Urteil vom Landgericht Schwerin (3. Zivilkammer) - 3 O 162/16

Tatbestand

1

Der Klaganspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

2

Mit der Klage macht die Klägerin gegenüber der Beklagten restliche Vergütungsansprüche für die technische Nachtragsbearbeitung - als direkte Kosten beim VOB/B-Vertrag - aus dem Bauvorhaben „BAB A 19, grundhafter Ausbau Km 104,25 bis 106,00; einschließlich Ersatzneubau der Brücke für die DB Netz AG bei K. Km 104,974“ geltend.

3

Unter dem 04.12.2009 (vgl. Anlage K 1, Bl. 26 ff. d. A.) forderte die Beklagte, endvertreten durch das S., die Klägerin zur Abgabe eines Angebotes für die erforderlichen Bauleistungen in einem offenen Vergabeverfahren auf. Da die Klägerin der Beklagten das wirtschaftlichste Angebot unterbreitete, erhielt sie, unter Einbeziehung der Regelungen der Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B), den Zuschlag. Die im Langtextleistungsverzeichnis im Einzelnen detailliert beschriebenen Leistungen wurden klägerseitig ordnungsgemäß erbracht. Neben den hierin enthaltenen Leistungen waren zahlreiche geänderte und zusätzliche Leistungen erforderlich, für die die Beklagte Nachtragsangebote abforderte und deren hierin beschriebene Leistungen nach Aufforderung von der Beklagten durch die Klägerin ausgeführt wurden. Die Beklagte nahm die klägerseitig erbrachten Leistungen ab. Die Abrechnung erfolgte zunächst mit Schlussrechnung vom 09.08.2012. Die Beklagte teilte der Klägerin ihr Prüfergebnis mit Schreiben vom 09.10.2012 (vgl. Anlagenkonvolut K 2, Bl. 30 ff. d. A.) mit. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 25.10.2012 (vgl. Anlage K 3, Bl. 61 d. A.) einen Vorbehalt ein, den sie unter dem 05.12.2012 (vgl. Anlage K 4, Bl. 62 ff. d. A.) begründete. In der Folgezeit führten die Parteien diverse Abrechnungsgespräche, setzten sich also inhaltlich mit den von der Klägerin noch geltend gemachten offenen Vergütungsansprüchen auseinander. Auf der Grundlage der so geführten Gespräche stellte die Klägerin ihre Ansprüche mit aktualisierten bzw. fortgeschriebenen Rechnungen in Rechnung, so unter dem 02.08.2013, 27.02.2014, 04.06.2014 und 18.09.2016.

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Dem geprüften Rücklaufexemplar der 4. Restforderung (vgl. Anlage K 8, Bl. 79 ff. d. A.) ist zu entnehmen, dass die Beklagte zwar noch Zahlungen auf einzelne Leistungen der schon in der Schlussrechnung enthaltenen Positionen vorgenommen, insbesondere aber die „technische Bearbeitung der Nachtragsleistungen A 19“, also die OZ 90.35.0100 (netto 7.809,00 €) und die OZ 90.37.0010 (netto 139.164,30 €) auf null gesetzt, also deren Bezahlung verweigert hat.

5

In dem Schreiben vom 27.10.2014 heißt es u. a.:

6

„Zu den gestrichenen Positionen „Stoffpreisgleitklausel Stahl“ und „technische Bearbeitung der Nachtragsleistungen“ liegt kein Erkenntnisgewinn vor. Alle übrigen Positionen wurden bereits vergütet. Weitere Zahlungen können daher nicht geleistet werden“.

7

Die Parteien streiten noch über die Vergütung der Positionen OZ 90.35.0100 und OZ 90.37.0010. Während die OZ 90.35.0100 die technische Bearbeitung für die Leistungen des Nachtrages 35 „Zusätzlicher Pfahlanschluss an das Fundament“ betrifft, ist unter der OZ 90.37.0010 die technische Bearbeitung für sämtliche übrigen Nachträge, also für die von der Beklagten bei jenem Bauvorhaben beanspruchten, geänderten und zusätzlichen Leistungen, zusammengefasst.

8

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Leistungen der technischen Bearbeitung der Nachträge seien unmittelbar den Nachtragsleistungen selbst zuzuordnen, so dass Anspruchsgrundlage für die technische Bearbeitung der Nachträge stets die Anspruchsgrundlage des jeweiligen Nachtrages selbst sei, also §§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 5 oder §§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 4 oder 2 Abs. 9, gegebenenfalls auch § 2 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B. Dem Vergütungsanspruch für die technische Bearbeitung der Nachträge könne auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, das ausgearbeitete Angebote über noch auszuführende Leistungen regelmäßig unentgeltlich seien, wie dies aus § 632 Abs. 3 BGB geschlossen werden könnte. Die Sach- und Rechtslage sei nämlich bei einem VOB/B-Vertrag, wie vorliegend, nicht mit der bei einem BGB-Werkvertrag bzw. bei rein zivilrechtlichen Anbahnungsverhältnissen vergleichbar. Bei Vorliegen eines VOB/B-Vertrages sei der Unternehmer vertraglich verpflichtet, die vom Auftraggeber angeordnete, geänderte bzw. zusätzliche Leistung auszuführen. Der Unternehmer könne bei einem VOB-B-Werkvertrag nicht frei darüber entscheiden, Aufwand zu investieren. „Kehrseite“ des Anordnungsrechts und der Verpflichtung zur Leistungserbringung sei dann das Recht, für sämtliche hiermit verbundenen Aufwendungen und Leistungen, also auch diejenigen, die der technischen Leistung zwangsläufig vorher- oder damit einhergehen, eine Vergütung zu beanspruchen. Dies gelte insbesondere, wenn, wie vorliegend, der mit einem Nachtrag verbundene Aufwand über den Aufwand hinausgehe, der bei unveränderter Leistungserbringung angefallen wäre. In einem solchen Fall seien die mit dem Nachtrag in Zusammenhang stehenden Aufwendungen auch nicht mit den allgemeinen Zuschlägen für die baustellenbezogenen Gemeinkosten oder für die allgemeinen Geschäftskosten, mit denen die vertrags- bzw. sonstigen zusätzlichen/geänderten Leistungen versehen werden, abgegolten.

9

Zur Höhe würden sich die geltend gemachten Kosten wie folgt ergeben:

10

a)
OZ 90.35.0100

11

- Kosten für den Einsatz des Projektleiters für 0,176 Monate, bei einem Monatsansatz von 11.105,00 €

1.954,48 €,

                 

- Kosten für den zusätzlichen Einsatz eines Bauleiters für 0,047 Monate, bei einem Monatsansatz von 9.830,00 €

462,01 €,

                 

- Kosten für das zusätzliche Vertragsmanagement für 0,265 Monate, bei einem Monatsansatz von 15.000,00 €

3.975,00 €,

                 

- Kosten für die Nachtragskalkulation

435,00 €.

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Eine pauschale Abgeltung der Nachtragsbearbeitungskosten über Baustellengemeinkosten sei nicht erfolgt. Dies sei auch nicht möglich, da die Kosten zum Zeitpunkt der Kalkulation der Baustellengemeinkosten bei Angebotsabgabe nicht bekannt waren/sind.

13

Leistungen, die von den Kosten umfasst seien, bestünden in der Grundlagenermittlung für die durchzuführende Nachtragsleistung, d. h. die Abstimmung mit der Beklagten und weiteren Beteiligten über Art und Umfang der geforderten Zusatzleistung, Abklärung der Örtlichkeiten, Zuwegung und Transportmöglichkeiten sowie Klären von technischen Fragen zum Auftragsinhalt, Überlegung von Durchführungsalternativen, Abstimmung mit Ausführungsplanern und Nachunternehmern.

14

Weiterhin umfassten die Kosten die Durchführung der baubetrieblichen Planung für die Einordnung der Nachtragsleistungen in den Bauablauf, Erarbeitung und Zusammenstellen von Dokumentationsunterlagen zur Aufstellung und Kalkulation des Nachtrages, Auswertung der Vertragsunterlagen, Bewertung und Beschreibung der Anspruchsgrundlage und Darstellung der Vertragsabweichung durch Abgleich von Ist-Leistung mit der Soll-Leistung. Schließlich sei auch die Auswertung des nachtragsrelevanten Schriftverkehrs erfasst. Diese Kosten seien ausdrücklich nicht bereits von den Leistungspositionen 90.35.0050, 90.35.0060, 90.35.0070, 90.35.0080 und 90.35.0090 abgegolten, da sie sich von Art und Umfang - entsprechend der Beschreibung im Leistungsverzeichnis - unterscheiden würden. Die Leistungen seien auch vertragsgemäß erbracht worden. Sie wären erforderlich und angemessen.

15

b)
OZ 90.37.0010

16

Die Beklagte habe von der Klägerin gefordert, ihre Ansprüche, die aus der technischen Nachtragsbearbeitung resultierten, in einem gesonderten Nachtrag zu regeln. Damit seien die in den Nachträgen 2 bis 9, 11 bis 14, 19 - 21, 23, 24, 26 bis 34 und 36 beanspruchten und einzelbegründeten Positionen der technischen Nachbearbeitung herausgenommen und im Nachtrag 37 vereint worden. Diese Nachträge würden sich im Einzelnen auf die Inhalte entsprechend der Anlage 7.1 zu Anlage K 10 beziehen. Dazu seien beispielhaft der Nachtrag 2 „Abbruch Widerlager“, Nachtrag 8 „Rückverankerung des Trägerbohlverbaus“, Nachtrag 13 „Lieferung und Einbau Kalottenlager“, Nachtrag 14 „Lagereinbau“, Nachtrag 19 „Herstellung einer normgerechten Gradiente 1“, Nachtrag 33 „Mehrkosten Abbruch Widerlager“ und Nachtrag 34 „Herstellung einer normgerechten Gradiente 2“ genannt. Im Einzelnen würden sich folgende Kosten ergeben:

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- Kosten für den Einsatz des Projektleiters für 4,041 Monate bei einem Monatsansatz von 11.105,00 €

44.875,31 €,

                 

- Kosten für den zusätzlichen Einsatz des Bauleiters für 0,818 Monate bei einem Monatsansatz von 9.830,00 €

8.040,94 €,

                 

- Kosten für das zusätzliche Vertragsmanagement für 3,938 Monate bei einem Monatsansatz von 15.000,00 €

59.070,00 €,

                 

- Kosten für die Nachtragskalkulation

8.025,00 €,

                 

- Abstimmung mit dem klägerischen Bauleiter zur Bestimmung des Leistungs-Ist

300,00 €,

                 

- Kosten, die beim Ingenieurbüro G. entstanden sind, für die Fortschreibung des Bauablaufplanes unter Berücksichtigung der Nachtragsleistungen

1.395,28 €.

18

Leistungen, die von den Kosten umfasst seien, bestünden in der Grundlagenermittlung für die durchzuführende Nachtragsleistung, d. h. die Abstimmung mit der Beklagten und weiteren Beteiligten über Art und Umfang der geforderten Zusatzleistung, Abklärung der Örtlichkeiten, Zuwegung und Transportmöglichkeiten sowie Klären von technischen Fragen zum Auftragsinhalt, Überlegung von Durchführungsalternativen, Abstimmung mit Ausführungsplanern und Nachunternehmern. Weiterhin umfassten die Kosten die Durchführung der baubetrieblichen Planung für die Einordnung der Nachtragsleistungen in den Bauablauf, Erarbeitung und Zusammenstellen von Dokumentationsunterlagen zur Aufstellung und Kalkulation des Nachtrages, Auswertung der Vertragsunterlagen, Bewertung und Beschreibung der Anspruchsgrundlage und Darstellung der Vertragsabweichung durch Abgleich von Ist-Leistung mit der Soll-Leistung. Schließlich seien auch die Kosten für die Auswertung des nachtragsrelevanten Schriftverkehrs erfasst. Die Leistungen seien von der Klägerin auch vertragsgemäß erbracht worden. Dabei sei die Nachtragserstellung durch das Bauleitpersonal durch Mehrarbeitszeit erbracht worden. Die sogenannte „stille“ Reserve sei bei den genannten Kosten bereits in Abzug gebracht worden.

19

Die Leistungen seien erforderlich und angemessen gewesen.

20

Die Klägerin beantragt,

21

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 174.898,23 € zuzüglich Zinsen hierauf in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2012 zu zahlen.

22

Die Beklagte beantragt,

23

die Klage abzuweisen.

24

Die Beklagte bestreitet den Anspruch nach Grund und Höhe.

25

Sie vertritt die Auffassung, dass bereits dem Grunde nach nicht ersichtlich sei, auf welcher Rechtsgrundlage die Klägerin ihre Ansprüche stützen könnte. In Ermangelung einer individualvertraglichen Absprache über eine etwaige Vergütungspflicht bleibe es bei dem Grundsatz des § 632 Abs. 3 BGB, wonach derartige Kostenanschläge nicht zu vergüten seien. Darüber hinaus werde bestritten, dass die entsprechenden Nachtragsbearbeitungskosten tatsächlich in der geltend gemachten Höhe angefallen seien. Ferner werde bestritten, dass die behaupteten Leistungen tatsächlich erbracht wurden und die zeitwertbasiert abgerechneten Leistungen einer wirtschaftlichen Ausführung entsprachen bzw. in dem konkreten Umfang angemessen und erforderlich waren. Hinsichtlich der Nachtragsbearbeitungskosten gemäß OZ 90.3501100 des Nachtrages 35 sei auch darauf zu verweisen, dass die Kosten der technischen Bearbeitung durch eine nicht näher dargelegte Fortschreibung der Baustellengemeinkosten berechnet worden seien. Diese undifferenzierte Herangehensweise sei jedoch nicht zulässig, denn die zeit- und leistungsvariabel entstehenden Baustellengemeinkosten würden nach allgemeiner baubetrieblicher Auffassung nicht als Gemeinkosten, sondern allenfalls als Quasi-Einzelkosten der Teilleistung der Nachtragsleistung behandelt. Eine pauschale Abgeltung von Nachtragsbearbeitungskosten über die (fortgeschriebenen) Baustellengemeinkosten sei damit falsch und unzulässig. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass mit den OZ 90.35.50, 90.35.60, 90.35.70, 90.35.80 und 90.35.90 des Nachtrages 35 nachtragsbezogene technische Bearbeitungskosten, Bauleistungskosten, Plankoordinationskosten, Prüfkosten und Planungskosten in erheblicher und überobligatorischer Höhe von der Klägerin abgerechnet und von der Beklagten auch bezahlt worden seien. Es sei daher zu bestreiten, dass von der Klägerin über die mit vorgenannten OZ abgerechneten Leistungen hinaus weitere nachtragsbezogene Leistungen erbracht bzw. weiterer Kosten bzw. Nachtragsbearbeitungskosten entstanden seien. Vergleichbares gelte hinsichtlich der mit dem Nachtrag 37 geltend gemachten weiteren Nachtragsbearbeitungskosten. Zudem werde bestritten, dass die in den Anlagen 7.2 bis 7.4 der Anlage K 10 dargestellten Leistungen erbracht wurden, ausschließlich der streitgegenständlichen Nachtragsbearbeitung dienten, für die Nachtragsbearbeitung erforderlich waren und einer wirtschaftlichen Ausführung entsprachen. Insbesondere werde bestritten, dass die Bearbeitung der entsprechenden Nachträge einen Zeitaufwand von 736 Stunden in der Projektleitung und 283 Stunden in der Bauleitung verursacht habe. Ferner werde bestritten, dass darüber hinaus weitere 760,5 Stunden in der Abteilung Vertragsmanagement anfielen. Umgerechnet auf einen normalen Arbeitstag würde dies letztlich bedeuten, dass allein diese Nachtragsbearbeitung insgesamt mehr als 222 Arbeitstage, also nahezu ein gesamtes Kalenderjahr, erfordert hätte. Ein solcher Aufwand erscheine eher fernliegend. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin auf Seite 9 ihres Nachtrages 37 (vgl. Anlage K 10) selbst ausgeführt habe, dass bei ihrer entsprechenden Betrachtung „ggf. eine Baustellengemeinkostenbilanz für das gesamte Projekt zu führen ist, wobei auszuwerten sein wird, inwieweit sich die Baustellengemeinkosten kalkulatorisch bereits bauzeitbezogen und/oder durch Aufwendungen für die Realisierung zusätzlicher oder geänderter Leistungen erhöht haben und nunmehr eine weitere Erhöhung der Baustellengemeinkosten durch die Nachtragsbearbeitung besteht“. Folglich sei die Klägerin selbst der Auffassung, dass sie ihren vermeintlichen Vergütungsanspruch nicht zutreffend bzw. baubetrieblich richtig ermittelt habe.

26

Unabhängig davon seien nach Auffassung der Beklagten alle theoretisch denkbaren Ansprüche der Klägerin ohnehin bereits verjährt. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 09.10.2012 bereits erklärt, im vorliegenden Vertragsverhältnis keine weiteren Zahlungen zu leisten. Die 3-jährige Verjährungsfrist habe daher zum 31.12.2015 geendet.

27

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

28

Die Klage ist zulässig und dem Grunde nach gerechtfertigt.

29

Die Einrede der Verjährung durch die Beklagte greift vorliegend nicht. Zwar ist es zutreffend, dass die Beklagte unter dem 09.10.2012 (vgl. Anlage K 2, Bl. 30 d. A.) weitere Zahlungen ablehnte. Die Parteien haben sich jedoch nachfolgend bezüglich etwaiger weiterer Ansprüche der Klägerin nach dem insoweit unstreitigen Vortrag in diversen Abrechnungsgesprächen befunden. Aufgrund aktualisierter bzw. fortgeschriebener Rechnungen vom 02.08.2013, 27.02.2014 und 04.06.2014 sind von der Beklagten weitere Zahlungen geleistet worden. Erst unter dem 27.10.2014 (vgl. Anlage K 8, Bl. 79 d. A.) ist mitgeteilt worden, dass hinsichtlich der technischen Bearbeitung der Nachtragsleistungen kein Erkenntnisgewinn vorliegen würde und weitere Zahlungen daher nicht geleistet werden. Das Schreiben ist bei der Klägerin am 30.10.2014 eingegangen. Unter Berücksichtigung von §§ 203, 209 BGB waren etwaige Ansprüche der Klägerin weder bei Beantragung des Mahnbescheides noch bei Eingang der Anspruchsbegründung am 19.08.2016, unter Berücksichtigung der regelmäßigen Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB, verjährt. Zudem kommt auch ein Neubeginn der Verjährung gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB in Betracht.

30

Was Nachbearbeitungskosten sind, ob, in welchem Umfang und auf welcher Rechtsgrundlage sie erstattungsfähig sind, ist in der Literatur umstritten. Eine gefestigte Rechtsprechung scheint zu dieser Problematik nicht gegeben.

31

Eine gesetzliche Definition zum Begriff „Nachtragsbearbeitungskosten“ gibt es nicht. Nach allgemeinem Verständnis in der Literatur werden Aufwendungen erfasst, die der Auftragnehmer tätigt, um dem Auftraggeber ein Angebot zur Leistungsänderung/-erweiterung vorlegen zu können. Es geht dabei um den Kostenaufwand, der im Zusammenhang mit der Bearbeitung einer Bausoll-/Bauist-Abweichung anfällt. Der Begriff der Nachtragsbearbeitung umfasst den gesamten Planungs-, Koordinierungs- und Kalkulationsaufwand, der für die Ausführung der geänderten und zusätzlichen Leistungen erforderlich ist. Kosten, die in diesem Zusammenhang entstehen, sind Nachtragsbearbeitungskosten. Dies schließt den Aufwand für die Berechnung und Erfassung der Kosten der geänderten und zusätzlichen Leistungen ein (vgl. Marbach, BauR 2003, 1794).

32

Nach der Einführung von § 632 Abs. 3 BGB sind „Nachtragsbearbeitungskosten“ beim BGB-Werkvertrag im Zweifel nicht zu vergüten, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um qualifizierte Arbeiten handelt, die z. B. auch Zeichnungen und Massenberechnungen enthalten (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1998, 309; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1986, 931). Da es beim BGB-Werkvertrag dem Auftragnehmer freisteht, ob und welche Kosten, auch „Nachtragsbearbeitungskosten“ er auslöst und der damit auch freiwillig und bewusst in Vorlage tritt, scheint dieses Ergebnis sachgerecht. Vorliegend haben die Parteien jedoch einen Vertrag geschlossen, der die VOB/B einbezieht. Gemäß § 1 Abs. 3 VOB/B ist der Auftragnehmer verpflichtet, angeordnete Änderungen des Bauentwurfs umzusetzen und im Rahmen des Anordnungsrechts nach § 1 Abs. 4 VOB/B auch Leistungen zu erbringen, die nicht vereinbart sind.

33

Im Schrifttum werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, ob dem Werkunternehmer dann „Nachtragsbearbeitungskosten“ zustehen. Nach einer Auffassung soll der Auftragnehmer Ansprüche aus § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B herleiten können. Dies wird damit begründet, dass bei Kalkulation des ursprünglichen Angebots Zuschläge für Gemeinkosten und allgemeine Geschäftskosten zwar eingerechnet sind, aber nur unter Ansatz der ausgeschriebenen Leistung. Sofern der Auftraggeber in den vereinbarten Leistungsumfang durch Ergänzungs- und Zusatzbeauftragung eingreift, sollen dadurch entstehende Kosten grundsätzlich vergütungspflichtig sein (vgl. Marbach, BauR 2003, 1794; Duve/Richter, BauR 2007, 1490). Nach einer anderen Auffassung soll danach differenziert werden, ob es sich um „echte“ Mehrkosten handelt. Danach sollen externe Nachbearbeitungskosten, wie z. B. Gutachterkosten oder die Kosten eines externen Architekturbüros für die Aufstellung von Leistungsverzeichnissen etc, grundsätzlich über § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B geltend gemacht werden können (Kapellmann/Messerschmidt, § 2 VOB/B Rn. 225). Für interne Kosten soll dies nach vorstehender Auffassung nur dann gelten, wenn konkret „zusätzliche“ Kosten nachgewiesen werden. Dies soll z. B. dann der Fall sein, wenn Personal Überstunden leistet, um die Nachtragsbearbeitung zu erledigen oder eigens dafür mehr Personal beschäftigt wird. Allerdings soll der Auftragnehmer den Mehraufwand dokumentieren müssen. Auch ohne konkreten Nachweis von Mehraufwand werden Erleichterungen vertreten und z. B. die Grenze einer Vergütungsverpflichtung mit 5 % der Auftragssumme angenommen (vgl. Kapellmann/Schiffers, Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen im Bauvertrag, Bd. I, 5. Aufl. 2006, Rn. 1109, 1099). Es werden auch Auffassungen dahingehend vertreten, dass ein bestimmtes Pensum an Nachtragsarbeitsaufwand der Beauftragung auf der Grundhöhe der VOB/B wegen der Eingriffsrechte des Auftraggebers immanent seien und damit zwangsläufig mit dem Ursprungsangebot eine entsprechende Kalkulation vorzunehmen ist. Noch andere Auffassungen gehen dahin, dass für „Nachtragsbearbeitungskosten“ jedenfalls keine Vergütung über § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B verlangt werden kann, weil dieser Aufwand aufgrund der Anordnungsrechte des Auftraggebers aus § 1 Abs. 3, Abs. 4 VOB/B für den Auftraggeber grundsätzlich voraussehbar und jedenfalls in gewissem Umfang in die allgemeinen Geschäftskosten (AGK) einkalkuliert werden müsse (vgl. Krebs/Schuller, BauR 2007, 636; Althaus/Heindl, Der öffentliche Bauauftrag 2011, Rn. 234).

34

Bei größeren Bauvorhaben, wie vorliegend, kann der Aufwand, den der Unternehmer im Rahmen der Nachtragsbeauftragung zu leisten hat, beträchtlich sein.

35

Vor diesem Hintergrund gelangt offensichtlich das OLG Düsseldorf (NZ Bau 2012, 366) zu der Auffassung, dass grundsätzlich Ansprüche auf „Nachtragsbearbeitungskosten“ in Betracht kommen können. Auch das OLG Celle (vgl. Baurecht 2009, 191) diskutiert zumindest die Problematik vor dem Hintergrund, ob externer Aufwand aus Sicht eines verständigen Auftragnehmers in Anspruch genommen werden durfte, um Nachtragsvergütung bzw. Behinderungsfolgen gutachterlich zu bewerten und verweist insoweit auf mögliche Ansprüche aus § 2 Abs. 5 VOB/B.

36

Das Gericht vertritt für den Fortgang des Verfahrens die Auffassung, dass „Nachtragsbearbeitungskosten“ nicht durch die Gemeinkostenzuschläge der Auftragskalkulation vergütet sind und/oder von Anfang an ein solcher, gegebenenfalls zu schätzender Aufwand im Rahmen der allgemeinen Geschäftskosten zu berücksichtigen ist. Dabei ist beachtlich, dass die Nachtragsbearbeitung regelmäßig durch das Baustellenleitungspersonal erbracht wird. Dabei entstehen Gehaltskosten der Baustellenleitung gemischt zeit- und leistungsvariabel (Drittler, Nachträge und Nachtragsprüfung, 2010, Rn. 361). Es ist ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Leitungsaufwand mit dem Umfang der Bauleistung ansteigt. Ändert sich die Leistung, hat der Auftragnehmer hierfür regelmäßig keine Gemeinkosten kalkuliert. Sie sind demzufolge auch nicht auf einzelne Positionen/Teilleistungen umgelegt (Duve/Richter, BauR 2007, 1490).

37

Das Gericht vertritt im Weiteren die Auffassung, dass zeit- und leistungsvariabel entstehende Baustellengemeinkosten, zu denen die Kosten der Bauleitung gehören, im Rahmen der Nachtragskalkulation baubetrieblich nicht als Gemeinkosten, sondern als Quasi-Einzelkosten der Teilleistung der Nachtragsleistung zu behandeln sind. Eine entsprechende Behandlung, wie von Drittler vertreten und von Rechtsanwälten Dr. Jahn und Dr. Klein aufgenommen (vgl. NZ Bau 8/13, 473 ff., der konkret auf die Bausoll-Bauist-Abweichung zurückliegenden Kosten scheint dadurch gerechtfertigt, dass diese Kosten mit der Verursachung durch eine bestimmte geänderte/zusätzliche Leistung ihren Gemeinkostencharakter verlieren.

38

Bei einer, wie vorliegend, isolierten Nachtragsposition „Nachtragsbearbeitungskosten“, können mithin die Einzelkosten der Teilleistung in Form der anteiligen Preis-Kostenansätze für das Bauleitungspersonal fortgeschrieben werden, soweit sie für die Nachtragsbearbeitung angefallen sind.

39

Das Gericht hat Grundurteil gemäß § 304 ZPO erlassen, da die Höhe des Anspruchs noch der Aufklärung bedarf. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass der Anspruch nicht zur vollen Höhe schlüssig dargelegt ist. Soweit eine Bezifferung im klägerischen Schriftsatz vom 02.03.2017 vorgenommen wurde, erreicht die Bezifferung nicht die Höhe des Klagantrages. Dies rechtfertigt aber, unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen, keine Abweisung der Klage in Gänze. Die Voraussetzungen für ein Grundurteil liegen vor. Die Klage ist zulässig. Der Klageanspruch enthält einen bezifferten Anspruch. Der Anspruch ist nach Grund und Höhe streitig. Der Streit über den Grund ist entscheidungsreif. Soweit es die Schlüssigkeit der Klage betrifft, ist es erforderlich aber auch genügend, dass der geltend gemachte Anspruch auch unter Berücksichtigung der Einwendungen gegen ihn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Auflage, Rn. 6 zu § 304 m. w. N.).

40

Da die Höhe des Anspruchs noch der Aufklärung, gegebenenfalls ergänzender Darlegung und voraussichtlich einer mehrstufigen Beweisaufnahme, bedarf und der Anspruchsgrund als auch dessen Umfang streitig sind, war es zulässig und sachgerecht, vorliegend ein Grundurteil zu erlassen.

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