Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (3. Senat) - L 3 AL 49/13

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache durch die Prozesserklärung der Klägerin vom 3. Mai 2013 wirksam erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

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In dem Verfahren S 40 AL 118/11 vor dem Sozialgericht Lübeck stritten die Beteiligten über die Aufhebung und Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg).

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Die 1956 geborene Klägerin bezog (vorläufiges) Alg seit dem 17. Juli 2010 (für 450 Tage) und nahm währenddessen eine Teilzeittätigkeit ab dem 20. September 2010 auf. Die Nebenverdienstbescheinigungen wiesen eine Beschäftigung von mehr als 15 Stunden wöchentlich aus. Mit dem angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 10. Januar 2011 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 1. Oktober 2010 auf und forderte überzahlte Leistungen in Höhe von rd. 1.190,00 EUR für die Monate Oktober und November 2010 zurück. Mit Änderungsbescheid vom 11. Mai 2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 14. November 2010 wiederum Leistungen und wies im Übrigen den von der Klägerin erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2011 zurück, weil die Klägerin ab dem 15. November 2010 wöchentlich mehr als 15 Stunden gearbeitet habe. Den Erstattungsbetrag minderte die Beklagte auf 317,92 EUR. Mit der am 27. Juni 2011 vor dem Sozialgericht Lübeck erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und im Wesentlichen damit begründet, dass sie zu keinem Zeitpunkt so viel habe arbeiten wollen, dass der Alg-Anspruch entfalle.

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Die Klägerin hat nach Aktenlage beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2011 in der Fassung des Widerspruchbescheids vom 23. Mai 2011 aufzuheben.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28. November 2012 hat das Sozialgericht mit Urteil vom gleichen Tag die Klage abgewiesen, weil der Klägerin ab dem 15. November 2010 kein Anspruch auf Alg mangels Beschäftigungslosigkeit zustehe. Auch handele es sich bei der Überschreitung der Arbeitszeit nicht um eine solche von geringer Dauer. Das Urteil ist der Klägerin am 7. Dezember 2012 zugegangen. Hiergegen hat die Klägerin am 4. Januar 2013 Berufung bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

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Unter dem Aktenzeichen S 36 AL 242/10 war ein weiteres sozialgerichtliches Verfahren beim Sozialgericht Lübeck anhängig, in dem es um die Ablehnung eines Antrages auf Gewährung von Alg ab dem 1. Juli 2010 ging (Bescheid vom 11. August 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2010). Die Ablehnung erfolgt im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Klägerin nicht arbeitsfähig sei. Nach Einholung eines medizinischen Gutachtens vom 1. Dezember 2012 erkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli bis 16. Juli 2010 an und erklärte sich im gleichen Schriftsatz vom 18. Januar 2013 (Eingang am 22. Januar 2013) zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits dem Grunde nach bereit. Mit weiterem Schreiben vom 28. Februar 2013 (Eingang am 1. März 2013) erklärte sich die Beklagte dem Grunde nach zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten auch für das Vorverfahren bereit. Nachdem der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 20. März 2013 (Eingang 21. März 2013) sich dagegen wandte, dass die Beklagte nur die Kosten die Kosten des Rechtsstreits ohne Vorverfahrenskosten übernehmen wolle, wies das Sozialgericht auf das Beklagtenschreiben vom 28. Februar 2013 hin. Mit Schreiben vom 3. Juni 2013 (Eingang am 5. Juli 2013) erklärte der Prozessbevollmächtigte zum Aktenzeichen S 36 AL 242/10, dass seine Schreiben vom 25. April [Kostenfestsetzungsantrag] und 3. Mai 2013 [Erledigungserklärung – dazu siehe unten –] selbstverständlich zu diesem Aktenzeichen hätten eingereicht werden sollen und es sich bei dem tatsächlich angegebenen Aktenzeichen S 40 AL 118/11 um ein Versehen handele.

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In dem Berufungsverfahren L 3 AL 1/13 (S 40 AL 118/11) begründete die Klägerin die Berufung mit Schriftsatz vom 4. April 2013 und beantragte die Aufhebung des Bescheids vom 10. Januar 2011 in der Fassung des Widerspruchbescheids vom 23. Mai 2011. Die zunächst per Fax übersandte Berufungsbegründung erfolgte am 8. April 2013 per Post. Am 15. Mai 2013 ging beim LSG die vom SG Lübeck übersandte Abschrift eines Schreibens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 3. Mai 2013 mit der Bitte um weitere Veranlassung ein. Dabei handelte es sich um eine am 6. Mai 2013 an das Sozialgericht zu dem erstinstanzlichen Aktenzeichen S 40 AL 118/11 erfolgte Erledigungserklärung in der Hauptsache in dem Rechtsstreit der Klägerin gegen die Bundesagentur für Arbeit. Weitere Zusätze enthielt das unterschriebene Schreiben nicht. Das Berufungsverfahren wurde von Seiten des LSG ausgetragen und die Akte an das Sozialgericht Lübeck zurückgesandt, die dort am 28. Mai 2013 einging. Mit Schreiben vom 23. Mai 2013 teilte das LSG der Beklagten mit, dass das Verfahren aufgrund der Ablichtung des mit übersandten Schreibens der Rechtsanwälte vom 3. Mai 2013 für erledigt erklärt worden und das Verfahren damit erledigt sei.

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Am 5. November 2013 ging beim LSG das Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein, in welchem diese unter Bezugnahme auf das Schreiben des LSG vom 23. Mai 2013 an die Beklagte erklärten, dass dieses Schreiben unzutreffend und gegenüber dem Senat keinerlei Erledigungserklärung abgegeben worden sei. Lediglich in einer anderen vor dem Sozialgericht Lübeck vormals anhängigen Rechtsstreitigkeit der Klägerin zum Aktenzeichen S 40 AL 118/11 sei eine Erledigungserklärung in der Hauptsache mit Schriftsatz vom 3. Mai 2013 abgegeben worden. Richtigerweise hätte das Aktenzeichen S 36 AL 242/10 angegeben werden müssen. Das Berufungsverfahren solle fortgeführt werden. Beigefügt war eine Abschrift der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 3. Juni 2013 (Eingang beim Sozialgericht Lübeck am 30. Juli 2013), in dem zu dem Aktenzeichen S 40 AL 118/11 mitgeteilt wurde, dass die Schriftsätze vom 25. April 2013 und 3. Mai 2013 zu dem Aktenzeichen S 36 AL 242/10 hätten eingereicht werden sollen. Bei dem angegebenen Aktenzeichen S 40 AL 118/11 handele es sich um ein anderes Verfahren der Klägerin, versehentlich sei das Aktenzeichen S 40 AL 118/11 angegeben worden. Es werde gebeten, dieses Versehen zu entschuldigen. Ein entsprechendes Schreiben sei unter gleichem Datum zum Aktenzeichen S 36 AL 242/10 gesandt worden (s.o.).

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Von Seiten des Senats wurden die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darauf hingewiesen, dass das Verfahren neu eingetragen worden sei und fortgeführt werde, wobei es zunächst um die Frage gehe, ob das Verfahren durch den Schriftsatz vom 3. Mai 2013 wirksam beendet worden sei. Für eine Sachentscheidung sei nur Raum, wenn der Senat eine wirksame Verfahrensbeendigung verneine.

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In ihrer Stellungnahme vom 2. Dezember 2013 weist die Beklagte darauf hin, dass die Erledigungserklärung der Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 3. Mai 2013 eindeutig und ausdrücklich zu dem Aktenzeichen S 40 AL 118/11 erfolgt sei, welches dem Berufungsverfahren L 3 AL 1/13 zugrunde gelegen habe. Die Erledigungserklärung sei an das (richtige) erstinstanzliche Gericht gerichtet. Da eine Erledigung der Klage bis zur Rechtskraft des ergangenen Urteils möglich sei mit der Wirkung, dass das erstinstanzlich ergangene Urteil wirkungslos werde, sei die Erklärung auch in sich schlüssig. Ein Irrtum sei nicht erkennbar gewesen. Deshalb habe die Beklagte die Vollstreckungsstelle benachrichtigt, die die Beitreibung der Forderung fortgesetzt habe. Erst hierauf habe sich die Klägerseite gemeldet. Aus Beklagtensicht sei das Verfahren wirksam beendet worden und könne nicht fortgesetzt werden.

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Demgegenüber trägt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 vor: Aus dem Schriftsatz vom 3. Mai 2013 könne keine wirksame Prozesserklärung für das laufende Berufungsverfahren im Sinne einer wirksamen Verfahrensbeendigung hergeleitet werden. Es handele sich bei der Angabe des Aktenzeichens für den Schriftsatz vom 3. Mai 2013 um ein reines Versehen, es sei ein anderes zwischen den Parteien geführtes Verfahren betroffen gewesen. Für die Annahme einer wirksamen Verfahrensbeendigung durch den in Rede stehenden Schriftsatz für das vor dem Berufungsgericht geführte Verfahren fehle es schon an den erforderlichen prozessualen Anknüpfungspunkten: So sei der Senat nicht Adressat der Erklärung aus dem Schriftsatz vom 3. Mai 2013 gewesen, sondern das Sozialgericht und damit die unzuständige Instanz. Eine wirksame Prozesserklärung könne nur gegenüber dem Senat selbst abgegeben werden. Und zweitens sei auch keine Klagrücknahme erfolgt, so dass keine wirksame verfahrensbeendigende Erklärung vor dem Senat abgegeben worden sei. Denn die gegenüber dem Sozialgericht abgegebene prozessuale Erklärung habe sich auf eine „Erledigung in der Hauptsache“ bezogen. Eine solche prozessuale Erklärung habe vorliegend überhaupt nicht angestanden, nachdem über die Klage (Hauptsache) bereits durch Urteil abweisend entschieden worden sei. Deswegen sei für eine Erledigungserklärung kein Raum mehr und es habe sich insoweit um eine prozessual unzulässige Erklärung gehandelt.

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Die Klägerin beantragt,

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das Berufungsverfahren L 3 AL 1/13 (alt) fortzuführen und das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 28. November 2012 sowie den Bescheid vom 10. Januar 2011 in der Fassung des Widerspruchbescheids vom 23. Mai 2011 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 3 AL 1/13 (alt) durch Prozesserklärung der Klägerin vom 3. Mai 2013 wirksam beendet wurde,
hilfsweise,

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die Berufung zurückzuweisen.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klägerin hat durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 3. Mai 2013 den Rechtsstreit in der Hauptsache wirksam für erledigt erklärt, § 102 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese Feststellung war vom Senat zu treffen, nachdem die Klägerin die Wirksamkeit der Erklärung wegen eines ihr unterlaufenen Versehens bestritten hatte.

21

Die Erledigungserklärung der Hauptsache hat die Beendigung der Rechtshängigkeit zur Folge. Die vom Prozessbevollmächtigten vorgenommene Prozesshandlung bindet die Klägerin, als hätte sie sie selbst vorgenommen, § 73 Abs.6 Satz 7 SGG i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Angesichts dessen kommt eine Sachentscheidung nicht in Betracht.

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Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache. Vorliegend ist keine ausdrückliche Klagrücknahme erfolgt, sondern es wurde in der streitigen Erklärung vom 3. Mai 2013 die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklärt. Diese Erklärung ist aber als Klagrücknahme auszulegen. Denn die Klägerin hat mit ihr unzweideutig zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihrem Rechtsschutzbegehren Abstand nimmt. Auf die materielle Rechtslage kommt es nicht an, da der Kläger insoweit dispositionsbefugt ist. Unabhängig vom kostenrechtlichen Hintergrund (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 11. Aufl. § 125 Rz. 10) ist im sozialgerichtlichen Verfahren die einseitige Erledigungserklärung – wie vorliegend – möglich. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 20. Dezember 1995 weiter ausgeführt: „Die Erledigungserklärung hat hier (anders als nach § 91a Abs. 1 ZPO oder § 161 Abs. 2 VwGO) keine eigenständige, insbesondere kostenrechtliche Bedeutung; sie stellt sich je nach prozessualer Konstellation entweder als Klagrücknahme oder als Annahme eines von der Beklagten abgegebenen Anerkenntnisses dar. In beiden Fällen führt die Abgabe der entsprechenden Erklärung zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 101 Abs. 2, § 102 Satz 2 SGG). Die Erledigungserklärung ist eine Prozesshandlung, die das Gericht und die Beteiligten bindet, auch wenn der Rechtsstreit materiell nicht erledigt wurde. Sie kann grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden“ (BSG vom 20. Dezember 1995 – 6 RKa 18/95 –). Eine Anfechtung ist damit nicht möglich und ein Widerruf nur unter den Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 179, 180 SGG entsprechend möglich. Die Voraussetzungen eines ausnahmsweise möglichen Widerrufs entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens (§§ 579, 580 ZPO) sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt.

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Die als Klagrücknahme auszulegende Erledigungserklärung ist wirksam.

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Der letztmögliche Zeitpunkt für eine Klagrücknahme ist in § 102 Abs. 1 Satz 1 SGG dahin bestimmt, dass sie bis zur Rechtskraft des Urteils möglich ist. Die Klage kann also auch nach Verkündung eines Urteils erster oder zweiter Instanz und auch noch im Rechtsmittelverfahren zurückgenommen werden (vgl. Meyer-Ladewig u.a. a.a.O. § 102 Rz. 6f). Diese Voraussetzung ist unproblematisch erfüllt. Denn weder im Zeitpunkt des Eingangs der streitigen Erklärung beim Sozialgericht noch beim LSG war das von der Klägerin angefochtene Urteil wegen des anhängigen Berufungsverfahrens rechtskräftig. Allerdings ist die Erklärung nicht bereits mit Eingang beim Sozialgericht Lübeck wirksam geworden, sondern erst mit Zugang beim LSG. Zwar bestimmt die Regelung in § 102 SGG nicht, gegenüber welchem Gericht die Rücknahmeerklärung abzugeben ist, insbesondere wenn bereits ein Rechtsmittelverfahren anhängig ist. Mit der herrschenden Literaturmeinung (vgl. z.B. Peters/Sautter/Wolff, Stand 4. Aufl. 33.Nachtr., zu § 102 a.F., zu 3. Frist; Breitkreuz/Fichte, SGG 2. Aufl. 2014, § 102 Rz. 2; Meyer-Ladewig u.a. a.a.O. § 102 Rz. 7 lit. a; Jansen SGG, 4. Aufl. 2012, § 102 Rz. 8; Roos/Wahrendorf SGG 2014 § 102 Rz. 9; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Stand August/2008, Rz. 8) ist auch der Senat der Auffassung, dass die Klagrücknahme gegenüber dem Gericht abzugeben ist, bei dem die Sache anhängig ist, während eines laufenden Berufungsverfahrens also gegenüber dem Rechtsmittelgericht. Soweit sich Teile des Schrifttums demgegenüber insoweit auf eine Entscheidung des BSG (Beschluss vom 27. September 1983 – 8 BK 16/82-) berufen, vermag der Senat dieser Entscheidung allerdings die ihm beigelegte Stringenz nicht zu entnehmen. In dem dort zu entscheidenden Fall war die Konstellation eine gänzlich andere. Es ging darum, ob zu § 102 SGG a.F., nachdem eine Klagrücknahme nur „bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung“ möglich war, eine Klagrücknahme gegenüber dem BSG wirksam erklärt werden konnte, nachdem gegen ein Berufungsurteil bei nicht zugelassener Revision ein Beschwerdeverfahren beim BSG bereits anhängig war. Hierzu hat das BSG angenommen, dass die Klage durch Erklärung gegenüber dem BSG zurückgenommen werden kann. Überzeugender ist für das Erfordernis, die Rücknahmeerklärung gegenüber dem Gericht abzugeben, bei dem die Sache anhängig ist, die Bestimmung des § 269 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO, die über die Verweisungsnorm des § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar ist. Danach ist die Zurücknahme der Klage und, soweit sie zur Wirksamkeit der Zurücknahme erforderlich ist, auch die Einwilligung des Beklagten dem Gericht gegenüber zu erklären. Die Zurücknahme der Klage erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes. Hieraus folgt, dass die Erklärung gegenüber dem Gericht zu erfolgen hat, bei dem die mündliche Verhandlung durchgeführt wird, hier also dem LSG. Vorliegend war die Erledigungserklärung an das – unzuständige - Sozialgericht gerichtet, weil die Sache dort nicht mehr anhängig war, sodass die Erklärung bei dortigem Eingang am 6. Mai 2013 nicht wirksam wurde. Dies steht aber der Wirksamkeit der Erledigungserklärung gleichwohl nicht entgegen; denn die Wirkungen der Erledigungserklärung treten jedenfalls mit dem Eingang des Schriftsatzes bei dem zuständigen Gericht ein (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 19. Februar 1991 – X ZR 14/91- unter Berufung auf BGH vom 21. März 1977 (Beschluss) - II ZB 5/77-). Letzteres führte hierzu weiter aus, dass nur dann, wenn der Widerspruch zu dieser (Rücknahme)Erklärung zu dem wirklichen Willen der anderen Partei und der Irrtum ihres Prozessbevollmächtigten, auf dem die Erklärung beruhte, für ihn und das Gericht ganz offensichtlich waren, es dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen würde, sich auf diese Erklärung zu berufen. Hiernach ist durch die Weiterleitung der Erklärung an das – zuständige – LSG die Erledigungserklärung mit Eingang am 15. Mai 2013 wirksam geworden. Anhaltspunkte dafür, dass die Rücknahmeerklärung nur gegenüber dem unzuständigen Gericht erfolgen sollte, sind nicht gegeben. Es war aber vorliegend aber weder für die Beklagte, an die die Erledigungserklärung mit Schreiben vom 23. Mai 2013 übersandt worden war, noch für das LSG weder ein entgegen stehender Wille noch der Irrtum des Prozessbevollmächtigten bekannt oder erkennbar. Schon die Tatsache eines weiteren Rechtsstreits der Klägerin war dem LSG nicht bekannt. Soweit in älterer finanzgerichtlicher Rechtsprechung die Klagrücknahme unter dem weiteren Erfordernis des Wissens und Wollens der Weitergabe der Erklärung an das Gericht steht, ist dies vor dem Hintergrund der dortigen Verfahrensordnung zu sehen, nach der eine schriftliche Klagrücknahme auch gegenüber dem beklagten Finanzamt erfolgen kann. In diesen Fällen muss klar erkennbar sein dass der Kläger die Klage dem Gericht gegenüber zurücknimmt und seine Erklärung mit Wissen und Wollen dem Gericht vorgelegt wird (vgl. Bundesfinanzhof [BFH], Beschluss vom 5. März 1971–VI R 184/68-). Derartige Besonderheiten gibt es im sozialgerichtlichen Verfahren nicht. Dieser Maßstab ist daher auch nicht geeignet, Antworten auf die hier relevante Fragestellung der irrtümlichen Abgabe einer Prozesserklärung zu geben.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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Der Senat lässt vorliegend die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage der Wirksamkeit einer irrtümlich abgegebenen Erledigungserklärung (oder Klagrücknahme) gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht während eines laufenden Berufungsverfahrens gibt es - soweit erkennbar – nicht.


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