Urteil vom Landgericht Stendal (3. Zivilkammer) - 23 O 122/13

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, gegenüber dem Kläger die Freigabe des von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, Wasser- und Schifffahrtsamt Magdeburg, hinterlegten Sicherungseinbehaltes beim Amtsgericht Magdeburg zum Aktenzeichen HL 314/12 in Höhe von 5.519,79 € für die Umbaumaßnahmen aus dem Bezirk Tangermünde, Los 2, Rohbauarbeiten für das Wasser- und Schifffahrtsamt Magdeburg, Fürstenwaldstraße 19/20, 39104 Magdeburg zu bewilligen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 6.500,00 € vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf 5.519,79 €.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Freigabe eines bei dem Amtsgericht Magdeburg hinterlegten Geldbetrages in Höhe von 5.519,79 €.

2

Die Firma Einzelfirma AA (jetzige Firma des Klägers) führte im Jahr 2011 einen Auftrag für das Schifffahrtsamt Magdeburg aus. Die Arbeiten wurden am 30.03.2011 abgeschlossen. Die Schlussrechnungsprüfung erfolgte im Mai 2011. Der damalige Vertrag sah wahlweise eine Sicherheitsstellung durch Sicherungseinbehalt oder Bürgschaft vor. Damals wurde die Sicherheit durch Sicherungseinbehalt in Höhe der Klageforderung geleistet. Inhaber der Firma Einzelfirma AA war zu diesem Zeitpunkt die Ehefrau des Klägers.

3

Über das Vermögen des Klägers wurde am 15.04.2004 zum Aktenzeichen des Amtsgerichts Stendal 7 IN../.. das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestimmt.

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Während der Laufzeit des Insolvenzverfahrens schlossen der Kläger und seine Ehefrau am 20.06.2011 einen Unternehmensüberlassungsvertrag, wodurch der Kläger die Firma Einzelfirma AA übernahm. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K 3 zur Klageschrift (Blatt 8 der Akte) Bezug genommen. Am 23.06.2011 meldete der Kläger ein Gewerbe für Straßenbau u. a. an.

5

Mit Schreiben vom 01.11.2011 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er hinsichtlich der selbständigen Tätigkeit eine „modifizierende Freigabe“ erkläre. Dies bedeute, dass er über die Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit frei verfügen könne, ohne dass die Masse des Insolvenzverfahrens belastet wird. Im Gegenzug müsse er die pfändbaren Beträge nach einem fiktiven Gehalt an den Beklagten abführen. Wegen des Inhalts und Wortlautes wird auf die Anlage K 7 zum Schriftsatz vom 17.05.2013 des Klägers (Blatt 55 der Akte) Bezug genommen. Unstreitig leistete der Kläger in der Folgezeit keine Zahlungen aufgrund des fiktiven Gehaltes an den Beklagten.

6

In der Folgezeit konnte der Kläger gegenüber dem Schifffahrtsamt Magdeburg eine Bürgschaft als Austauschsicherheit stellen, so dass Letzteres einen Betrag in Höhe von 5.519,79 € (der ursprünglich einbehaltene Sicherungseinbehalt) zur Auszahlung an den Kläger bereitstellte.

7

Wegen dieses Betrages machte der Beklagte Ansprüche für die Insolvenzmasse geltend. Aus diesem Grund hinterlegte das Schifffahrtsamt Magdeburg am 01.10.2012 den Betrag beim Amtsgericht Magdeburg zum Aktenzeichen HL 314/12 zugunsten beider Parteien.

8

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Insolvenzmasse an dem hinterlegten Betrag aufgrund der Freigabeerklärung des Beklagten (Anlage K 7) kein Recht zustünde. Im Übrigen behauptet er, dass das fiktive pfändbare Einkommen durch den Beklagten zu hoch berechnet wurde. Solche Einkünfte erziele der Kläger mit seiner Selbständigkeit nicht. Im Übrigen vertritt der Kläger die Auffassung, dass aus der Regelung des § 35 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO kein eigener Anspruch des Insolvenzverwalters erwachsen würde.

9

Der Kläger beantragt,

10

wie erkannt zu entscheiden.

11

Der Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Er ist der Auffassung, dass der hinterlegte Betrag der Insolvenzmasse zustehe, da der Beklagte die Bedingung für die Freigabe nicht erfüllt habe. Hilfsweise stehe dem Kläger die Freigabe des Betrages nur Zug-um-Zug gegen Zahlung der von dem Beklagten festgesetzten pfändbaren Beträge zu.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zustimmung des Beklagten zur Freigabe des hinterlegten Betrages. In der Rechtsprechung ist es anerkannt, dass Anspruchsgrundlage im sogenannten Prätendentenstreit § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alternative BGB ist (Vgl. exemplarisch: BGH, Urteil vom 13.11.1996, Az.: VIII ZR 210/95, Rdn. 10, zitiert nach Juris).

15

Nach der zitierten Norm ist Derjenige, der wer auf sonstige Weise etwas auf Kosten eines Anderen ohne rechtlichen Grund erlangt, diesem zur Herausgabe verpflichtet.

I.

1.

16

Der Beklagte hat vorliegend ein Anwartschaftsrecht an dem hinterlegten Betrag in Höhe von 5.519,79 € erlangt, da das Schifffahrtsamt Magdeburg den Betrag auch zugunsten des Beklagten hinterlegt hat.

2.

17

Dies erfolgte auch auf Kosten des Klägers, da dieser aufgrund der Hinterlegung zugunsten beider Parteien nicht ohne Zustimmung des Beklagten verfügen kann.

3.

18

Diese Rechtsposition hat der Beklagte ohne Rechtsgrund erlangt, da der Insolvenzmasse zum einen keine Ansprüche an dem hinterlegten Betrag zustehen (a.). Im Übrigen hat der Beklagte auch keinen Anspruch auf eine Zug-um-Zug Verurteilung des Klägers, da ein vertraglicher Anspruch auf Abführung der fiktiven Beträge ausscheidet (b.) und aus den Normen des § 35 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO kein eigener Anspruch des Insolvenzverwalters auf Abführung der fiktiv festgesetzten Beträge folgt (c.).

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a. Der hinterlegte Betrag gehört seit der Freigabeerklärung des Beklagten nicht mehr zur Insolvenzmasse.

20

Die Definition der Insolvenzmasse findet sich in § 35 Abs. 1 BGB. Demnach umfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt.

21

Bei dem hier in Rede stehenden Anspruch auf Auszahlung des Sicherungseinbehaltes handelt es sich um einen aufschiebend bedingten Anspruch. Der Anspruch wird entweder dann fällig, wenn die Gewährleistungszeit abgelaufen ist, oder eine Austauschsicherheit erbracht wird. Vorliegend wurde der Anspruch mit Stellung der Austauschsicherheit fällig, war jedoch schon vorher angelegt.

22

Aufgrund dieser Tatsache gehörte der Anspruch auf Auszahlung des Sicherungseinbehaltes ursprünglich nach § 35 Abs. 1 zur Insolvenzmasse, da er mit dem Unternehmensüberlassungsvertrag vom 20.06.2011 in das Vermögen des Schuldners übergegangen ist und daher als Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt.

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Die Massezugehörigkeit endete hier jedoch mit der Erklärung des Beklagten gemäß der Anlage K 7. Die Kammer verkennt nicht, dass es sich hierbei um eine Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO handelt, welche gerade „keine Freigabeerklärung im eigentlichen Sinn“, sondern eine sogenannte Positiv- oder Negativerklärung darstellt. Im einschlägigen Schrifttum (vgl. Lütke in Schmidt, 4. Auflage § 35 InsO, Rn. 52 ff und 254 ff.) ist jedoch anerkannt, dass auf diese Erklärung dieselben Grundsätze wie für die Freigabe Anwendung finden, sodass hier die Erklärung vom 01.11.2011 auch als Freigabe bezeichnet wird.

24

Der Beklagte hat in der Anlage K 7 erklärt, dass er die selbständige Tätigkeit aus der Insolvenzmasse freigebe. Diese Erklärung ist weit auszulegen und bedeutet grundsätzlich, dass alles, was mit der selbständigen Tätigkeit in Verbindung zu bringen ist (Aktiva und Passiva), aus der Insolvenzmasse freigegeben wird. Dies folgt auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Dem Verwalter soll mit der Regelung des § 35 Abs. 2 InsO ermöglicht werden, zu entscheiden, ob die Masse an einem möglichen wirtschaftlichen Erfolg des Schuldners partizipieren möchte oder nicht. Entscheidet er sich dagegen, so trifft die Masse keine Haftung, im Gegenzug kann sie jedoch auch keine Rechte an dieser Tätigkeit dann geltend machen, selbst wenn die Einkünfte später wesentlich höher ausfallen, als erwartet (Vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 20.05.2011, Az.: 10 U 176/10, Leitsatz, zitiert nach Juris).

25

Sofern der Beklagte sich darauf beruft, dass die Freigabe unter der Bedingung, dass monatliche Zahlungen an den Beklagten erfolgen, steht, so führt dies zu keiner anderen Betrachtung, denn die vom Beklagten formulierte Bedingung, unter der die Freigabe stehen sollte, ist unwirksam. In der Rechtsprechung ist soweit anerkannt, dass die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters grundsätzlich bedingungsfeindlich ist. Dies folgt daraus, dass sie einen unbedingten Verzicht auf die Massezugehörigkeit enthalten muss. Dies ist aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich, da damit ein Schwebezustand verhindert werden soll, in dem für den Rechtsverkehr nicht klar ist, ob ein bestimmtes Recht nun zur Insolvenzmasse gehört oder nicht (vgl. Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 35, Rn. 86).

26

Gleichwohl hat die Rechtsprechung die sogenannte modifizierende Freigabe in einigen eng beschränkten Ausnahmefällen zugelassen. Vorliegend käme eine Zulässigkeit unter dem Aspekt der sogenannten „erkauften Freigabe“ in Betracht. Insoweit hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es zulässig ist, die Freigabe von der Zahlung eines Geldbetrages abhängig zu machen.

27

Diese Fallkonstellation ist hier jedoch nicht einschlägig. Zwar mag die erkaufte Freigabe bei einer einmaligen Zahlung kein Problem darstellen. So liegt der Fall hier aber nicht, denn der Beklagte verlangt vom Kläger monatliche Zahlungen eines bestimmten Betrages. Insoweit stellt sich dann die Frage, wie es zu beurteilen wäre, wenn der Kläger die erste Zahlung tätigt, dann im weiteren Verlauf aber nicht zahlt. Würde man der Auffassung des Beklagten folgen, so würde dann im Falle der Nichtzahlung, die Freigabe erlöschen und die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit wieder zur Insolvenzmasse fallen. Dieser Schwebezustand ist für die Neugläubiger aus Gründen der Rechtssicherheit nicht hinnehmbar. Sie müssen wissen, ob sie sich mit Neuforderungen an den Insolvenzverwalter wenden können (mit der möglichen persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters, wenn diese Verbindlichkeiten nicht erfüllt werden können), oder ob es sich um Verbindlichkeiten handelt, die der Schuldner nur selbst zu bedienen hat.

28

Da vorliegend eine Positiv- oder Negativerklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 InsO hinzutritt, folgt die Unwirksamkeit noch aus einem weiteren Grund: Die Regelung des § 35 Abs. 2 S. 2 InsO sieht bei der Erklärung zur Selbständigkeit des Schuldners für den Insolvenzverwalter nur zwei Möglichkeiten im Wortlauf hervor. Die Positiventscheidung, die die selbständige Tätigkeit aus der Insolvenzmasse freigibt und die Negativentscheidung, die dieses verneint (vgl. zu den Einzelheiten: Hirte, in Uhlenbruck, § 35, Rn. 96). Eine Zwischenlösung sieht das Gesetz nicht vor. Eine solche wäre auch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren, weswegen durch den Beklagten keine wirksame Bedingung gesetzt wurde.

29

b. Es bestehen auch keine Gegenansprüche des Beklagten auf Zahlung des monatlich berechneten fiktiven pfändbaren Betrages. Insofern müsste durch die Anlage K 7 ein vertraglicher Anspruch zwischen Kläger und Beklagten begründet worden sein. Dies scheitert jedoch daran, dass, selbst wenn man die Erklärung des Beklagten als Angebot auslegen würde, eine Annahmeerklärung des Klägers unstreitig nicht erfolgt ist. Dieser hat auf die Anlage K 7 keine Erklärung abgegeben und auch keine Zahlungen geleistet, sodass eine Annahme durch schlüssiges Handeln, welche vorliegend allein in Betracht käme, ausscheidet.

30

c. Letztlich folgt auch kein Gegenanspruch des Beklagten aus §§ 35 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO. Dem Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass Teile der Literatur den entsprechenden Verweis auf § 295 Abs. 2 InsO als Schaffung eines einklagbaren Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter deuten (vgl. Uhlenbruck, a. a. O., Rn. 105 m. w. N. Schmidt, a. a. O., Rn. 264; Andres NZI 2006, Seite 198 ff.).

31

Der genannten Ansicht vermag die Kammer jedoch nicht beizutreten, da sie das Wesen des § 295 Abs. 2 InsO verkennt. Die genannte Norm (soweit sie isoliert angewandt wird) stellt lediglich, dies ergibt sich eindeutig aus dem amtlichen Titel, eine Obliegenheit des Schuldners dar. Es ist Aufgabe des Schuldners, die Insolvenzgläubiger durch Zahlung an den Treuhändler so zu stellen, als wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Dementsprechend ergibt sich daraus die Pflicht des Schuldners, einen nach einem fiktiven Einkommen berechneten pfändbaren Betrag an den Treuhändler abzuführen. Unterlässt er dies, so kann dies für den Schuldner als Sanktion die Versagung der Restschuldbefreiung zur Folge haben. In der Rechtsprechung zu § 295 Abs. 2 InsO ist daher gemeinhin anerkannt, dass diese Norm keinen einklagbaren Zahlungsanspruch des Insolvenzverwalters begründet.

32

Gleiches gilt, wie das Oberlandesgericht Brandenburg bereits in einer Entscheidung festgehalten hat (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 17.04.2013, Aktenzeichen 7 U 77/12, zitiert nach Juris), soweit die Norm des § 35 Abs. 2 S. 2 InsO auf § 295 Abs. 2 InsO verweist. Die Norm erstreckt lediglich die Obliegenheit zur Abführung von Zahlungen auf der Grundlage eines Einkommens aus angemessenem Dienstverhältnis gegenüber dem Treuhändler im Rahmen des Verfahrens zur Restschuldbefreiung auf eine entsprechende Obliegenheit gegenüber dem Insolvenzverwalter bei fortdauerndem Insolvenzverfahren (vgl. OLG Brandenburg, a. a. O., Rn. 19). Hinzu kommt, dass gesetzlich nicht geregelt ist, wer das fiktiv pfändbare Gehalt des Schuldners festsetzt. Insoweit ist in der Rechtsprechung zu § 295 Abs. 2 InsO anerkannt, dass die Prüfung, ob die abgeführten Beträge ausreichend sind, erst mit der Stellung des Versagungsantrags durch das Insolvenzgericht vorzunehmen ist. Würde man nun über den § 35 Abs. 2 S. 2 InsO dem Insolvenzverwalter einen einklagbaren Anspruch zugestehen, so würde dies dazu führen, dass die Entscheidungskompetenz des Insolvenzgerichtes über die Restschuldbefreiung eingeschränkt wird, da sich vorher bereits ein Prozessgericht zu der Angemessenheit der vom Verwalter verlangten Beträge geäußert hätte. Es kann vom Gesetzgeber mit dem Verweis in § 35 Abs. 2 S. 2 InsO nicht beabsichtigt gewesen sein, einen eigenen Anspruch des Insolvenzverwalters zu schaffen, ohne gleichzeitig das Verfahren zur Festsetzung der abzuführenden Beträge zu regeln.

33

Die Insolvenzgläubiger sind auch durch die Einordnung des Verweises als Obliegenheit des Schuldners hinreichend geschützt. Sie können, wenn der Schuldner gegen seine Obliegenheit verstößt, die Versagung der Restschuldbefreiung beantragen. Soweit diesem Antrag gefolgt wird, können sie ihre Forderungen gegen den Schuldner weiterhin voll vollstrecken. Aus diesem Grund rechtfertigt auch nicht der Schutz der Insolvenzgläubiger den Verweis in § 35 Abs. 2 S. 2 InsO als eigene Anspruchsgrundlage auszulegen.

II.

34

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1; 709 S. 1 ZPO.


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