Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (1. Senat) - L 1 R 190/09

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2009 und der Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 02. Februar 2010 und 11. September 2012 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen seit dem 18. April 2001 bis zum 14. Januar 2010 nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung und seit dem 18. April 2001 bis zum 31. Dezember 2003 nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger ab dem 18. April 2001 bis zum 14. Januar 2010 in seiner Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter bei der Beigeladenen der Sozialversicherungspflicht unterlag.

2

Der am ... 1960 geborene Kläger war vom 01. Juli 1999 bis zum 31. Dezember 2001 angestellter Fertigungsleiter bei der S. Maschinen- und G. GmbH (S.). Er gründete im Jahr 1995 mit Herrn M. H. die H. M. mbH S. (H.). Vom 15. Februar 2000 bis zum 28. Februar 2005 hielten der Kläger 60 Prozent und Herr H. 40 Prozent der Gesellschaftsanteile der H ... Der Kläger war von Februar 2000 bis Mitte 2005 Geschäftsführer der H ... Vom 28. Februar 2005 bis zum 19. Februar 2007 hielten sowohl der Kläger als auch Herr H. jeweils 33 Prozent der Gesellschaftsanteile. Die H. war zunächst Gesellschafter der von der Treuhand verwalteten S. und verschmolz 2007 mit dieser. Bei der S. hielt der Kläger anfangs 33 Prozent der Gesellschaftsanteile. Seit 2009 ist er zu 55 Prozent an der Gesellschaft beteiligt. Herr H. ist ebenfalls Gesellschafter der S. mit einem Gesellschaftsanteil von 33 Prozent. Die S. stellt Ausbauelemente aus Metall, Hebezeuge, Fördermittel, Metallbehälter, Pumpen, Kompressoren und Werkzeugmaschinen her. Der Kläger ist seit dem 25. November 2008 Geschäftsführer dieses Unternehmens. Des Weiteren sind der Kläger und Herr H. zu jeweils 33 Prozent Gesellschafter der R. E. GmbH. Der Kläger ist seit dem 06. Februar 2006 zudem deren Geschäftsführer.

3

Im Jahr 1999 gründete Herr H. die Beigeladene, die zunächst als eine Ein-Mann-GmbH betrieben wurde. Der Kläger wurde am 18. April 2001 Gesellschafter und Geschäftsführer der Beigeladenen. Laut Gesellschaftsvertrag vom 18. April 2001 übernahmen der Kläger und Frau M. G. jeweils 24 Prozent der Gesellschaftsanteile. Bei Herrn H. verblieben 52 Prozent der Gesellschaftsanteile. Laut Geschäftsführervertrag vom 01. Dezember 2001 erhielt der Kläger ein festes Monatsgehalt von 2.000 DM. Die Arbeitszeit betrug 10 Stunden pro Woche. Mit Dienstvertrag vom 01. März 2003 wurde ab dem 01. März 2003 ein Jahresentgelt von 61.355,04 EUR brutto, zahlbar in zwölf gleichen Monatsraten zum Monatsende, sowie eine jährliche Sonderzahlung in Höhe eines Monatsgehaltes in Höhe von 5.112,92 EUR brutto vereinbart. Darüber hinaus wurde eine Tantieme in Höhe von 20 Prozent des Rohgewinns, höchstens jedoch ein Drittel der Jahresbezüge, gewährt. Am 07. November 2003 übernahm der Kläger eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 550.000,00 EUR für die Beigeladene gegenüber der D. Bank AG. Die Beigeladene hat zirka 60 Mitarbeiter und produziert Bauteile, Komponenten, Maschinen, Anlagen und Ersatzteile in den Bereichen Sondermaschinenbau, Draht- und Kabelindustrie und Filtertechnik. Ferner werden Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten an Maschinenbauerzeugnissen ausgeführt.

4

Am 22. April 2005 baten der Kläger und die Beigeladene die Beklagte, den versicherungsrechtlichen Status des Klägers festzustellen. Der Kläger fügte unter anderen den Dienstvertrag vom 01. März 2003, die Gesellschaftsverträge vom 19. Oktober 1999 und 18. April 2001 sowie den Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Gesellschafter-Geschäftsführers vom 29. März 2005 bei.

5

Die Beklagte stellte mit Bescheiden vom 13. Juli 2005 an den Kläger und an die Beigeladene nach durchgeführter Anhörung fest, dass der Kläger seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beigeladenen seit dem 18. April 2001 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe. Einen maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft könne der Kläger aus seinem Stammkapitalanteil in Höhe von 24 Prozent heraus nicht geltend machen, da er keine Sperrminorität besitze, um gegen sich gerichtete unliebsame Entscheidungen der übrigen Gesellschafter abzuwehren. Er sei alleinvertretungsberechtigt. Von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei er befreit. Er erhalte für seine Geschäftsführertätigkeit ein festes Monatsgehalt. Im Krankheitsfall bleibe der Gehaltsanspruch für die Dauer von sechs Wochen bestehen. Er habe Anspruch auf 30 Arbeitstage bezahlten Urlaub im Kalenderjahr. Hinsichtlich der Arbeitszeit, des Arbeitsortes und der Ausübung der Geschäftsführung sei ihm zwar weitgehende Gestaltungsfreiheit belassen, trotzdem bleibe seine Arbeitsleistung fremdbestimmt, da er sich in eine nicht von ihm selbst vorgegebene Ordnung des Betriebes eingliedere. Seine Weisungsgebundenheit verfeinere sich, wie für Dienste höherer Art charakteristisch, zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess. Den Weisungen der Gesellschafterversammlung habe er Folge zu leisten. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen würden die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen.

6

Dagegen legte der Kläger am 04. August 2005 Widerspruch ein und trug vor, bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung seien die wichtigen Indikatoren, nämlich die Geschäftsführertätigkeit, die Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 BGB, die ausschließliche Kenntnis über die erforderlichen Branchenkenntnisse auf technischem Gebiet, die freie Bestimmbarkeit der Tätigkeit innerhalb der Gesellschaft und als Geschäftsführer, die selbständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis, das Recht, über den Urlaub frei verfügen zu können sowie das Bestehen der Alleinvertretungsberechtigung fehlerhaft gewichtet worden. Ebenso sei nicht hinreichend beachtet worden, dass er im Umfang von 550.000,00 EUR eine Bürgschaft übernommen habe.

7

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2006 zurück. Sie führte ergänzend aus, Gesellschafterbeschlüsse der Beigeladenen würden mit der einfachen Mehrheit der beschlussfähigen Stimmen beschlossen. Der Kläger besitze somit für sich allein betrachtet keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft, da er nicht über die Hälfte der beschlussfähigen Stimmen verfüge und somit auch nicht die einfache Mehrheit erreichen könne. Der Kläger trage angesichts fester Bezüge kein eine selbständige Tätigkeit kennzeichnendes Unternehmerrisiko. Zwar sei er aufgrund der vom Geschäftserfolg abhängigen Tantiemezahlung direkt am Gewinn der Gesellschaft beteiligt, eine Kürzung bzw. den Wegfall der Bezüge bei schlechter Geschäftslage müsse er jedoch nicht befürchten. Die Übenahme von Bürgschaften sei vorliegend lediglich als geringes Indiz für eine selbständige Tätigkeit zu werten, da unklar sei, dass ein Anspruch durch den Gläubiger jemals durchgesetzt werde. Die besonderen Branchen- und Marktkenntnisse sprächen nicht zwingend für eine selbständige Tätigkeit. Denn es sei durchaus üblich, dass Geschäftsführer spezielle Branchen- und Marktkenntnisse aufweisen würden. Diese seien vielfach gerade Voraussetzung für die Übertragung dieser Aufgabe. Außerdem werde die Firma ebenfalls von dem Mehrheits- und alleinigen Gründungsgesellschafter Herrn H. vertreten, der sich nicht nur die Option einer freien Entscheidung bei Gesellschafterbeschlüssen offen gelassen, sondern die Geschäfte vor dem 18. April 2001 alleine geführt habe.

8

Am 15. Juli 2006 hat der Kläger beim Sozialgericht Magdeburg (SG) Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, dass die Beklagte nur ungenügend die Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles berücksichtigt habe. Diese Besonderheiten würden insbesondere durch die Ausübung seiner Geschäftsführertätigkeit in zeitweise insgesamt vier juristisch selbständigen Betrieben (nunmehr noch zwei Betriebe) geprägt. Bedeutsam für seine versicherungsrechtliche Beurteilung sei zudem der Umstand, dass er aufgrund seiner konkreten wirtschaftlichen Lage nicht schutzbedürftig sei. Bereits seit dem Kalenderjahr 2001 verfüge er über eine private Rentenversicherung in Gestalt einer kombinierten Berufsunfähigkeits- und Rentenversicherung. Es erfolge de facto weder eine Einschränkung noch Änderung oder Ergänzung seiner Aufgaben. Auf technischem Gebiet müsse entgegen der Darstellung der Beklagten bei ihm alleinige Branchenkenntnis bejaht werden. Der Umstand, dass er bei Aufnahme seiner Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Krankenkasse als sozialversicherungspflichtig angemeldet worden sei, habe an einem Irrtum des Steuerberaters gelegen. Allerdings seien keine Sozialversicherungsbeiträge an die Renten- bzw. Arbeitslosenversicherung abgeführt worden. Er sei freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert. Der Kläger hat zudem auf den Bescheid der Maschinenbau- und Metallberufsgenossenschaft vom 21. Juni 2006 verwiesen, die ihn als nicht pflichtversicherte Person einstufe.

9

Das SG hat mit Beschluss vom 28. November 2008 die Beigeladene zum Verfahren beigeladen und anschließend mit Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2009 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. November 2005 – B 12 RA 1/04 R – verwiesen. Geschäftsführer seien grundsätzlich versicherungspflichtig. Dies gelte nicht, wenn wegen der gleichzeitig bestehenden Gesellschafterstellung die Willensbildung der GmbH vom Geschäftsführer bestimmt werde. Im Übrigen hat es auf die Gründe im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

10

Gegen den am 25. Mai 2009 zugestellten Gerichtsbescheid haben der Kläger und die Beigeladene am 15. Juni 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Der Kläger nimmt Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, aufgrund hervorragender Branchenkenntnisse auf technischem Gebiet (Maschinenbau) übe er großen tatsächlichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft aus. Seine primären Zuständigkeiten seien die Bereiche Technik und Produktion. Bei der H. habe es aus präsentativen und verkaufswirksamen Gründen nicht mehr so weitergehen können. Keine Bank habe Kredite für Investitionen gewähren wollen. Er habe bei der Bank eine Bürgschaft übernommen. Dies sei der Betriebsmittelkredit für die Produktionsaufnahme gewesen. Nur so habe die Produktionsaufnahme realisiert werden können. Er betreue den gesamten deutschen Kundenstamm. Der weitere Geschäftsführer H. sei für den kaufmännischen Bereich, die betriebswirtschaftlichen Abrechnungen, die Lohnabrechnungen sowie für den Export und den Verkauf von Wicklern zuständig. Der Kläger rügt zudem das Vorliegen einer unzulässigen Überraschungsentscheidung durch das SG. Der Vorsitzende Richter habe in der Sitzung vom 26. März 2009 zu erkennen gegeben, dass er das Klagebegehren als begründet erachte. Der Gerichtsbescheid werde einzig und allein auf ein nicht als entscheidungsrelevant mitgeteiltes Urteil des BSG vom 24. November 2005 gestützt.

11

Mit notariellem Vertrag vom 11. Dezember 2009 fand eine Veräußerung und Abtretung des GmbH-Geschäftsanteiles der Frau G. an den Kläger statt. Weiterhin erfolgte mit notariellem Vertrag vom 15. Januar 2010 eine Teilung des Geschäftsanteils des Mitgesellschafters H. sowie die Veräußerung und Abtretung von dessen Teilgeschäftsanteil an den Kläger. Im Ergebnis besitzen der Kläger und Herr H. nunmehr jeweils 50 Prozent der Gesellschaftsanteile.

12

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 02. Februar 2010 gegenüber dem Kläger ihre Verwaltungsentscheidung dahingehend ergänzt, dass in der seit dem 18. April 2001 ausgeübten Beschäftigung als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beigeladenen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.

13

Mit Schriftsatz vom 01. April 2010 hat die Beklagte anerkannt, dass der Kläger ab dem 15. Januar 2010 nicht mehr in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehe. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Mai 2010, eingegangen bei Gericht am 14. Mai 2010, angenommen.

14

Mit Bescheid vom 11. September 2012 hat die Beklagte festgestellt, dass ab dem 01. Januar 2004 keine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung besteht. Eine Überprüfung habe ergeben, dass das Arbeitsentgelt des Klägers ab 01. März 2003 erhöht worden sei und die Jahresentgeltgrenze seit dem 01. März 2003 überschritten werde. In der Krankenversicherung bestehe ab dem 01. Januar 2004 Versicherungsfreiheit, weil das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt des Beschäftigten die maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze voraussichtlich übersteige, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).

15

Der Kläger und die Beigeladene beantragen,

16

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 02. Februar 2010 und 11. September 2012 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen seit dem 18. April 2001 bis zum 14. Januar 2010 nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung und seit dem 18. April 2001 bis zum 31. Dezember 2003 nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung unterlag.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Berufungen des Klägers und der Beigeladenen gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2009 zurückzuweisen.

19

Sie führt aus, dass sie für die Zeit vor dem 15. Januar 2010 an der bisher vertretenen Rechtsauffassung festhalte.

20

Der Senat hat die notariellen Verträge vom 11. Dezember 2009 und 15. Januar 2010 hinsichtlich der Veräußerung und Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen, den Geschäftsführervertrag vom 01. Dezember 2001 sowie die Lohn- und Gehaltsabrechnungen für die Abrechnungsmonate Januar 2002 bis Februar 2010 beigezogen.

21

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf deren Inhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

22

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaften und auch im Übrigen zulässigen Berufungen des Klägers und der Beigeladenen haben Erfolg. Die Berufungen sind begründet, weil die angefochtene Verwaltungsentscheidung rechtswidrig ist und den Kläger im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Zudem beschwert das Urteil des SG vom 19. Mai 2009 die Beigeladene im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Die Entscheidung des SG vom 19. Mai 2009 ist aufzuheben.

I.

23

Gegenstand des Rechtsstreits ist der angegriffene Statusfeststellungsbescheid der Beklagten vom 13. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2006 und des Änderungsbescheides vom 02. Februar 2010. Dieser Änderungsbescheid ist nach § 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand der Berufung geworden. Die Voraussetzungen des § 96 SGG liegen vor. Der Änderungsbescheid hat den Bescheid vom 13. Juli 2005 abgeändert und festgestellt, dass der Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beigeladenen seit dem 18. April 2001 versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung ist. Er hat dadurch die Anforderungen an eine Statusfeststellung erfüllt, die der 12. Senat des BSG in seinen Urteilen vom 11. März 2009 (B 12 R 11/07 R – juris Rdnr. 14 ff.) und vom 04. Juni 2009 (B 12 R 6/08 R – juris Rndr. 13 ff.) aufgestellt hat (so auch Urteil des erkennenden Senats vom 06. September 2012 – L 1 R 7/11). Mit Bescheid vom 11. September 2012 hat die Beklagte festgestellt, dass der Kläger seit dem 01. Januar 2004 aufgrund seines Einkommens nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt. Dieser Bescheid ist ebenfalls gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden, da er den Bescheid vom 02. Februar 2010 abändert.

II.

24

Im Berufungsverfahren ist nur noch über den Zeitraum vom 18. April 2001 bis 14. Januar 2010 zu entscheiden. Dies folgt aus dem hinsichtlich des Zeitraums ab dem 15. Januar 2010 abgegebenen Teilanerkenntnis der Beklagten mit Schriftsatz vom 01. April 2010. Dieses hat der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Mai 2010, eingegangen bei Gericht am 14. Mai 2010, angenommen.

25

Die Beklagte ist jedoch zu Unrecht von einer abhängigen Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen im Zeitraum 18. April 2001 bis 14. Januar 2010 ausgegangen.

26

Die Sozialversicherung umfasst gemäß § 2 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) Personen, die kraft Gesetzes oder Satzung (Versicherungspflicht) oder aufgrund freiwilligen Beitritts oder freiwilliger Fortsetzung der Versicherung (Versicherungsberechtigung) versichert sind. In allen Zweigen der Sozialversicherung sind nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV Personen versichert, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Dem Grunde nach unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V; § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung; § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung; § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuches – Soziale Pflegeversicherung). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Die Abgrenzung der nichtversicherten selbständigen von der versicherungspflichtigen Tätigkeit ist danach vorzunehmen, ob der Beschäftigte von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönlich abhängig ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb der Beschäftigte, der in den Betrieb eingegliedert ist und einem Weisungsrecht des Arbeitsgebers hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsleistung unterliegt. Kennzeichnend für eine selbständige Tätigkeit ist das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die Möglichkeit, frei über den Arbeitsort und die Arbeitszeit zu verfügen. Sofern eine Tätigkeit Merkmale aufweist, die auf eine Abhängigkeit oder Unabhängigkeit hinweisen, ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen. Dabei sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen und eine Entscheidung nach dem Gesamtbild zu treffen. Anknüpfungspunkt ist zunächst die vertragliche Ausgestaltung des Verhältnisses. Weicht diese jedoch von den tatsächlichen Verhältnissen ab, so sind diese entscheidend, wenn sie rechtlich zulässig sind (Urteil des Senats vom 06. September 2012 – L 1 R 7/11; vgl. m. w. N.: BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 – B 12 KR 8/01 R – SozR 3-2004 § 7 Nr. 19 und Urteil vom 24. Januar 2007 – B 12 KR 31/06 R – SozR 4-2004 § 7 Nr. 7; jüngst: BSG, Urteile vom 29. August 2012 – B 12 KR 14/10 R und B 12 KR 25/10 R – Terminbericht des BSG Nr. 46/12 vom 31. August 2012, www.bundessozialgericht.de).

1.

27

Für den Zeitraum vom 18. April 2001 bis 14. Januar 2010 bestimmen sich die rechtlichen Beziehungen des Klägers zur Beigeladenen nach den Geschäftsführerverträgen vom 01. Dezember 2001 und 01. März 2003 sowie dem Gesellschaftsvertrag vom 18. April 2001. Die in diesen Verträgen enthaltenen Regelungen sind für die Beurteilung hier maßgebend. Es fehlt an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die entsprechenden Willenserklärungen rechtlich nicht ernst gemeint (§ 118 BGB) oder unter den rechtlichen Voraussetzungen eines Scheingeschäfts (§ 117 BGB) abgegeben worden wären. Eine formlose Abbedingung der Abreden des schriftlichen Geschäftsführervertrages war schon nach dem ausdrücklich bekundeten Willen der Vertragsparteien ausgeschlossen, da nach § 9 des Vertrages vom 01. Dezember 2001 und § 11 Nr. 2 des Dienstvertrages vom 01. März 2003 Änderungen der Schriftform bedurften.

a)

28

Für eine abhängige Beschäftigung spricht, dass der Kläger einen Anspruch auf Urlaub von 30 Arbeitstagen (§ 6 des Vertrages vom 01. Dezember 2001 und § 4 Nr. 1 des Vertrages vom 01. März 2003) hat. Die Vergütungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (§ 7 des Vertrages vom 01. Dezember 2001 und § 7 Nr. 3 des Vertrages vom 01. März 2003) ist ebenfalls arbeitnehmertypisch.

b)

29

Die Verpflichtung des Klägers, seine Arbeitskraft und seine gesamten fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen in den Dienst der Gesellschaft zu stellen (§ 4 Satz 1 des Vertrages vom 01. Dezember 2001 und § 6 Abs. 1 des Vertrages vom 01. März 2003), spricht zwar eher für eine abhängige Beschäftigung. Hiervon waren laut den Verträgen jedoch ausdrücklich bestehende Dienst- und Arbeitsverträge ausgenommen. Der Kläger war bereits Geschäftsführer der H. und anschließend der S ... Aufgrund dieser Verpflichtungen war bereits ein vollständiger Einsatz seiner Arbeitskraft bei der Beigeladenen nicht möglich.

c)

30

Nach Auffassung des Senats ist die Zahlung eines festen Monatsgehalts nicht unbedingt arbeitnehmertypisch. Insbesondere stellt die Zahlung von festen monatlichen Bezügen kein Indiz für das Fehlen eines Unternehmerrisikos dar. Die Vereinbarung von Geschäftsführergehältern ist ein klassisches Gestaltungsinstrument zur Verringerung der Steuerlast. Das Gehalt ist beim geschäftsführenden Gesellschafter grundsätzlich als Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit zu versteuern. Bei der GmbH führen die Gehaltszahlungen zu Betriebsausgaben, so dass sich dadurch entsprechend die Gewerbesteuer und die Körperschaftsteuer mindern. Damit die Gehaltsvereinbarung vom Finanzamt anerkannt wird, muss eine zivilrechtlich wirksame Vereinbarung vorliegen. Besteht eine solche Vereinbarung nicht, nimmt das Finanzamt eine verdeckte Gewinnausschüttung an. Im Falle einer Gewinnausschüttung statt einer Gehaltszahlung muss die GmbH auf den höheren Gewinn sowohl Gewerbesteuer als auch Körperschaftsteuer bezahlen. Die Gewinnausschüttung unterlag bis Ende 2007 beim Gesellschafter dafür wiederum nach dem Halbeinkünfteverfahren nur zur Hälfte der Besteuerung bzw. seit 2008 unterliegt sie der Abgeltungssteuer. Ob nun eine Gehaltszahlung oder die Gewinnausschüttung steuerlich günstiger ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Gehaltszahlung ist damit jedoch gerade kein Indiz für das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses.

2.

31

Die Beteiligung des Klägers am positiven Geschäftsergebnis durch Zahlung der Tantieme in Höhe von 20 Prozent des tantiemepflichtigen Gewinns, begrenzt auf 1/3 des Jahresgehaltes, spricht gleichermaßen weder für noch gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, da eine leistungsorientierte Vergütung sowohl bei einer abhängigen als auch bei einer selbständigen Tätigkeit gezahlt werden kann.

3.

32

Für eine selbständige Tätigkeit spricht, dass entgegen der Auffassung der Beklagten bei dem Kläger von einem erheblichen Unternehmerrisiko ausgegangen werden muss. Der Kläger hat eine Bürgschaft in Höhe von 550.000,00 EUR zur Absicherung eines bankfinanzierten Betriebsmittelkredites, welcher zur Produktionsaufnahme erforderlich war, übernommen. Im Vergleich zum Stammkapital der Beigeladenen und zum Jahresgehalt des Klägers ist dieses übernommene Risiko für ihn erheblich. Im Falle einer Insolvenz der Beigeladenen würden sich für den Kläger deutliche finanzielle Einbußen auch in persönlicher Hinsicht ergeben.

4.

33

Für eine selbständige Tätigkeit spricht zudem, dass im Dienstvertrag vom 01. März 2003 keine Arbeitszeit vereinbart wurde. Außerdem wurden zusätzlich neben den vertraglichen Bestimmungen Zuschüsse zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt.

34

Dagegen lässt die Stellung des Klägers als Gesellschafter für sich allein nicht den Schluss zu, dass er selbständig tätig war. Er besaß bis zum 15. Januar 2010 lediglich 24 Prozent der Anteile. Er verfügte damit nicht über eine Sperrminorität, denn Beschlüsse kamen grundsätzlich mit einfacher Mehrheit zustande (§ 10 Nr. 6 des Gesellschaftsvertrages vom 18. April 2001). Insgesamt besitzt der Kläger jedoch die tatsächliche Einflussmöglichkeit, auf den Entscheidungsprozess des Mehrheitsgesellschafters H. einzuwirken. Diesbezüglich kann nicht allein auf die Beteiligung des Klägers an der Beigeladenen abgestellt werden. Im vorliegen Fall muss berücksichtigt werden, dass der Kläger und Herr H. an verschiedenen Firmen mit jeweils unterschiedlichen Anteilen beteiligt sind. Bei der H., nachfolgend der St., besaß der Kläger zeitweise 60 Prozent bzw. 55 Prozent der Gesellschaftsanteile. Aufgrund seiner dortigen Rechtsmacht konnte er indirekt Entscheidungen bei der Beigeladenen beeinflussen. Aus der Betriebsgeschichte kann entnommen werden, dass hier ein partnerschaftliches Verhältnis der beiden Gesellschafter besteht. Von beiden wurde übereinstimmend in der nichtöffentlichen Sitzung am 21. Juni 2012 glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass die H., die beide gemeinsam 1995 gegründet haben, keine Kredite für Investitionen erhalten hat. Aus präsentativen und verkaufswirksamen Gründen mussten neue Firmengebäude errichtet werden. Dies wurde dann in Form einer neuen GmbH bewerkstelligt. Die Beigeladene sollte von Anfang an nur gemeinschaftlich betrieben werden. Nach Auffassung des Senats fehlt es aufgrund der partnerschaftlichen Zusammenarbeit in verschiedenen Firmen an einer Weisungsgebundenheit des Klägers. Es bestehen genügend Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach Belieben frei schalten und walten konnte.

III.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

36

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


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