Urteil vom Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - L 6 R 453/15

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 26.08.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2013 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, unter Abänderung des Bescheids vom 20.09.2010 den im Bescheid vom 27.08.2010 genannten Rentennachzahlungsbetrag in Höhe von 359,90 Euro an die Klägerin auszuzahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Die Beklagte erstattet der Klägerin 1/10 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine von der Beklagten festgestellte Rentennachzahlung in Höhe von (iHv) 8.396,70 Euro der Klägerin zusteht oder an den Beigeladenen im Rahmen eines Erstattungsverfahrens auszuzahlen war.

2

1. Die am ... 1963 geborene Klägerin stellte am 27.05.2009 bei dem beklagten Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. In diesem Antrag gab sie an, seit dem 01.03.2008 Alg-II-Leistungen von dem beigeladenen Jobcenter zu beziehen.

3

2. Der Beigeladene hatte der Klägerin und ihrer am ... 1990 geborenen Tochter u.a. auch für die Zeit vom 01.10.2009 bis zum 30.09.2010 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bewilligt. Im Einzelnen handelt es sich dabei u.a. um folgende Bescheide:

4

- Bescheid vom 03.04.2009 in der Gestalt (idG) der Änderungsbescheide vom 06.06.2009 und 27.08.2009 betreffend die Zeit vom 01.05.2009 bis 31.10.2009
- Bescheid vom 05.10.2009 idG des Änderungsbescheids vom 20.01.2010 idG des Bescheids vom 01.02.2010 betreffend die Zeit vom 01.11.2009 bis 31.04.2010
- Bescheid vom 24.03.2010 idG der Änderungsbescheide vom 04.06.2010 und 07.09.2010 betreffend die Zeit vom 01.05.2010 bis 31.10.2010.

5

Mit Bescheid vom 14.09.2010 hob der Beigeladene die Bescheide vom 24.03.2010 und 07.09.2010 über die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab 01.10.2010 auf, da ab dem 01.10.2010 ein Anspruch auf Wohngeld und daher keine Hilfebedürftigkeit mehr bestehe. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 08.10.2010 hob der Beigeladene die Bescheide vom 24.03.2010 und 04.06.2010 über die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vom 01.09.2010 bis 30.09.2010 teilweise iHv 155,20 Euro gegenüber der Klägerin auf und forderte diese zur Erstattung dieses Betrags auf. Die Hilfebedürftigkeit habe sich, da die Tochter der Klägerin während des genannten Zeitraums Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit erzielt habe, reduziert.

6

3. Für die Zeit vom 01.09.2010 bis 31.08.2011 wurde der Klägerin mit Bescheid der Stadt L... vom 14.09.2010 Wohngeld in Höhe von monatlich 121 Euro bewilligt.

7

4. Mit Bescheid vom 27.08.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.10.2009 bis zum 31.10.2011. Für die Zeit ab dem 01.10.2009 wurde der Rentenzahlbetrag auf monatlich 699,73 Euro beziffert und ab dem 01.10.2010 monatlich ausgezahlt. Gleichzeitig wurde für die Zeit vom 01.10.2009 bis zum 30.09.2010 eine Nachzahlung von 8.396,76 Euro festgestellt. Die Nachzahlung wurde vorläufig nicht ausgezahlt. Zunächst seien Ansprüche anderer Stellen zu klären. Sobald die Höhe der Ansprüche bekannt sei, rechne man die Nachzahlung ab.

8

Mit Schreiben vom 07.09.2010 machte der Beigeladene einen bereits am 30.06.2010 angemeldeten Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten iHv 13.891,46 Euro geltend. Bis zum 30.09.2010 seien Leistungen iHv 5.774,00 Euro Arbeitslosengeld II, 6.394,32 Euro Kosten der Unterkunft, 1.507,41 Euro Krankenversicherungsbeiträge und 215,73 Euro Pflegeversicherungsbeiträge gezahlt worden, die nun wegen der bereits ab dem 01.10.2009 zustehenden Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten zu erstatten seien.

9

Unter Berücksichtigung dieses Erstattungsantrags des Beigeladenen rechnete die Beklagte mit an die Klägerin adressiertem Schreiben vom 20.09.2010 die Rentennachzahlung in der Weise ab, dass sie aufgrund des angemeldeten Erstattungsanspruchs dem Beigeladenen einen Betrag von 8.396,76 Euro auszahlte und der Klägerin mitteilte, dass für sie kein Rentennachzahlungsbetrag mehr zur Verfügung stehe.

10

Die Klägerin bat die Beklagte im Folgenden um Auskunft, in welcher Höhe dem Beigeladenen Kosten erstattet worden seien und bat um Übersendung einer Kopie der Abrechnung.

11

Mit Schreiben vom 19.10.2010 übersandte die Beklagte der Klägerin eine Kopie der seitens des Beigeladenen übersandten Abrechnung und teilte der Klägerin mit, dass das Arbeitslosengeld II und die Kosten der Unterkunft die Rente überstiegen hätten, so dass die Erstattung in voller Höhe erfolgt sei. Aufwendungen zur Kranken- und Pflegeversicherung seien in der Höhe erstattet worden, wie sie aus der Rente zu zahlen gewesen seien.

12

5. Wegen des Einbehalts der Rentennachzahlung hat die Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2012 am 26.09.2012 Klage zum Sozialgericht Speyer (SG) erhoben (Aktenzeichen S 16 R 965/12), die sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.08.2015 zurückgenommen hat.

13

6. Nachdem der Klageschriftsatz – Schreiben vom 25.09.2012 – von der Beklagten als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gewertet worden war, teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 24.04.2013 mit, dass dem Überprüfungsantrag nicht entsprochen werden könne. Der von dem Beigeladenen geltend gemachte Erstattungsanspruch sei ordnungsgemäß mit der vorhandenen Nachzahlung abgerechnet worden, so dass kein Rentennachzahlungsbetrag mehr vorhanden sei.

14

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2013 wies die Beklagte den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

15

Dagegen hat die Klägerin am 02.07.2013 Klage beim SG erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, es werde bestritten, dass womöglich andere Behörden einen Anspruch auf die Rentennachzahlung hätten. Außerdem werde bestritten, dass die Beklagte den angeblich übergegangenen Anspruch ordnungsgemäß geprüft habe. Der von dem Beigeladenen geltend gemachte Erstattungsanspruch sei rechtswidrig. Die Nachzahlung sei direkt an sie zu zahlen.

16

Mit Beschluss vom 20.02.2014 hat das SG das Jobcenter gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren notwendig beigeladen.

17

Mit Urteil vom 26.08.2015 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid der Beklagten vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 20.06.2013 sei rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zurücknahme des Bescheids vom 20.09.2010 sowie auf Auszahlung der Rentennachzahlung für die Zeit vom 01.10.2009 bis zum 30.09.2010 iHv 8.396,76 Euro direkt an sie. Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Auszahlung der Rentennachzahlung sei nach der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X iHv 8.396,76 Euro erloschen, da dem Beigeladenen in dieser Höhe ein Erstattungsanspruch zustehe. Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch des Beigeladenen sei § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Erfüllungswirkung nach § 107 Abs. 1 SGB X diene dem Zweck, Doppelleistungen an den Leistungsberechtigten auszuschließen und zugleich das Verhältnis zwischen dem Sozialleistungsanspruch des Berechtigten und dem Erstattungsanspruch klarzustellen. Die Höhe des geltend gemachten Erstattungsanspruchs sei rechnerisch nicht zu beanstanden. Der Beigeladene habe auch hinsichtlich der Tochter der Klägerin einen Erstattungsanspruch. Nach § 34b SGB II würden als Aufwendungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Leistungsberechtigten auch solche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gelten, die an die nicht getrennt lebenden Ehe- oder Lebenspartner oder die noch nicht 25-jährigen Kinder der leistungsberechtigten Person erbracht worden seien. § 34b SGB II entbinde daher vom Erfordernis der Personenidentität und erweitere die zu erstattenden Leistungen. Der Beigeladene habe daher auch hinsichtlich der an die in § 34b SGB II genannten Angehörigen, hier die zum Zeitpunkt der Leistungserbringung noch nicht 25-jährige Tochter der Klägerin, erbrachten Leistungen einen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte.

18

Gegen das ihr am 26.11.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.11.2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass das SG nicht durch eine Berechnung dargelegt habe, dass dem Beigeladenen ein Erstattungsanspruch iHv 8.396,76 Euro zustehe. Auch die Beklagte habe den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht überprüft, sondern lediglich hingenommen, dass der Beigeladene Geld in der beantragten Höhe haben wolle. Auch würden Pflichtbeiträge zu Krankenkassen zurückverlangt, welche wiederum bereits von der Rentenversicherung bezahlt worden seien, so dass eine Erstattung in dieser Höhe auch nicht stattfinden könne. Im Übrigen hätten auch nur diejenigen Leistungen übergeleitet werden dürfen, die sie betroffen hätten. Denn es sei nicht die Tochter gewesen, die Rente erhalte, sondern sie. Auch hätte sie andernfalls einen Anspruch auf Wohngeld iHv 120 Euro gehabt, den sie nachträglich jedoch nicht mehr geltend machen könne. Folglich hätten zumindest 56 % der Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 40 Abs. 4 SGB II (alte Fassung) nicht aufgehoben werden dürfen. Die Aufhebung der Wohnkosten für die Tochter sei auch deshalb rechtswidrig, nachdem die Tochter im Zeitpunkt der Rentenbewilligung erst 19 Jahre alt gewesen sei. Als Schülerin hätte die Tochter eigentlich einen Sozialgeldanspruch gehabt und wäre von den Leistungen nicht ausgeschlossen gewesen. Im Übrigen sei auch an die Rechtsfigur des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu denken, weil sie – wäre sie entsprechend beraten worden – kein Arbeitslosengeld II, sondern Wohngeld, Kinderzuschlag und Schüler-Bafög beantragt hätte, so dass es dann gar nicht zu einer Überzahlung von Arbeitslosengeld II gekommen wäre.

19

Der Beigeladene hat eine Übersicht über die an die Klägerin ausgezahlten Beträge (Arbeitslosengeld II und Kosten der Unterkunft) sowie die diesbezüglich gezahlten Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge vorgelegt und sich zur Berechnung des Erstattungsanspruchs geäußert. Danach hätte, so der Beigeladene, die befristete Erwerbsminderungsrente ab 01.09.2009 zur Folge gehabt, dass die Klägerin nicht aus dem Leistungsbezug gefallen wäre, sondern unter Anrechnung der Rente sowie Umstellung auf Sozialgeld weiter im Bezug geblieben wäre. Da die Klägerin mit ihrer Tochter in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt habe, wäre die Rente nach dem Kopfteilprinzip auch auf die Tochter verteilt worden. Ein Anspruch auf Wohngeld hätte dann ebenfalls nicht bestanden, da damit die Hilfebedürftigkeit nicht behoben worden wäre, nachdem der Restanspruch unter Anrechnung der Rente für die Bedarfsgemeinschaft immer noch ca. 320 Euro und der angebliche Wohngeldanspruch dagegen lediglich 120 Euro betragen hätte. Wohngeldanspruch und Vermeidung der Hilfebedürftigkeit seien erst eingetreten, nachdem die Tochter der Klägerin ab 01.09.2010 ein freiwilliges soziales Jahr begonnen habe und gleichzeitig Wohngeld beantragt worden sei. Auch aus dem Wohngeldbescheid gehe insoweit ausdrücklich hervor, dass vor dem 01.09.2010 Hilfebedürftigkeit nicht vermieden worden wäre.

20

Mit gerichtlichem Schreiben vom 10.08.2017 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass die Klägerin und deren Tochter auch bei einer rechtzeitigen Rentenleistung in den Monaten Oktober 2009 bis September 2010 leistungsberechtigt im Sinne des SGB II gewesen wären, so dass ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen nur in Höhe der Differenz zwischen der Leistungserbringung des Beigeladenen ohne Anrechnung der Rentenzahlung und dem hypothetischen Leistungsanspruch der Klägerin und ihrer Tochter unter Anrechnung der Rentenleistung entstanden sein könne, da nur insoweit die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X greifen könne. Da der Beigeladene aber sämtliche Leistungen im maßgeblichen Zeitraum zur Erstattung angefordert habe, werde ihm aufgegeben, probeweise den Leistungsanspruch der Klägerin und ihrer Tochter zu berechnen, wenn die Rente (monatlicher Zahlbetrag 699,73 Euro) bereits ab Oktober 2009 gezahlt worden wäre und auf dieser Basis den Erstattungsanspruch für die erbrachten Leistungen probeweise neu zu berechnen.

21

Mit Schreiben vom 01.12.2017 hat der Beigeladene die angeforderte Proberechnung übersandt. Auf Blatt 169-193 der Gerichtsakte wird insoweit Bezug genommen.

22

Im Rahmen eines vor der Berichterstatterin durchgeführten Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 11.09.2018 hat diese den Beteiligten eine von ihr gefertigte Zusammenstellung bezüglich der Überzahlung durch den Beigeladenen bei fiktiver monatlicher Berücksichtigung der Rentennachzahlung für die Zeit vom 01.10.2009 bis 30.09.2010 ausgehändigt. Auf Blatt 217a der Gerichtsakte wird insoweit Bezug genommen.

23

Die Beteiligten haben in dem Termin vom 11.09.2018 ferner ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

24

Ein von der Klägerin mit Schreiben vom 16.09.2018 unterbreiteter Vergleichsvorschlag ist von der Beklagten mit Schreiben vom 04.10.2018 zurückgewiesen worden.

25

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

26

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 26.08.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 20.09.2010 den im Bescheid vom 27.08.2010 genannten Rentennachzahlungsbetrag in Höhe von 8.396,76 Euro an sie auszuzahlen.

27

Die Beklagte beantragt,

28

die Berufung zurückzuweisen.

29

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

30

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Beklagten- und Beigeladenenakte sowie der vom SG beigezogenen Akte S 16 R 965/12 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

31

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hierzu in dem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 11.09.2018 ihr Einverständnis erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2, § 153 Abs. 1 SGG).

32

Die zulässige (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG), insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.

33

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2013, mit dem die Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin im Schreiben vom 25.09.2012, der sinngemäß dahingehend auszulegen war, dass der Bescheid vom 20.09.2010 zurückzunehmen sei und der Rentennachzahlungsbetrag in Höhe von 8.396,76 Euro an die Klägerin auszuzahlen sei, abgelehnt hat.

34

Die von der Klägerin insoweit erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) ist teilweise begründet.

35

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 20.09.2010 und Auszahlung einer Rentennachzahlung aus dem Bescheid der Beklagten vom 27.08.2010 iHv 359,90 Euro.

36

Die Abrechnungsmitteilung der Beklagten vom 20.09.2010 stellt einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X dar.

37

Gemäß § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung und andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

38

Ob die Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, richtet sich danach, wie ein (objektiver) Empfänger diese Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls zu deuten hatte (objektiver Empfängerhorizont). Maßgebend ist die im Verfügungssatz getroffene Regelung, die darin abgegebene Erklärung und der aus dem Inhalt ersichtliche Erklärungswille, wobei der Verfügungssatz nicht in der Art einer Entscheidungsformel der Begründung vorangestellt sein muss, sondern auch räumlich in der Begründung des VA enthalten sein kann (vgl. Mutschler in Kasseler Kommentar, SGB X, § 31 Rn. 21, Stand der Einzelkommentierung Oktober 2014).

39

Dies zugrunde legend hat die Beklagte mit der Abrechnung der Rentennachzahlung im Schreiben vom 20.09.2010 eine - endgültige - Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, getroffen. Denn damit wird der Verbleib der zunächst gemäß Rentenbescheid vom 27.08.2010 „vorläufig“ nicht ausgezahlten Nachzahlung geregelt (vgl. auch Bayerisches LSG Urteil vom 27.06.2017, L 13 R 171/15, juris Rn. 29). Die Erklärung der Beklagten im Schreiben vom 20.09.2010, dass „ein Rentennachzahlungsbetrag (für die Klägerin) nicht mehr zur Verfügung steht“, stellt aus Sicht eines verständigen Empfängers eine Regelung dar. Die diesbezügliche Begründung ergibt sich daraus, dass – wie im Bescheid vom 20.09.2010 ausgeführt – der von dem Beigeladenen geltend gemachte Erstattungsanspruch in Höhe des Rentennachzahlungsbetrags von 8.396,76 Euro erfüllt worden ist.

40

Die Beklagte hat somit zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen einen Auszahlungsanspruch der Klägerin abgelehnt.

41

Dies deckt sich mit der Systematik des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI), denn § 117 SGB VI verlangt eine „Entscheidung“, d.h. eine verbindliche Regelung, über die beantragten Leistungen, was bedeutet, dass (Aus-) Zahlungsansprüche (auch für vergangene Zeiträume) in Form eines Verwaltungsakts festzustellen sind (so auch Bayerisches LSG, a.a.O., Rn. 31). Die Rentenversicherungsträger müssen nach § 117 SGB VI i.V.m. § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) über einen (jeden) Anspruch auf Leistung, der gegen sie durch einen Antrag erhoben wird, schriftlich entscheiden, also einen schriftlichen Verwaltungsakt erlassen (BSG Urteil vom 18.10.2005, B 4 RA 21/05 R, juris Rn. 18; zur Verwaltungsaktqualität anderer Mitteilungen des Rentenversicherungsträgers siehe BSG Urteil vom 11.05.2011, B 5 R 8/10 R, juris Rn. 13, BSG Urteil vom 20.07.2005, B 13 RJ 17/04 R, juris Rn. 19; zur Verwaltungsaktqualität von Mitteilungen von Abrechnungen von Rentennachzahlungen s.a. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.06.2017, L 8 R 1003/16 WA, juris Rn. 54, 58; für die Möglichkeit einer Verrechnung nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt siehe BSG Beschluss vom 31.08.2011, GS 2/10, BSG Urteil vom 31.10.2012, B 13 R 13/12 R, juris Rn. 18).

42

Dieser Verwaltungsakt vom 20.09.2010 ist zwar (bei vorliegend wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung geltenden Jahresfrist, vgl. § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG) nicht fristgerecht angefochten worden und daher bestandskräftig geworden (vgl. § 77 SGG). Mit Schreiben vom 25.09.2012 hat die Klägerin aber einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt, den die Beklagte mit Bescheid vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2013 abgelehnt hat.

43

Trotz des im Rahmen des § 44 SGB X geltenden beschränkten Prüfungsrahmens (vgl. dazu Urteil des Senats vom 06.06.2018, L 6 R 5/18) hat die Beklagte vorliegend mit Bescheid vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2013 auf den Überprüfungsantrag vom 25.09.2012 (von der Beklagten in nicht schädlicher Weise als Überprüfungsantrag vom „26.08.2012“ bezeichnet; bloßer Schreibfehler) nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 SGB X eine rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Entscheidung vom 20.09.2010 vorgenommen, d.h. eine neue Sachprüfung durchgeprüft, so dass auch vom Gericht zu prüfen ist, ob dem bestandskräftigen Bescheid vom 20.09.2010 eine unrichtige Rechtsanwendung im Sinne der 1. Alternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zugrunde liegt.

44

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

45

Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 20.09.2010 ist insoweit materiell rechtswidrig, als die Beklagte festgestellt hat, dass für die Klägerin kein Rentennachzahlungsbetrag zur Verfügung stehe, weil der – mit Bescheid vom 27.08.2010 bestandskräftig festgestellte – Rentennachzahlungsbetrag in voller Höhe von 8.396,76 Euro an den Beigeladenen zur Erfüllung dessen Erstattungsanspruchs auszuzahlen sei. Denn ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X i.V.m. § 40a SGB II, der rückwirkend zum 01.01.2009 durch das Achte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen vom 28.07.2014 (BGBl. I 1306) eingeführt worden ist, steht dem Beigeladenen nur iHv 8.036,86 Euro zu, so dass nur insoweit nach § 107 Abs. 1 SGB X Erfüllung des der Klägerin gegen die Beklagte zustehenden Rentennachzahlungsanspruchs eingetreten ist. Über den darüber hinausgehenden Betrag von 359,90 Euro ist daher keine Erfüllung eingetreten und dieser Betrag an die Klägerin zu zahlen.

46

§ 104 SGB X regelt den Erstattungsanspruch eines nachrangig verpflichteten Sozialleistungsträgers, der Leistungen erbracht hat, gegen einen anderen, für denselben Zeitraum wegen einer kongruenten Leistung vorrangig leistungspflichtig gewesenen Sozialleistungsträger (vgl. Pattar in jurisPK-SGB X, § 104 Rn. 16, Stand der Einzelkommentierung 01.12.2017).

47

Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X); wobei ein Erstattungsanspruch nicht besteht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (vgl. § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X).

48

Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

49

§ 104 Abs. 1 SGB X gilt auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen, auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile, gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat oder hatte (§ 104 Abs. 2 SGB X).

50

Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 104 Abs. 3 SGB X).

51

§ 104 SGB X regelt mithin einen Erstattungsanspruch in einer Situation, in der

52

- ein zuständiger Sozialleistungsträger
- endgültig und nicht nur vorläufig
- rechtmäßige Leistungen erbracht hat,
- welche der leistungsberechtigten Person nach dem für die tatsächlich erbrachten Leistungen maßgeblichen Leistungsrecht auch dann dauerhaft verbleiben, wenn sich später die Leistungspflicht eines anderen, vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträgers für kongruente Leistungen herausstellt,
- welche aber, hätte der vorrangig verpflichtete Sozialleistungsträger die Leistungen bereits von Anfang an erbracht, nach dem für die Leistung maßgeblichen Leistungsrecht im Verhältnis zur leistungsberechtigten Person nicht erbracht worden wären (vgl. Pattar, a.a.O., Rn. 17).

53

Vorliegend hat der Beigeladene mit der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II entsprechend dem für ihn geltenden Leistungsrecht endgültig und rechtmäßig Leistungen an die Klägerin und deren Tochter erbracht.

54

Der Anspruch der leistungsberechtigten Person (Klägerin und deren Tochter) auf die tatsächlich erbrachte Leistung gegen den nachrangig verpflichteten Träger ist auch nicht nachträglich durch die Leistung des anderen, vorrangig verpflichteten Trägers, d.h. hier der Beklagten, weggefallen, denn ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II fällt bei nachträglicher Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente nicht weg (vgl. Pattar, a.a.O., Rn. 28).

55

Darüber hinaus besteht auch eine Kongruenz der Leistungen. Die gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die von dem Beigeladenen mit dem Erstattungsbegehren für die Zeit vom 01.10.2009 bis 30.09.2010 geltend gemacht werden, und der aus der gewährten Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 01.10.2009 bis 30.09.2010 resultierenden Nachzahlungsbetrag sind zeitlich und sachlich (gleichartig, d.h. dienen demselben Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts) kongruent. Denn wäre es zu einer unmittelbaren Auszahlung der Rente bereits ab dem 01.10.2009 gekommen, hätte wegen der Berücksichtigung als Einkommen eine Verpflichtung des Beigeladenen zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II an die Klägerin und deren Tochter in der gewährten Höhe nicht bestanden; es wäre hier nur ein überschießender Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu befriedigen gewesen (vgl. dazu auch BSG Urteil vom 12.05.2011, B 11 AL 24/10 R, juris Rn. 17 im Fall einer rückwirkenden Insolvenzgeldbewilligung an einen Empfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II). Damit liegt hinsichtlich des durch die Erwerbsminderungsrente abgedeckten Bedarfs der Klägerin Nachrangigkeit im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor; denn § 104 SGB X bezweckt gerade den nachrangig Verpflichteten, hier den Beigeladenen, möglichst so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn der vorrangig Verpflichtete, hier die Beklagte, rechtzeitig von Anfang an geleistet hätte (vgl. BSG a.a.O.).

56

Umstritten ist dagegen, ob § 104 Abs. 1 SGB X auch Personenidentität hinsichtlich der Leistungspflichten fordert, ob er also fordert, dass die Person, welcher der nachrangig verpflichtete Leistungsträger tatsächlich Leistungen erbracht hat, selbst den Anspruch gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger haben muss (vgl. Pattar, a.a.O., Rn. 34 m.w.N.; Silberhorn in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 34c Rn. 12 m.w.N.).

57

Jedenfalls stellt § 104 Abs. 2 SGB X klar, dass ein Erstattungsanspruch auch bei fehlender Personenidentität entstehen kann (Pattar a.a.O.). Allerdings ist der Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers, der einem Angehörigen tatsächlich Sozialleistungen erbracht hat, beschränkt auf die Teile der von dem vorrangig verpflichteten Träger zu erbringenden Leistung, welche gerade mit Rücksicht auf den Angehörigen geleistet werden (Pattar a.a.O.).

58

In diesen Zusammenhang gehört auch § 34a SGB II in der – hier für den streitigen Zeitraum geltenden – Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I 1706; seit dem 01.04.2011: § 34b SGB II, seit dem 01.08.2016: § 34c SGB II; vgl. auch Silberhorn, a.a.O., Rn. 13).

59

Nach dieser Vorschrift gelten als Aufwendungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Leistungsberechtigten auch solche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die an den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner des Hilfebedürftigen erbracht wurden sowie an dessen unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten.

60

§ 34a SGB II entbindet daher vom Erfordernis der Personenidentität (vgl. dazu auch BSG Urteil vom 12.05.2011, B 11 AL 24/10 R, juris Rn. 19 ff.; s.a. Bayerisches LSG, a.a.O., Rn. 38) und erweitert damit die zu erstattenden Leistungen.

61

Dies zugrunde legend hat der Beigeladene auch hinsichtlich der an die Tochter der Klägerin, als zum Zeitpunkt der Leistungserbringung bis zum 30.09.2010 nicht verheiratetes, noch nicht 25 Jahre altes Kind der Klägerin, erbrachten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte wegen der der Klägerin gewährten Rente bzw. des entsprechenden Rentennachzahlungsbetrags.

62

Der Erstattungsanspruch des Beigeladenen ist aber auf einen Betrag von 8.036,86 Euro begrenzt. Denn „nachrangig verpflichtet“ ist gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ein Leistungsträger nur, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers (hier der Beklagten) selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Dementsprechend ist für einen Erstattungsanspruch nach dieser Vorschrift kein Raum, soweit ein Träger seine Leistungen auch bei (rechtzeitiger) Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (§ 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X; so auch BSG Urteil vom 31.10.2012, B 13 R 9/12 R, juris Rn. 43).

63

So verhält es sich hier. Der Beigeladene war zur Erbringung von SGB II-Leistungen an die Klägerin auch dann verpflichtet, wenn diese nicht zu dem Personenkreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) gehörte, da bei ihr nach den Feststellungen der Beklagten eine volle Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen bestand. In diesem Fall stand der Klägerin, wie der Beigeladene im Berufungsverfahren selbst eingeräumt hat, an Stelle des gezahlten Arbeitslosengelds II ein Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung zu. Auch hatte sie aufgrund der lediglich befristet - für ca. zwei Jahre - zuerkannten Rente wegen voller Erwerbsminderung und damit fehlenden „dauerhaften vollen Erwerbsminderung“ im Sinne von § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung).

64

Dementsprechend besteht ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen nur in Höhe der Differenz zwischen der Leistungserbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II und Kosten der Unterkunft - KdU) durch den Beigeladenen ohne Anrechnung der Rentenzahlung, d.h. den in der Vergangenheit insoweit tatsächlich gewährten Leistungen, und dem hypothetischen Leistungsanspruch der Klägerin und ihrer Tochter unter Anrechnung einer fiktiven monatlichen Rentenleistung als Einkommen. Wobei bei Berücksichtigung einer fiktiven monatlichen Rentenleistung als Einkommen ein monatlicher Abzug der Versicherungspauschale von 30 Euro gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II (in der ab dem 01.01.2007 bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung) i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverordnung (in der ab dem 01.08.2009 bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung) vorzunehmen ist, nachdem die Klägerin ansonsten kein Einkommen erzielt hatte.

65

Nach der von dem Beigeladenen auf Anforderung durch den Senat durchgeführten probeweisen Berechnung der Leistungsansprüche der Klägerin und ihrer Tochter unter Anrechnung einer fiktiven monatlichen Rentenleistung als Einkommen und einer Gegenüberstellung mit den in der Zeit vom 01.10.2009 bis 30.09.2010 tatsächlich gewährten Leistungen ergibt sich ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen iHv 8.036,86 Euro:

66

Monat 

Überzahlung
Alg II und KdU
Klägerin
(in Euro)

Überzahlung
Alg II und KdU
Tochter
(in Euro)

10/2009

412,46

257,28

11/2009

412,46

257,28

12/2009

412,46

257,28

01/2010

412,46

257,28

02/2010

419,35

250,39

03/2010

420,72

249,01

04/2010

420,72

249,01

05/2010

408,45

261,29

06/2010

408,45

261,29

07/2010

409,91

259,83

08/2010

408,45

261,29

09/2010

408,45

261,29

gesamt

4.954,34

3.082,52

        

gesamt

8.036,86

67

Anders als die Klägerin meint, sind wegen eines etwaigen fiktiven Wohngeldanspruchs auch nicht 56 % der Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II (in der ab dem 01.01.2009 bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung) nicht zu erstatten. Denn unabhängig davon, dass die Klägerin und ihre Tochter auch bei einer fiktiven monatlichen Rentengewährung ab dem 01.10.2009 nicht aus dem SGB II - Leistungsbezug gefallen wären (s.o.) und daher ein Anspruch auf Wohngeld ebenfalls nicht bestanden hätte, da damit die Hilfebedürftigkeit nicht behoben worden wäre, nachdem der Restanspruch unter Anrechnung der Rente für die Bedarfsgemeinschaft immer deutlich über dem angeblichen Wohngeldanspruch von lediglich 120 Euro gelegen hätte (siehe § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 Nr. 1 Wohngeldgesetz; vgl. dazu die Proberechnungen des Beigeladenen auf Bl. 170-181 der Gerichtsakte, auf die Bezug genommen wird), ist hier auch der Rechtsgedanke des § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II (in der ab dem 01.01.2009 bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung) zu beachten. Denn vorliegend würde nur eine teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung nach dem SGB II vorliegen (siehe dazu die genannten Proberechnungen).

68

Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sind dem Beigeladenen von der Beklagten dagegen aus dem Rentennachzahlungsbetrag von 8.396,76 Euro nicht zu erstatten. Ein entsprechender Erstattungsanspruch würde sich aus § 335 Abs. 2 und 5 SGB III (in der ab dem 01.01.2009 bis zum 31.03.2012 gültigen Fassung) i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II (in der ab dem 01.01.2009 bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung) ergeben und ist als Annex eines nach den §§ 102 ff. SGB X ausgestalteten Erstattungsanspruchs bzgl. des Arbeitslosengelds II ausgestaltet („wenn und soweit“; vgl. BSG Urteil vom 31.10.2012, B 13 R 9/12 R, juris Rn. 49). Da es sich bei dem Rentennachzahlungsbetrag iHv 8.396,76 Euro aber um die Nettorente handelt, d.h. in diesem keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung enthalten sind, kann dem Beigeladenen aus diesem Betrag insoweit auch keine Erstattung gewährt werden.

69

Der Klägerin hat daher aus dem Rentennachzahlungsbetrag wegen der in Höhe von 8.036,86 Euro durch Befriedigung des Erstattungsanspruchs des Beigeladenen eingetretenen Erfüllungsfiktion nur noch Anspruch auf Auszahlung eines Betrags von 359,90 Euro.

70

Die Klägerin kann auch keinen darüber hinausgehenden Betrag aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen, wenn sie insoweit geltend macht, dass sie, wenn sie entsprechend beraten worden wäre, kein Arbeitslosengeld II, sondern Wohngeld, Kinderzuschlag und Schüler-Bafög beantragt hätte, so dass es dann gar nicht zu einer Überzahlung von Arbeitslosengeld II gekommen wär.

71

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung,

72

1. dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat,
2. dass dadurch bei dem Betroffenen ein rechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten ist, d.h. dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht,
3. dass der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann und
4. die Korrektur durch den Herstellungsanspruch dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widerspricht (vgl. BSG Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R, juris Rn. 24; BSG Urteil vom 31.10.2007, B 14/11b AS 63/06 R, juris Rn. 13; BSG Urteil vom 17.08.2000, B 13 RJ 87/98 R, juris Rn. 37).

73

Im vorliegenden Fall mangelt es bereits an einer Pflichtverletzung der Beklagten. Die Klägerin hat sich weder mit einem bestimmten Beratungs- und Auskunftsbegehren an die Beklagte gewandt, noch bestand für die Beklagte anlässlich der konkreten Sachbearbeitung eine Hinweis- und Beratungspflicht auf eine klar zutage tretende Gestaltungsmöglichkeit, die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würde, wenn sie ihm bekannt wäre (Verpflichtung zur Spontanberatung). Darüber hinaus muss sich die Beklagte auch einen etwaigen Beratungsfehler durch den Beigeladenen nicht zurechnen lassen. Auch insoweit bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich die Klägerin mit einem bestimmten Beratungs- und Auskunftsbegehren an den Beigeladenen gewandt hat. Dass diesen eine Verpflichtung zur Spontanberatung traf, ist für den Senat ebenfalls nicht erkennbar.

74

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klägerin mit ihrem Begehren nur in einem geringen Umfang erfolgreich ist.

75

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen