Urteil vom Landgericht Nürnberg-Fürth - 12 Ns 513 Js 393/18

Tenor

I. Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 15.12.2021 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

1. Der Angeklagte ist schuldig der Steuerhinterziehung in acht Fällen und des vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe.

2. Er wird deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.

3. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Die Berufungsgebühr wird um 1/3 ermäßigt.

Soweit durch die Berufung der Staatsanwaltschaft ausscheidbare Kosten entstanden sind, fallen sie der Staatskasse zur Last.

II. Die Berufung des Angeklagten im Übrigen und die Berufung der Staatsanwaltschaft werden als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde durch das Amtsgericht Nürnberg wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen (Gesamtsteuerschaden 17.988,57 €) und wegen vorsätzlichen Besitzes eines nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstandes zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Daneben wurden Einziehungsentscheidungen betreffend Tatmittel und Wertersatz getroffen. Dagegen wandte sich der Angeklagte mit seiner unbeschränkt eingelegten Berufung und die Staatsanwaltschaft mit einer zum Nachteil des Angeklagten auf die Rechtsfolgenseite beschränkten Berufung. Die Berufung des Angeklagten hatte im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen war sie, wie insgesamt die Berufung der Staatsanwaltschaft, als unbegründet zu verwerfen.

II.

Der Angeklagte wuchs in S. (Sachsen) auf, besuchte dort die Schule und machte sodann eine Lehre als Textiltechniker. Während seines anschließenden Wehrdienstes in der NVA kam es zur Wiedervereinigung und der Angeklagte wurde aus der Armee entlassen. Er arbeitete dann etwa drei Jahre in einer Textilfabrik und verzog, als er diese Arbeit verlor, nach Mittelfranken, wo er die folgenden 25 Jahre in einer Textilfabrik Beschäftigung und Auskommen fand. Nach zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit arbeitet er seit Juli 2021 als Produktionshelfer in der Holzbranche. Dort verdient er durchschnittlich 1.500 € netto monatlich. Er hat keine Schulden. In seinem Wohnort L. ist er sozial integriert. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Wegen einer Epilepsieerkrankung und Schwerhörigkeit wurde ihm 2011 ein Grad der Behinderung von 50% zuerkannt. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

III.

1. Der Angeklagte erwarb in der Tschechischen Republik wiederholt Zigaretten und verbrachte diese - teils zum Eigenverbrauch, teils zur Weitergabe an Dritte - in das Bundesgebiet, ohne Tabaksteuererklärungen beim zuständigen Zollamt abzugeben.

Die Mutter des Angeklagten wohnte in S. unweit des Grenzübergangs zur Tschechischen Republik. Im gleichen Anwesen befand sich eine Filiale der D. P. AG. Dies machte sich der Angeklagte im Zeitraum vom März 2017 bis August 2018 zunutze, um anlässlich von acht mehrtägigen Besuchen bei seiner Mutter in der Tschechischen Republik jeweils insgesamt 10.800 Stück Zigaretten mit tschechischer Steuerbanderole, insbesondere der Marken Route 66 rot und blau, die er nicht alle selbst rauchen, sondern an Dritte abgeben wollte, zu erwerben und diese in die Wohnung seiner Mutter zu verbringen. Die bei den wiederholten Grenzübertritten zusammengekauften Zigaretten packte er jeweils kurz vor Antritt der Rückfahrt nach L. in der Wohnung der Mutter in ein Postpaket. Dieses gab er sodann in der Postfiliale in S. auf und versandte es an seine Wohnadresse. Dem Angeklagten war bewusst, dass er die Zigaretten, die nicht für seinen Eigenbedarf bestimmt waren, unverzüglich gegenüber dem zuständigen Zollamt zu erklären hatte. Dem kam er jeweils bewusst nicht nach, um sich die Abführung der jeweils fälligen Tabaksteuer zu ersparen.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende acht, nach den versandten Paketen zusammengefassten Fälle, denen jeweils eine Mehrzahl von Grenzübertritten zu Einkaufszwecken in die Tschechische Republik zugrunde lag:

Fall

Versanddatum des Pakets

Tage bis zur nächsten Lieferung

Eigenbedarf des Angeklagten pro Tag (Stück)

Eigenbedarf insgesamt (Stück)

steuerbare Zigaretten (10.800 abzgl. Eigenverbrauch)

1

25.03.2017

62

44

2.728

8.072

2

26.05.2017

64

44

2.816

7.984

3

28.07.2017

70

44

3.080

7.720

4

06.10.2017

79

44

3.476

7.324

5

29.12.2017

69

44

3.036

7.764

6

09.03.2018

53

44

2.332

8.468

7

03.05.2018

84

44

3.696

7.104

8

27.07.2018

69

44

3.036

7.764

Durch die Nichterklärung der nicht zum Eigenbedarf bestimmten (steuerbaren) Zigaretten verkürzte der Angeklagte Tabaksteuer von insgesamt 9.840,82 €.

2. Weiterhin war der Angeklagte, wie er wusste, am 31. Juli 2018 in seiner Wohnung in L. im Besitz eines Springmessers mit nach vorne austretender Klinge mit einer Klingenlänge von ca. 8 cm. Bei dem Messer handelte es sich, wie er ebenfalls wusste, um einen nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstand.

IV.

1. Die Feststellungen zu Ziffer II beruhen auf den Angaben des Angeklagten, an denen das Gericht keinen Anlass zum Zweifeln hatte, sowie auf dem verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister.

2. Die Feststellungen zu Ziffer III beruhen ebenfalls auf den Angaben des Angeklagten sowie den ergänzend in das Verfahren eingeführten Urkunden.

a) Der Angeklagte hat angegeben, er sei ein starker Raucher und die Zigaretten seien in der Tschechischen Republik deutlich billiger. Deshalb habe er sich bei Besuchen bei seiner Mutter, die 500 m von der deutsch-tschechischen Grenze wohne, regelmäßig mit Zigaretten von jenseits der Grenze eingedeckt. Dabei sei er mal allein über die Grenze gefahren und habe die „erlaubten“ 800 Stück Zigaretten eingekauft, mal habe er seine Mutter mitgenommen und dann jeweils 1.600 Stück Zigaretten gekauft und ins Inland verbracht. Sein eigener Zigarettenkonsum variiere. Im Schnitt rauche er anderthalb bis zwei Päckchen am Tag, am Wochenende mehr. Mehr - bis zu drei Schachteln - habe er auch in der Zeit seiner Arbeitslosigkeit geraucht. Er konsumiere ausschließlich Zigaretten der Marken Route 66 rot und Parker & Simpson. Die Zigaretten habe er per Post an seine Wohnadresse versandt, um auf der Rückfahrt nochmal über das Gebiet der Tschechischen Republik fahren zu können, ohne mit dem Zoll Probleme zu bekommen. Was er nicht selbst geraucht habe, habe er an seine Bekannten und Freunde weitergegeben, jedoch nie verkauft. Erklärungen beim Zoll habe er nicht abgegeben, weil er davon ausgegangen sei, er dürfe wiederholt die erlaubte Menge im Ausland einkaufen.

Auf die Aufforderung der Kammer, die jeweils eingekauften Mengen und seinen Eigenkonsum genauer zu bestimmen, gab der Angeklagte folgendes an: Bei den hier gegenständlichen acht Taten sei er im Schnitt jeweils neun Tage bei seiner Mutter gewesen. Er sei täglich über die Grenze gefahren und habe in Tschechien 800 Stück Zigaretten eingekauft. Im Schnitt jeden zweiten Tag habe ihn seine Mutter begleitet, dann habe er 1.600 Stück Zigaretten erworben. Das bedeute, dass er täglich im Schnitt 1.200 Stück eingekauft habe, bei neun Tagen Aufenthalt also insgesamt 10.800 Stück Zigaretten (9 x 1.200). Sein Eigenverbrauch liege bei zwei Päckchen zu je 22 Stück täglich. Im Schnitt habe er in dem Zeitraum zwischen zwei Paketversendungen die jeweils eingeführte Zigarettenmenge vollständig verbraucht, d.h. selbst geraucht und im Übrigen an seine Freunde und Bekannten weggegeben.

Den Besitz des verbotenen Springmessers gab der Angeklagte zu und teilte ergänzend mit, er habe es bei der Arbeit gebraucht, etwa um Folien aufzuschneiden.

b) Die im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden belegen ergänzend zur vollen Überzeugung der Kammer die Steuerhinterziehungen dem Grunde nach:

aa) Die Postbeschlagnahme des letzten Pakets und die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten haben ergeben, dass er keineswegs nur die von ihm selbst bevorzugten Zigarettenmarken eingeführt hat. Die Einlieferungsmitteilung, in der alle sichergestellten Zigaretten verzeichnet sind, weisen neben den vom Angeklagten gerauchten Zigaretten (11.386 Stück der Marke Route 66 rot und 880 Stück der Marke Parker & Simpson) auch 9.856 Stück Zigaretten der Marke Route 66 blau und 330 Stück Zigaretten der Marke Burton Green auf. Diese letzteren können bereits nach der eigenen Einlassung des Angeklagten nicht für ihn bestimmt gewesen sein. Der Mitteilung der Security-Abteilung der D. P. AG lassen sich die Gewichte der acht Postpakete entnehmen, die der Angeklagte an sich selbst versandt hat. Sie betragen zwischen 18,3 kg und 27 kg, durchschnittlich 22,58 kg. Nach Abzug des Kartongewichts - die zwei vorgefundenen Pakete wogen jeweils 1,35 kg - verblieb damit jeweils ein erhebliches Gewicht, das auf Zigaretten entfallen sein muss, wobei die Kammer jeweils nicht ausschließen kann, dass sich in den Paketen - wie der Angeklagte allerdings ohne nähere Präzisierung ausführte - auch andere Waren (Schnaps, Kaffee) befunden haben können. Auf dem aufgefundenen Post-Einlieferbeleg vom 29. Dezember 2017, der beim Angeklagten sichergestellt wurde fand sich zudem der handschriftliche Vermerk „116 Stangen“.

bb) Die im Mobiltelefon des Angeklagten gespeicherten Whatsapp-Chatverläufe, deren Ausdrucke ins Verfahren eingeführt wurden, belegen ergänzend, dass der Angeklagte Z. aus der Tschechischen Republik auch für andere Personen mitgebracht hat. Wenn auch einige der Chats durchaus so oder anders verstanden werden können, sind andere eindeutig. So fragte der Angeklagte beispielsweise eine B. [Schreibweise je im Original]: „Redest du mal bis Sa mit Papa wie viel kippen er will und fragst ihn, ob vielleicht ein Teil schon bezahlen kann“ (Ausdrucke, S. 4) und später: „OK. Wie schaut es mit kippen aus? Denk dran das wir uns erst nächstes Jahr wieder sehen“ (S. 5) und: „Weiß nicht wie viel ihr raucht … sicherheitshalber mal noch 4mit bringen? Sind fast 3 Wochen“ (S. 5), „Und ob bzw.wie viel Kippen du brauchst. Das ich die schon bereit legen kann das wir gleich loskönnen“ (S. 6), „wenn wir Zeit ausmachen sagst du mir das noch mal mit den kippen“ (S. 7). Ein M. schrieb an den Angeklagten: „Brauch allerdings noch für die Zeit über Weihnachten bis hin zu Silvester eventuell nochmal Zigaretten. Können wir das dann so machen das ich die auf zwei mal zahle? Sind dann 5 Stangen also 175 €“ (S. 10) und dann: „Bringst du mir dann morgen kippen mit?“ (S. 10). Weiter schrieb er dann an den Angeklagten: „denkst du an die Kippen“ und einen Monat später: „Gehst du zu den Eltern? Wenn ja, kannst du mir zwei Stangen kippen mitbringen? … und dann bekommst du ganz sicher Kohle“ (S. 10). Drei Monate später schreibt er an den Angeklagten: „…kann ich eventuell Not mal kippen bei dir anschreiben?“ und dann: „kannst du mir evtl kippen mitbringen wenn du kommst“ (S. 11). Seinerseits fragte der Angeklagte eine E.: „Wie viel Stangen bekommst du noch von mir?“ (S. 12) und die fragte später zurück: „Kannst du bitte für meinen Göttergatten 6-mal rote 66 mitbringen Danke“, was der Angeklagte mit „Na klar“ quittierte (S. 14). Ein P. forderte den Angeklagten auf: „dann bring mir doch mal 3 Stangen mit bitte!“, wozu der Angeklagte „ok“ zurückschrieb (S. 19). Eine namentlich nicht bekannte Person bat: „könntest du der Annett noch ne Stange ins Auto legen“, worauf der Angeklagte schrieb: „das wollt ich dir gerade noch schreiben. Also das ich ihr eine rein lege“ (S. 20).

cc) Das durch das Geständnis des Angeklagten und die vorgenannten weiteren Beweismittel gezeichnete Gesamtbild lässt für die Kammer keinen Zweifel daran zu, dass der Angeklagte Zigaretten nicht nur für den Eigenbedarf, sondern auch für Dritte eingekauft und eingeführt hat.

c) Die Frage nach der genauen Menge der überhaupt eingeführten und der nicht für den Eigenbedarf bestimmten Zigaretten war damit allerdings noch nicht abschließend beantwortet.

aa) Die Kammer stützte sich insoweit im Ergebnis auf die vom Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung gemachten Angaben, die sie insgesamt für plausibel und belastbar hielt. Sie war sich dessen bewusst, dass die Einlassung des Angeklagten, er habe jeweils über je neun Tage täglich 1.200 Zigaretten über die Grenze gebracht und täglich 44 Zigaretten geraucht, lediglich seine Schätzung der Durchschnittswerte beinhaltete. Die hat aber immerhin für sich, dass sie von der einzigen Person stammt, die wusste, wie viel sie verschickt und wie viel sie raucht. Die Angabe von 10.800 Stück pro Fall ist vereinbar mit den mit den Gewichtsangaben zu den Paketen. So wog das sichergestellte Paket vom 27. Juli 2018 19,2 kg. 1,35 kg waren für den Karton abzuziehen. Die restlichen 17,85 kg entfielen auf 15.246 Stück Zigaretten zuzüglich deren Packmaterials. Damit kann die Menge von 10.800 Stück Zigaretten in jedem der acht Pakete (neben weiterem Versandgut) untergebracht werden. Die Kammer hat weiter bedacht, dass der verteidigte Angeklagte die Mengenangaben nicht zu seinem Nachteil gemacht haben wird. Die Zugrundelegung seiner eigenen Angaben beschwert den Angeklagten daher nicht.

Die Kammer hat auch das Paket, das nachweislich 15.246 Stück Zigaretten enthielt, der Schätzung nach dem vorbezeichneten Schema unterworfen. Denn mit der genannten Anzahl war die Zahl der für den Eigenbedarf vorgesehenen Zigaretten noch nicht bestimmt. Der Angeklagte hat angegeben, er habe bei diesem letzten Paket mehr Zigaretten eingekauft als sonst. Es habe in Tschechien nämlich eine Preiserhöhung angestanden und er habe daher mehr Zigaretten „hamstern“ wollen, solange sie noch günstig seien. Damit wäre nicht ausschließbar gewesen, dass die Zigaretten aus diesem Einkauf über einen längeren Zeitraum hätten verbraucht werden sollen, was den Anteil des Eigenbedarfs entsprechend erhöht hätte. Die Kammer hat diese Ungewissheit dadurch ausgeglichen, dass sie auch diese Lieferung wie die anderen geschätzt und den Zeitraum, in dem die Zigaretten hätten verbraucht werden sollen, mit dem Durchschnitt der Verbrauchszeiträume bei den vorangehenden sieben Lieferungen angesetzt hat. Der Angeklagte hat gegenüber der Kammer erklärt, eine solche Schätzung sei aus seiner Sicht plausibel und er wolle sie gegen sich gelten lassen.

Die anderen beiden im Laufe des sich schon länger hinziehenden Verfahrens angewandten Schätzmethoden erweisen sich dem gegenüber nicht als überlegen:

bb) Das Hauptzollamt versuchte ursprünglich, die steuerbaren Mengen durch eine Auswertung der Whatsapp-Chats, der sichergestellten Zigaretten und eines Post-Einlieferbelegs zu ermitteln und kam so zu einem Steuerschaden von 8.288,75 €. Die Schwäche dieses Ansatzes liegt darin, dass etliche Chats uneindeutig sind. So ist aus dem Chat-Kontext nicht zweifelsfrei, was etwa der Satz „Mama will bitte 5-mal rot“, als Frage an den Angeklagten gerichtet, genau meint: Den Kaffee in der roten Verpackung? Fünf Stangen Zigaretten? Fünf Päckchen Zigaretten? Aus den Protokollen ergibt sich durchaus, dass der Angeklagte an seine Freunde nicht nur Zigaretten, sondern auch Kaffee, Bier und Alkoholika mitgebracht hat. Zudem wurde bei dieser Schätzung - was eine andere Strafkammer im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bereits kritisch angemerkt hat (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 15. Mai 2019 - 18 Qs 51/18, juris Rn. 21) - der Eigenkonsum des Angeklagten nicht berücksichtigt.

cc) Die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift und das Amtsgericht in seinem Urteil gingen demgegenüber von dem Gewicht der Postpakete aus und nahmen an, dass 95% des Paketgewichts jeweils auf Zigaretten entfielen. Das verbleibende Gewicht wurde dann auf die Stückzahl der Zigaretten umgerechnet und ein Eigenverbrauch von 39 Stück (Anklage) bzw. 44 Stück (Urteil) pro Tag angenommen. Das hatte im Ergebnis eine Steuerverkürzung von 18.431,05 € (Anklage) bzw. 17.988,57 € (Urteil) zur Folge. Die Schwächen dieses Vorgehens liegen darin, dass zum einen das Verpackungsgewicht nicht berücksichtigt wurde und zum anderen der genaue Inhalt der Pakete (mit Ausnahme des letzten, das beschlagnahmt wurde) und damit die Menge der Zigaretten letztlich spekulativ blieb. Der vorgenommene Abzug von lediglich 5% des Gewichts für Nicht-Zigaretten schien der Kammer jedenfalls allzu beherzt.

V.

Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte in acht Fällen der Steuerhinterziehung und des vorsätzlichen Besitzes eines verbotenen Gegenstandes nach dem Waffengesetz schuldig gemacht. In rechtlicher Hinsicht ist anzumerken:

1. Sowohl die Anklage als auch das Amtsgericht in seiner Beweisaufnahme verwandten Zeit und Mühe auf den Versuch des Nachweises, der Angeklagte habe gewerbsmäßig (im üblichen Sinne von gewinnbringend) gehandelt. Umgekehrt betonte der Angeklagte mit erkennbarem Eifer, er habe die mitgebrachten Zigaretten nur verschenkt, nie verkauft. Dieser Streit war überflüssig, weil er auf einem Missverständnis des Gesetzes beruht. § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG definiert „gewerbliche Zwecke“ schlicht als den Gegenbegriff zu den „privaten Zwecken“ des § 22 Abs. 1 TabStG. Zu privaten Zwecken wird eingeführt, was für den Eigenbedarf bestimmt ist. Alles, was nicht dem Eigenbedarf dient, wird den gewerblichen Zwecken zugeordnet. Die Nomenklatur des Tabaksteuergesetzes weicht also - inspiriert von Art. 33 Abs. 1 RL 2008/118/EG vom 16. Dezember 2008 - von dem sonstigen Rechtsgebrauch der Begriffe „gewerblich“ oder „gewerbsmäßig“ ab. Die Gefahrgeneigtheit dieser Terminologie ist allerdings auch dem Normgeber nicht entgangen, weshalb er jüngst in § 39 TabStV (i.d.F. der 7. VerbrStÄndV vom 11. August 2021, BGBl. I S. 3602) folgenden Absatz 2 angefügt hat:

„(2) Die Weitergabe von Tabakwaren, auch wenn sie unentgeltlich erfolgt, gilt unabhängig von der verbrachten Menge nicht als Eigenbedarf nach § 22 des Gesetzes.“

Durch diese Verordnungsänderung ist nicht eine Änderung, sondern lediglich eine Klarstellung der bestehenden Rechtslage erfolgt. So führt der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. April 2021 für die Siebte Verordnung zur Änderung von Verbrauchsteuerverordnungen aus (S. 170): „Die Regelung stellt klar, dass die Weitergabe verbrauchsteuerpflichtiger Ware nicht von dem Begriff des Eigenbedarfs erfasst ist und konkretisiert die Norm insoweit in unionsrechtskonformer Weise.“

2. Der Angeklagte handelte vorsätzlich und schuldhaft. Allerdings berief er sich darauf, er habe sich bei seinen Tabakimporten strikt an die Auskunft des Zolls gehalten, wonach 800 Stück Zigaretten zollfrei seien. Diese Menge habe er täglich einkaufen dürfen, egal wofür. Das ist abwegig. Der zum Beleg seiner Auffassung schon in der ersten Instanz vorgelegte Ausdruck der Internetseite des Zolls spricht insoweit klar eine andere Sprache. Es heißt dort wörtlich, dass die Richtmenge von 800 Stück „für Ihren persönlichen Bedarf“ gilt, also für den Eigenbedarf.

3. Die Kammer war befugt und verpflichtet, die verkürzte Steuer zu schätzen, weil die Tatsache, dass bei acht Gelegenheiten je ein Steuertatbestand erfüllt wurde, wie ausgeführt, zweifelsfrei feststand, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber mit Unsicherheiten belastet blieb (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 - 1 StR 484/21, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 11. März 2021 - 1 StR 521/20, juris Rn. 11, je m.w.N.). Die Kammer folgte der oben IV.2.c) aa) näher begründeten Schätzmethode.

a) Den jeweiligen Kleinverkaufspreis (KVP) hat sie den entsprechenden Erlassen des Bundesfinanzministeriums entnommen, die das zuständige Hauptzollamt der Kammer schriftlich mitgeteilt hat. Der KVP beträgt für die Fälle 1 bis 5: 27 17/48 (= 27,3541) Cent pro Stück und für die Fälle 6 bis 8: 28 3/16 (= 28,1875) Cent pro Stück. Die Kammer hat auf diese Werte zurückgegriffen, weil die Zigaretten der vom Angeklagten eingeführten Marken im Tatzeitraum im Inland nicht vertrieben wurden und ein KVP daher nicht individuell festgesetzt wurde.

Der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass eine Festsetzung des KVP durch die Steuerverwaltung im Strafverfahren nicht ungeprüft übernommen werden darf (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2019 - 1 StR 475/18, juris). Andererseits sind Schätzungen anhand von Verwaltungsvorschriften in anderen Fällen durchaus zulässig (zur Richtsatzsammlung vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2021 - 1 StR 521/20, juris Rn. 14, m.w.N.). Die Kammer jedenfalls hält den ihr mitgeteilten KVP für plausibel. Es handelt sich dabei um einen Schwellenwert, bei dem der Mindeststeuersatz und der Regelsteuersatz weitestgehend übereinstimmen. Seine Höhe soll die Gleichmäßigkeit der Besteuerung fördern; die Verwaltung tendiert damit weder zu einer zu niedrigen noch zu einer zu hohen Steuerbelastung. Das hält die Kammer insgesamt für lebensnah; sie war jedenfalls nicht gehalten, eine dem Angeklagten möglichst günstige Schätzung vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 20. November 2008 - 1 StR 546/08, juris Rn. 11), zumal ihn dies im Ergebnis nicht entlastet hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2019 - 1 StR 475/18, juris a.E.; Beschluss vom 20. November 2008 - 1 StR 546/08, juris Rn. 9).

b) Der gewichtete KVP beträgt für die Fälle 1 bis 5: 27,3553 Cent pro Stück (BAnz AT 12.01.2017 B3) und für die Fälle 6 bis 8: 28,1884 Cent pro Stück (BAnz AT 16.01.2018 B2).

c) Auf vorstehend umrissener Grundlage errechnen sich die Steuersätze wie folgt:

Berechnung

Fälle 1-5 (in ct)

Fälle 6-8 (in ct)

1.

Grundbetrag § 2 Abs. 1 Nr. 1 a TabStG

9,8200

9,8200

2.

+ 21,69% des KVP

5,9333

6,1140

3.

= Regelsteuersatz § 2 Abs. 1 Nr. 1 a TabStG

15,7533

15,9340

4.

+ USt. auf gewichteten KVP (§ 2 Abs. 2 TabStG)

4,3676

4,5006

5.

= Summe Steuerbelastung

20,1209

20,4346

6.

Prüfung: 5. > 19,636 ct ? (§ 2 Abs. 2 Satz 2 TabStG)

ja

ja

7.

./. USt. auf KVP (§ 2 Abs. 2 TabStG)

4,3674

4,5005

8.

= Mindeststeuersatz in Cent pro Stück

15,7535

15,9341

Hieraus folgt unter Einbeziehung der steuerbaren Zigarettenmengen gemäß der Tabelle oben unter III.1 diese Steuerberechnung:

Fall

Steuerbare Menge (Stück)

Steuersatz (ct / Stück)

Steuer insgesamt in ct

1

8.072

15,7535

127.162,2520

2

7.984

15,7535

125.775,9440

3

7.720

15,7535

121.617,0200

4

7.324

15,7535

115.378,6340

5

7.764

15,7535

122.310,1740

6

8.468

15,9341

134.929,9588

7

7.104

15,9341

113.195,8464

8

7.764

15,9341

123.712,3524

Summe ct:

Summe €:

984.082,1816

9.840,82

4. Das funktionsfähige Springmesser stellt einen verbotenen Gegenstand i.S.d. § 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.4.1 und Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2.1.1 dar.

VI.

1. Die Strafrahmen für die Fälle der Steuerhinterziehung hat die Kammer § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO entnommen. Für die Annahme besonders schwerer Fälle, wie sie das Amtsgericht bejaht hat, sieht die Kammer nach Abwägung aller Umstände keine Grundlage. Insbesondere besteht der vom Amtsgericht gesehene Wertungswiderspruch nicht, der darin liegen sollte, dass der gewerbsmäßig handelnde Käufer der Zigaretten als Steuerhehler gemäß § 374 Abs. 2 Satz 1 AO härter bestraft werden würde als der gewerbsmäßig handelnde Steuerhinterzieher und Haupttäter, der die Zigaretten über die Grenze bringt und dann veräußert. Die Gewerbsmäßigkeit des Handelns beim Angeklagten ist nämlich schon nicht erwiesen. Selbst wenn er sich, wovon die Kammer auf der Grundlage der zitierten Chats überzeugt ist, die an die Dritten abgegebenen Zigaretten jedenfalls zum Teil hat bezahlen lassen, muss das nicht über einen Auslagenersatz (d.h. ohne Gewinnmarge) hinausgegangen sein. Der Strafrahmen für das Waffendelikt ist § 52 Abs. 3 WaffG zu entnehmen.

2. Bei der Ausfüllung der Strafrahmen hat die Kammer namentlich folgende Umstände berücksichtigt: Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer das zwar späte aber immerhin abgegebene Geständnis angesetzt. Weiter ist der Angeklagte nicht vorbestraft und schon gut vier Jahre durch das sich hinziehende Ermittlungs- und Strafverfahren belastet. Anders als das Amtsgericht hat sich die Kammer nicht von gewerbsmäßigem Handeln des Angeklagten überzeugen können. Der Angeklagte beging mithin uneigennützige Steuerhinterziehungen, bei denen seiner Steuerschuld keine diese aufwiegende Selbstbereicherung gegenüberstand. Zulasten des Angeklagten sprach der Umstand, dass die Steuerverkürzung insgesamt nicht unerheblich war sowie die in der wiederholten und planmäßigen Tatbegehung liegende kriminelle Energie. Zudem hat er durch sein Handeln weitere Personen, nämlich seine Abnehmer, in die Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder wegen Steuerhehlerei geführt.

Danach hält die Kammer unter Abwägung der genannten Umstände die Verhängung von folgenden Einzelstrafen für geboten: je vier Monate Freiheitsstrafe für jeden der acht Fälle der Steuerhinterziehung und 50 Tagessätze für das Waffendelikt. Dabei hielt die Kammer die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafen zur Einwirkung auf den Angeklagten für unerlässlich (§ 47 Abs. 1 StGB). Das begründet sich aus der Rolle, die der Angeklagte für seinen Freundes- und Bekanntenkreis in L. übernommen hat. Für diese Personen ist er zum Versorger mit billigen Zigaretten geworden, was ihm einerseits entsprechenden positiven Status in seinem Umfeld einbrachte, ihn andererseits aber unter Druck setzte, weiter für Nachschub zu sorgen. Diese Umstände, verbunden mit der erkennbar lockeren Haltung des Angeklagten zu den Steuergesetzen, machen es unerlässlich, einen hinreichend starken spezialpräventiven Gegenimpuls zu setzen, der nach Auffassung der Kammer nur in (der Drohung mit) dem Freiheitsentzug liegen kann, falls er weitermacht.

3. Aus den genannten Einzelstrafen bildete die Kammer unter nochmaliger Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten, die dem Gesamtbild von Tat und Täter angemessen sind (§ 54 StGB).

4. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe konnte gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Es ist zu erwarten, dass allein die ausgesprochene Verurteilung, der Eindruck des sich hinziehenden Strafverfahrens und die drohenden Zahlungspflichten nach Abschluss des schwebenden finanzgerichtlichen Verfahrens wegen der Steuerschulden dem Angeklagten als Warnung dienen und er in Zukunft auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird. Die Kammer hegt zudem die Erwartung, es werde dem Angeklagten zu denken geben, dass er durch sein Handeln lediglich den Abnehmern seiner Zigarettenlieferungen einen Vorteil verschafft hat, er selbst aber für die auf diesen Lieferungen lastende Tabaksteuer aufkommen und auch die Strafe auf sich nehmen muss, ohne den Tabak selbst geraucht zu haben. Mit anderen Worten: Es war nicht schlau, die Straftaten zu begehen, es wäre nicht schlau, damit weiterzumachen.

5. Einziehungsentscheidungen waren nicht zu treffen, nachdem sich der Angeklagte mit der formlosen Einziehung seines Mobiltelefons und eines Teils der sichergestellten Zigaretten (und erstinstanzlich bereits des Springmessers) einverstanden erklärt hatte. Die übrigen Zigaretten sind an den Angeklagten wieder herauszugeben. Mangels nachgewiesenen Verkaufserlöses in bestimmter Höhe konnte eine Wertersatzeinziehung insoweit nicht ergehen.

VII.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 StPO.

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