Beschluss vom Landgericht Rostock (8. Große Strafkammer) - 19 Qs 97/07

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Anordnung zur Auskunftserteilung von Telekommunikationsverbindungsdaten mit Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 21.05.2007 (AZ: 34 Gs 795/07) rechtswidrig war.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

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Am 13.05.2007 gegen 23.00 Uhr stellten Herr und Frau N. fest, dass jeweils eine ihrer Windkraftanlagen in Diedrichshagen ausgefallen waren. Am 14.05.2007 kontrollierte Herr N. die Anlagen und musste feststellen, dass in beiden Anlagen die Kupferkabel im Turm gestohlen wurden. Nach Anzeige des Vorganges hatte die Polizei zunächst keinerlei Anhaltspunkte für die Identität der Täter.

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Mit Vermerk vom 16.05.2007 wurde festgestellt, dass im Rahmen der ersten Ermittlungen bekannt geworden sei, dass ebenfalls im Bereich der Polizeidirektion Neubrandenburg Windkrafträder angegriffen worden seien. Es sei ferner im Gespräch mit dem zuständigen Sachbearbeiter bekannt geworden, dass dort eine Funkzellenauswertung durchgeführt worden sei. Die näheren Hintergründe der dortigen Taten (Ort, Zeit, Vorgehensweise, Art der Beute ...) und der Ermittlungsstand sowie die bisherigen Ergebnisse der Funkzellenauswertung sind in dem Vermerk nicht dargelegt worden (vgl. Bd. I, Bl. 14 d.A.).

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Auf der Grundlage dieses Vermerks übersandte die Polizei die Akten über die Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht Rostock mit vorgefertigten Beschlussentwürfen. Eine zusätzliche Stellungnahme und gesonderter Antrag der Staatsanwaltschaft befindet sich nicht bei den Akten.

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Der Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht Rostock unterzeichnete mit Datum vom 21.05.2007 den vorgefertigten Beschluss. Der Beschluss lautet im vollen Text wie folgt:

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In dem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts des besonders schweren Diebstahls gem. § 243 StGB wird gemäß §§ 100g, h StPO angeordnet, dass jeder, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über sämtliche Telekommunikation zu geben, die am 13.05.2007 – 14.05.2007, 23.00 Uhr bis 09.00 Uhr innerhalb folgender Funkzelle (folgt Bezeichnung der Funkzelle für den Tatort) geführt wurde.

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Standorte (Cell-ID) aus den Funknetzen sind gegenüber der Strafverfolgungsbehörde offen zu legen.

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Diese Auskünfte sind für die Untersuchung von Bedeutung und kommen für das vorliegende Ermittlungsverfahren als Beweismittel in Frage.

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Auf der Grundlage des Beschlusses wurden Daten der Telekommunikationsdienstleistungsanbieter gesichert und ausgewertet. Ein Abgleich der Daten mit denen der Funkzellenauswertung aus Neubrandenburg ergab keine Ergebnisse. Nachdem aber der Beschuldigte aufgrund anderer Ermittlungsansätze festgenommen werden konnte, ergab ein Abgleich der in diesem Rahmen bekannt gewordenen, vom Beschuldigten verwandten Rufnummer mit der Abfrage der Funkzellen in Diedrichshagen, dass für diese Rufnummer Verbindungsdaten registriert wurden.

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Mit Datum vom 03.09.2007 legte der Beschuldigte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 21.05.2007 ein. Die Beschwerde wurde nicht weiter begründet.

II.

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1. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar wurde der Beschluss vom 21.05.2007 bereits vollzogen und die hierauf gründenden Maßnahmen haben sich erledigt. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht jedoch weiterhin in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann (vgl. Meyer-Goßner, 50. Aufl. StPO vor § 296 Rn 18a). Gerade die heimliche Überwachung und Erlangung von Telekommunikationsdaten stellt sich als eine solche Maßnahme dar, so dass auch nach deren Erledigung die Beschwerde zulässig ist und zwar mit dem Ziel, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme überprüfen zu lassen.

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2. Die Anordnung war nicht rechtmäßig, da sie den Anforderungen der §§ 100g, 100h I 2 StPO nicht genügte.

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a) Zunächst ist bereits fraglich, ob der Richtervorbehalt gem. §§ 100h I3, 100b I 1 StPO hinreichend beachtet worden ist.

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Der Vorbehalt richterlicher Entscheidung zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Richter können auf Grund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer ausschließlichen Bindung an das Gesetz die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren. Das gilt auch mit Blick auf die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebotene Abwägung der sich bei Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis gegenüberstehenden Rechtspositionen (vgl. BVerfG, 1 BvR 330/96 vom 12.3.2003, Absatz-Nr. 87, http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20030312_1bvr033096.html ). Die Abwägung hängt entscheidend von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Es ist die Aufgabe und Pflicht des Ermittlungsrichters, sich eigenverantwortlich ein Urteil zu bilden und nicht etwa die Anträge der Staatsanwaltschaft auf Übermittlung der Verbindungsdaten nach einer nur pauschalen Überprüfung einfach gegenzuzeichnen. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Schematisch vorgenommene Anordnungen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Die richterliche Anordnung des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen sich der Eingriff halten muss (vgl. BVerfG, 1 BvR 330/96 vom 12.3.2003, Absatz-Nr. 88).

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Zur Wahrung des Richtervorbehalts bedarf es also nicht allein irgendeiner richterlichen Entscheidung, sondern diese muss zumindest in groben Zügen die notwendige Einzelfallsprüfung erkennen lassen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 1. 8. 2002, NStZ 2003, 215 f.). Nur in Fällen, in welchen die Rechtmäßigkeit der Anordnung klar auf der Hand liegt und sich ohne weiteres aus den Akten, insbesondere aus dem Antrag der Staatsanwaltschaft ergibt, kann die richterliche Anordnung entsprechend knapp ausfallen. In Fällen, bei denen durch die Funkzellenauswertung gem. § 100h I 2 StPO im Zeitpunkt der Anordnung eine Vielzahl von nicht individualisierten Personen betroffen wird und nicht sicher ist, ob und wie viele dieser Personen überhaupt in Beziehung zu der Tat stehen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich die Eingriffsgrundlage und ihre Voraussetzungen der richterlichen Anordnung entnehmen lassen (vgl. LG Stade, StV 2005, 434 f.).

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Im Beschwerdeverfahren kann zwar im Regelfall eine ungenügende Begründung der Entscheidung des Ermittlungsrichters durch eine ausreichende ersetzt werden. Lässt die richterliche Erstentscheidung, auf deren Grundlage die Maßnahme bereits vollzogen wurde, eine Anwendung des geltenden Rechts auf den konkreten Einzelfall nicht erkennen, dürfte jedoch von einer fehlenden Ausübung des Richtervorbehalts und damit von einer nicht mehr zu heilenden Rechtswidrigkeit der Maßnahme auszugehen sein (vgl. Tentzel-Rothe/Wesemann, Anm zur o.g. Entsch. des LG Stade, StV 2005, 436).

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Der Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 21.05.2007 stellt eine schematische Anordnung einer Funkzellenauswertung dar, welche nicht in Ansätzen erkennen lässt, welche konkrete Straftat erheblicher Bedeutung Anlass der Maßnahme sein soll und ob die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn überhaupt geprüft wurde. Die Begründung umfasst einen offensichtlich vorformulierten Satz, welcher nicht einmal die gesetzlichen Anforderungen umreißt. Der Beschluss genügt damit eindeutig nicht den gesetzlichen Anforderungen.

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b) Es kann jedoch im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob bereits wegen der fehlerhaften Nichtausübung des Richtervorbehalts eine Rechtswidrigkeit der Maßnahme gegeben ist, da die dem Ermittlungsrichter unterbreitete Verdachts- und Beweislage die Anordnung der Maßnahme nicht vertretbar erscheinen ließ.

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aa) Zutreffend war noch die Annahme, dass der hinreichende Verdacht der Begehung einer erheblichen Straftat im Sinne der §§ 100g, 100h I 2 StPO vorlag. Zur Ausführung des Diebstahls der Kupferkabel wurde in Gebäude eingebrochen, so dass besonders schwere Fälle des Diebstahls im Sinne des § 243 I Nr. 1 StGB vorlagen. Zudem gab es Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Bandendiebstahl im Sinne des § 244 I Nr. 2 StGB handeln könnte. Der Schaden war sehr hoch, da durch den Ausfall der Anlagen täglich erhebliche Einnahmeausfälle zu erwarten waren. Ferner wurden weitere wichtige öffentliche Interessen, wie die Sicherheit der Energieversorgung und die der allgemeine Rechtsfrieden erheblich gefährdet.

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bb) Fraglich ist aber bereits die Geeignetheit der Maßnahme. Durch die Funkzellenauswertung sollten Daten beschafft werden, welche mit einer anderen Funkzellenauswertung verglichen werden sollten, um auf diese Weise übereinstimmende Daten zu erlangen, welche wiederum Rückschlüsse auf mögliche Täter geben sollten. Ein solcher Abgleich von Daten zweier Funkzellenauswertungen macht dann Sinn, wenn beide Auswertungen sich auf Orte und Zeiten beziehen, welche Tatkomplexe betreffen, die aus kriminalistischer Erfahrung in Beziehung gesetzt werden können. Wenn also im vorliegenden Fall die Funkzellenauswertung im Bereich der Polizeidirektion Neubrandenburg ähnliche Taten betraf, wie die in Diedrichshagen, könnte ein Abgleich geeignet sein, um Indizdaten zu erlangen. Um dies eigenständig bewerten zu können, muss dem Richter im Hinblick auf die andere Funkzellenauswertung zumindest in Grundzügen mitgeteilt werden, welche konkreten Taten Gegenstand der Ermittlungen waren, welche Orte und Zeiträume von der Auswertung betroffen waren und welche Daten gesichert werden konnten. Allein die Mitteilung, dass ein Angriff auf Windkraftanlagen stattgefunden habe und eine Funkzellenauswertung erfolgt sei, reicht zur Bewertung der Geeignetheit der Maßnahme nicht aus. Da die Rechtmäßigkeit der Anordnung aus der Sicht des Ermittlungsrichters zum Zeitpunkt der Entscheidung beurteilt werden muss, können die erst später zu den Akten gelangten Erkenntnisse, welche aber auch nur rudimentär niedergelegt sind, nicht berücksichtigt werden.

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cc) Die Maßnahme war aber jedenfalls nicht erforderlich im Sinne des § 100h I 2 StPO. Danach sind an die Erforderlichkeitsprüfung erhöhte Anforderungen zu stellen. Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, wenn andernfalls die Erforschung des Sachverhalts aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Voraus zu setzen ist somit, dass andere weniger grundrechtsbeeinträchtigende Ermittlungsansätze geprüft und bei Geeignetheit durchgeführt werden, soweit hierdurch nicht eine wesentliches Behinderung der Aufklärung einher gehen würde. Im vorliegenden Fall wurde die Anordnungen bereits zwei Tage nach der Anzeigenerstattung und dem Tatzeitpunkt getroffen. Zu diesem Zeitpunkt war gerade einmal der Tatort untersucht worden. Die naheliegende Anfrage bei Altmetallhändlern im Rostocker Raum, ob und wer Kupferdraht in größeren Mengen verkauft hatte, war noch nicht erfolgt. Durch eine solche Anfrage hätte zumindest in einem ersten Schritt der Kreis der von einer Funkzellenauswertung betroffenen Personen reduziert werden können. Ein Abgleich mit den Ermittlungen in anderen vergleichbaren Fällen war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht erfolgt. Eine Bewertung der Eingriffsvoraussetzungen war somit zum Zeitpunkt der Anordnung gar nicht möglich.

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Auch hier verbietet sich eine ex post-Betrachtung. Es ist somit nicht zu prüfen, ob andere zur Verfügung stehende Ermittlungsansätze tatsächlich später Erfolg hatten, sondern allein, ob zum Zeitpunkt der Anordnung ohne die Funkzellenabfrage die Erforschung des Sachverhalts aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

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dd) Da die Maßnahme bereits nicht erforderlich im Sinne des § 100h I 2 StPO war, erübrigt sich eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn.

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3. Keiner Entscheidung bedarf an dieser Stelle, ob die erlangten Daten für die weiteren Ermittlungen verwertbar sind. Das deutsche Strafverfahrensrecht geht nicht von vorneherein davon aus, dass rechtswidrig erlangte Ermittlungsergebnisse nicht verwertet werden dürfen (vgl. zur Durchsuchung: Meyer-Goßner, 50. Aufl. StPO § 94 Rn 21). Bei schweren Grundrechtsverletzungen ist jedoch im Regelfall von einem Verwertungsverbot auszugehen. So dürfen nach h.M. in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren Erkenntnisse aus einer rechtswidrig angeordneten Telefonüberwachung nicht als Beweismittel verwertet werden, insbesondere in Fällen, in denen es an einer wesentlichen sachlichen Voraussetzung für die Maßnahme fehlt (vgl. BGH Beschluss vom 1. 8. 2002, aaO S. 216; LG Stade aaO). Die Frage der Verwertbarkeit stellt sich aber erst nach im Rahmen des weiteren Verfahrens und ist dann von dem jeweiligen Rechtspflegeorgan zu bewerten, etwa nach Anklageerhebung durch das erkennende Gericht oder bei Haftentscheidungen durch den Haftrichter.

III.

24

Die Kosten des Verfahrens hat wegen des Erfolges der Beschwerde die Staatskasse zu tragen. Die Auslagenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 467 I StPO (vgl. Meyer-Goßner, 50. Aufl. StPO § 464 Rn 11a, 473 Rn 2).

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