Urteil vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (12. Senat) - L 12 SF 43/17 EK AS

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2. für das verzögerte Klageverfahren vor dem SG Neubrandenburg eine Entschädigung in Höhe von 1.300,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. April 2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist eine Entschädigung wegen einer überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Neubrandenburg.

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Die 1981 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter ihrer am 17. Januar 2002 geborenen Tochter (Klägerin zu 2)), der am 6. Oktober 2004 geborenen Tochter L., des am 21. Mai 2012 geborenen Sohnes B. sowie der am 6. Januar 1998 geborenen Tochter A., mit denen sie im Jahr 2012 eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens erhielten die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Am 27. Februar 2013 erließ der Beklagte des Ausgangsverfahrens einen Änderungsbescheid, mit welchem den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. August 2012 in geänderter (niedrigerer) Höhe bewilligt wurden. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 27. Februar 2013 wurde der ursprüngliche Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. August 2012 hinsichtlich der Klägerin zu 1) und zu 2) teilweise aufgehoben. Von der Klägerin zu 1) wurde für die Zeit vom 1. bis 31. Mai 2012 ein Betrag in Höhe von 53,73 € und für die Zeit vom 1. bis 30. Juni 2012 in Höhe von 459,35 € (insgesamt 513,08 €) und hinsichtlich der Klägerin zu 2) für die Zeit vom 1. bis 31. Mai 2012 in Höhe von 49,61 € und für die Zeit vom 1. bis 30. Juni 2012 in Höhe von 127,73 € (insgesamt 177,34 €) erstattet verlangt. Grund hierfür war u. a. insbesondere die Tatsache, dass der Klägerin zu 2) eine Halbwaisenrente bewilligt worden war, die als Einkommen bei der Bedarfsermittlung Berücksichtigung fand und die aufgrund verspäteter Antragstellung eine Nachzahlung der Halbwaisenrente in Höhe von 2.076,73 € (für die Zeit vom 1. März 2011 bis 30. April 2012) zur Folge hatte.

3

Nach erfolglosem Widerspruch erhoben die Klägerinnen am 2. September 2013 Klage beim SG A-Stadt, mit der sie die Aufhebung der angefochtenen Bescheide verfolgten. Gleichzeitig beantragten sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Ausgangsverfahren. Nachdem dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen Akteneinsicht gewährt worden war, begründete dieser mit Schriftsatz vom 5. November 2013 die Klage. Die Klageerwiderung erfolgte mit Schriftsatz vom 13. Januar 2014, dieser Schriftsatz wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen vom SG zur Kenntnis und Stellungnahme zugeleitet. Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2014 teilte dieser mit, dass im Schriftsatz der Gegenseite keine neuen Ausführungen enthalten seien, eine Stellungnahme könne daher nicht erfolgen. Am 8. Juni 2015 erfolgte eine Sachstandsanfrage seitens der Klägerinnen. Das SG teilte mit Schreiben vom 10. Juni 2015 mit, dass die Verfahrensdauer derzeit durchschnittlich zwei Jahre betrage und die Verfahren nach Eingangsdatum bearbeitet würden. Am 10. Juli 2015 erhoben die Klägerinnen Verzögerungsrüge. Eine weitere Sachstandsanfrage erfolgte am 20. November 2015. Mit Beschluss vom 8. Januar 2016 lehnte das SG A-Stadt unter Bezugnahme auf § 117 Abs. 2 und § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO den Antrag auf Gewährung von PKH ab. Auf eine erneute Sachstandsanfrage vom 25. April 2017 teilte das SG im Schreiben vom 28. April 2017 mit, dass spätestens im dritten Quartal 2017 eine mündliche Verhandlung stattfinden werde. Am 3. Mai 2017 erfolgte die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. Mai 2017. Der Rechtsstreit endete im Termin vom 24. Mai 2017 durch ein Teilanerkenntnis, wonach die Erstattungsforderung gegenüber der Klägerin zu 1) und zu 2) auf jeweils die Hälfte der Forderung reduziert wurde.

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Am 26. September 2017 haben die Klägerinnen Klage auf Entschädigung beim Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern erhoben. Zugleich wurde die Bewilligung von PKH beantragt. Zur Begründung haben die Klägerinnen ausgeführt, das Ausgangsverfahren vor dem SG A-Stadt habe eine überlange Verfahrensdauer von 28 Monaten (Januar 2015 bis April 2017) aufgewiesen. Für die Klägerin zu 1) werde eine Entschädigung in Höhe von 2.800,00 € und für die Klägerin zu 2) in Höhe von 1.400,00 € geltend gemacht. Inhaltlich sei es für die Klägerinnen um eine bedeutende Frage und um Rückforderungen von ca. 700,00 € gegangen.

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Die Klägerinnen beantragen,

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den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin zu 1) eine angemessene Entschädigung für die überlange Dauer des Gerichtsverfahrens S 7 AS 1302/13 (Sozialgericht Neubrandenburg) in Höhe von 2.700,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. April 2018 zu zahlen,

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den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin zu 2) eine angemessene Entschädigung für die überlange Dauer des Gerichtsverfahrens S 7 AS 1302/13 (Sozialgericht Neubrandenburg) in Höhe von 1.350,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. April 2018 zu zahlen.

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hilfsweise,

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festzustellen, dass das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Neubrandenburg unangemessen lange gedauert hat.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er weist darauf hin, dass eine außergerichtliche Einigung mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen nicht zustande gekommen sei. Der Rechtsstreit weise klärungsbedürftige Rechtsfragen im Hinblick auf das Bestehen von Entschädigungsansprüchen von (mehreren) Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft und deren Höhe auf.

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Mit Beschluss vom 4. Januar 2018 hat der Senat der Klägerin zu 1) Prozesskostenhilfe für einen Anspruch in Höhe von 2.700,00 € und der Klägerin zu 2) für einen Anspruch in Höhe von 1.350,00 € gewährt und im Übrigen die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

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Die Klage ist dem Beklagten am 23. April 2018 zugestellt worden.

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Im Termin hat der Beklagte den Klageanspruch bzgl. der Klägerin zu 1) vollumfänglich anerkannt. Die Klägerin zu 1) hat dieses Anerkenntnis angenommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte L 12 SF 43/17 EK AS und die beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Entschädigungsklage ist hinsichtlich der Klägerin zu 2) überwiegend begründet; die Klägerin zu 1) ist durch das angenommene Anerkenntnis klaglos gestellt worden.

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Die auf § 198 GVG gestützte Entschädigungsklage ist zulässig. Das LSG Mecklenburg-Vorpommern ist funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten (vgl. § 51 SGG) ist gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 202 Satz 2 SGG für Klagen auf Entschädigung nach § 198 GVG gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige LSG zuständig.

19

Die Entschädigungsklage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs. 5 SGG, vgl. Urteil des BSG vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/14 R).

20

Die Entschädigungsklage ist auch innerhalb der Frist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG erhoben worden. Danach muss die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Das Ausgangsverfahren endete im Termin vom 24. Mai 2017. Die Erhebung der Entschädigungsklage am 26. September 2017 beim LSG erfolgte damit innerhalb der 6-monatigen Klagefrist.

21

Die Entschädigungsklage ist auch ganz überwiegend begründet.

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Die für eine Entschädigung erforderliche Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG hat die Klägerin zu 2) am 10. Juli 2015 wirksam erhoben.

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Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtig sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (Satz 2).

24

Der unbestimmte Rechtsbegriff „ungemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens“ ist insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der EGMR zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf effektiven Rechtschutz (Artikel 19 Abs. 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben (Urteil des BSG vom 21. Februar 2013 – B 10 ÜG 1/12 KL –; Urteil des BSG vom 2. Februar 2013 – B 10 ÜG 7/14 R –).

25

Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung (nach dem Stufenschema des BSG, vgl. beispielsweise Urteil vom 5. Mai 2015 – B 10 ÜG 8/14 R –, zitiert nach juris Randnummer 32 m. w. N.) bildet die im § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Monat. Unter Zugrundelegung eines vollen Monats als kleinster Zeiteinheit einer Verzögerung hat das Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Neubrandenburg von Oktober 2013 (Klageerhebung am 2. September 2013) bis April 2017 (Verhandlungstermin am 24. Mai 2017) und somit insgesamt 43 (volle) Monate gedauert.

26

In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen. Im Rahmen seiner Prüfung hat der Senat berücksichtigt, dass der Rechtsstreit der Klägerinnen vor dem Sozialgericht Neubrandenburg einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufgewiesen hat. Die Bedeutung des Rechtsstreits für die Klägerinnen war – unter Zugrundelegung objektiver Kriterien – durchschnittlich bis überdurchschnittlich. Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass von den Klägerinnen existenzielle Leistungen erstattet verlangt worden waren, wobei es allerdings bei der Klägerin zu 2) zu einer Nachzahlung der Halbwaisenrente gekommen ist.

27

Auf das Verhalten der Klägerinnen oder ihres Prozessbevollmächtigen war die Länge der Dauer des Ausgangsverfahrens nicht zurückzuführen.

28

Die Dauer des Ausgangsverfahrens weist eine unangemessene Verfahrensdauer von 26 Monaten auf.

29

Vom Eingang der Klageerhebung am 2. September 2013 bis zur Beendigung des Ausgangsverfahrens am 24. Mai 2017 hat das Ausgangsverfahren insgesamt 43 (volle) Monate gedauert. Gerichtliche Aktivitäten fanden zunächst bis einschließlich Januar 2014 statt. Danach waren keine weiteren gerichtlichen Aktivitäten zur Verfahrensförderung zu verzeichnen, bis nach vorheriger Sachstandsanfrage vom 8. Juni 2015 am 10. Juli 2015 die Verzögerungsrüge erhoben wurde. Mit Beschluss vom 8. Januar 2016 lehnte das SG den PKH-Antrag ab und erteilte auf die weitere Sachstandsanfrage vom 25. April 2017 das Hinweisschreiben vom 28. April 2017. Am 3. Mai 2017 erfolgte die Ladung zum Termin am 24. Mai 2017. Als gerichtliche Aktivitätszeiten nach dem Januar 2014 wertet der Senat den Erlass des Beschlusses vom 8. Januar 2016, nicht jedoch das Hinweisschreiben vom 28. April 2017, da mit diesem keine echte Verfahrensförderung verbunden war. Auch der Monat Mai 2017 stellt einen Monat der gerichtlichen Aktivität dar. Unter Berücksichtigung der genannten gerichtlichen „Aktivitätszeiten“ ist ein Nichtbetreiben des Verfahrens von insgesamt 38 Monaten festzustellen (11 Monate im Jahr 2014, 12 Monate im Jahr 2015, 11 Monate im Jahr 2016 sowie vier Monate im Jahr 2017). Bei einem Zeitraum von 38 Monaten des Nichtbetreibens des Ausgangsverfahrens verbleibt unter Berücksichtigung der vom BSG den Gerichten zugestandenen Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten für die jeweilige Instanz (vgl. Urteil des BSG vom 12. Februar 2015 – B 10 ÜG 7/14 R –, juris Randnummer 36 m. w. N.; Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/14 R –, juris Randnummer 47, 48) eine unangemessene Verfahrensdauer von 26 Monaten.

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Nachdem der Entschädigungsanspruch hinsichtlich der Klägerin zu 1) von dem Beklagen anerkannt worden und der Rechtsstreit insoweit seine Erledigung gefunden hat, war hinsichtlich der Klägerin zu 2) dieser ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 1.300,00 € zuzusprechen wegen einer unangemessenen Verfahrensdauer von 26 Monaten, da auch der Klägerin zu 2) ein eigener Anspruch auf Entschädigung als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft zuzubilligen war, der für jeden Monat der Verzögerung mit 50,00 € monatlich zu bemessen war.

31

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs. 4 ausreichend ist (Satz 2). Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1.200,00 € für jedes Jahr der Verzögerung (Satz 3).

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Auch wenn die Klägerin zu 2) vorliegend als ein (weiteres) Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft (subjektive Klagehäufung) eine Entschädigung gegenüber dem Beklagten verfolgt, steht ihr – neben ihrer Mutter (der Klägerin zu 1.) – ein eigener Entschädigungsanspruch zu. Denn der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personbezogener Anspruch. Dies legt bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nahe. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erlitten hat. Es finden sich dort keine Hinweise dafür, dass mehrere Personen auf Kläger- oder Beklagtenseite hinsichtlich eines Nachteils, der nicht Vermögensnachteil ist, als eine (Personen-)Einheit zu behandeln sind (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014 – 5 C 1/13 D –, juris Randnummer 37). Der Entschädigungsanspruch ist als ein Jedermann-Recht konzipiert und steht in Fällen einer subjektiven Klagehäufung jeder am Gerichtsverfahren beteiligten Person einzeln zu (vgl. Urteil des Sächsischen LSG vom 12. Juli 2016 – L 11 SF 50/15 EK –, juris Randnummer 56; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014, aaO, juris Randnummer 36 ff; Urteil des BFH vom 4. Juni 2014 – X K 12/13 –, juris Randnummer 47; anderer Ansicht Wehrhahn, Verfahrensdauer und Entschädigung in: Die Sozialgerichtsbarkeit 2013, Seite 61, 66, wonach im Bereich des SGB II nicht jedes Mitglied einer gemeinsam klagenden Bedarfsgemeinschaft die volle Entschädigung wie bei einem Einzelverfahren verlangen könne, sondern entsprechend seiner individuellen Beteiligung nur eine anteilige Entschädigung erhalte).

33

Auch wenn somit der Klägerin zu 2) ein eigener Entschädigungsanspruch zusteht, hält es vorliegend der Senat für gerechtfertigt, diesen nicht auf eine Feststellung im Sinne des § 198 Abs. 4 GVG zu beschränken, sondern auch der Klägerin zu 2) eine Entschädigung in Geld gemäß § 198 Abs. 2 GVG zuzubilligen und zwar vorliegend in Höhe von 50,00 € für jeden Monat der Verzögerung. Hierbei hält es der Senat in Anlehnung an die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Geschäftsfähigkeit von Personen für gerechtfertigt, den nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch Geschäftsunfähigen (null bis sechs Jahre) lediglich einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens nach § 198 Abs. 4 GVG zuzubilligen, den beschränkt Geschäftsfähigen (sieben bis 17 Jahre) einen Anspruch auf Entschädigung in Geld zuzubilligen, allerdings nicht in voller Höhe von 100,00 € monatlich (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG), wenn – wie vorliegend – jedenfalls 1 Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Regelentschädigung von 1.200,- Euro pro Jahr der Verzögerung erhalten hat. Insoweit hat der Senat berücksichtigt, dass die Klägerin zu 2) bei Klageerhebung 11 Jahre und bei Beendigung des Ausgangsverfahrens 15 Jahre alt war und damit noch nicht volljährig. Auch im Hinblick auf die nach dem Alter der Leistungsbedürftigen vorgenommene Abstufung des Regelbedarfes nach unterschiedlichen Regelbedarfsstufen hält es der Senat für gerechtfertigt – bei Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II – bei jedenfalls minderjährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft diesen nicht die volle Entschädigung von 100,00 € monatlich zuzubilligen. Ob eine andere Beurteilung im Sinne einer individuellen Betrachtungsweise angezeigt wäre, wenn der Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens besondere Belange des Minderjährigen betrifft (z. B. Zuschuss oder Übernahme der Kosten für eine Klassenfahrt u. ä.), brauchte und hatte der Senat nicht zu entscheiden. Ebenso erübrigen sich vorliegend Ausführungen dazu, ob der Klägerin zu 2) ggf. ein höherer Entschädigungsanspruch als 50,00 € monatlich zugestanden hätte, denn hierüber durfte der Senat nicht entscheiden (ne ultra petita).

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Bei einer Verfahrensverzögerung von 26 Monaten des Ausgangsverfahrens und einem für jeden Monat der Verzögerung geltend gemachten Entschädigungsanspruch in Höhe von 50,00 € monatlich war der Klage bzgl. der Klägerin zu 2) in einem Umfang von 1.300,00 € zu entsprechen; soweit die Klägerin zu 2) einen darüber hinausgehenden Betrag geltend gemacht hat, war die Klage abzuweisen.

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Der Anspruch auf die ab dem 23. April 2018 ab Rechtshängigkeit (§ 94 Satz 2 SGG) beantragten Prozesszinsen folgt aus § 291 Satz 1 i. V. m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB, da diese Vorschriften auch in Entschädigungsverfahren der vorliegenden Art anwendbar sind (vgl. Urteil des BSG vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/14 R – m. w. N.).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da die Klägerin zu 2) mit ihrer Klage nur zu einem ganz geringen Teil unterlegen ist.

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Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.

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