Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (5. Senat) - L 5 SF 12/13 E

Tenor

Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. Januar 2013 wird geändert und die Vergütung auf 119,10 EUR festgesetzt.

Das Verfahren ist gebührenfrei.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

1

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG streitig (L 6 AR 35/12 AS ER).

2

Gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 7. November 2012 hat das Jobcenter Kiel beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht Berufung eingelegt (L 6 AS 167/12) und sich mit einer Beschwerde vom 17. Dezember 2012 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 14. Dezember 2012 gewandt, in dem er aufgefordert wird, der in dem Urteil ausgesprochenen Verpflichtung, Kosten der Unterkunft in bestimmter Höhe zu zahlen, unter Zwangsgeldandrohung nachzukommen. Hilfsweise hat das Jobcenter Kiel die Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil beantragt. Am 19. Dezember 2012 hat sich der Erinnerungsführer beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht mit dem Antrag gemeldet, den Vollziehungsaussetzungsantrag zurückzuweisen und für das Verfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. In einem weiteren Schriftsatz vom 21. Dezember 2012 hat er inhaltlich zu dem Aussetzungsantrag Stellung genommen und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers vorgelegt. Mit Beschluss vom 27. Dezember 2012 hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht die Vollstreckung aus dem Urteil ausgesetzt, dem Antragsteller für das Aussetzungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und den Erinnerungsführer beigeordnet.

3

In seiner Kostenrechnung vom 5./9. Januar 2013 hat der Erinnerungsführer die Festsetzung von 392,70 EUR beantragt:

4

Verfahrensgebühr Nr. 3202 VV-RVG

310,00 EUR

Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG

 20,00 EUR

Umsatzsteuer

 62,70 EUR

Gesamtsumme

392,70 EUR

5

Mit Festsetzungsbeschluss vom 23. Januar 2013 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle diesen Betrag reduziert:

6

Verfahrensgebühr Nr. 3501 VV-RVG

 60,00 EUR

Auslagenpauschale Nr. 7002 VV-RVG

 12,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG

 13,68 EUR

Gesamtbetrag

 85,68 EUR

7

Zur Begründung ist ausgeführt, die Nummern 3102 und 3204 VV-RVG fänden keine Anwendung, sondern vielmehr sei Vergleichsmaßstab für die Bemessung der Gebühr die Nr. 3501 VV-RVG. Dies entspräche der Rechtsprechung der Sozialgerichte Kiel (16. Februar 2012 – S 21 SF 141/11 E) und Aachen (9. April 2008 – S 11 AS 154/06 ER). Die Nr. 3501 VV-RVG schreibe für die Verfahrensgebühr einen Gebührenrahmen in Höhe von 15,00 bis 160,00 EUR vor. Der Rechtsanwalt habe die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr bestimmt. Diese Gebührenbestimmung erscheine unbillig, da die Schriftsätze inhaltlich den Schriftsätzen in Parallelverfahren entsprächen und damit ein Synergieeffekt vorliege, der einen Abschlag von der Mittelgebühr rechtfertige.

8

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 19. Februar 2013 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangene Erinnerung des Erinnerungsführers. Er beantragt nunmehr die Vergütung wie folgt festzusetzen:

9

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG

250,00 EUR

Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV-RVG

 20,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG

 51,30 EUR

Summe 

321,30 EUR

10

Zur Begründung führt er aus, die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG sei Rechtsfolge der Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 VV-RVG des Abschnitts 2. Diese beziehe sich nicht nur auf die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes, sondern in ihrer ersten Alternative auch auf Verfahren der einstweiligen Anordnung. Das sei im Übrigen auch billig, da kein Grund bestehe, für Eilrechtsschutzverfahren nach § 199 Abs. 2 SGG niedrigere Gebühren entstehen zu lassen, als für Verfahren, die wegen der Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten geführt würden. Die Anwendung der Nr. 3501 VV-RVG scheitere bereits an ihrem Wortlaut, der nur die Erinnerungen und Beschwerden einbeziehe. Um solche sei es hier jedoch nicht gegangen. Der Synergieeffekt könne sich nur auf den Faktor des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit auswirken. Außerdem sei zweifelhaft, warum ein Rechtsanwalt mit mehr Kenntnissen weniger erhalten solle. Auch das Gesetz sehe die Vergütung von Synergien nur in bestimmten Fällen vor.

11

Der Erinnerungsgegner bleibt bei seiner Auffassung.

12

Nach Anhörung der Beteiligten hat die zuständige Einzelrichterin das Verfahren gemäß §§ 33 Abs. 8 Satz 2, 56 Abs. 2 RVG dem Senat übertragen.

II.

13

Der Senat entscheidet gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG durch seine Berufsrichter.

14

Die Erinnerung ist zulässig. Nach § 55 Abs. 1 RVG setzt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag des Rechtsanwalts den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Nach § 56 Abs. 1 RVG kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten Erinnerung eingelegt werden.

15

Die Erinnerung ist zum Teil begründet.

16

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Die Klägerin, der Prozesskostenhilfe gewährt worden war, ist kostenprivilegierte Beteiligte im Sinne des § 183 Satz 1 SGG. Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG).

17

Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm ein Beurteilungsspielraum zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG vom 12. September 2006 – L 1 B 320/05 SF SK); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

18

Einschlägige Gebühr für ein Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG ist nach Auffassung des Senats Nr. 3102 VV-RVG. Zwar bezieht sich diese Verfahrensgebühr auf Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen. Zutreffend weist der Erinnerungsführer allerdings auf die amtliche Vorbemerkung 3.2 zum Abschnitt 2. über Berufung, Revision, bestimmte Beschwerden und Verfahren vor dem Finanzgericht hin. Diese Regelung lautet in ihrem Abs. 2: „Wenn im Verfahren über einen Antrag auf Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung das Berufungsgericht als Gericht der Hauptsache anzusehen ist (§ 943 ZPO), bestimmen sich die Gebühren nach Abschnitt 1. Dies gilt entsprechend im Verfahren der einstweiligen Anordnung und im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts.“

19

Um einen solchen Fall des Satzes 2 handelt es sich hier. Zwar weist das Sozialgericht in der vom Erinnerungsgegner zitierten Entscheidung vom 16. Februar 2012 zutreffend darauf hin, dass sich die Vorbemerkung ausdrücklich hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung auf die eines Verwaltungsaktes bezieht. Dabei verkennt das Sozialgericht Kiel allerdings, dass der Satz 2 in seiner ersten Alternative auch Verfahren „der einstweiligen Anordnung“ ausdrücklich einbezieht. Damit erstreckt sich sein Anwendungsbereich auch auf den Fall des § 199 Abs. 2 SGG, da dort ausdrücklich geregelt ist, dass der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch „einstweilige Anordnung“ aussetzt. Die in Satz 2 der Vorbemerkung zitierte einstweilige Anordnung ist dabei nicht auf die Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG beschränkt.

20

Auch die Gesetzesmaterialien zu der Einführung dieser Regelung (BT-Drucks 16/6308 S. 343) bestätigen, dass mit dem Begriff der einstweiligen Anordnung nunmehr, wie im Übrigen im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz auch, alle Verfahren der einstweiligen Anordnungen in den verschiedenen Verfahrensordnungen erfasst werden. Zudem sieht der Senat den Gebührenrahmen der schon vom Wortlaut nicht zu den Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG passenden Nr. 3501 VV-RVG mit 15 bis 160 Euro im Hinblick auf die Kostenregelung für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86 b SGG als unverhältnismäßig gering an.

21

Allerdings ist die Kostenrechnung des Erinnerungsführers in seinem Erinnerungsschreiben unbillig, soweit er dort die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG mit 250,00 EUR und damit der Mittelgebühr ansetzt. Setzt man die Kriterien des § 14 RVG ins Verhältnis zur Rahmengebühr, dann ist die Mittelgebühr immer dann angebracht, wenn der zeitliche Aufwand und die Intensität der Arbeit für den Rechtsanwalt einen durchschnittlichen Aufwand erfordert haben. Das ist hier nicht der Fall. Insoweit berücksichtigt der Senat, dass das Aussetzungsverfahren nach § 199 Abs. 2 SGG grundsätzlich einen geringeren Umfang und Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit aufweist als eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG. Zwar orientiert sich die Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG auch an einer Interessenabwägung zwischen einerseits dem Interesse an der Vollziehung und andererseits dem Interesse des betroffenen Versicherungsträgers, dass nicht vor endgültiger Klarstellung der Rechtslage geleistet wird. Bei dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Hier unterscheidet sich jedoch die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen des Verfahrens nach § 199 Abs. 2 SGG insoweit von der im Rahmen eines Verfahrens nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG, als für ihn bzw. seinen Mandanten eine zusprechende Entscheidung des Sozialgerichts vorliegt und der Umstand, dass die Aussetzung nach § 199 Abs. 2 SGG nur in Ausnahmefällen greift, nämlich wenn Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg haben (vgl. etwa Leitherer in Meyer-Ladewig u. a. SGG-Kommentar, § 199 Rz. 8a; Beschluss des Senats vom 16. Januar 2012 – L 5 AR 38/11 R ER). Der Argumentationsaufwand für den Rechtsanwalt ist daher im Rahmen des § 86b SGG regelmäßig ein höherer als im Rahmen des § 199 Abs. 2 SGG. Im Hinblick auf diesen Unterschied zu den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG hält es der Senat für angemessen, für die Verfahren des § 199 Abs. 2 SGG grundsätzlich von einer Reduzierung der Mittelgebühr der Nr. 3102 VV-RVG auf 2/3 auszugehen.

22

Allerdings schließt sich der Senat der Auffassung des Erinnerungsgegners insoweit an, als der Umstand, dass der Erinnerungsführer in diesem Verfahren gleichlautend wie in dem Verfahren L 6 AR 34/12 AS ER vorgetragen hat, sich durch den damit einhergehenden Synergieeffekt gebührenmindernd auswirkt. Maßgebend für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als wesentlichen Bestimmungsfaktor der Gebühr ist der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er davon objektiv auch auf die Sache verwenden musste (BSG SozR 4-1935 § 14 Nr. 2). Und in diesem Zusammenhang unterliegt es keinen Zweifeln, dass Parallelverfahren, noch zudem mit den gleichen Beteiligten und weitgehend identischen Sach- und Rechtslagen, erhebliche Arbeitserleichterungen beinhalten, was hier daran deutlich wird, dass die Schriftsätze des Erinnerungsführers identisch sind. Der zu berücksichtigende reduzierte Zeitaufwand findet entgegen der Auffassung des Erinnerungsführers seine Begründung nicht in dessen besonderer Erfahrung und Spezialisierung, sondern allein in der Vor- bzw. Parallelbefassung mit gleichen Sachverhalten. Dies ist bei der Bemessung der billigen Gebühr des Rechtsanwalts zu berücksichtigen und führt hier aufgrund der absolut identischen Begründungen zu einer Absenkung der Gebühr auf die Hälfte (vgl. etwa auch Sächsisches LSG vom 11. September 2013 - L 8 AS 858/12 B; Bayerisches LSG vom 6. Juni 2013 - L 15 SF 190/12 B).

23

Die zu erstattenden Kosten berechnen sich damit wie folgt:

24

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG (1/2 von 2/3 der Mittelgebühr)

 83,40 EUR

Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV-RVG

 16,68 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG

 19,02 EUR

Summe 

119,10 EUR

25

Dieser Beschluss ist nach § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG gebührenfrei.

26

Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).

27

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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