Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (6. Senat) - L 6 KR 90/19 NZB

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 04. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt die Zulassung der Berufung gegen einen Gerichtsbescheid, mit welchem seine Klage gegen eine Mahnung der Beklagten vom 22. Februar 2018 abgewiesen worden ist.

2

Der Kläger war freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten. Da Beitragszahlungen nicht erfolgten, teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 22. August 2018 unter dem Betreff „Ihre Beiträge zur Kranken-und Pflegeversicherung – Ruhensmahnung und Leistungsangebot“ mit, dass das Beitragskonto nicht ausgeglichen sei und eine Forderung in Höhe von 548,98 Euro bestehe. Die Beklagte bat den Kläger, den rückständigen Betrag innerhalb von 10 Tagen zu zahlen. Ein Zahlschein sei beigefügt. Ferner regte sie die Erteilung eines Lastschriftmandates an und wies den Kläger darauf hin, dass der Gesetzgeber vorschreibe, dass für nicht fristgerecht gezahlte Beiträge ein Säumniszuschlag berechnet werden müsse. Zudem müssten bei Nichtzahlung innerhalb der genannten Frist Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden. Die Zahlungsaufforderung sei eine Mahnung im Sinne des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes. Dafür würde im Rahmen des § 19 Abs. 2 VwVG i.V.m. § 38 der Satzung der AOK Nordost eine Mahngebühr erhoben. In der Anlage des Schreibens findet sich eine Forderungsübersicht nebst Säumniszuschlag und Mahngebühr in Höhe von jeweils 5,00 Euro.

3

Hiergegen erhob der Kläger am 21. September 2018 Widerspruch, den er auch nach gewährter Akteneinsicht und Hinweis darauf, dass es sich bei dem Schreiben vom 22. August 2018 um keinen Verwaltungsakt handele, nicht begründete.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2018 verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Zur Begründung führte sie aus, dass der Widerspruch gegen das Schreiben vom 22. August 2018 nicht zulässig sei, da es sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) handele. Mit dem angefochtenen Schreiben vom 22. August 2018 würden Rechte des Widerspruchsführers weder begründet noch geändert, entzogen oder festgestellt. Eine Entscheidung über einen Rechtsanspruch sei nicht getroffen worden und Begründungen nicht erfolgt. Es sei lediglich mitgeteilt worden, dass „beschiedene Beiträge“ nicht oder nicht vollständig geleistet worden seien und Auskunft über die dadurch angefallenen Gebühren erteilt worden.

5

Hiergegen hat der Kläger am 9. Januar 2019 Klage erhoben, die er auch nach Aufforderung des Gerichts nicht begründet hat. Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 04. Juni 2019 abgewiesen und ausgeführt, die Klage sei unbegründet. Die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Auch bei der Mitteilung der errechneten und im Beitragskonto aufgeführten Säumniszuschläge handele es sich nach gebotener Auslegung nicht um eine Regelung. Bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild handele es sich bei dem Schreiben nicht um einen Verwaltungsakt, da sowohl Rechtsmittelbelehrung als auch regelnder Verfügungssatz fehlten. Da der Verwaltungsakt seine maßgebliche Gestalt durch den Widerspruchsbescheid erfahre, sei – auch für den Empfängerhorizont – für den Inhalt entscheidend, ob und wie die Behörde selbst im Widerspruchsbescheid etwaig zu erkennen gebe, dass eine hoheitliche Regelung mit Bindungswirkung habe getroffen werden sollen oder nicht. In dem Widerspruchsbescheid habe die Beklagte unmissverständlich klargestellt, dass mit dem Schreiben vom 22. August 2018 keine Entscheidung über einen Rechtsanspruch getroffen werden sollte und auch die Mitteilung zu Mahngebühr und Säumniszuschlag lediglich ein Hinweis habe sein sollen.

6

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde vom 17. Juli 2019 gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem seiner Prozessbevollmächtigten am 04.Juni 2019 zugestellten Gerichtsbescheid. Die Beschwerde hat der Kläger trotz Aufforderung nicht begründet.

II.

7

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

8

Die Berufung bedarf der Zulassung, weil der maßgebliche Beschwerdewert von 750,00 Euro nicht erreicht ist. Streitgegenständlich sind lediglich die Mahngebühr und der Säumniszuschlag in Höhe von insgesamt 10,00 Euro.

9

Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn

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1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

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2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

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3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

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Zulassungsgründe in diesem Sinne liegen nicht vor.

14

1) Die Rechtssache wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

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Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht ohne weiteres beantworten lässt. Die gestellte Rechtsfrage muss über den Einzelfall hinaus klärungsbedürftig sowie im konkreten Fall klärungsfähig sein (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage, § 144 Rn. 28). Sie ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, d. h. sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG, Beschluss vom 16. Oktober 2018 – B 12 KR 26/18 B – juris Rn. 5).

16

Nicht ausreichend ist, dass eine – auch über den Einzelfall hinausweisende – Tataschenfrage streitig ist (vgl. Leitherer, a. a. O., Rn. 29).

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Eine nicht geklärte und klärungsbedürftige Rechtsfrage abstrakter Art ist nicht gegeben. Denn die streitgegenständliche Frage, ob eine Anforderung von Mahngebühren und Säumniszuschlägen als Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X zu qualifizieren ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die anhand der Gesetzeslage – nämlich durch eine Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 31 SGB X – zu beantworten ist.

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2) Es liegt auch keine Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor, auf der die Entscheidung des Sozialgerichts beruht.

19

Zwar hat das Sozialgericht in der Geltendmachung der Mahngebühr vorliegend keinen Verwaltungsakt gesehen, während das Bundessozialgericht mit Urteil vom 26. Mai 2011– B 14 AS 54/10 R –. entschieden hat, dass es sich bei der in einer Mahnung enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren nach § 19 Abs. 2 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG) um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X handelt, der mit Widerspruch und Klage angefochten werden kann. Dazu hat das BSG ausgeführt, die Verpflichtung zur Zahlung von Mahngebühren ergebe sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setze voraus, dass – wie es etwas in § 19 Abs. 2 Satz1 VwVG heiße – Mahngebühren “erhoben“ werden. In dem vom BSG entschiedenen Fall handelte es sich um eine Mahnung nach § 3 Abs. 3 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes (VwVG).

20

Das VwVG des Bundes findet nach § 1 Abs. 1 VwVG Anwendung, wenn öffentlich-rechtliche Geldforderungen des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts vollstreckt werden. Hingegen findet das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Brandenburg (VwVG Bbg) nach § 1 Abs.1 Nr. 1 VwVG Bbg für die Vollstreckung von Verwaltungsakten der Behörden des Landes Brandenburg, der Gemeinden, der Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Anwendung, mit denen eine Geldleistung (…) gefordert wird.

21

In Abweichung zum VwVG des Bundes regelt § 19 Abs.4 VwVg Bbg, dass Vollstreckungskosten, Säumniszuschläge und Zinsen ohne Leistungsbescheid zusammen mit der Hauptforderung vollstreckt werden können, wenn in dem Leistungsbescheid über die Hauptforderung oder in der Mahnung auf diese Nebenforderungen dem Grunde nach hingewiesen wurde. In ähnlicher Weise regelt § 254 Abs. 2 Abgabenordnung, der gemäß § 5 Abs. 1 VwVG des Bundes Anwendung finden kann, dass es eines Leistungsgebots wegen Säumniszuschlägen, Zinsen und Vollstreckungskosten nicht bedarf, wenn sie zusammen mit dem Hauptanspruch beigetrieben werden. Daraus könnte sich ergeben, dass es für das Entstehen von Mahngebühren nicht notwendigerweise des Erlasses eines Verwaltungsaktes bedarf, womit für die Annahme eines gleichwohl vorliegenden Verwaltungsaktes höhere Anforderungen zu stellen sein könnten.

22

Bei der Beklagten handelt es sich um eine Körperschaft, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes, aber nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, und welche (durch Vereinbarung der Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) gemäß § 90 Abs. 3 SGB IV der Aufsicht des Landes Brandenburg untersteht, sodass gemäß § 1 VwVg Bbg Landesrecht anzuwenden wäre. Allerdings regelt wiederum § 66 Abs. 3 SGB X abweichend von § 1 VwVG Bbg, dass die nach Landesrecht zuständigen Vollstreckungsbehörden zugunsten der landesunmittelbaren Krankenkassen, die sich über mehr als ein Bundesland erstrecken, nach den Vorschriften des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes (des Bundes) vollstrecken.

23

Obwohl es sich bei der Mahnung noch nicht um eine Vollstreckungshandlung im eigentlichen Sinne handelt, sondern diese nur eine unselbständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckungsandrohung oder zu den eigentlichen Vollstreckungshandlungen darstellt (vgl. BSG, Beschluss vom 05. August 1997, 11 Bar 95/97, juris, Rn.6), könnte sie bereits unter den Begriff „Vollstreckung“ im Sinne von § 66 SGB X zu fassen sein, mit der Folge, dass § 19 Abs.2 VwVG des Bundes bereits für die Mahngebühren gelten würde. Die Verwaltungsvollstreckungsgesetzte treffen sowohl in § 19 Abs. 2 VwVG als auch in § 4 Abs. 2 der Kostenordnung zum Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg (BbgKostO) konkrete Regelungen zur (Höhe der) Mahngebühr, woraus deutlich wird, dass die Mahnung bereits dem Vollstreckungsverfahren zuzurechnen sein könnte. Davon geht offenbar auch die Beklagte aus, die hinsichtlich der Mahngebühren auf § 3 VwVG des Bundes und § 66 Abs. 4 SGB X verweist.

24

Eine abschließende Entscheidung darüber, welches Verwaltungsvollstreckungsgesetz vorliegend Anwendung findet und ob § 19 Abs. 4 VwVG Bbg auch Mahngebühren mit der Folge erfasst, dass eine Geltendmachung durch Verwaltungsakt nicht erforderlich wäre, braucht der Senat jedoch ebenso wenig zu treffen wie darüber, ob im konkreten Einzelfall das Mahnschrieben der Beklagten als Verwaltungsakt anzusehen ist. Denn selbst wenn die Mahngebühren und Säumniszuschläge durch Verwaltungsakt geltend gemacht worden sein sollten, ist zum einen zweifelhaft, ob eine Divergenz zur oben genannten Entscheidung des BSG gegeben wäre.

25

Eine Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt dann vor, wenn die die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssätze zweier Entscheidungen nicht übereinstimmen. Das SG muss dabei den mit der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zugrunde gelegt haben, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt und damit der obergerichtlichen Rechtsprechung im Grundsätzlichen widersprochen haben. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die die obersten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall als Folge eines Rechtsirrtums ist keine Divergenz im Sinne vom § 144 Abs.2 Nr. 2 SGG (BeckOGK/Sommer, SGG, § 144 Rn. 40). Das Sozialgericht hat vorliegend keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, sondern nur für den konkreten Einzelfall nach Auslegung des streitgegenständlichen Schreibens unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des § 31 SGB X entschieden, dass ein Verwaltungsakt nicht gegeben ist.

26

Jedenfalls aber beruht die Entscheidung des Sozialgerichts nicht auf einer etwaigen Abweichung von der Rechtsprechung des BSG. Selbst wenn das Schreiben vom 22. August 2018 hinsichtlich der Mahngebühren und Säumniszuschläge als Verwaltungsakt zu qualifizieren sein sollte, hätte das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Unstreitig hat der Kläger die eigentliche Beitragsforderung nicht gezahlt und im Verfahren auch keine Einwände gegen die Beitragsforderung geltend gemacht. Es bestehen daher keine Zweifel daran, dass die Beklagte zur Geltendmachung eines Säumniszuschlages nach § 24 SGB IV in Höhe von 5,00 Euro und zur Geltendmachung von Mahngebühren in Höhe von ebenfalls 5,00 Euro berechtigt war. Auch insoweit kann dahinstehen, ob § 4 Abs. 2 BbgKostO oder § 3 Abs. 3 VwVG Anwendung findet. Denn nach beiden Vorschriften beträgt die Mindestgebühr 5,00 Euro.

27

3) Ein Verfahrensmangel wurde bereits nicht geltend gemacht.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

29

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG; mit ihr wird der Gerichtsbescheid rechtskräftig, § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG.

30

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war bereits deshalb abzulehnen, weil keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt worden ist, § 73a SGG i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO.

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