Beschluss vom Landgericht Münster - 2 Qs - 540 Js 6/16 - 5/16
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.
1
Gründe:
2Die Beschwerde ist begründet; denn die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 StPO) waren nicht gegeben.
3Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung ist der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht erforderlich, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder dringenden Tatverdachts bedarf es nicht (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 142).
4Gemessen an diesen Maßstäben lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses keine sachlich zureichenden Gründe für eine Durchsuchung vor.
5Das Amtsgericht hat die Annahme eines Anfangsverdachts gegen den Beschuldigten für eine versuchte oder vollendete Strafvereitelung gemäß § 258 StGB, begangen im Rahmen seiner polizeilichen Zeugenvernehmung vom 23.10.2015, im Wesentlichen auf den vermeintlichen Inhalt der Vernehmung gestützt. In dem in die Form eines knappen schriftlichen Vermerks gekleideten Vernehmungsprotokoll heißt es, es seien dem Zeugen verschiedene Videosequenzen vorgespielt worden; er könne keine relevanten Hinweise geben. Dies hat das Amtsgericht in Anschluss an einen Vermerk der Staatsanwaltschaft dahin verstanden, dass der Beschuldigte selbst geäußert habe, keine relevanten Angaben zur Sache machen zu können. Damit habe er vorgegeben, niemanden erkannt zu haben, obwohl selbst die szenekundigen Beamten bereits mehrere Tatverdächtige erkannt hätten.
6Diese Interpretation des Vernehmungsprotokolls ist jedoch unzutreffend. Denn mit dem Satz: „ Er kann keine relevanten Hinweise geben.“ hat der Vernehmungsbeamte erkennbar nicht die vom damaligen Zeugen gemachten Angaben inhaltlich wiedergegeben, sondern lediglich seine Bewertung des Erkenntnisgewinns aus der Aussage als nicht relevant zum Ausdruck gebracht. Dass der damalige Zeuge das Schriftstück unterzeichnet hat, gibt der Erklärung keine andere Bedeutung. Ihr ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass der damalige Zeuge keinerlei Verdächtige erkannt hat, sondern nur, dass er über die der Polizei bereits bekannten Tatverdächtigen hinaus keine weiteren der Polizei noch nicht bekannten Tatverdächtigen identifiziert hat . Dass die Erklärung auch tatsächlich nur in diesem Sinne verstanden werden sollte, ergibt sich aus den späteren Angaben des Vernehmungsbeamten. Danach hat der Beschuldigte bei seiner zeugenschaftlichen Vernehmung durchaus angegeben, einen Teil der bereits identifizierten Tatverdächtigen erkannt zu haben. Ein Vorsatz zur Strafvereitelung bezüglich dieser Personen war deshalb auszuschließen.
7Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte darüber hinaus einen oder mehrere der unbekannten Tatverdächtigen der Vorfälle in N erkannt und diese Tatsache wahrheitswidrig geleugnet hat, haben nicht vorgelegen. Dies gilt auch in Bezug auf seine frühere Chatnachricht an den anderweitig Verfolgten C, dass er bei einer bevorstehenden Vernehmung durch die Polizei in C1 „vermutlich keinen (der abgebildeten Q-Fans) erkennen“ werde. Zunächst ist diese Nachricht nicht ohne Weiteres auf die Vorfälle in N zu beziehen. Des weiteren ist die Position des Beschuldigten zu berücksichtigen. Er ist oder war als Sicherheitsbeauftragter des Vereins Q N Bindeglied zwischen Polizei und den Fangruppen. Für eine erfolgreiche Arbeit benötigte er das Vertrauen beider Seiten. Um das Vertrauen insbesondere seitens der Ultras nicht zu gefährden, durfte er nicht den Eindruck erwecken, er arbeite in erster Linie zwecks Strafverfolgung mit der Polizei zusammen. Dies schließt andererseits eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Polizei im Rahmen seiner Möglichkeiten nicht aus. Die von ihm gewählte Formulierung allein ist deshalb nicht geeignet, einen die Durchsuchung rechtfertigenden Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten zu begründen.
8Schließlich fehlt es auch an einem Anfangsverdacht bezüglich einer versuchten oder vollendeten Strafvereitelung durch eine Aussage des Beschuldigten bei der Polizei in C1. Wie bereits ausgeführt, reicht der Inhalt der Nachricht an den anderweitig Verfolgten C allein nicht aus. Im Übrigen haben sich die Erkenntnisse des Amtsgerichts in diesem Punkt auf wenige Vermerke der ermittelnden Beamten in N beschränkt. Ermittlungsergebnisse der Behörden in C1 haben nicht vorgelegen. Es lag kein Bildmaterial vor. Auch der Inhalt der Vernehmung des jetzigen Beschuldigten in C1 war nicht bekannt. Ob er dort keine Verdächtigen identifiziert hat oder nur keine der noch unbekannten Tatverdächtigen, war deshalb nicht festzustellen. Dieser dürftige Erkenntnisstand war daher ebenfalls nicht geeignet, einen Anfangsverdacht als Grundlage für einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff wie den der Durchsuchung zu rechtfertigen.
9Da sich das bei dem Beschuldigten sichergestellte Mobiltelefon noch zum Zwecke der Durchsicht (§ 110 StPO) bei der Polizei befindet, ist die Durchsuchung noch nicht abgeschlossen, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben war.
10Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.
11Unterschriften
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.