Urteil vom Landgericht Wuppertal - 1 O 361/20
Tenor
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, ihre baulichen Anlagen so einzurichten, dass Niederschlagswasser von ihren Grundstücken mit den Flurstück Nrn. yyy und ### in V nicht auf das Grundstück des Klägers mit der Flurstück Nr. xxx abgeleitet wird oder übertritt.
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, ihre baulichen Anlagen so einzurichten, dass Abwässer nicht von ihren unter Ziff. 1 genannten Grundstücken auf das Grundstück des Klägers übertreten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) sowie 40 % der Gerichtskosten trägt der Kläger. Die Beklagte zu 1) trägt 60 % der Kosten des Klägers und der Gerichtskosten. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Ziffern 1) und 2) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 € und hinsichtlich der Kosten in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
1
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über nachbarrechtliche Beseitigungsansprüche wegen starkregenbedingter Wasserüberläufe.
3Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks ***** in Wuppertal (Flurstück Nr. xxx). Dabei handelt es sich um ein Grundstück in Tal- bzw. Muldenlage. Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin des Wiesengrundstücks (Flurstück Nr. ###), welches insgesamt als Grünfläche ausgewiesen ist und oberhalb der Grundstücke des Klägers und der Beklagten zu 2) und 3) liegt, sowie des sich darüber befindlichen Grundstücks (Flurstück yyy). Die Beklagten zu 2) und 3) sind Eigentümer des Nachbargrundstücks *** das etwas oberhalb des klägerischen Grundstücks liegt. Über das im Eigentum der Beklagten zu 1) stehende Flurstück ### führt eine geteerte Zufahrt zum Grundstück der Beklagten zu 2) und 3), wo sie in eine ebenfalls geteerte Fläche mündet. Dieser Stichweg ist leicht abfallend zu den darunter liegenden Grundstücken der Beklagten zu 2) und 3) und des Klägers. Am oberen Ende der Zufahrt befindet sich eine Drainagerinne, um insbesondere Niederschlagswasser abzuführen. Zudem befindet sich dort in Richtung des Flurstückes yyy ein Gully. Über das Flurstück yyy verläuft steil ein gepflasterter Fußweg. Das Gefälle führt zum Grundstück mit der Flurstück-Nr. ### und in Richtung der Grundstücke der Beklagten zu 2) und 3) und des Klägers. Von der geteerten Grundstücksfläche der Beklagten zu 2) und 3) aus führt ein ebenfalls geteerter Weg zum Grundstück des Klägers. Vor der Garage befindet sich eine Drainagerinne, um das Grundstück zu entwässern. Auf den Grundstücken der Beklagten zu 2) und 3) und des Klägers befinden sich zudem zwei Revisionsschächte und ein Gully. Im unteren Teil des klägerischen Gartens verläuft zudem ein verrohrter Bach. Im Jahr 2008 kam es aufgrund enormen Starkregens zu einer Wasserblasenbildung unterhalb des klägerischen Rasens. Der Kläger prozessierte bereits gegen die Beklagte zu 1). Die Beklagte zu 1) nahm zudem im Zeitraum vom 24.02. bis zum 05.03.2020 Veränderungen an der Regenwasserkanalisation vor. Insbesondere errichtete sie einen Erdwall auf der Grünfläche, um Zulauf von Wasser auf das klägerische Grundstück zu vermeiden. Am 26.07.2008 sowie am 28.05.2018 kam es zu außergewöhnlich starken Regenfällen.
4Die Stadt V entwickelte mit der YYY Energie & Wasser AG und der Dr. B eine Starkregengefahrenkarte. Diese lässt sich im Internet abrufen und stellt Bereiche im Stadtgebiet dar, die durch Starkregenereignisse besonders betroffen sein können. Die Karte wurde Ende 2018 erstellt und im Jahr 2021 noch einmal überarbeitet und neu eingestellt.
5Der Kläger behauptet, die asphaltierte Straße auf dem Grundstück der Beklagten zu 1) würde bei Starkregenereignissen, die in den letzten 15 Jahren viermal vorgekommen seien, dazu führen, dass sowohl das Wasser, das nicht von der Drainagerinne am Anfang der Stichstraße abgefangen wird, als auch eigentlich wild abfließendes Wasser über das Grundstück der Beklagten zu 2) und 3) auf sein Grundstück fließt. Dabei sei es bereits mehrfach zu Überschwemmungen gekommen; insbesondere seien sein Keller und seine Garage überschwemmt worden.
6Er habe auch nach der Ergreifung der Maßnahmen durch die Beklagte zu 1) zwei Beschädigungen durch Niederschlagswasser erlitten. Dies liege unter anderem auch daran, dass das Regenwasser aufgrund mangelhafter Abfließmöglichkeiten und der Ableitung des Regenwassers in mangelhafte Rohre zu Rückstauungen und Übertritten auf das klägerische Grundstück trete.
7Es müsse der Beklagten zu 1) jedenfalls möglich sein, das Gefälle so zu verändern, dass das Niederschlagswasser nicht mehr auf sein Grundstück fließt.
8Der Kläger beantragt,
91.
10die Beklagte zu 1) zu verurteilen, ihre baulichen Anlagen so einzurichten, dass Niederschlagswasser von ihren Grundstücken mit den Flurstück Nrn. yyy und ### in V nicht auf sein Grundstück mit der Flurstück Nr. xxx abgeleitet wird oder übertritt;
112.
12die Beklagte zu 1) zu verurteilen, ihre baulichen Anlagen so einzurichten, dass Abwässer nicht von ihren unter Ziff. 1 genannten Grundstücken auf sein Grundstück übertreten;
133.
14die Beklagte zu 1) zu verurteilen, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit der natürliche Ablauf des wild abfließenden Wassers von ihren unter Ziff. 1 genannten Grundstücken nicht zum Nachteil seines tieferliegenden Grundstücks verstärkt oder auf andere Weise verändert wird;
154.
16die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihre baulichen Anlagen so einzurichten, dass Niederschlagswasser nicht von ihrem Grundstück mit der Flurstück Nr. ddd in V auf sein Grundstück mit der Flurstück Nr. xxx abgeleitet wird oder übertritt;
175.
18die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihre baulichen Anlagen so einzurichten, dass Abwässer nicht von ihrem unter Ziff. 4 genannten Grundstück auf sein Grundstück übertreten.
19Die Beklagten beantragen,
20die Klage abzuweisen.
21Die Beklagte zu 1) ist der Ansicht, das angerufene Gericht sei funktional unzuständig, da insoweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei. Zudem sei sie nicht für die Entwässerung der Zufahrtsfläche verantwortlich, da es sich lediglich um eine Baulast zugunsten des Klägers handele. Sie sei aufgrund der besonderen (sehr tiefliegenden) Lage auch nicht dazu verpflichtet, das klägerische Grundstück vor ganz ungewöhnlich starkem Regen zu schützen. Die Drainagerinne vor der Garage des Klägers sei zudem unterdimensioniert.
22Die Kammer hat am 26.11.2021 im Rahmen eines Ortstermins die Örtlichkeiten in Augenschein genommen. Es wird insoweit Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2021 (Blatt 280 der Akte). Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt verwiesen. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 19.05.2022 wird gesondert in den Entscheidungsgründen behandelt.
23Entscheidungsgründe:
24Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
25I.
26Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Wuppertal funktional zuständig. Auch soweit es das Verhältnis des Klägers zur Beklagten zu 1) betrifft, ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet. Zwar handelt es sich bei der Beklagten zu 1) um eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Allerdings führt der Kläger den Rechtsstreit gerade nicht gegen die Beklagte zu 1) als Behörde oder Verwaltungsträger, sondern gegen diese in ihrer Position als Eigentümerin der Nachbargrundstücke. Zudem hat der Kläger offen gelassen, wie die Beklagte zu 1) den von ihm geltend gemachten Anspruch umsetzt. Er begehrt von dieser gerade kein öffentlich-rechtliches Handeln, sondern lediglich dasjenige Handeln, das er aufgrund des zivilrechtlichen nachbarrechtlichen Rechtsverhältnisses verlangen kann.
27Es kommt auch nicht darauf an, dass der Kläger keine Schadensersatzansprüche im Sinne von § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG geltend macht. Aus der Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, ist eine Ausschließlichkeit gegenüber anderen Ansprüchen nicht ableitbar.
28II.
29Die Klage ist gegenüber der Beklagten zu 1) überwiegend begründet, gegenüber den Beklagten zu 2) und 3) unbegründet.
301. Der Klageantrag zu 1. ist begründet.
31Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 27 Abs. 1 NachbG NRW. Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich gegen die von einem benachbarten Grundstück ausgehenden Einwirkungen zur Wehr setzen, soweit sein Eigentum dadurch beeinträchtigt wird (§ 1004 BGB). Der Inhalt und der Umfang dieses Anspruchs ergeben sich insbesondere auch aus dem Nachbarrecht, vorliegend aus § 27 Abs. 1 NachbG NRW. Danach ist die Beklagte zu 1) dazu verpflichtet, ihre baulichen Anlagen so einzurichten, dass Niederschlagwasser nicht auf das Nachbargrundstück tropft, auf dieses abgeleitet wird oder übertritt.
32Derartige bauliche Veränderungen hat die Beklagte zu 1) auf beiden sich in ihrem Eigentum befindlichen streitgegenständlichen Grundstücken (Flurstücke yyy und ###) vorgenommen. Sowohl der gepflasterte Fußweg auf dem Flurstück yyy als auch der geteerte Stichweg über das Wiesengrundstück mit der Flurstück-Nr. ### stellen bauliche Anlagen dar. Durch die Pflasterung bzw. Teerung dieser Wege kann darauf fallendes Niederschlagswasser nicht versickern. Gleichzeitig nimmt das Wasser durch das (im Falle des Fußwegs auf dem Flurstück yyy sogar recht steile) Gefälle beider Wege zudem eine bestimmte Fließrichtung auf. Durch den Stichweg auf dem Flurstück ### wird Niederschlagswasser direkt zum Grundstück der Beklagten zu 2) und 3) und von dort zum Grundstück des Klägers abgeleitet. Über den gepflasterten Fußweg (Flurstück yyy) wird Niederschlagswasser zunächst auf das Flurstück ### und von dort im genannten weiteren Verlauf abgeleitet.
33Es kommt nicht auf den in der Rechtsprechung und Literatur stark umstrittenen Begriff des "Jahrhundertregens" an, also auf die Frage, wie besonders seltene Extremwetterereignisse zu behandeln sind. Die Beklagte zu 1) hat selbst im Internet eine Niederschlagskarte veröffentlicht, über die sowohl die Fließgeschwindigkeiten als auch die Pegelstände bei unterschiedlicher Niederschlagsintensität an der streitgegenständlichen Örtlichkeit simuliert werden können. Diese Karte zeigt, dass nicht nur in Extremfällen, sondern bereits bei Starkregenereignissen geringerer Intensität das Grundstück des Klägers in eklatanter Weise betroffen sein kann. Auf die Frage, ob ein Anspruch des Klägers ausgeschlossen sein könnte, weil Schäden nur bei ganz ungewöhnlichem und seltenem Starkregen im Sinne entsprechender Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2004 – III ZR 108/03, NZV 2004, 395) entstünden, kam es demgemäß nicht an. Ein Schaden kann vorliegend bereits bei weniger dramatischen Regenereignissen entstehen.
34Soweit die Beklagte zu 1) bereits in der Klageerwiderung unter Beweisantritt (Sachverständigengutachten) vorgetragen hat, die bisher getroffenen Maßnahmen seien ausreichend, ist dies nicht (mehr) beachtlich. Denn die eigene im Internet veröffentlichte Starkregenkarte hat die Beklagte zu 1) bezüglich ihrer Aussagekraft bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht angezweifelt, so dass das bisherige Vorbringen überholt war. Dies kam auch besonders dadurch deutlich zum Ausdruck, dass die Beklagte zu 1) nach der eindrücklichen Vorführung in der mündlichen Verhandlung auf den großen Saalmonitoren nicht etwa die Richtigkeit in Zweifel gezogen, sondern um einen weiträumigen Verkündungstermin gebeten hat zur Auslotung außergerichtlicher Vergleichsmöglichkeiten. Auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 19.05.2022 wird im Folgenden noch eingegangen.
35Der Anspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der asphaltierte Stichweg im Interesse der Beklagten zu 2) und 3) und insbesondere des Klägers angelegt ist. Es kommt nicht darauf an, dass bzw. ob dieser Weg aufgrund einer Baulast zugunsten des Klägers errichtet worden ist. Insbesondere ist der Anspruch nicht gemäß § 242 BGB ausgeschlossen. Der Kläger hat der Beklagten zu 1) in diesem Rechtsstreit allenfalls Vorschläge zur Änderung des derzeitigen Zustands unterbreitet. Bestimmte Handlungen hat er nicht vorgeschrieben. Die Beklagte zu 1) ist nicht gehindert, auch Maßnahmen betreffend den Stichweg vorzunehmen. Zudem ist aber eine Vielzahl weiterer Maßnahmen möglich, welche in der mündlichen Verhandlung auch erörtert worden sind. Die Beklagte zu 1) ist zur Beseitigung obiger Zustände nicht allein darauf verwiesen, den Stichweg zu beseitigen und damit möglicherweise eine Maßnahme vorzunehmen, welche den Interessen des Klägers widerspräche. Denn es wäre der Beklagten zu 1) möglich, den Weg zu erhalten und etwa eine Ablaufmöglichkeit unterhalb des Stichweges zu installieren.
362. Auch der Klageantrag zu 2. ist begründet.
37Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 29 Abs. 1 NachbG NRW. Gemäß § 29 Abs. 1 NachbG NRW ist die Beklagte zu 1) dazu verpflichtet, ihre baulichen Anlagen so einzurichten, dass Abwässer und andere Flüssigkeiten nicht auf das Nachbargrundstück übertreten.
38Abwasser ist das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen gesammelt abfließende Wasser (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 2 WHG). Es handelt sich also um das auf bebauten Flächen gesammelte Niederschlagswasser, welches sodann auf das Nachbargrundstück übertritt. Dabei ist es unerheblich, ob das Wasser direkt übertritt oder erst nach einer gewissen Zeit des Sammelns.
39Es kann nichts anderes gelten als bezüglich der Verpflichtung der Beklagten zu 1) aus § 27 Abs. 1 NachbG NRW. Sowohl auf dem asphaltierten Stichweg auf dem Flurstück ### als auch auf dem gepflasterten Fußweg auf dem Flurstück yyy sammelt sich Niederschlagswasser, welches dort nicht versickern kann. Auf der Niederschlagskarte der Beklagten zu 1) lässt sich erkennen, dass dieses Wasser sodann mit großer Geschwindigkeit und in großer Menge zum Grundstück des Klägers gelangt. Dieser Zustand widerspricht § 29 Abs. 1 NachbG NRW.
403.
41Auf das nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht nachgelassene Vorbringen der Beklagten zu 1) bezüglich der Unverwertbarkeit der in der mündlichen Verhandlung besprochenen Starkregenkarte der Beklagten zu 1) war die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen.
42a)
43Zunächst liegt kein Fall der obligatorischen Wiedereröffnung gem. § 156 Abs. 2 ZPO vor. Weder ist der Kammer ein Verfahrensfehler unterlaufen (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch liegen ein Wiederaufnahmegrund oder das Ausscheiden eines Richters vor (§ 156 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO).
44b)
45Weiter ist die mündliche Verhandlung auch nicht nach § 156 Abs. 1 ZPO wiederzueröffnen. Dies wäre dann der Fall gewesen, wenn der weitere Vortrag Tatsachen enthielte, die einen Wiederaufnahmegrund bildeten. Dies ist nicht der Fall.
46Auch wenn die aktualisierte Starkregenkarte nunmehr auch die fraglichen getroffenen Maßnahmen abbildet, so stellt sich die Situation zwar so dar, dass auch bei stärkeren Regenfällen an den von der Beklagten zu 1) genannten Stellen sich die Fließrichtung des Niederschlagswassers ändert. Allerdings führt dies nicht zu einer Ableitung vom klägerischen Grundstück bzw. um dieses herum. Vielmehr wird das Wasser dadurch zwar umgeleitet, gelangt dann jedoch über den oben genannten Stichweg über das Flurstück ### dennoch letztlich zum Grundstück des Klägers. Dabei verringert sich die Niederschlagsmenge jedenfalls nicht genügend. Denn es sind auch bei Berücksichtigung dieser Maßnahmen durch die neue Karte unmittelbar vor dem klägerischen Gebäude eine rote Einzeichnung und damit massive Pegelstände abgebildet.
47Es bedarf auch nach den neuerlichen Eingaben der Beklagten keiner Entscheidung über sogenannte „Jahrhundertregenereignisse“ bzw. einer Änderung der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht der Kammer. Aus der Starkregenkarte ist ersichtlich, dass bei dem Starkregenindex 6 bereits erhebliche Niederschlagsmengen zum Grundstück des Klägers gelangen.
48Zwar soll ein solcher Starkregenindex laut der Legende der Beklagten zu 1) nur alle 50 Jahre erreicht werden. Allerdings ist diese Angabe bereits nach den eigenen weiteren Angaben der Beklagten zu 1) insoweit überholt, als das Regenereignis vom 29.05.2018 dem Starkregenindex 11 entspricht. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass auch am 26.07.2008 ein ähnlich starkes Regenereignis stattgefunden hat. Wenn jedoch in den letzten 15 Jahren bereits zweimal der Starkregenindex 11 erreicht worden ist, für eine ernsthafte Überflutungsgefahr für das klägerische Grundstück jedoch nach der eigenen (überarbeiteten) Starkregenkarte der Beklagten zu 1) bereits ein Ereignis des Starkregenindexes 6) genügt, besteht kein Zweifel daran, dass derartige Regenereignisse mehr als nur ein „Jahrhundertereignis“ darstellen.
49Es kommt auch nicht darauf an, dass bzw. ob es sich bei der Starkregenkarte nach eigenen Angaben der Beklagten zu 1) lediglich um eine Modellberechnung anhand der groben Geländestruktur und keine Darstellung tatsächlicher Regenereignisse handelt. Zum einen ist dies bereits deswegen zweifelhaft, weil die überarbeitete Regenkarte eindeutig Unterschiede zur Starkregenkarte aus dem Jahr 2018 insoweit aufweist, als sie die von der Beklagten zu 1) in der Anlage B1 dargestellten Maßnahmen sowie den errichteten Erdwall auf dem Wiesengrundstück (Flurstück Nr. ###) sehr eindeutig darstellt und dies über eine lediglich grobe Wiedergabe der Geländestruktur hinausgeht. Zum anderen kommt es auf die genaue Darstellung der örtlichen Verhältnisse auch nicht an. Die Starkregenkarte veranschaulicht in erster Linie, wo sich das Niederschlagswasser sammelt und aus welchen Richtungen es heranfließt. Auf die exakte Menge oder die Fließgeschwindigkeiten kommt es demgemäß zur Beurteilung der Auswirkungen auf den Kläger nicht an. Im Übrigen kommt es ohnehin im Rahmen der §§ 27, 29 NachbG NRW auf die genaue Menge des übertretenden Wassers - wie bereits betont - nicht an. Die Beklagte zu 1) könnte sich zudem gemäß § 242 BGB auch nicht darauf berufen, dass die Verhältnisse vor Ort falsch angegeben sind, da sie diese Karte selbst veröffentlicht hat, um es Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, ihre eigene Gefährdung abzuschätzen. Dieses Ziel wäre bereits verfehlt, wenn die Karte aufgrund zu ungenauer Angaben gänzlich nicht herangezogen werden könnte, um die Gefahren vor Ort zu kalkulieren. Es ist auch äußerst widersprüchlich, wenn die Beklagte zu 1) auf der einen Seite meint, ihre eigene Starkregenkarte sei nicht aussagekräftig, animiert sie doch auf der anderen Seite durch den begleitenden Appell, dass sich die Bürger auf vermehrte Überschwemmungen einzustellen haben, was diese regelrecht dazu veranlasst, Schutzmaßnahmen für ihr Eigentum zu ergreifen, was hier bedeutete, dass der Kläger regelrecht sein Haus abschotten müsste.
50Letztlich ist auch unerheblich, dass es während der Starkregenereignisse im Jahr 2021 zu keinen Schäden beim Kläger gekommen ist. Aus einzelnen Regenereignissen können keine Schlüsse auf allgemeingültige Zustände gezogen werden. Solche Ereignisse unterscheiden sich stets im Hinblick auf die Regenmenge insgesamt sowie auf die Regenmenge pro Zeit. Die Regenfälle im Jahr 2021 zeichneten sich insbesondere durch eine besonders lange Dauer aus, während das Regenereignis aus dem Jahr 2018 wesentlich kürzer ausfiel.
51Aus dem Vorgenannten folgt, dass der nunmehr erstmaligen und unter Beweisantritt getätigten Behauptung der Unbrauchbarkeit der Starkregenkarte nicht nachzugehen war. Schließlich liegt auch auf der Hand, dass der Kläger nunmehr die Unbrauchbarkeit der Starkregenkarte nicht unstreitig stellt, gründet er doch maßgeblich seine Klageansprüche auch auf diese Karte.
524.
53Der Klageantrag zu 3. ist unbegründet. Dieser ist gerichtet auf einen Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 37 Abs. 1 S. 2 WHG. Ein solcher besteht jedoch nicht. Gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 WHG darf der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers nicht zum Nachteil eines tiefer liegenden Grundstücks verstärkt oder auf andere Weise verändert werden.
54Der Kläger macht vorliegend Ansprüche aus dem Nachbarrecht sowie aus dem Wasserrecht geltend. Die wasserrechtliche Vorschrift des § 37 WHG findet jedoch nur auf wild abfließendes Wasser Anwendung, also auf Wasser, das unmittelbar auf den unversiegelten Boden fällt. Davon zu unterscheiden ist sog. Baulichkeitswasser, also jenes Wasser, das von einem auf dem benachbarten überbauten Grundstück auf das danebenliegende Grundstück und sodann auf das Nachbargrundstück gelaufen ist. Auf dieses Wasser finden die Vorschriften des NachbG NRW Anwendung (siehe bereits oben). Dieser Vorrang des Nachbarrechts vor dem Wasserrecht gilt selbst dann, wenn Niederschlagswasser zunächst auf das eigene Grundstück abfließt und erst anschließend auf das Nachbargrundstück abläuft (BGH, Urteil vom 12.06.2015 - V ZR 168/14, Rn. 10).
55Der natürliche Ablauf des wild abfließenden Wassers wird vorliegend durch den gepflasterten Fußweg verändert. Dort kann das Wasser zunächst nicht versickern. Vor allem aber wird der Wasserabfluss durch den Weg abschüssig beschleunigt und kanalisiert in Richtung des Flurstücks ### und erst sodann den Grundstücken der Beklagten zu 2) und 3) und des Klägers abgeleitet.
56Dieses Wasser wird entsprechend obiger Grundsätze dadurch, dass es über das Wiesengrundstück der Beklagten zu 1) (Flurstück ###) läuft, nicht wieder zu wild abfließendem Wasser. Denn der Wasserfluss ist zu diesem Zeitpunkt bereits durch das höhergelegene ebenfalls im Eigentum der Beklagten zu 1) stehende Flurstück yyy verändert worden. Diese Veränderung ist jedoch durch den Kläger nicht im Wege des Wasserrechts abzuwehren, sondern nach den Vorschriften des NachbG NRW.
575.
58Die Klageanträge zu 4. und 5. sind unbegründet. Dem Kläger stehen gegen die Beklagten zu 2) und 3) die geltend gemachten Ansprüche aus keinem rechtlichen Grund zu. Ein Anspruch folgt weder aus § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 27 Abs. 1 NachbG NRW noch in Verbindung mit § 29 Abs. 1 NachbG NRW.
59Ein derartiger Anspruch bestünde nur dann, wenn durch die bauliche Gestaltung des Grundstücks vermehrt Niederschlagswasser, Abwässer oder andere Flüssigkeiten auf das benachbarte Grundstück überträten (BGH, Urteil vom 12.06.2015 – V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24). Dies ist hier nicht der Fall. Denn die Menge des Niederschlags, welche auf das Grundstück der Beklagten zu 2) und 3) fällt, ist auch nach den eigens durch den Kläger angestellten Berechnungen gegenüber der Menge von den städtischen Grundstücken derart gering, dass diese demgegenüber zurücktreten.
60Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB grundsätzlich verschuldensunabhängig besteht. Ein etwaiger Anspruch ist allerdings jedenfalls gemäß § 242 BGB ausgeschlossen. Vorliegend nimmt der Kläger die Beklagte zu 1) in Anspruch. Diese ist angesichts der Topografie der streitgegenständlichen Grundstücke eindeutig verantwortlich für die Wassermengen, die auf dem Grundstück des Klägers ankommen.
61Demnach sind Maßnahmen der Beklagten zu 2) und 3) überhaupt nicht erforderlich, wenn die dort ankommenden Wassermengen durch die Beklagte zu 1) unterbunden werden. Die Beklagte zu 1) kann insoweit wesentlich wirksamer tätig werden als die Beklagten zu 2) und 3). Wenn die Beklagten zu 2) und 3) nun für die Zukunft Maßnahmen wie etwa die Legung neuer Leitungen treffen müssten, wären sie unbillig zur Beseitigung eines Zustandes verpflichtet, welcher sich durch ein Tätigwerden der Beklagten zu 1) ohnehin erledigen würde.
62Der Kläger wird auch durch diese Entscheidung nicht in seinen Rechten unbillig eingeschränkt. Denn es ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1) als juristische Person des öffentlichen Rechts der Entscheidung Folge leisten wird, sodass keine Befürchtung besteht, dass der Kläger nicht effektiv seine Rechte verfolgen kann.
63Schließlich kommt hinzu, dass die Beklagten zu 2) und 3) nach dem eigenen Vorbringen des Klägers keine wirksamen Maßnahmen zum Schutz des Klägers ergreifen können, ohne ihm die Zufahrt auf sein Grundstück zu nehmen. Denn das Wasser kommt nach dem Vorbringen des Klägers von den höher gelegenen Grundstücken der Beklagten zu 1) bei Starkregen herangeschossen, sodass Rinnen schlichtweg überspült werden. Die Beklagten müssten regelrecht einen Damm errichten, der aber die Zufahrt auf das klägerische Grundstück maßgeblich behindert wird.
64III.
65Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 ZPO.
66Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
67Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
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Referenzen
- § 37 WHG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- BGB § 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch 5x
- § 29 Abs. 1 NachbG 4x (nicht zugeordnet)
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 3x
- III ZR 108/03 1x (nicht zugeordnet)
- § 27 Abs. 1 NachbG 4x (nicht zugeordnet)
- § 37 Abs. 1 S. 2 WHG 2x (nicht zugeordnet)
- § 54 Abs. 1 Nr. 2 WHG 1x (nicht zugeordnet)
- V ZR 168/14 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 156 Wiedereröffnung der Verhandlung 4x
- BGB § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung 1x
- §§ 27, 29 NachbG 2x (nicht zugeordnet)