Urteil vom Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 9 AS 3091/19

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 9. September 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Zuschusses zur privaten Krankenversicherung im Zeitraum Juli bis Dezember 2018 streitig.
Der am 1980 geborene Kläger stand im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er ist gemeinsam mit seinem Vater H. M. (im Folgenden: H.M.) bei der C. Krankenversicherungs AG privat krankenversichert mit einem im streitigen Zeitraum monatlichen Beitrag von 737,81 EUR, wovon 518,20 EUR auf die Krankenversicherung und 19,24 EUR auf die Pflegeversicherung des Klägers entfielen.
Mit Bescheid vom 30.12.2015 gewährte der Beklagte dem Kläger Leistungen für Januar bis Juni 2016 in Höhe von monatlich 587,54 EUR unter Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe von monatlich 259,10 EUR sowie der tatsächlichen Beiträge zur Pflegeversicherung. Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs, mit dem er die Übernahme des gesamten Krankenversicherungsbeitrags begehrte, wies der Kläger darauf hin, seit Geburt zusammen mit seinem Vater privat krankenversichert zu sein. Mit Änderungsbescheid vom 30.06.2016 erhöhte der Beklagte die monatlichen Leistungen im Zeitraum Januar bis Juni 2016 auf 661,09 EUR und berücksichtigte dabei als Zuschuss zur privaten Krankenversicherung monatlich 332,65 EUR, was der Höhe des halbierten (maximalen) Basistarifs entspricht. Der Kläger legte auch hiergegen Widerspruch ein und trug vor, bei der privaten Krankenversicherung handle es sich um einen Sonderfall. Er könne gemäß Auskunft der AOK nicht dort versichert werden, da immer die letzte Krankenkasse zuständig sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2016 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zwar habe der Kläger gemäß § 26 SGB II Anspruch auf Erstattung der Beiträge zur privaten Krankenversicherung, nach § 152 Abs. 4 Satz 2 und 3 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG - hier in der maßgeblichen Fassung vom 01.04.2015 -) sei die private Krankenversicherung aber verpflichtet, einen sog. Basistarif anzubieten. Im Fall der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermindere sich der Beitrag für den Basistarif um die Hälfte. Daher habe der Kläger Anspruch auf einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe von monatlich 332,65 EUR, der Hälfte des maximalen Beitrages im Basistarif für das Jahr 2016. Hiergegen erhob der Kläger, vertreten durch seinen Vater, am 31.08.2016 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG - S 11 AS 1963/16). Nachdem festgestellt wurde, dass für den Vater des Klägers eine rechtliche Betreuung angeordnet worden war und ein Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge, einschließlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente, Sozialhilfe, Unterhalt, Pflegeversicherung und Wohnungsangelegenheiten besteht, schrieb das SG dessen Betreuer, Herrn J. M., an. Dieser teilte mit, dass H.M. nach Auffassung des Betreuungsgerichts nicht geschäftsfähig sei. Zur Vertretung des Klägers durch H.M. erteile er keine Einwilligung. Einen gegen den Vorsitzenden gerichteten Ablehnungsantrag wies das SG mit Beschluss vom 28.10.2016 (S 11 SF 2335/16 AB) zurück. H.M. wurde mit Beschluss vom 10.11.2016 als Bevollmächtigter zurückgewiesen. Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde des Klägers verwarf das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 21.12.2016 (L 13 AS 4484/16 B) als unzulässig. Eine durch den Kläger hiergegen erhobene Anhörungsrüge verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 19.01.2017 (B 14 AS 3/17 C) ebenfalls als unzulässig. Der Beklagte erkannte aufgrund eines im Erörterungstermin erteilten richterlichen Hinweises den Differenzbetrag zwischen dem tatsächlichen Beitrag zur privaten Krankenversicherung des Klägers und dem vom Beklagten erstatteten Betrag, also monatlich 185,55 EUR, für die Monate Januar bis Juni 2016 als unabweisbaren Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II an. Das SG verurteilte den Beklagten entsprechend seinem Anerkenntnis mit Anerkenntnis-Gerichtsbescheid vom 08.03.2017. Hiergegen legte H.M. beim LSG Baden-Württemberg Berufung (L 13 AS 1119/17) ein, die durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats als nicht wirksam angesehen wurde; das Verfahren wurde mit Verfügung vom 19.04.2017 als endgültig erledigt betrachtet.
Auf dessen Weiterbewilligungsantrag vom 27.12.2016 gewährte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19.12.2016 Leistungen für Januar bis Dezember 2017 in Höhe von monatlich insgesamt 674,92 EUR und berücksichtigte dabei als Zuschuss zur privaten Krankenversicherung monatlich 341,48 EUR, was der Höhe des halbierten (maximalen) Basistarifs entsprach. Den hiergegen durch H.M. erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2017 als unzulässig zurück, nachdem der Kläger und H.M. darauf hingewiesen worden waren, dass H.M. den Kläger wegen Geschäftsunfähigkeit nicht vertreten könne und der Kläger ausdrücklich mitteilen solle, ob er das Widerspruchsverfahren in eigenem Namen weiterführen wolle. Die anschließende Klage wies das SG mit Urteil vom 14.09.2017 (S 11 AS 687/17) ab und führte zur Begründung aus, der Beklagte habe den Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen, da der Kläger durch H.M. nicht wirksam vertreten worden sei. Die hiergegen erhobene Berufung wies der Senat (L 9 AS 4264/17) mit Beschluss vom 30.11.2020 zurück.
Für den Bewilligungsabschnitt Juli bis Dezember 2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 06.07.2018 vorläufig und mit Bescheiden vom 06.08.2018 und 12.10.2018 endgültig Leistungen unter Berücksichtigung von Beiträgen für die private Krankenversicherung in Höhe von monatlich zuletzt 345,15 EUR, was der Höhe des halbierten (maximalen) Basistarifs entspricht.
H.M. legte hiergegen am 09.08.2018 für den Kläger Widerspruch ein und machte die Übernahme der tatsächlichen Beiträge zur privaten Krankenversicherung geltend.
Mit Schreiben vom 03.09.2018 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass sein Vater Widerspruch gegen die Bescheide vom 06.07.2018 und 06.08.2018 erhoben habe. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass H.M. durch das SG als Bevollmächtigter zurückgewiesen worden sei, da er nach Ansicht des Amtsgerichts Radolfzell und nach persönlichem Eindruck des Richters nicht geschäftsfähig sei. Auch im vorliegenden Widerspruchsverfahren müsse der Vater als Bevollmächtigter zurückgewiesen werden. Eine Vollmacht liege ohnehin nicht vor. Der Kläger könne das Widerspruchsverfahren in eigenem Namen weiterführen. Wenn er dies möchte, solle er dies ausdrücklich bis zum 26.09.2018 mitteilen, ansonsten sei der Widerspruch wegen mangelnder und nicht zulässiger Bevollmächtigung des Vaters unzulässig. H.M. erhielt eine Mehrfertigung des Schreibens zur Kenntnis.
Eine Reaktion des Klägers folgte nicht, vielmehr äußerte sich mit Schreiben vom 05.09.2018 erneut H.M, ohne hierbei jedoch die im Schreiben des Beklagten vom 03.09.2018 angesprochene Bevollmächtigung vorzulegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2018 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig und führte zur Begründung aus, ein Beteiligter könne sich grundsätzlich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen, wobei Bevollmächtigte auch vom Vortrag zurückgewiesen werden könnten, wenn sie hierzu ungeeignet seien. H.M. habe die Bevollmächtigung nicht nachgewiesen; es sei auch keine Vollmacht für den Widerspruch eingegangen. Zudem sei H.M. nicht geschäftsfähig und daher bereits vom SG zurückgewiesen worden. Der Widerspruch werde daher mangels nachgewiesener und zulässiger Bevollmächtigung als unzulässig verworfen.
10 
Vertreten durch H.M. hat der Kläger am 07.11.2018 Klage beim SG erhoben. Auf Anfrage des SG hat der Betreuer des H.M. unter dem 16.04.2019 erklärt, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Geschäftsunfähigkeit des H.M. beendet sei. Aufgrund dessen könne er die Prozessvertretung durch H.M. auch nicht genehmigen. Der Ablehnungsantrag des Klägers, gestellt durch H.M. und genehmigt durch persönliche Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2019, ist mit Beschluss vom 15.07.2019 abgelehnt worden (S 1 SF 1274/19 AB), die hiergegen gerichtete Beschwerde vom Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 09.08.2019 (L 9 AS 2456/19 B) als unzulässig verworfen worden. Mit Beschluss vom 23.07.2019 hat das SG H.M. als Bevollmächtigten zurückgewiesen; die hiergegen erhobene Beschwerde ist durch den Senat mit Beschluss vom 09.08.2019 (L 9 AS 2569/19 B) als unzulässig verworfen worden.
11 
Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.08.2019 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die zulässige Klage sei nicht begründet. Sie sei durch H.M. trotz seiner nachfolgenden Zurückverweisung als Prozessbevollmächtigter wirksam erhoben worden. Der Kläger habe die Klageerhebung außerdem in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich genehmigt. Das SG müsse aber nicht über Ablehnungsanträge, Vertagungsanträge und sonstige Eingaben des H.M. nach dessen Zurückweisung entscheiden, da diese unwirksam seien. Die Klage sei nicht begründet. Der Beklagte habe den Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen, da der Kläger durch H.M. nicht wirksam vertreten worden sei. H.M. sei geschäftsunfähig, seine Handlungen seien nichtig. Außerdem stehe er unter Betreuung, u. a. für den Bereich der Vermögenssorge, einschließlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente, Sozialhilfen usw., den Umgang mit Ämtern sowie Behörden. Für die Vermögenssorge, einschließlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente, Sozialhilfe usw. bestehe ein Einwilligungsvorbehalt. Eine Einwilligung des Betreuers für die Vertretung des Klägers im Widerspruchsverfahren sei nicht erteilt worden. H.M. habe den Kläger im Vorverfahren nicht wirksam vertreten können. Eine Genehmigung der Widerspruchseinlegung durch den Kläger bzw. seine Übernahme des Verwaltungsverfahrens sei nicht erfolgt. Die Bestellung eines Vertreters von Amts wegen betreffe nur den Fall, dass der Beteiligte selbst infolge einer psychischen Krankheit oder körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage sei, in dem Verwaltungsverfahren tätig zu werden. Dies lasse sich nicht auf den Fall übertragen, dass der Bevollmächtigte geschäftsunfähig sei, denn der Beteiligte habe in einem solchen Fall die Möglichkeit, das Verwaltungsverfahren selbst zu führen oder einen anderen (geschäftsfähigen) Bevollmächtigten zu benennen. Die Handlungen des H.M. im Vorverfahren seien somit nicht rechtswirksam mit der Folge, dass der Widerspruch zu Recht als unzulässig zurückgewiesen worden sei.
12 
Gegen den dem Kläger am 31.08.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat H.M. am 09.09.2019 Berufung eingelegt und in der Folge umfangreich vorgetragen.
13 
Mit Schreiben vom 28.10.2020 hat der Betreuer des H.M. mitgeteilt, er stimme der Prozessvertretung durch H.M. nicht zu. Da sich an der Geschäftsunfähigkeit des H.M. nichts geändert habe, könne er eine Einwilligung zur Prozessvertretung seines Sohnes durch H.M. auch nicht erteilen.
14 
Mit Beschluss vom 02.12.2020 hat der Senat H.M. die weitere Vertretung des Klägers in dem vorliegenden Verfahren L 9 AS 3091/19 gemäß § 73 Abs. 3 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) untersagt.
15 
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
16 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. August 2019 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 6. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2018 und des Bescheides vom 12. Oktober 2018 zu verurteilen, ihm im Zeitraum Juli bis Dezember 2018 monatlich höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der vollständigen Beiträge zur privaten Krankenversicherung zu gewähren.
17 
Der Beklagte beantragt,
18 
die Berufung zurückzuweisen.
19 
Er verweist auf die Begründung des SG und der angefochtenen Bescheide.
20 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Der Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, da der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 750,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Da der Senat H.M. mit Beschluss vom 02.12.2020 die weitere Vertretung untersagt hat, ist die Einlegung der Berufung durch ihn noch wirksam erfolgt (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 73 Rdnr. 36).
22 
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn sie war unbegründet, da der Beklagte den durch H.M. mit Schreiben vom 09.08.2018 gegen den Bescheid vom 06.07.2018 (der durch den Bescheid vom 06.08.2018 vollständig ersetzt wurde) eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2018 zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.
23 
Gemäß § 83 SGG beginnt das Vorverfahren mit der Erhebung des Widerspruchs. Der Widerspruch ist binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG). Dabei kann sich ein Beteiligter gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Vollmacht ermächtigt zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anders ergibt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die Regelungen des § 13 SGB X gelten gemäß § 62 Halbsatz 2 SGB X auch für das Vorverfahren, da das SGG insofern keine Regelung trifft, weil § 73 SGG zwar nicht nach seiner systematischen Stellung, aber nach seinem Wortlaut nur das gerichtliche Verfahren betrifft.
24 
Trotz des Hinweises des Beklagten mit Schreiben vom 03.09.2018 hat der Kläger keine Vollmacht für H.M. vorgelegt, so dass der Widerspruch bereits aus dem Grund unzulässig war. Darüber hinaus wäre, wie der Beklagte und das SG zutreffend angenommen haben, eine Bevollmächtigung des H.M. auch nicht möglich gewesen.
25 
Im Gegensatz zum sozialgerichtlichen Verfahren kann im Verwaltungsverfahren jede natürliche Person als Bevollmächtigter auftreten, solange sie handlungsfähig im Sinne des § 11 SGB X ist. Der Bevollmächtigte ist ermächtigt, für den von ihm vertretenen Beteiligten, „alle Verfahrenshandlungen“ vorzunehmen. Die Verfahrenshandlungen oder -erklärungen des Bevollmächtigten binden den Vollmachtgeber in gleicher Weise, als wenn er sie selbst vorgenommen/abgegeben hätte (Pitz in jurisPK-SGB X, 2. Aufl., Stand 03.09.2020, § 13 Rdnr. 5). Deshalb setzt die Vertretung Handlungsfähigkeit des Bevollmächtigten nach § 11 SGB X voraus (Mutschler in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: 110. EL Juli 2020, § 13 SGB X Rdnr. 3, m.w.N.; Roller in Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 13 Rdnr. 6, m.w.N.). Handlungsfähigkeit im Sinne des § 11 SGB X meint die Befugnis einer Person oder Einrichtung, eigenständig oder durch eigene Organe bzw. selbst bestimmte Vertreter rechtswirksame Verfahrenshandlungen vornehmen zu können bzw. gegen sich durchführen zu lassen. Verfahrenshandlungen in diesem Sinne sind sämtliche Handlungen, die einem konkret Beteiligten im Sinne des § 12 SGB X zuzurechnen sind und sich auf ein bestimmtes Verwaltungsverfahren beziehen. Stets als handlungsfähig anzusehen sind gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB X alle natürlichen Personen, die nach bürgerlichem Recht (uneingeschränkt) geschäftsfähig sind. Geschäftsfähigkeit meint die Fähigkeit, allgemein zugelassene Rechtsgeschäfte vollwirksam vornehmen zu können. Geschäftsunfähig und damit handlungsunfähig im verfahrensrechtlichen Sinn ist, wer sich in einem die freie Willensentscheidung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach nur ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB). Der Beteiligte darf nicht mehr in der Lage sein, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (BSG, Beschluss vom 14.08.2017 - B 12 KR 103/14 B -, juris Rdnr. 4). Lediglich vorübergehende Störungen, etwa durch Alkohol, Drogen oder Medikamente, führen nicht zur Handlungsunfähigkeit, aber zur Nichtigkeit der konkreten Verwaltungshandlung (§ 105 Abs. 2 BGB). Andauernde Störungen der Geistestätigkeit bilden nach der allgemeinen Lebenserfahrung Ausnahmeerscheinungen und sind grundsätzlich nicht zu vermuten. Es reicht nicht aus, dass der Beteiligte seit längerem an geistigen oder seelischen Störungen leidet. Gegen Geschäftsunfähigkeit spricht, wenn der Beteiligte - ggf. mit selbst organisierter Hilfe - seine wirtschaftlichen Angelegenheiten eigenständig regelt und mit der Behörde zu korrespondieren in der Lage ist (vgl. BSG, Beschluss vom 14.08.2017, a.a.O., juris Rdnr. 6). Bestehen aber konkrete Zweifel an der Geschäftsfähigkeit und ist hierüber nicht zeitnah in einem anderen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren befunden worden, ist der Beteiligte persönlich anzuhören. Bestehen die Zweifel fort, ist nervenärztliche Sachkunde hinzuzuziehen. Ausnahmsweise kann hierauf verzichtet werden, wenn sich schon aus der Art und Weise der Führung des Verwaltungsverfahrens offensichtlich - auch dem Laien erkennbar - ergibt, dass das Vorbringen auf krankhaften Wahnvorstellungen beruht (Bundesverwaltungsgericht , Beschluss vom 21.08.1979 - VII B 143.77 -, juris).
26 
Für H.M. wurde ausweislich der Bestellungsurkunde vom 18.12.2012 eine Betreuung u.a. für den Bereich der Vermögenssorge, einschließlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente, Sozialhilfe usw., den Umgang mit Ämtern sowie Behörden eingerichtet. Für die Vermögenssorge, einschließlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente, Sozialhilfe usw. besteht ein Einwilligungsvorbehalt. Eine Einwilligung des Betreuers des H.M. für die Vertretung des Klägers im Widerspruchsverfahren ist nicht erteilt worden.
27 
Durch die Einrichtung einer Betreuung verlieren volljährige Menschen grundsätzlich nicht ihre Geschäftsfähigkeit. Dementsprechend führt das Bestehen eines Betreuungsverhältnisses nicht allein zum Wegfall der Handlungsfähigkeit (Roller in Schütze, SGG, a.a.O., § 11 Rdnr. 11 m.w.N.). Daran fehlt es erst dann, wenn der Betreute zudem geschäftsunfähig ist (Prehn in Diering/Timme/Strähler, SGB X, 5. Aufl. 2019, § 11 SGB X Rdnr. 6). Wenn ein Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB) angeordnet worden ist, bedarf eine Willenserklärung des Betreuten, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, der Einwilligung des Betreuers, wenn die Willenserklärung dem Betreuten nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil bietet. In diesem Fall bedürfen auch Handlungen im Verwaltungsverfahren der Einwilligung des Betreuers.
28 
Aufgrund des konkreten Verfahrensablaufs, insbesondere auch im Hinblick auf den Ablauf des Verfahrens S 11 AS 1963/16 ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass H.M. nicht geschäftsfähig und nicht zur sachgerechten Führung des Verfahrens in der Lage ist. Weiterer Ermittlungen zur Handlungsfähigkeit des H.M. seitens des Beklagten, insbesondere der Einholung eines Gutachtens, bedurfte es daher nicht.
29 
Der Widerspruch wurde durch den Kläger trotz entsprechendem Hinweis durch den Beklagten und des Ablaufs in dem Verfahren S 11 AS 1963/16 auch nicht genehmigt.
30 
Eine Heilung kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Kläger die Klageerhebung durch H.M. genehmigt hat; eine Bevollmächtigung oder Genehmigung des Widerspruchsverfahrens kann nach der Entscheidung über den Widerspruch mit heilender Wirkung für das Widerspruchsverfahren nicht mehr erfolgen. Dies ergibt sich schon aus dem in § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG niedergelegten Sinn des Vorverfahrens, nämlich vor Erhebung der Anfechtungsklage den Ausgangsverwaltungsakt einer behördlichen Nachprüfung auf Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu unterziehen. Dieser Zweck ist zu dem Zeitpunkt, in dem über den Widerspruch ohne sachliche Prüfung entschieden worden ist, vereitelt. Er kann naturgemäß nicht dadurch nachträglich verwirklicht werden, dass der Widerspruch im anschließenden gerichtlichen Verfahren als zulässig und das Vorverfahren als ordnungsgemäß durchgeführt gilt. Die Gegenansicht führt dazu, dass es der Adressat eines Verwaltungsaktes in der Hand hat, gerichtlichen Rechtsschutz unter Umgehung einer sachlichen Prüfung der für die Entscheidung über den Widerspruch zuständigen Behörde in Anspruch zu nehmen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.05.2014 - L 4 R 3235/14 -, juris).
31 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen des Klägers in beiden Instanzen.
33 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
21 
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Der Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, da der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 750,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Da der Senat H.M. mit Beschluss vom 02.12.2020 die weitere Vertretung untersagt hat, ist die Einlegung der Berufung durch ihn noch wirksam erfolgt (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 73 Rdnr. 36).
22 
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn sie war unbegründet, da der Beklagte den durch H.M. mit Schreiben vom 09.08.2018 gegen den Bescheid vom 06.07.2018 (der durch den Bescheid vom 06.08.2018 vollständig ersetzt wurde) eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2018 zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.
23 
Gemäß § 83 SGG beginnt das Vorverfahren mit der Erhebung des Widerspruchs. Der Widerspruch ist binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG). Dabei kann sich ein Beteiligter gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Vollmacht ermächtigt zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anders ergibt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die Regelungen des § 13 SGB X gelten gemäß § 62 Halbsatz 2 SGB X auch für das Vorverfahren, da das SGG insofern keine Regelung trifft, weil § 73 SGG zwar nicht nach seiner systematischen Stellung, aber nach seinem Wortlaut nur das gerichtliche Verfahren betrifft.
24 
Trotz des Hinweises des Beklagten mit Schreiben vom 03.09.2018 hat der Kläger keine Vollmacht für H.M. vorgelegt, so dass der Widerspruch bereits aus dem Grund unzulässig war. Darüber hinaus wäre, wie der Beklagte und das SG zutreffend angenommen haben, eine Bevollmächtigung des H.M. auch nicht möglich gewesen.
25 
Im Gegensatz zum sozialgerichtlichen Verfahren kann im Verwaltungsverfahren jede natürliche Person als Bevollmächtigter auftreten, solange sie handlungsfähig im Sinne des § 11 SGB X ist. Der Bevollmächtigte ist ermächtigt, für den von ihm vertretenen Beteiligten, „alle Verfahrenshandlungen“ vorzunehmen. Die Verfahrenshandlungen oder -erklärungen des Bevollmächtigten binden den Vollmachtgeber in gleicher Weise, als wenn er sie selbst vorgenommen/abgegeben hätte (Pitz in jurisPK-SGB X, 2. Aufl., Stand 03.09.2020, § 13 Rdnr. 5). Deshalb setzt die Vertretung Handlungsfähigkeit des Bevollmächtigten nach § 11 SGB X voraus (Mutschler in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: 110. EL Juli 2020, § 13 SGB X Rdnr. 3, m.w.N.; Roller in Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 13 Rdnr. 6, m.w.N.). Handlungsfähigkeit im Sinne des § 11 SGB X meint die Befugnis einer Person oder Einrichtung, eigenständig oder durch eigene Organe bzw. selbst bestimmte Vertreter rechtswirksame Verfahrenshandlungen vornehmen zu können bzw. gegen sich durchführen zu lassen. Verfahrenshandlungen in diesem Sinne sind sämtliche Handlungen, die einem konkret Beteiligten im Sinne des § 12 SGB X zuzurechnen sind und sich auf ein bestimmtes Verwaltungsverfahren beziehen. Stets als handlungsfähig anzusehen sind gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB X alle natürlichen Personen, die nach bürgerlichem Recht (uneingeschränkt) geschäftsfähig sind. Geschäftsfähigkeit meint die Fähigkeit, allgemein zugelassene Rechtsgeschäfte vollwirksam vornehmen zu können. Geschäftsunfähig und damit handlungsunfähig im verfahrensrechtlichen Sinn ist, wer sich in einem die freie Willensentscheidung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach nur ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB). Der Beteiligte darf nicht mehr in der Lage sein, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (BSG, Beschluss vom 14.08.2017 - B 12 KR 103/14 B -, juris Rdnr. 4). Lediglich vorübergehende Störungen, etwa durch Alkohol, Drogen oder Medikamente, führen nicht zur Handlungsunfähigkeit, aber zur Nichtigkeit der konkreten Verwaltungshandlung (§ 105 Abs. 2 BGB). Andauernde Störungen der Geistestätigkeit bilden nach der allgemeinen Lebenserfahrung Ausnahmeerscheinungen und sind grundsätzlich nicht zu vermuten. Es reicht nicht aus, dass der Beteiligte seit längerem an geistigen oder seelischen Störungen leidet. Gegen Geschäftsunfähigkeit spricht, wenn der Beteiligte - ggf. mit selbst organisierter Hilfe - seine wirtschaftlichen Angelegenheiten eigenständig regelt und mit der Behörde zu korrespondieren in der Lage ist (vgl. BSG, Beschluss vom 14.08.2017, a.a.O., juris Rdnr. 6). Bestehen aber konkrete Zweifel an der Geschäftsfähigkeit und ist hierüber nicht zeitnah in einem anderen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren befunden worden, ist der Beteiligte persönlich anzuhören. Bestehen die Zweifel fort, ist nervenärztliche Sachkunde hinzuzuziehen. Ausnahmsweise kann hierauf verzichtet werden, wenn sich schon aus der Art und Weise der Führung des Verwaltungsverfahrens offensichtlich - auch dem Laien erkennbar - ergibt, dass das Vorbringen auf krankhaften Wahnvorstellungen beruht (Bundesverwaltungsgericht , Beschluss vom 21.08.1979 - VII B 143.77 -, juris).
26 
Für H.M. wurde ausweislich der Bestellungsurkunde vom 18.12.2012 eine Betreuung u.a. für den Bereich der Vermögenssorge, einschließlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente, Sozialhilfe usw., den Umgang mit Ämtern sowie Behörden eingerichtet. Für die Vermögenssorge, einschließlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente, Sozialhilfe usw. besteht ein Einwilligungsvorbehalt. Eine Einwilligung des Betreuers des H.M. für die Vertretung des Klägers im Widerspruchsverfahren ist nicht erteilt worden.
27 
Durch die Einrichtung einer Betreuung verlieren volljährige Menschen grundsätzlich nicht ihre Geschäftsfähigkeit. Dementsprechend führt das Bestehen eines Betreuungsverhältnisses nicht allein zum Wegfall der Handlungsfähigkeit (Roller in Schütze, SGG, a.a.O., § 11 Rdnr. 11 m.w.N.). Daran fehlt es erst dann, wenn der Betreute zudem geschäftsunfähig ist (Prehn in Diering/Timme/Strähler, SGB X, 5. Aufl. 2019, § 11 SGB X Rdnr. 6). Wenn ein Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB) angeordnet worden ist, bedarf eine Willenserklärung des Betreuten, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, der Einwilligung des Betreuers, wenn die Willenserklärung dem Betreuten nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil bietet. In diesem Fall bedürfen auch Handlungen im Verwaltungsverfahren der Einwilligung des Betreuers.
28 
Aufgrund des konkreten Verfahrensablaufs, insbesondere auch im Hinblick auf den Ablauf des Verfahrens S 11 AS 1963/16 ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass H.M. nicht geschäftsfähig und nicht zur sachgerechten Führung des Verfahrens in der Lage ist. Weiterer Ermittlungen zur Handlungsfähigkeit des H.M. seitens des Beklagten, insbesondere der Einholung eines Gutachtens, bedurfte es daher nicht.
29 
Der Widerspruch wurde durch den Kläger trotz entsprechendem Hinweis durch den Beklagten und des Ablaufs in dem Verfahren S 11 AS 1963/16 auch nicht genehmigt.
30 
Eine Heilung kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Kläger die Klageerhebung durch H.M. genehmigt hat; eine Bevollmächtigung oder Genehmigung des Widerspruchsverfahrens kann nach der Entscheidung über den Widerspruch mit heilender Wirkung für das Widerspruchsverfahren nicht mehr erfolgen. Dies ergibt sich schon aus dem in § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG niedergelegten Sinn des Vorverfahrens, nämlich vor Erhebung der Anfechtungsklage den Ausgangsverwaltungsakt einer behördlichen Nachprüfung auf Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu unterziehen. Dieser Zweck ist zu dem Zeitpunkt, in dem über den Widerspruch ohne sachliche Prüfung entschieden worden ist, vereitelt. Er kann naturgemäß nicht dadurch nachträglich verwirklicht werden, dass der Widerspruch im anschließenden gerichtlichen Verfahren als zulässig und das Vorverfahren als ordnungsgemäß durchgeführt gilt. Die Gegenansicht führt dazu, dass es der Adressat eines Verwaltungsaktes in der Hand hat, gerichtlichen Rechtsschutz unter Umgehung einer sachlichen Prüfung der für die Entscheidung über den Widerspruch zuständigen Behörde in Anspruch zu nehmen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.05.2014 - L 4 R 3235/14 -, juris).
31 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen des Klägers in beiden Instanzen.
33 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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