Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (5. Senat) - L 5 AS 44/10 B

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Januar 2010 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Landeskasse im Wege der Prozesskostenhilfe (PKH) zu zahlenden Vergütung für die anwaltliche Tätigkeit in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG).

2

Mit Beschlüssen vom 11. und 25. Mai sowie 4. Juni 2009 bewilligte das SG den von den Beschwerdeführern (BF) anwaltlich vertretenen Antragstellern PKH ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter deren Beiordnung.

3

Am 15. Juni 2009 beantragten die BF die Festsetzung von Gebühren und Auslagen iHv 737,80 EUR. Mit Beschluss vom 1. Juli 2009 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vergütung mit PKH-Festsetzungsbeschluss auf insgesamt 333,20 EUR fest. Dagegen legten die BF am 31. Juli 2009 Erinnerung ein und begehrten die Festsetzung in der beantragten Höhe. Die in Ansatz gebrachten Gebühren seien zutreffend nach den Kriterien des § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ermittelt worden und daher verbindlich.

4

Mit Beschluss vom 8. Januar 2010 hat das SG den Beschluss vom 1. Juli 2009 geändert, die Vergütung der BF auf 347,48 EUR festgesetzt und die Erinnerung im Übrigen zurückgewiesen. Die von den BF getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe sei unbillig gewesen. Eine Terminsgebühr sei nicht angefallen. Das SG hat auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung gemäß § 178 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

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Die BF haben dagegen am 27. Januar 2010 Beschwerde eingelegt. Diese sei gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 EUR übersteige. Entgegen der Auffassung des SG ergebe sich eine vermeintliche Unzulässigkeit nicht aus dem Normengefüge der §§ 172 ff. SGG. Insoweit werde verkannt, dass sich das PKH-Verfahren nicht nach den Vorschriften des SGG, sondern gemäß § 73a SGG nach denjenigen der Zivilprozessordnung (ZPO) richte. Die dortigen Regelungen seien für die PKH spezieller und gingen denjenigen des SGG vor. Die Vorschrift des § 56 RVG ziele darauf ab, Kostenfestsetzsetzungsverfahren hinsichtlich der aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütungen trotz unterschiedlicher Prozessordnungen für Verfahren nach dem SGG und der ZPO einheitlich zu regeln.

6

Auf den Hinweis des Senats, die Beschwerde sei unzulässig, weil § 178 SGG auch die Festsetzung von PKH-Vergütungen gegen die Landeskasse erfasse, haben die BF mit Schriftsatz vom 9. März 2010 ausgeführt, die §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 RVG enthielten eigenständige Verfahrensregeln über die möglichen Rechtsbehelfe. Diese würden in allen Verfahrensordnungen als die spezielleren Vorschriften anerkannt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und das Prozesskostenhilfebeiheft ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.

II.

8

Die Beschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen. Das SG hat in dem angegriffenen Beschluss bereits abschließend entschieden. Nach § 172 SGG ist gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte das Rechtsmittel der Beschwerde zum Landessozialgericht eröffnet, soweit im SGG nichts anderes bestimmt ist. Gemäß § 178 SGG kann gegen Entscheidungen des ersuchten oder beauftragten Richters oder des Urkundsbeamten binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden (sog. Erinnerung), das endgültig entscheidet. Nach seinem eindeutigen Wortlaut erfasst § 178 SGG die Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des SG und damit auch die zu seinen Aufgaben gehörende Festsetzung der PKH-Vergütung für einen im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalt.

9

Die Regelung des § 178 SGG wird durch die entsprechende Regelung für das Kostenfestsetzungsverfahren in § 197 Abs. 1 SGG ergänzt und bestätigt. Danach setzt auf Antrag der Beteiligten der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Gegen diese Entscheidung des Urkundsbeamten kann gemäß § 197 Abs. 2 SGG das Gericht angerufen werden, das dann endgültig entscheidet. Nach dem Gebührenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG hat auf die Erinnerung das SG mit Beschluss entschieden. Dieser Beschluss ist die im Sinne der vorgenannten Regelung abschließende Entscheidung des SG. Eine (weitere) Beschwerde gegen diesen Beschluss ist unstatthaft und damit unzulässig.

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Der Senat folgt nicht der gegen diese Rechtsauffassung vertretenen Ansicht, die über § 73a Abs. 1 SGG iVm den §§ 114 ff. ZPO und §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG zu einem eigenständigen Beschwerderecht in Kostenfestsetzungsverfahren in der Sozialgerichtsbarkeit gelangt (so etwa LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschlüsse vom 17. Juli 2008, Az.: L 6 B 93/07 und L 6 B 141/07, juris; Thüringer LSG, Beschluss vom 29. April 2008, Az.: L 6 B 32/08 SF, SGb 2008 S. 620 ff.; LSG Nordrhein Westfalen, Beschluss vom 26. September 2008, Az.: L 19 B 21/08 AS, juris). Wegen des abschließenden Normgefüges der §§ 172 ff SGG ist im Vergütungsfeststellungsverfahren nach § 55 RVG - wie auch im Kostenfestsetzungsverfahren - die Beschwerde an das LSG gegen die Entscheidung des SG ausgeschlossen (so auch: 4. Senat des LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Oktober 2009, Az.: L 4 P 8/09 B, juris; ebenso der 8. Senat des LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Dezember 2010, Az.: L 8 B 21/08 SO; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 5. September 2007, Az.: L 13 B 2/06 AS SF, juris, und vom 28. Oktober 2008, Az.: L 9 B 19/08 AS SF, juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29. Januar 2008, Az.: L 4 B 13/08 SB, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2008, Az.: L 1 B 60/08 SF AL, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Juli 2009, Az.: L 7 B 2/09 SB, juris; LSG Saarland, Beschluss vom 29.01.2009, Az.: L 1 B 16/08 R, juris).

11

Nach der Systematik des SGG sind auf eine Erinnerung ergangene Beschlüsse des SG unanfechtbar. Neben der Regelung des § 178 Satz 1 SGG sieht deshalb das SGG für das Kostenfestsetzungsverfahren in § 197 Abs. 2 SGG und im Verfahren zur Feststellung der Pauschgebühr in § 189 Abs. 2 SGG nur eine richterliche und endgültige Entscheidung auf die Erinnerung gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftstelle vor. Eine Beschwerdemöglichkeit gegen den auf die Erinnerung hin ergangenen Beschluss des Gerichts ist nicht vorgesehen.

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Die Beschwerdemöglichkeit nach § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 3 RVG ist danach nur in Verfahrensordnungen denkbar, die diese Beschwerdemöglichkeit nicht ihrerseits ausgeschlossen haben. Für das sozialgerichtliche Verfahren ist dies nicht möglich, denn das SGG regelt die Grundlagen dieses Verfahrens eigenständig. Es ist eine grundsätzlich in sich abgeschlossene Verfahrensordnung. Vorschriften der ZPO oder des GVG sind daher gegenüber dem SGG subsidiär (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 202 RN 2) und nur dann anzuwenden, soweit das SGG keine eigenen Verfahrensbestimmungen enthält.

13

In Anbetracht der Regelung des § 197 SGG besteht für eine Anwendbarkeit des RVG in verfahrensrechtlicher Hinsicht kein praktisches Bedürfnis.

14

Kein anderes Ergebnis ergibt sich aus der Verweisung in § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG. Danach gelten die Vorschriften der ZPO über die PKH entsprechend. Die Verweisung bezieht sich auf alle in dem Buch 1, Abschnitt 2, Titel 7 der ZPO enthaltenen Vorschriften über die PKH, soweit das SGG nicht ausdrücklich - wie etwa in § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG - etwas anderes regelt (vgl. Leitherer, a.a.O., § 73a RN 2). Die "entsprechende Anwendung" erfordert allerdings eine Anpassung der jeweils maßgeblichen Vorschriften der ZPO auf das sozialgerichtliche Verfahren, soweit prozessuale Besonderheiten bestehen.

15

§ 73a Abs. 1 SGG nimmt abweichend von der allgemeinen Auffangverweisung auf die Vorschriften der ZPO in § 202 SGG nur für das PKH-Verfahren die Vorschriften der ZPO ausdrücklich in Bezug (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss des erkennenden Senats vom 20. Februar 2009, Az.: L 5 B 305/08 AS und L 5 B 304/08 AS, juris). Diese Verweisung ermöglicht jedoch nicht die gleichzeitige Anwendung von (anderen) Verfahrens- und Rechtsmittelvorschriften aus der ZPO - bzw. aus dem RVG - neben denen des SGG. So gilt auch im sozialgerichtlichen PKH-Verfahren beispielsweise § 127 ZPO wegen der spezialgesetzlichen Regelung in § 172 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGG nicht uneingeschränkt.

16

Die Gegenauffassung, die davon ausgeht, das RVG enthalte für den Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts und dessen Durchsetzung spezielle Sonderregelungen, die die allgemeinen prozessualen Bestimmungen des SGG verdrängten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., RN 20), führt zu Wertungswidersprüchen. Zum einen ergibt sich eine - verfassungsrechtlich bedenkliche - Unklarheit, wer gesetzlicher Richter in einem Beschwerdeverfahren in einem Vergütungsstreit vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt sein soll: Ist es der Senat nach 172 SGG oder das nach § 33 Abs. 8 RVG vorgesehene Senatsmitglied als Einzelrichter? Zum anderen führte eine Statthaftigkeit der Beschwerde nach dem RVG zu unterschiedlich ausgestalteten Rechtszügen im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 SGG einerseits und im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG andererseits. Es ist jedoch kein sachlicher Grund dafür erkennbar, dass in Kostenfestsetzungsverfahren gegen den unterlegenen Verfahrensgegner das SG endgültig über die Kosten entscheidet, in Verfahren über die Festsetzung der Vergütung des Rechtsanwalts gegenüber der Landeskasse jedoch die Entscheidung des SG mit der Beschwerde überprüfbar ist.

17

Es wäre auch nicht nachvollziehbar, dass über die Regelung des § 172 Abs. 3 SGG Entscheidungen des SG über die Bewilligung von PKH nur eingeschränkt anfechtbar sind, andererseits jedoch im PKH-Nebenverfahren über die Festsetzung der Höhe der jeweiligen Vergütung ein zusätzlicher Rechtsweg (Beschwerde an das LSG) bestehen soll (so auch Löffler, SGb 2008 S. 621 ff.).

18

Diese Wertungswidersprüche zwischen dem SGG und dem RVG sind nur durch einen Vorrang des SGG für das sozialgerichtliche Verfahren überzeugend auflösbar. Dieser Vorrang ist auch in § 202 SGG grundsätzlich so angelegt. Die Vorschriften der ZPO und des GVG finden danach nur Anwendung, soweit das SGG keine eigenen Bestimmungen enthält und eine Lücke zu schließen ist. Aufgrund der eindeutigen Regelung in § 178 und § 197 SGG besteht jedoch ohnehin eine derartige Gesetzeslücke nicht. Das Normengefüge der §§ 172 ff. SGG ist daher für das Vergütungsfestsetzungsverfahren abschließend.

19

Der Umstand, dass das SG im angegriffenen Beschluss eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung erteilt hat, ist rechtlich nicht relevant. Eine solche Rechtsmittelbelehrung kann ein Rechtsmittel, das gesetzlich ausgeschlossen ist, nicht eröffnen (vgl. Leitherer, a.a.O., Vor § 143, RN 14b; BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, Az.: B 1 KR 25/01 R, zitiert nach juris).

20

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.

21

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.


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