management kann eine entsprechende Bereitschaft unterstrichen werden, ohne dass dieses etwa vom Gesetz vorgeschrieben wird.

71

ll) Nicht überzeugend ist die Auffassung der Beklagten die Unterkriterien "Höhe der Konzessionsabgabe" (Unterkriterium I. 1. a) aa), "Höhe der Kommunalrabattierung" (Unterkriterium I.1. a) aa) und "Gewährung von Verwaltungskostenbeiträgen" (Unterkriterium I. 1. b) dd) seien überflüssig, weil alle Bieter die maximal zulässigen Konzessionen, Rabatte und Kostenbeiträge anbieten würden. Das mag so sein, geschieht nur, solange diese Posten als Auswahlkriterium genannt werden. Es wäre daher für die Konzessionsgeber schädlich, auf diese Kriterien zu verzichten, nur weil sich alle Bieter bemühen werden, das beste Ergebnis zu erzielen.

72

mm) Beim Unterkriterium "Abwicklung Konzessionsabgabenzahlung" (Unterkriterium I. 1. a) bb) ist es nicht schwer, herauszufinden, auf welche Bedürfnisse der Stadt Rücksicht genommen werden könnte.

73

nn) Das Merkmal "Verpflichtung zum Rückbau stillgelegter Anlagen" (Unterkriterium I. 2. d) lässt Differenzierungen, z.B. in Form von Garantien, Fristsetzungen, zu.

74

oo) Auch das Unterkriterium "Angebot und Bedingungen eines Zustimmungsvorbehalts zugunsten der Stadt für den Fall einer Übertragung/Überlassung des Netzeigentums und/oder des Netzbetriebs und/oder der Konzession an einen Dritten" (Unterkriterium I 4. b) ist zulässig. An dem legitimen Interesse der Konzessionsgeberin an dieser Klausel besteht kein Zweifel (OLG Celle, Urteil vom 17.03.2016, a.a.O., Rn. 65). Dass sich die Bieter im Interesse eines Zuschlags bemühen werden, dieser Forderung nachzukommen, spricht nicht gegen seine Aufnahme.

75

pp) Schließlich ist nicht ersichtlich, woraus eine Pflicht der Stadt folgen sollte, einen Muster-Konzessionsvertrag beizufügen.

76

b) Einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot kann das Gericht auch nicht erkennen. Durch den konkreten Beschlussvorschlag ist keine Diskriminierung der Beklagten erfolgt (aa). Auch bei der Abstimmung im Stadtrat hat die Stadt Leipzig nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen (bb).

77

aa) Dass das Dezernat Allgemeine Verwaltung den Beschlussvorschlag in der Weise dem Stadtrat unterbreitet hat, dass der von ihm als besseres Angebot bewertete Globalzessionsvertrag der Klägerin angenommen werden solle, stellt keine Diskriminierung der Beklagten dar. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass Abstimmungen in größeren Gremien in der Weise erfolgen, dass mit Ja oder Nein gestimmt wird. Das bedeutet, dass abstimmungstechnisch die Stellung einer "oder"-Frage nicht zielführend ist. In diesem Fall ist es die Aufgabe der Exekutive – der Verwaltung – eine Beschlussvorlage in der Weise vorzubereiten, dass das von ihr als besser bewertete Angebot zur Abstimmung gestellt wird. Eine Festlegung gegenüber Stadtrat ist damit nicht verbunden. Dieser kann selbst entscheiden, ob ihn die Argumentation und die Bewertung der Verwaltung überzeugen.

78

bb) Schließlich bedeutet auch nicht die Teilnahme von Mitgliedern, die im Aufsichtsrat der Klägerin sitzen, an der Abstimmung über den Entschlussentwurf der Verwaltung einen Verstoß gegen das Neutralitätsverbot. Die Frage, ob Ratsmitgliedern, die zugleich als Vertreter der Gemeinde im Aufsichtsrat von Firmen sitzen, bei Konzessionsvergaben mitwirken dürfen, bislang – soweit ersichtlich – noch nicht rechtlich entschieden ist. Soweit Rechtsprechung in diesem Themenkreis ergangen ist, betrifft sie nicht den Fall, dass Aufsichtsratmitglieder als Vertreter der Gemeinde an der Abstimmung teilnehmen. Auch die von der Beklagten zuletzt genannte am 26.01.2017 verkündete Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle zieht aus dem Kartellrecht lediglich den Schluss, dass zur Wahrung des geheimen Wettbewerbs und des Neutralitätsgebots eine organisatorische und personelle Trennung zwischen Kommune als verfahrensleitender Stelle und der Kommune als Bieter erfolgen muss, was hier nicht in Frage steht.

79

Der Ausschluss von Ratsmitgliedern, die im Aufsichtsrat der Klägerin sitzen, war nicht zur Herbeiführung einer neutralen Entscheidung geboten. Zwar haben solche Ratsmitglieder eine Doppelfunktion, doch dies ergibt sich schon aus der gesetzlich zugelassenen und gewollten Verbindung von gemeindlicher Tätigkeit und Wahrnehmung von Aufsichtsratpositionen in bestimmten Unternehmen. Der Bundesgesetzgeber hat in § 46 Abs. 6 EnWG grundsätzlich als mögliche Konstellation anerkannt, dass Eigenbetriebe der Kommunen sich am Wettbewerb um Konzessionsverträge beteiligen. In diesem Fall haben alle Mandatsmitglieder der Gemeinde eine Doppelfunktion, da sie durch Entscheidung über das Angebot des Eigenbetriebs zugleich auch über ihre eigenen Interessen entscheiden.

80

Wollte man hier den Gedanken, dass bei Entscheidung hierüber eine Befangenheit vorliegt, weiterverfolgen, gebe es kein unbefangenes Ratsmitglied, könnte also – entgegen der gesetzlichen Wertung – kein Eigenbetrieb teilnehmen, weil hierüber kein Ratsmitglied abstimmen könnte. Anderes kann nicht gelten, wenn die Gemeinde das Versorgungsunternehmen nicht als Eigenbetrieb, sondern als juristische Rechtspersönlichkeit konstruiert. Wenn der Gesetzgeber es sogar für zulässig erachtet, dass sich ein Eigenbetrieb der vergebenden Gemeinde um deren Konzessionen bewerben kann, also im Grunde die Gemeinde um ihre eigene Konzession, dann liegt auch ein stärkeres Gewinninteresse als in jener Konstellation liegt auch nicht vor, wenn eine juristische Person an dem Konzessionsverfahren teilnimmt, an der die Gemeinde kapitalmäßig beteiligt ist (OLG Stuttgart, Urteil vom 05.01.2017 – 2 U 66/16 -, Rn. 94, zitiert nach juris).

81

Dieser Gedanke steht auch hinter der Bestimmung von § 20 Abs. 1 Ziff. 7 Sächsische Gemeindeordnung, der eine Ausnahme vom Mitwirkungsverbot für Vorstände, Aufsichts- und Verwaltungsräte oder vergleichbare Organe dann ausspricht, wenn das Ratsmitglied diese Tätigkeit als Vertreter der Gemeinde oder auf deren Vorschlag hin ausübt. Die vom Gesetzgeber gewollte Tätigkeit im Aufsichtsrat eines Unternehmens und einem Aufsichtsrat darf weder beim Unternehmen Restriktionen gegen die Tätigkeit des Mandatsträgers (dazu OLG Stuttgart, a.a.O, Rn. 115), noch im Rat zum Ausschluss der Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds führen. Wenn schon nicht die Wahrnehmung eines Aufsichtsratsposten die gebotene Neutralität verletzt, so gilt dies erst recht für diejenigen Ratsmitglieder, die in der Holdinggesellschaft oder anderen dort gehaltenen kommunalen Firmen eines Position im Aufsichtsrat haben.

82

2. Inhaltlich folgt aus dem Diskriminierungsverbot, dass die Auswahlentscheidung allein nach sachlichen Kriterien getroffen werden darf. § 46 Abs. 3 S. 5 EnWG in der Fassung bis zum 03.02.2017 (EnWG a.F.) gibt vor, dass die Gemeinden bei der Auswahl des Konzessionärs den Zielen des § 1 EnWG verpflichtet sind. Die Gemeinde muss bei der Auswahl des Netzbetreibers vorrangig die Kriterien berücksichtigen, die die Zielsetzung des § 1 Abs. 1 EnWG konkretisieren (BGH, Urteil vom 17.12.2013, a.a.O., Rn. 36, zitiert nach juris).

83

a) Die Stadt Leipzig hat bei ihrer Ausschreibung die Ziele des § 1 Abs. 1 EnWG – eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit – in einem vertretbaren Ausmaß berücksichtigt. In ihrem Verfahrensbrief hat sie unter II. jeweils die einzelnen Kriterien benannt und jeweils Unterpunkte gebildet. Insgesamt hat sie diesen Teil mit 250 von 420 Punkten und damit nahezu mit 60 % gewichtet. Eine vorrangige Ausrichtung an den in § 1 EnWG genannten Zielen ist damit gewährleistet. Das Gericht schließt sich der Auffassung an, wonach eine vorrangige Gewichtung bereits dann vorliegt, wenn 50 % überschritten sind (vgl. OLG Celle, Urteil vom 17.03.2016 – 13 U 141/15 -, Rn. 45, zitiert nach juris; LG Leipzig, Urteil vom 17.06.2015 – 5 O 1339/15, Rn. 32 ff., zitiert nach juris).

84

b) Entbehrlich war die Abfrage des so genannten Effizienzwertes. Dieser im Rahmen der Anreizregulierung zu bestimmende Wert bestimmt die Effizienz des Unternehmens und bildet daher einen Durchschnittswert aus allen Netzbetrieben. Da die Gemeinden den Blick auf das jeweilige Netzgebiet richten müssen, spielt der allgemein bestimmte Effizienzwert des Unternehmens keine bedeutende Rolle. Es ist – trotz im Effizienzwert enthaltener Pauschalierungen – zwar zulässig, den Effizienzwert abzufragen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.12.2015 - VI- 2 U (Kart) 4/15 -, Rn. 22 ff., zitiert nach juris), doch kann sich die Gemeinde im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums auch dazu entscheiden, die für die Ermittlung des Effizienzwerts notwendigen Daten selbst unter Anforderung eines konkreten Konzepts vorzunehmen und dabei den Effizienzwert lediglich mittelbar im Rahmen des Kriteriums der effizienten und preisgünstigen Versorgung zu berücksichtigen (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rn. 75). Unzutreffend ist auch die Annahme der Beklagten, die Stadt Leipzig habe für die Effizienz ebenfalls zu berücksichtigende technische Aspekte, wie Minimierung von Energieverlusten nicht ausreichend berücksichtigt. Es war dem Bieter unbenommen, auch technische Aspekte bei der Steigerung der Effizienz der Netzstruktur und des Netzbetriebes darzustellen. Nachvollziehbar hat die Klägerin dargelegt, dass anders als etwa im Strombereich ein Energieverlust durch Gaseintritt schon aus Sicherheitsgründen zu vermeiden ist und daher nicht noch einmal ausdrücklich abgefragt werden musste.

85

c) Die Beklagte ist auch nicht durch eine Untergewichtung der Netzentgelte diskriminiert worden. Dass die Netzentgelte ein Auswahlkriterium sein muss, steht fest (BGH, Urteil vom 17.12.2013, Rn. 85) und ist von der Stadt Leipzig auch berücksichtigt worden unter "Prognose der Entwicklung der Höhe der Netznutzungsentgelte" mit 30/420 und in der Höhe der Netzanschlusskosten mit 10/420. Gemeinsam liegen beide auf die Netzentgelte bezogenen Kriterien bei 9,51 %. Das liegt nahe der von der Beklagten zitierten von der Landeskartellbehörde vorgeschlagenen Mindestgewichtung von 10 % für das Kriterium Preisgünstigkeit und ist nicht zu beanstanden.

86

d) Schließlich ist auch die Versorgungssicherheit nicht untergewichtet. Tatsächlich gehört die Sicherheit der Versorgung zu den in § 1 EnWG genannten Zielen. Der BGH hat in seinem Urteil vom 17.12.2013 (a.a.O., Rn. 83 ff.) deutlich gemacht, dass 10 von 170 – also eine Gewichtung von unter 6 % - willkürlich ist und gegen die Zielsetzung von § 1 EnWG spricht; als Orientierungshilfe hat der BGH auf den Musterkriterienkatalog der Energiekartellbehörde Baden-Württemberg verwiesen und eine Mindestgewichtung von 25 % vorgeschlagen. Dem hat die Stadt Leipzig entsprochen, indem sie dieses Merkmal mit 110 von 420 – also mit 26 % - gewichtet hat. Ein Vergleich zu der Gewichtung anderer Kriterien – wie ihn die Beklagten zu von ihr unter "kommunalen Kriterien" zusammengefassten Punkten vorgenommen hat – braucht aufgrund des den Gemeinden zustehenden Gestaltungsspielraums nicht zu erfolgen. (LG Leipzig, K 6). Entscheidend ist allein, dass das Kriterium entsprechend den Vorgaben des BGH mit über ein Viertel vom Gesamtergebnis in den Vordergrund gestellt worden ist.

87

e) Schließlich ist auch nicht die von der Stadt Leipzig gewählte relative Bewertungsmethode zu beanstanden. Diese Relativität zeigt sich darin, dass im jeweiligen Auswahlkriterium der Bewerber die Gesamtpunktzahl erhält, der das Kriterium am besten erfüllt; die anderen Angeboten erhalten eine dem Erfüllungsgrad – bezogen auf das Angebot des bestens Bewerbers - entsprechend niedrigere Bepunktung. Auf diese Weise spiegelt die Bewertung der einzelnen Kriterien immer vor allem den Abstand zwischen den einzelnen Bietern wieder, ohne dass es ausgehend von einem Idealzustand eine absolut zu messende Punktzahl gibt. § 1 Abs. 1 EnWG gibt keine Bewertungsmethode vor und auch die Rechtsprechung des BGH hat sich bislang nicht mit der Bewertungsmethode befasst. Die Auswahl der Bewertungsmethode unterfällt dem Beurteilungsspielraum der Gemeinde. Sowohl die absolute als auch die relative Methode haben Vor- und Nachteile. Bei der relativen Methode kann es dazu kommen, dass aufgrund der Relativität unter besonderen Konstellationen der Bieter den Zuschlag erhält, der bei besonders bedeutsamen Kriterien dem Wettbewerber unterlegen ist (vgl. das Beispiel des OLG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2015 -, a.a.O., Rn. 75). Eine absolute Methode zwingt die Gemeinde, einen Idealzustand zu definieren, und verfestigt so – wie vom Landgericht Leipzig dargelegt (LG Leipzig, a.a.O., Rn. 36) – den status quo, indem der Erwartungshorizont auf die vorgegebenen Kriterien festgelegt wird. Dies führt wiederum dazu, dass neue Ideen und abweichende innovative Elemente keinen Raum bekommen (OLG Celle, Urteil vom 17.03.2016 – 13 U 141/15 -, Rn. 128, zitiert nach juris). Ein Vergleich der Ergebnisse beider Methoden im Einzelfall ist nicht zielführend, da schon die Maßstäbe nicht vergleichbar sind. Nennt die absolute Methode klare Erwartungen, so überlasst die relative Methode es den Bietern im Rahmen des beschriebenen Kriteriums sich den Zielvorgaben anzunähern. Dass danach Differenzen entstehen können, führt nicht dazu, dass eine der beiden Methoden vorzuziehen ist. Der größere Beurteilungsspielraum der Gemeinden bei der relativen Methode ist im Interesse des Wettbewerbs hinzunehmen. Da sich demnach keine der beiden Methoden als eindeutig besser erweist, darf die Konzessionsgeberin selbst im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums entscheiden, ob sie abschließend einen Erwartungshorizont definiert oder der Einbringung neuer Ideen den Vorzug gewähren will.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen