I. Der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 03.06.2022 wird aufgehoben.
II. Die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 30.11.2017 wird zur Bewährung ausgesetzt.
Die Bewährungszeit wird auf drei Jahre festgesetzt.
III. Der Beschwerdeführer wird dem örtlich zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfer unterstellt und angewiesen,
1. unverzüglich einen festen Wohnsitz zu begründen und dies unverzüglich schriftlich dem Gericht unter Angabe des obigen Aktenzeichens sowie auch jeden späteren Wohnungs- und Aufenthaltswechsel unverzüglich dem Gericht schriftlich mitzuteilen;
2. sich nach näherer Weisung des Bewährungshelfers bei diesem mindestens einmal und höchstens sechsmal im Quartal persönlich vorzustellen;
3. keine Betäubungsmittel im Sinne des BtMG oder NPSG zu konsumieren;
4. sich nach näherer Weisung des Bewährungshelfers mindestens einmal und höchstens dreimal im Quartal auf eigene Kosten Suchtmittelkontrollen, die nicht mit körperlichen Eingriffen verbunden sind, insbesondere Urinkontrollen zum Nachweis seiner Abstinenz zu unterziehen.
IV. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.
I.
Mit Urteil vom 30.11.2017, rechtskräftig seit 08.12.2017, verurteilte das Amtsgericht Nürnberg den Beschwerdeführer wegen versuchten und vollendeten Betrugs je in zwei Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Das Amtsgericht Bielefeld widerrief mit rechtskräftigem Beschluss vom 24.08.2020 die Strafaussetzung, weil der Beschwerdeführer zwischenzeitlich erneut straffällig geworden ist (nämlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Betrugs in 18 Fällen und versuchten Betrugs in 2 Fällen).
Im Weiteren wurde die Vollstreckung am 19.10.2021 nach § 35 BtMG zurückgestellt und die Anrechnung der in der Therapieeinrichtung nachgewiesenen Zeit auf die Strafe beschlossen, woraufhin der Beschwerdeführer eine Drogentherapie in der staatlich anerkannten Einrichtung S.-Klinik antrat. Die Aufenthaltszeit sollte nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG auf die Strafe angerechnet werden. Die Behandlung in der Klinik wurde vorzeitig am 13.04.2022 beendet.
Mit Beschluss vom 03.06.2022 entschied das Amtsgericht Nürnberg, die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht gem. § 36 BtMG zur Bewährung auszusetzen. Gegen den dem Beschwerdeführer am 08.07.2022 zugestellten Beschluss legte dessen Verteidiger mit Schriftsatz vom 10.07.2022, beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde ein, die er näher begründete. Sein Antrag ging dahin, den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und die Reststrafe des Beschwerdeführers zur Bewährung auszusetzen.
Die Staatsanwaltschaft beantragte,
die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 36 Abs. 5 Satz 3 BtMG) und auch sonst zulässig eingelegt. In der Sache hat sie Erfolg.
1. Die Reststrafenaussetzung gem. § 36 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 BtMG scheidet aus, weil zwei Drittel der Strafe noch nicht erledigt sind: Unter Anrechnung von 133 Tagen Therapie in der S.-Klinik, verblieben im Anschluss (ab dem 14.04.2022) noch 332 Resttage, d.h. 177 Tage bis zum Erreichen des Zwei-Drittel-Zeitpunkts. Dieser ist noch nicht erreicht.
2. Die Reststrafenaussetzung kann aber auf § 36 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 BtMG gestützt werden. Diese Vorschrift setzt nicht den Ablauf eines Mindestverbüßungszeitraums voraus. Dadurch soll vermieden werden, dass der Erfolg einer Therapie durch den anschließenden Vollzug der Strafe bis zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt wieder gefährdet wird (BayObLG, Beschluss vom 26.08.2020 - 204 VAs 298/20, juris Rn. 26 ff.). Vorausgesetzt wird lediglich, dass eine Behandlung in der Einrichtung nicht mehr erforderlich ist und die Aussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.
Die stationäre Entwöhnungstherapie als solche ist ausweislich der Bescheinigungen der S.-Klinik vom 26.04.2022, 02.03.2022 und 13.04.2022 regulär und erfolgreich beendet worden. Der Beschwerdeführer habe während der Behandlung Fortschritte erzielt und wirke in seiner Abstinenzentscheidung gefestigt; er erarbeite stabilisierende Maßnahmen zur Rückfallprophylaxe. Der von der Beschwerdekammer beim Verteidiger eingeholte Entlassungsbericht der Klinik belegt ergänzend, dass die während der Therapie regelmäßig durchgeführten Urin-Drogenscreenings und Atemalkoholkontrollen des Beschwerdeführers allesamt ohne Befund waren. Eine weitere Behandlung in der Einrichtung war mithin nicht mehr erforderlich. Weiterhin wurde vom Verteidiger des Beschwerdeführers eine Bescheinigung der Suchthilfe D. gGmbH vom 04.07.2022 vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer dort am selben Tag vorstellig geworden sei und wegen einer (weiteren) Therapievermittlung angefragt habe.
Allerdings werden dem Beschwerdeführer sowohl in dem Entlassungsbericht als auch in dem Schreiben der Klinik an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 26.04.2022 gewisse, in seiner Person bzw. in seinem Charakter wurzelnde Defizite bescheinigt, namentlich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, unzureichende Krankheitseinsicht, Defizite in der Selbststeuerung und eine schwere Beeinträchtigung der Beziehungsfähigkeit. Diese bereits vor der Zurückstellung nach § 35 BtMG vorhandenen Faktoren sind, jeder für sich und erst recht in ihrem Zusammenwirken, im Grundsatz geeignet, eine künftige Delinquenz zu begünstigen. Andererseits ist die hiesige Aussetzungsentscheidung insoweit durch die vorangegangene Zurückstellung der Strafvollstreckung (wenn auch nicht im strengen Wortsinn) präjudiziert, als eine Strafaussetzung schwerlich versagt werden kann, wenn - ohne dass weitere, neue Umstände hinzutreten - der Verurteilte die bei der Zurückstellung in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt hat und die Behandlung uneingeschränkt erfolgreich verlief, wie hier geschehen. Es wäre kaum vermittelbar und nicht zielführend, dem Beschwerdeführer zunächst unter Verzicht auf den Strafvollzug die Durchführung einer Drogentherapie zu ermöglichen, nach erfolgreichem Abschluss der Behandlung dann aber, ohne dass neue negative Gesichtspunkte hinzugetreten wären, auf eine weitere, den Therapieerfolg wieder gefährdende Strafverbüßung zu bestehen. Bei der Prognoseentscheidung kommt daher den sucht- und therapiebezogenen Umständen besondere Bedeutung zu (vgl. Kornprobst in MüKoStGB, 4. Aufl., § 36 BtMG Rn. 50 f.).
Letztere sprechen, wie ausgeführt, zugunsten des Beschwerdeführers. Den darüber hinaus gegebenen, auf seiner strafrechtlich relevanten Vorgeschichte und auf seiner schwierigen Persönlichkeitsstruktur beruhenden Hemmnissen, die einer uneingeschränkt positiven Sozialprognose entgegenstehen, kann nach Auffassung der Kammer durch die im Tenor dieses Beschlusses genannten Weisungen und Auflagen (§ 36 Abs. 4 BtMG mit §§ 56a bis 56d StGB) hinreichend begegnet werden. Die im Rahmen der durchgeführten Therapie nunmehr diagnostizierten Persönlichkeitsstrukturen geben nach Auffassung der Kammer jedenfalls keine neuen negativen Gesichtspunkte im Sinne des vorstehenden Absatzes ab, die eine grundsätzlich abweichende Prognoseentscheidung tragen würden. Vielmehr beschreibt und reflektiert die Diagnose lediglich auf fachmedizinischer und psychologischer Ebene das, was in den bisherigen Straftaten des Beschwerdeführers, wie sie insbesondere im Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 21.04.2020 angeführt werden, bislang zutage getreten ist und was bei der Zurückstellung nach § 35 BtMG bereits bekannt war.
3. Die Kammer hat im Hinblick auf eine vom Beschwerdeführer angestrebte weitere Therapie davon abgesehen, ihn anzuweisen, sich zur Stabilisierung seines Alltags umgehend um einen Arbeitsplatz zu kümmern, um hier einen möglichen terminlichen Konflikt zu vermeiden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 467 StPO.