Urteil vom Landgericht Stuttgart - 15 O 358/04

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600 Euro zu bezahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 600,00 Euro.

Tatbestand

 
Der Kläger verlangt von der beklagten Gemeinde Schadensersatz, weil er am sog. Stadthallen-See von einem Schwan verletzt wurde, der bekanntermaßen bereits seit Jahren ungewöhnlich häufig Passanten angreife.
Um den Stadthallensee führt ein Fußweg. Dieser Rundweg ist u.a. über drei asphaltierte Zugänge im Norden, Osten und Westen erreichbar. Bezüglich der Örtlichkeit wird auf die Anlagen B1-B3 Bezug genommen. Der Kläger benutzte am 7.4.2004 gegen 8.50 Uhr von der Volkshochschule kommend den westlichen Zugang und lief dann um den See Richtung Süden. An den Zugängen im Norden und Osten hat die Beklagte jeweils ein Schild "Vorsicht, bissiger Schwan!" angebracht, im Westen nicht.
Am Stadthallen-See hält sich seit etwa 8 Jahren ein Schwanenpaar auf. Das Männchen war in der Vergangenheit dadurch aufgefallen, dass es ungewöhnlich häufig Passanten angegriffen hatte. Dies war der beklagten Gemeinde bekannt, auch wenn dies nicht systematisch aktenmäßig erfasst wurde. Auch die Presse hatte bereits zuvor darüber berichtet; der Schwan wurde gelegentlich als "Der ... Schwan" bezeichnet.
Die Beklagte stellte deshalb zur Brutzeit die oben erwähnten Schilder auf. Außerdem hatte sie durch einen Zaun einen Teil des Ufers im Süden abgezäunt und ein Schwanenhäuschen im See errichtet, um den Schwänen ein möglichst ungestörtes Brüten zu ermöglichen. Nach dem Unfall setzt sie nunmehr auch zwei mobile Absperrgitter ein.
Der Kläger trägt vor, er habe am Südufer des Sees den Schwan sitzen sehen. Aus einer Entfernung von etwa 8m sei dieser unvermittelt auf ihn zugelaufen und habe mit den Flügeln geschlagen. Der Kläger sei geflüchtet, der Schwan habe sich jedoch auf ihn gestürzt, ihn zu Boden gerissen und ihn mit dem Schnabel am Kopf attackiert. Er habe sich nur mühsam befreien können. Er habe eine blutende Kopfplatzwunde, die genäht werden musste, und Prellungen erlitten, und sei mehrere Tage arbeitsunfähig geschrieben worden.
Der Kläger ist der Auffassung, die Stadt ... habe ihre Pflicht zur Verkehrssicherung verletzt. Obwohl auf dem Gelände der Beklagten schon mehrfach von dem Schwan Leute angegriffen worden seien, habe die Beklagte keine geeigneten Maßnahmen getroffen und auch keine Schilder aufgestellt.
Nachdem der Kläger Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 2000 Euro und auf Schadensersatz von 25,19 Euro gestellt hat, wurde ihm mit Beschluss Prozesskostenhilfe bewilligt, bezüglich des Schmerzensgeldes aber nur in einer Größenordnung bis maximal 600 Euro.
Der Kläger hat daraufhin folgenden Antrag gestellt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, in einer Größenordnung von mindestens 600 Euro.
10 
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12 
Sie hält die getroffenen Maßnahmen für ausreichend. Ein vergleichbarer Vorfall – jedenfalls ein solcher, der eine chirurgische Behandlung erforderlich machte – sei ihr zuvor nicht bekannt geworden. Von einer Umsiedlung habe man wegen Undurchführbarkeit Abstand genommen. Von einer Tötung des Schwanes habe man wegen verschiedener Bestimmungen des NatSchG abgesehen. Andere gangbare Alternativen hätten nicht bestanden.
13 
Die Parteien wurden in der Güteverhandlung angehört. Auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
14 
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gemäß Art. 34 GG, §§ 839, 253 BGB gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 600 Euro wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
15 
Der beklagten Gemeinde obliegt – unstreitig – die Verkehrssicherungspflicht für den Fußweg rund um den sog. Stadthallen-See.
16 
Im Rahmen der Verkehrssicherung hat der Pflichtige nach ständiger Rechtsprechung dafür zu sorgen, dass sich der Weg in einem "dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand" befindet und Benutzer vor den von dem Weg ausgehenden Gefahren zu schützen. Das bedeutet nicht, dass der Weg praktisch völlig gefahrlos sein muss. Das ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen und kann vom Pflichtigen deshalb nicht verlangt werden. Die Fußgänger müssen sich deshalb grundsätzlich den gegebenen Verhältnissen anpassen.
17 
Dass wildlebende Tiere in einem Stadtpark – auch Schwäne – unberechenbar und deshalb mitunter auch gefährlich sein können, ist eine allgemein bekannte Tatsache, auf die sich Fußgänger deshalb einstellen können und müssen. Es ist nicht Aufgabe des Verkehrssicherungspflichtigen, auf allgemein Bekanntes besonders hinzuweisen.
18 
Lediglich vor besonderen Gefahren bzw. Gefahrenstellen muss der Verkehrssicherungspflichtige warnen. Auch dies entspricht ständiger Rechtsprechung (z.B. BGHZ 108, 273: Aufstellen des Warnschildes "Wildwechsel" (nur) bei Häufung von Wildunfällen oder besonders hoher Wilddichte; vgl. Palandt/Sprau, 63. Auflage, § 823 Rn. 221).
19 
Diese Pflicht hat die Beklagte nur unvollkommen erfüllt: Der Schwan am "Stadthallen-See" war seit mehreren Jahren dadurch aufgefallen, dass er (jedenfalls in der Brutzeit) ungewöhnlich häufig Passanten angreift, ohne dass konkrete Gründe dafür ausgemacht werden konnten. Hierauf hätte die Beklagte dann aber (gerade in der Brutzeit) hinweisen können und müssen, damit sich Passanten darauf einstellen und dem Schwan z.B. ausweichen können. Dabei ist unstreitig, dass der Schwan bei der Beklagten seit längerem bekannt war (auch wenn gemeldete Vorfälle, über die auch die Presse berichtet hatte (z.B. SWR-Landesschau am 26.02.2003, vgl. www.swr.de/landesschaubw/archiv/ 2003/02/26) nicht im einzelnen aktenmäßig dokumentiert wurden und offenbar noch nicht zu chirurgisch zu versorgenden Verletzungen geführt hatten). Die Beklagte hatte deshalb bereits am Nord- und Ostzugang zu dem Fußweg um den See jeweils ein Schild "Vorsicht, bissiger Schwan!" aufgestellt. Am Westzugang, durch den der Kläger gekommen ist, befand sich ein solches Schild aber nicht. Die Begründung der Beklagten, der Schwan habe sich in der Vergangenheit eher an anderen Stellen aufgehalten, überzeugt nicht, zumal die Beklagte selbst ausführt, die Schwäne hätten auch den extra umzäunten Bereich nicht "eingehalten". Im übrigen gelangen Passanten auch durch den Westzugang zu dem Rundweg, der sie mit einiger Wahrscheinlichkeit – wie vorliegend – am Südufer und damit der Brutstelle des Schwanes vorbeiführt.
20 
Das Aufstellen eines Schildes auch an diesem dritten Zugang wäre damit eine einfache Maßnahme gewesen, mit der die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht genügt hätte. Weitere Maßnahmen, die die Beklagte teilweise für undurchführbar oder unzulässig hält (z.B. Umsiedlung, Überdachung des Brutplatzes, dauernde Bewachung, oder gar Tötung) waren nicht erforderlich; sind besondere Gefahrenstellen durch Warnschilder sachgerecht angezeigt, ist der Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich Genüge getan (ähnlich BGHZ 108, 273: Aufstellen des Warnschildes "Wildwechsel" ausreichend, Wildschutzzäune grundsätzlich nicht vonnöten). Welche Ausnahmen von diesem Grundsatz denkbar sind, ist nicht entscheidungserheblich (ebenso offen gelassen in BGHZ 108, 273; vgl. dazu auch Stadler NZV 1998, 493).
21 
Da damit objektiv eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorliegt, spricht bereits der Anscheinsbeweis dafür, dass diese für den eingetretenen Schaden auch kausal wurde (Palandt/Sprau, 63. Auflage, § 823 Rn.54 und Vor § 249 Rn.167) und der Kläger sonst der Gefahr hätte ausweichen können. Dass der Anscheinsbeweis hier nicht greift und ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, ist weder dargetan noch ersichtlich.
22 
Der deshalb gegebene Anspruch gemäß Art. 34 GG, §§ 839, 253 BGB rechtfertigt aufgrund der vom Kläger in der Güteverhandlung glaubhaft beschriebenen Verletzungsfolgen ein Schmerzensgeld in Höhe von 600 Euro. Anhaltspunkte für ein Mitverschulden des Klägers (§ 254 BGB) gibt es nicht.
23 
Ein Anspruch aus § 833 BGB besteht nicht, da die Beklagte nicht Halterin des wilden Schwanes war. Allein das Aufstellen von Schildern, des Zaunes und des Schwanenhäuschens rechtfertigen nicht die Annahme, die Stadt habe "Obdach und Nahrung" (vgl. Münchner Kommentar/Wagner, 4.Auflage 2003, § 833 BGB Rn.20) und damit dauerhaft die Sorge für das Tier übernommen.
24 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Den im PKH-Antrag vom 30.8.2004 (dort Seite 2) ausdrücklich nur für den Fall der PKH-Bewilligung angekündigten Antrag auf ein höheres Schmerzensgeld und auf Schadensersatz in Höhe von 25,19 Euro hat der Kläger nach Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gestellt, die vorsorgliche (Teil-) Klagerücknahme ging deshalb ins Leere. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr.11, 711, 713 ZPO.
25 
Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung durch die (mit 600 Euro beschwerte) Beklagte lagen nicht vor, da der vorliegende Einzelfall weder von grundsätzlicher Bedeutung ist noch die Fortbildung des Rechts eine Zulassung der Berufung erfordert.

Gründe

 
14 
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gemäß Art. 34 GG, §§ 839, 253 BGB gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 600 Euro wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
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Der beklagten Gemeinde obliegt – unstreitig – die Verkehrssicherungspflicht für den Fußweg rund um den sog. Stadthallen-See.
16 
Im Rahmen der Verkehrssicherung hat der Pflichtige nach ständiger Rechtsprechung dafür zu sorgen, dass sich der Weg in einem "dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand" befindet und Benutzer vor den von dem Weg ausgehenden Gefahren zu schützen. Das bedeutet nicht, dass der Weg praktisch völlig gefahrlos sein muss. Das ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen und kann vom Pflichtigen deshalb nicht verlangt werden. Die Fußgänger müssen sich deshalb grundsätzlich den gegebenen Verhältnissen anpassen.
17 
Dass wildlebende Tiere in einem Stadtpark – auch Schwäne – unberechenbar und deshalb mitunter auch gefährlich sein können, ist eine allgemein bekannte Tatsache, auf die sich Fußgänger deshalb einstellen können und müssen. Es ist nicht Aufgabe des Verkehrssicherungspflichtigen, auf allgemein Bekanntes besonders hinzuweisen.
18 
Lediglich vor besonderen Gefahren bzw. Gefahrenstellen muss der Verkehrssicherungspflichtige warnen. Auch dies entspricht ständiger Rechtsprechung (z.B. BGHZ 108, 273: Aufstellen des Warnschildes "Wildwechsel" (nur) bei Häufung von Wildunfällen oder besonders hoher Wilddichte; vgl. Palandt/Sprau, 63. Auflage, § 823 Rn. 221).
19 
Diese Pflicht hat die Beklagte nur unvollkommen erfüllt: Der Schwan am "Stadthallen-See" war seit mehreren Jahren dadurch aufgefallen, dass er (jedenfalls in der Brutzeit) ungewöhnlich häufig Passanten angreift, ohne dass konkrete Gründe dafür ausgemacht werden konnten. Hierauf hätte die Beklagte dann aber (gerade in der Brutzeit) hinweisen können und müssen, damit sich Passanten darauf einstellen und dem Schwan z.B. ausweichen können. Dabei ist unstreitig, dass der Schwan bei der Beklagten seit längerem bekannt war (auch wenn gemeldete Vorfälle, über die auch die Presse berichtet hatte (z.B. SWR-Landesschau am 26.02.2003, vgl. www.swr.de/landesschaubw/archiv/ 2003/02/26) nicht im einzelnen aktenmäßig dokumentiert wurden und offenbar noch nicht zu chirurgisch zu versorgenden Verletzungen geführt hatten). Die Beklagte hatte deshalb bereits am Nord- und Ostzugang zu dem Fußweg um den See jeweils ein Schild "Vorsicht, bissiger Schwan!" aufgestellt. Am Westzugang, durch den der Kläger gekommen ist, befand sich ein solches Schild aber nicht. Die Begründung der Beklagten, der Schwan habe sich in der Vergangenheit eher an anderen Stellen aufgehalten, überzeugt nicht, zumal die Beklagte selbst ausführt, die Schwäne hätten auch den extra umzäunten Bereich nicht "eingehalten". Im übrigen gelangen Passanten auch durch den Westzugang zu dem Rundweg, der sie mit einiger Wahrscheinlichkeit – wie vorliegend – am Südufer und damit der Brutstelle des Schwanes vorbeiführt.
20 
Das Aufstellen eines Schildes auch an diesem dritten Zugang wäre damit eine einfache Maßnahme gewesen, mit der die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht genügt hätte. Weitere Maßnahmen, die die Beklagte teilweise für undurchführbar oder unzulässig hält (z.B. Umsiedlung, Überdachung des Brutplatzes, dauernde Bewachung, oder gar Tötung) waren nicht erforderlich; sind besondere Gefahrenstellen durch Warnschilder sachgerecht angezeigt, ist der Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich Genüge getan (ähnlich BGHZ 108, 273: Aufstellen des Warnschildes "Wildwechsel" ausreichend, Wildschutzzäune grundsätzlich nicht vonnöten). Welche Ausnahmen von diesem Grundsatz denkbar sind, ist nicht entscheidungserheblich (ebenso offen gelassen in BGHZ 108, 273; vgl. dazu auch Stadler NZV 1998, 493).
21 
Da damit objektiv eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorliegt, spricht bereits der Anscheinsbeweis dafür, dass diese für den eingetretenen Schaden auch kausal wurde (Palandt/Sprau, 63. Auflage, § 823 Rn.54 und Vor § 249 Rn.167) und der Kläger sonst der Gefahr hätte ausweichen können. Dass der Anscheinsbeweis hier nicht greift und ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, ist weder dargetan noch ersichtlich.
22 
Der deshalb gegebene Anspruch gemäß Art. 34 GG, §§ 839, 253 BGB rechtfertigt aufgrund der vom Kläger in der Güteverhandlung glaubhaft beschriebenen Verletzungsfolgen ein Schmerzensgeld in Höhe von 600 Euro. Anhaltspunkte für ein Mitverschulden des Klägers (§ 254 BGB) gibt es nicht.
23 
Ein Anspruch aus § 833 BGB besteht nicht, da die Beklagte nicht Halterin des wilden Schwanes war. Allein das Aufstellen von Schildern, des Zaunes und des Schwanenhäuschens rechtfertigen nicht die Annahme, die Stadt habe "Obdach und Nahrung" (vgl. Münchner Kommentar/Wagner, 4.Auflage 2003, § 833 BGB Rn.20) und damit dauerhaft die Sorge für das Tier übernommen.
24 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Den im PKH-Antrag vom 30.8.2004 (dort Seite 2) ausdrücklich nur für den Fall der PKH-Bewilligung angekündigten Antrag auf ein höheres Schmerzensgeld und auf Schadensersatz in Höhe von 25,19 Euro hat der Kläger nach Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gestellt, die vorsorgliche (Teil-) Klagerücknahme ging deshalb ins Leere. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr.11, 711, 713 ZPO.
25 
Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung durch die (mit 600 Euro beschwerte) Beklagte lagen nicht vor, da der vorliegende Einzelfall weder von grundsätzlicher Bedeutung ist noch die Fortbildung des Rechts eine Zulassung der Berufung erfordert.

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