Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (9. Senat) - L 9 KA 18/15 B ER

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. November 2015 wird zurückgewiesen und der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 9. Dezember 2015 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Dezember 2015 wiederherzustellen, abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Dezember 2015 in einem Verfahren auf Praxisfortführung wiederherzustellen.

2

Im Februar 2012 wurde der Facharzt für Innere Medizin Herr B. mit der Berechtigung zum Führen der Schwerpunktbezeichnung Hämatologie und internistische Onkologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit der Feststellung eines Sonderbedarfs zur vertragsärztlichen Versorgung mit einem Vertragsarztsitz in D. zugelassen. Im August 2014 stellte er bei dem Zulassungsausschuss einen Antrag auf Ausschreibung seiner Praxis gemäß § 103 Abs. 3a, 4, 5 und 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Diesem Antrag gab der Zulassungsausschuss statt und stellte darüber hinaus fest, dass der Sonderbedarf fortbestehe sowie die Zulassung von Herrn B. wegen Wegzuges zum 30. September 2014 ende.

3

In seiner Sitzung am 8. Oktober 2014 fasste der Zulassungsausschuss den Beschluss, Frau N., vom 8. Oktober 2014 bis 30. September 2015, jedoch längstens bis zur bestandskräftigen Zulassung eines Nachfolgers im Rahmen des Praxisbesetzungsverfahrens von Herrn B. zur Erbringung von Leistungen auf dem Gebiet der internistischen Hämatologie und Onkologie sowie bestimmter weiterer Leistungen zu ermächtigen.

4

Auf die anschließende Ausschreibung des Vertragsarztsitzes bewarben sich neben dem Antragsteller (geboren 1943; Approbationsalter 42 Jahre) das Medizinische Versorgungszentrum des Städtischen Klinikums D. gGmbH (MVZ) mit den angestellten bzw. anzustellenden Ärzten Frau N. (geboren 1974; Approbationsalter 3 Jahre) und Herrn Dr. F. (geboren 1964; Approbationsalter 26 Jahre). Alle drei genannten Ärzte sind Fachärzte für Innere Medizin mit der Schwerpunktbezeichnung Hämatologie und internistische Onkologie. Herr Dr. F. führt außerdem die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin. Er ist seit dem 18. Oktober 2012 bei dem MVZ als Facharzt für Innere Medizin beschäftigt; als wöchentliche Arbeitszeit wurden zunächst zehn Stunden vereinbart. Er ist wie Frau N. zusätzlich im Städtischen Klinikum D. tätig (Abteilungsleiter bzw. Oberärztin). Das MVZ ist seit dem Jahre 2006 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

5

In der Anhörungssitzung des Zulassungsausschusses vom 18. März 2015 wurde ein Kaufpreis für die Praxis i. H. v. 200.000,- EUR genannt. Der Antragsteller war bereit, diesen Kaufpreis zu zahlen, während das MVZ lediglich 58.000,- EUR bot. Im Weiteren erzielten Herr B. und das MVZ eine Einigung und schlossen einen Praxisübernahmevertrag.

6

Daraufhin beschloss der Zulassungsausschuss im Rahmen seiner Sitzung vom 15. Juli 2015, dem MVZ die Anstellungsgenehmigung für Frau N. und Herrn Dr. F. zu erteilen bzw. die Arbeitszeit auf über 10 bis 20 Stunden pro Woche zu erhöhen. Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zur Praxisfortführung wurde abgelehnt.

7

Gegen die ihm am 20. Juli 2015 zugegangene Entscheidung des Zulassungsausschusses legte der Antragsteller am 18. August 2015 Widerspruch ein. Herr Dr. F. und Frau N. hatten zwischenzeitlich ihre Tätigkeit im Rahmen der Praxisnachfolge zum 1. August 2015 aufgenommen.

8

Das MVZ stellte einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entscheidung des Zulassungsausschusses. Diesem Begehren kam der Zulassungsausschuss in seiner Sitzung vom 26. August 2015 nach und erklärte seinen Beschluss vom 15. Juli 2015 für sofort vollziehbar. Zur Begründung verwies er auf ein besonderes Vollzugsinteresse gemäß § 86a Abs. 2 Nummer 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgrund der Notwendigkeit der Absicherung der Patientenversorgung am beantragten Standort: Es handele sich um schwerstkranke Patienten, welche aufgrund ihres Krankheitsbildes regelmäßiger Behandlung, zumeist in Form einer Chemotherapie bedürften. Ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung müssten die beiden Ärzte ihre Tätigkeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Genehmigung einstellen, da der Widerspruch aufschiebende Wirkung habe. Es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sämtliche Patienten in der Lage seien, so zeitnah wie es im Falle einer Chemotherapie notwendig sei, einen anderen Arzt zu finden, der die Behandlung dauerhaft übernehme. Die Einstellung der Tätigkeit sei zumindest für einen Teil der Patienten mit nicht hinnehmbaren Nachteilen bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen verbunden. Fraglich sei auch, ob umliegende Praxen überhaupt in der Lage seien, freie Kapazitäten für die Aufnahme von neuen Patienten anzubieten und diese zeitnah zur Verfügung zu stellen. Dem stehe lediglich das Interesse des Antragstellers auf Fortführung der Praxis gegenüber. Das öffentliche Interesse an der kontinuierlichen Versorgung der Patienten wiege deutlich schwerer als das materielle Interesse an der Fortführung der Vertragsarztpraxis.

9

Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller Widerspruch ein und führte aus, der Abschluss sei altersdiskriminierend und unterstelle, dass er nicht in der Lage sei, eine kontinuierliche Patientenversorgung zu gewährleisten. Ein Praxisfortführungswille des MVZ sei ohne weitere Prüfung unterstellt worden. Zudem befinde sich die Hauptbetriebsstätte des MVZ in D.-R., so dass die Praxis nicht fortgeführt werde. Außerdem sei zu befürchten, dass die angestellten Ärzte ihr Beschäftigungsverhältnis beendeten. Die angestrebte Kontinuität werde so nicht sichergestellt. Er als Antragsteller habe auch einen weit höheren Kaufpreis für die Praxisübernahme geboten. Zudem liege sein Approbationsalter mit 42 Jahren deutlich über den seiner Konkurrenten.

10

Mit Sitzung vom 7. Oktober 2015 hat der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 15. Juli 2015 zurückgewiesen und zugleich die Verlegung des Vertragsarztsitzes von der G. in den A., jeweils in D.-R. genehmigt. Weiterhin hat er die sofortige Vollziehung des Beschlusses gemäß § 86 Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet.

11

Mit Beschluss vom 11. November 2015 hat das Sozialgericht Magdeburg den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 15. Juni 2015 anzuordnen, abgelehnt. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, richtiger Antragsgegner sei allein der Berufungsausschuss; hier lege die Kammer den Antrag zugunsten des Antragstellers entsprechend aus. Der Antrag sei allerdings durch die Entscheidung des Antragsgegners unzulässig geworden, darüber hinaus sei der Antrag aber auch unbegründet. Der Beschuss des Zulassungsausschusses vom 15. Juli 2015 sei offensichtlich rechtmäßig und es bestehe zusätzlich ein öffentliches Interesse am Vollzug des Beschlusses. Ein Vertragsarztsitz könne gemäß § 103 Abs. 4c Satz 1 SGB V auch durch ein MVZ übernommen werden. Die dort geregelte Nachrangregelung greife vorliegend nicht. Es beständen im Übrigen auch keine ernsthaften Zweifel am Fortführungswillen des MVZ. Aus dem Charakter der Auswahlentscheidung als Ermessensentscheidung folge, dass die gerichtliche Überprüfung sich darauf zu beschränken habe, ob das Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden und der Kläger dadurch beschwert sei. Die Zulassungsgremien hätten einen Entscheidungsspielraum, den die Gerichte zu respektieren hätten. Das Gesetz erhalte insoweit auch keine abschließende Aufzählung der Auswahlkriterien. Der Zulassungsausschuss habe dem Gedanken der Versorgungskontinuität eine ausschlaggebende Bedeutung beimessen dürfen. Zwar könne dieser Aspekt nicht allein ausschlaggebend sein, weil das auf eine - unter Diskriminierungsgesichtspunkten problematische - strukturelle Bevorzugung des jüngeren vor dem älteren Bewerber hinauslaufen könnte und weil auch der an sich für eine Kontinuität einstehende Bewerber rechtlich nicht gehindert sei, nach kürzerer oder längerer Zeit die übernommene Praxis zu verlegen. Unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat das Sozialgericht weiter ausgeführt, es stehe hier aber außer Zweifel, dass die gewählten Bewerber bzw. das MVZ im konkreten Fall perspektivisch einen weitaus längeren Zeitraum für eine kontinuierliche Versorgung der Patienten zur Verfügung stehen würden als der bereits im regulären Rentenalter stehende Bewerber. Das zusätzliche öffentliche Interesse am Vollzug des Beschlusses bestehe in der notwendigen Versorgung der Patienten. Die entsprechenden Ausführungen in dem Beschluss des Zulassungsausschusses seien zutreffend.

12

Gegen die ihm am 12. November 2015 zugestellte Entscheidung hat der Antragsteller am gleichen Tage Beschwerde eingelegt und seinen bisherigen Vortrag wiederholt. Weiter hat er ausgeführt, dass das Sozialgericht gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache verstoßen habe. Die fehlende zeitliche Beschränkung und die fehlende Vorläufigkeit sei nicht problematisiert worden. Seine Darlegungen hinsichtlich des fehlenden Praxisfortführungswillens und der nicht gewährleisteten Versorgungskontinuität seien übergangen worden.

13

Mit Beschluss vom 4. Dezember 2015 hat der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 15. Juli 2015 zurückgewiesen. Weiter hat er dem MVZ im Wege der qualifikationsbezogenen Sonderbedarfszulassung gemäß §§ § 36, 37 der Bedarfsplanungsrichtlinie die Genehmigung zur Einstellung von Frau N. und Herrn Dr. F. erteilt. Hierbei hat sich der Antragsgegner wesentlich auf die Rspr. des Bundessozialgerichts berufen (Urteil vom 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - juris).

14

Weiter hat er die Verlegung des Vertragsarztsitzes genehmigt und die sofortige Vollziehung des Beschlusses angeordnet. Es bestehe ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung seines Beschlusses, da ein hohes Interesse der Patienten an einer Fortführung der Krankenbehandlung bestehe. Diesen solle nicht ein mehrfacher Wechsel zugemutet werden (von Herrn B. auf Frau N. und von Frau N. auf einen Dritten). Dies sei aber ohne die sofortige Vollziehung nicht möglich. Zu berücksichtigen sei zudem der Umstand, dass es sich um eine Praxis handele, für die eine Sonderbedarfszulassung erteilt worden sei. Dies bedeute, dass ohne diese Praxis anderweitig nicht zu versorgende und einer Versorgung bedürfende Patienten unbehandelt bleiben würden. Dies könne nicht bis zum rechtkräftigen Abschluss einer unter Umständen mehrere Jahre andauernden gerichtlichen Auseinandersetzung hingenommen werden.

15

Nach Zugang des Beschlusses hat der Antragsteller seinen Antrag mit Schreiben vom 9. Dezember 2015 umgestellt und ausgeführt, Antragsgegner sei nunmehr allein der Berufungsausschuss.

16

Er beantragt wörtlich,

17

die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 9. Dezember 2015 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Dezember 2015 im Verfahren auf Praxisfortführung gem. § 103 Abs. 3a, 4, 5 und 6 SGB V des Herrn B., Facharzt für Innere Medizin, Schwerpunkt Hämatologie und internistische Onkologie, G., D.-R. wiederherzustellen.

18

Der Antragsgegner beantragt,

19

den Antrag zurückzuweisen.

20

Er verteidigt seine Entscheidung und den Beschluss des Sozialgerichts.

21

Die Gerichtsakte hat vorgelegen und war Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend verwiesen.

II.

22

A. Der Senat hat von der Beiladung des MVZ abgesehen, weil dies in einem Verfahren im einstweiligen Rechtschutz nicht zwingend ist (Ulmer in Hennig, SGG § 75 Rn. 17; Straßfeld in Roos/Warendorf, SGG, § 75 Rn. 10).

23

B. Das Verfahren richtet sich entsprechend des im Beschwerdeverfahren gestellten Antrages allein gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Dezember 2015. Durch die entsprechende Umstellung des Antrages wurde der ursprüngliche Antrag gegen den Zulassungsausschusses zurückgenommen (zu dieser Antragstellung BSG, 22.10.2014 - B 6 KA 36/13 R - SozR 4-2500 § 95 Nr. 28, Rn. 12). Der Senat legt den Antrag als Teilrücknahme aus, da kein entsprechender Antrag gegen den Zulassungsausschuss mehr gestellt wurde und auch keine klare Erledigungserklärung erfolgte. Mangels irgendeines Antrags war keine Erklärung des Zulassungsausschusses mehr notwendig.

24

C. Der Senat ist zuständiges Gericht der Hauptsache im Sinne des § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG. Zwar ist in § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG lediglich die Rede von der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, doch wird wegen der gleichen Zielrichtung auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von dieser Norm erfasst (LSG Nordrhein-Westfalen, 25.10.2006 - L 10 B 15/06 KA ER - juris; LSG Schleswig-Holstein, 3.8.2006 - L 4 B 269/04 KA ER - juris).

25

Gericht der Hauptsache ist das Sozialgericht Magdeburg, da dort die Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Dezember 2015 seit rund einer Woche anhängig ist. Allein dieser Bescheid ist auch Gegenstand dieses Klageverfahrens; der Bescheid des Zulassungsausschusses ist nach der Entscheidung des Antragsgegners "rechtlich nicht mehr existent" (BSG, 22.10.2014 - B 6 KA 36/13 R - SozR 4-2500 § 95 Nr. 28, Rn. 12).

26

Allerdings liegt hier bereits eine Entscheidung des Sozialgerichts Magdeburg vor, gegen die sich der Antragsteller zuvor im Wege der Beschwerde an den für solche Rechtsmittelentscheidungen zuständigen Senat gewandt hat. Dieses Verfahren betraf zunächst den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 26. August 2015, die sofortige Vollziehung seines Beschlusse vom 15. Juli 2015 anzuordnen. Nunmehr wendet sich der Antragsteller allein gegen die Entscheidung des Antragsgegners vom 4. Dezember 2015. Diese entspricht allerdings im Tenor ganz und in der Begründung der Ermessensentscheidung ganz überwiegend der Entscheidung des Zulassungsausschusses. Zumindest in solchen Fällen bleibt der Senat nach einer entsprechender Antragsänderung bei einem bereits vor Zugang des Bescheides des Berufungsausschusses anhängigen Beschwerdeverfahren entsprechend § 99 SGG als Beschwerdegericht zuständig (zu der Problematik der Zuständigkeit nach Klageänderung Ulmer, SGb 2013, 207 ff).

27

Andernfalls hätte es der Antragsgegner objektiv in der Hand, durch die Versendung des Bescheides die Zuständigkeit zu beeinflussen. Dies ist angesichts des verfassungsrechtlich garantierten Prinzips des gesetzlichen Richters nicht möglich.

28

Dies gilt ungeachtet der Besonderheiten der §§ 96, 97 SGB V, weshalb auch § 96 SGG insoweit keine Anwendung findet (BSG, 15.4.1986 - 6 RKa 25/84 - SozR 1500 § 96 Nr. 32, Rn. 10). Den Beteiligten an dem Zulassungsverfahren - den Ärzten, den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesverbänden der Krankenkassen - stehen zwei Verwaltungsinstanzen zur Verfügung, wobei ihnen insbesondere ein Anspruch auf Prüfung und Entscheidung durch die nach Ausgestaltung und Kompetenz besonders qualifizierte zweite Verwaltungsinstanz - des Antragsgegners - eingeräumt ist. Die erstinstanzlichen Zulassungsausschüsse, die für den Bezirk der KÄV oder für Teile dieses Bezirks errichtet werden, bestehen aus Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl; bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt (§ 96 Abs. 2 SGB V). Gegen die Entscheidungen der Zulassungsausschüsse über die Zulassung können die Beteiligten des Verfahrens Widerspruch bei dem Berufungsausschuss einlegen; der Widerspruch bewirkt Aufschub, der Berufungsausschuss kann jedoch die Vollziehung seiner Entscheidung anordnen, wenn er sie im öffentlichen Interesse für geboten hält (§ 97 Abs. 4 SGB V). Erst der Berufungsausschuss trifft dann die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung.

29

Bei dem Verfahren vor dem Berufungsausschuss handelt es sich nicht um das Widerspruchsverfahren nach dem SGG, das lediglich als Vorverfahren dem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich vorauszugehen hat, aber unter Umständen auch entbehrlich ist (§ 62 des Sozialgesetzbuch 10. Buch, Verwaltungsverfahren - SGB X - i.V.m. §§ 78 ff SGG). Die Bestimmung, dass das Verfahren vor dem Berufungsausschuss als Vorverfahren i.S. des § 78 SGG gilt (§ 97 Abs. 3 Satz 2 SGB V), bedeutet nur, dass mit ihm diese Voraussetzung für eine gerichtliche Sachentscheidung erfüllt wird. Darin erschöpft sich aber seine Bedeutung nicht. Der Berufungsausschuss ist vielmehr, wie die ihn betreffenden gesetzlichen Regelungen zeigen, diejenige Zulassungsinstanz, auf die es letztlich ankommt und die die Entscheidung zu verantworten hat (BSG, 15.4.1986 - 6 RKa 25/84 - SozR 1500 § 96 Nr. 32, Rn. 10). Dafür spricht bereits seine Zusammensetzung. Diese weicht von der des Zulassungsausschusses insofern ab, als dem Ausschuss ein Vorsitzender mit der Befähigung zum Richteramt angehört (§ 97 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Die Ergänzung der fachkundigen Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen durch einen rechtskundigen Vorsitzenden, der weder der einen noch der anderen Gruppe zuzurechnen ist, lässt den Schluss zu, dass ausnahmslos bei allen auftretenden Meinungsverschiedenheiten dieser Ausschuss die maßgebliche Verwaltungsentscheidung treffen soll. Die ungerade Zahl der Mitglieder macht nun auch - anders als beim Verfahren vor dem Zulassungsausschuss - in jedem Falle eine Mehrheitsentscheidung möglich. Schließlich bestätigt § 70 Nr. 4 SGG, der die ausschließliche Prozessführungsbefugnis des Berufungsausschusses in seinem Aufgabenbereich begründet (vgl. Arndt in: Breitkreuz/Fichte, § 70, Rn. 14), dass der Berufungsausschuss die im Streitfall maßgebende Verwaltungsentscheidung zu treffen und zu verantworten hat. Daraus folgt, dass hier Gegenstand einer Klage nicht der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist (§ 95 SGG), sondern der Bescheid des Berufungsausschusses, der jedoch den Bescheid des Zulassungsausschusses, soweit dieser bestätigt wird, einschließt (BSG, 15.4.1986 - 6 RKa 25/84 - SozR 1500 § 96 Nr. 32, Rn. 10).

30

Der Zulassungsausschuss bildet aber zusammen mit dem Berufungsausschuss die Entscheidungsinstanzen eines einheitlichen Verwaltungsverfahrens, auch wenn es sich um zwei selbständige Ausschüsse handelt (BSG, 15. April 1986 - 6 RKa 25/84- SozR 1500 § 96 Nr. 32, Rn. 12).

31

Eine Verweisung des vorliegenden Verfahrens an das Sozialgericht (als Gericht der Hauptsache) würde dieses besondere Zusammenwirken von Zulassungsausschuss und Berufungsausschuss verkennen. Es würde insbesondere das Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzen, wenn möglicherweise grundrechtseingreifende Maßnahmen nicht in angemessener Zeit im Wege des einstweiligen Rechtschutze geprüft werden könnten (vgl. BVerfG, 19.11.2015 - 2 BvR 2088/15 - juris Rn. 18), weil das Sozialgericht ein weiteres Mal über den im Wesentlichen unveränderten Antrag (Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs der dem MVZ erteilten Anstellungsgenehmigung) zu entscheiden hätte. Dies gilt umso mehr, als der vorliegende Verfahrensablauf nicht atypisch für Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz in Zulassungsstreitigkeiten ist. Hierfür hat die Rechtsordnung einen effektiven Rechtschutz zur Verfügung zu stellen.

32

D. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere hat sie sich aus den gleichen Erwägungen wie oben im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung angestellt auch nicht erledigt; das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ist nicht weggefallen.

33

E. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im Beschluss des Antragsgegners vom 4. Dezember 2015 ist nicht zu beanstanden.

34

Gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in Fällen, in denen die Behörde - wie vorliegend der Antragsgegner auf der Grundlage von § 97 Abs. 4 SGB V - die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung angeordnet hat, die aufschiebende Wirkung der hiergegen gerichteten Klage wiederherstellen (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl., § 86b Rn. 5 m.w.N.). Welche Voraussetzungen hierfür erforderlich sind, ist im Gesetz selbst nicht geregelt. Nach allgemeiner Auffassung (vgl z.B. Keller a.a.O., Rn. 12i; Wahrendorf in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 86b Rn. 114) ist aber anerkannt, dass zunächst - in formeller Hinsicht - zu prüfen ist, ob die behördliche Vollstreckungsanordnung hinreichend begründet worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist bereits aus diesem Grunde die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen (im Folgenden: 1.). Dies gilt auch, wenn die sich anschließende summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Verwaltungsakts ergibt, dass dieser rechtswidrig sein dürfte (2.) Ist der Bescheid dagegen voraussichtlich als rechtmäßig anzusehen, muss weiter geprüft werden, ob übergeordnete öffentliche oder private Interessen es erfordern, den Verwaltungsakt bereits jetzt zu vollziehen, hiermit also nicht - als Folge der grundsätzlichen aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels, § 86a Abs. 1 S. 1 SGG - bis zur (rechtskräftigen) Entscheidung der Hauptsache zu warten (dazu bei 3.).

35

1. Der Antragsgegner begründet die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ausführlich unter Hinweis auf die Bedürfnisse der Patienten an einer kontinuierlichen medizinischen Versorgung. Richtig (und rechtmäßig) hat der Antragsgegner insoweit nicht nur den Widerspruch zurückgewiesen, sondern selbst den Sofortvollzug angeordnet.

36

2. Die dem MVZ erteilte Anstellungsgenehmigung ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.

37

a) Zweifel an einer fortführungsfähigen Praxis (dazu BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12, Rn. 31) hat der Senat nicht; dies bezweifelt der Antragssteller auch nicht. Hierbei genügt es grundsätzlich, dass die fortführungsfähige Praxis zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Ausschreibung des Sitzes durch die Kassenärztliche Vereinigung bestanden hat (BSG, 11. 12.2013 - B 6 KA 49/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 13, Rn. 38). Zu diesem Zeitpunkt praktizierte Herr B. noch uneingeschränkt.

38

b) Voraussetzung für die Zulassung auf einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz im Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V ist u.a., dass der Bewerber den Willen hat, die zu übernehmende Praxis fortzuführen (BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12, Rn. 25). Irgendwelche Hinweise, dass das MVZ diesen Willen nicht haben könnte, sind nicht ersichtlich. Die Anstellung von zwei Ärzten und die Zahlung des Kaufpreises sprechen zumindest deutlich dagegen.

39

Im Übrigen es ist für eine Praxisfortführung im Sinne des § 103 Abs. 4 SGB V entgegen der Rechtsansicht des Antragstellers nicht notwendig, dass der Nachfolger den Praxisbetrieb in der dargestellten Art und Weise auf Dauer fortführt. Die Rspr. hat anerkannt, dass es im Einzelfall durchaus sachliche Gründe dafür geben kann, die Praxis zumindest nicht am bisherigen Ort fortzuführen (BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12). Dies gilt insbesondere, wenn es sich wie hier um ein MVZ handelt. Zutreffend hebt der Antragsteller hervor, dass dieses MVZ einen anderweitigen Sitz hat. Wenn auch nicht rechtlich zwingend, werden in einem MVZ zumindest die meisten Ärzte in einem Gebäude bzw. Gebäudekomplex tätig sein. In einer solchen Konstellation wäre eine Praxisfortführung im vorliegenden Fall mit besonderen Problemen verbunden. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass der Gesetzgeber typischerweise ein MVZ von einer Praxisfortführung ausnehmen wollte. Hier wird in dem angegriffenen Bescheid zudem auf das besondere Problem hingewiesen, dass sich die Praxis von Herrn B. auf dem Gelände einer konkurrierenden Klinik befand. Zumindest in einem solchen Fall ist die Verlegung des Ortes der Praxis unproblematisch.

40

Richtig und überzeugend wird in dem Bescheid vom 4. Dezember 2015 zudem ausgeführt, dass es bei einer so hoch spezialisierten Fachgruppe nicht so sehr darauf ankommt, wo genau sich der Vertragsarztsitz innerhalb der Stadt befindet, da hier mit einem weiten Einzugsbereich der Patienten zu rechnen ist. Einwendungen hat der Antragsteller insoweit nicht erhoben.

41

Wie der Antragsgegner in seinem Bescheid vom 4. Dezember 2015 ausführt, wurde zudem eine Mitarbeiterin von Herrn B. übernommen. Eine weitere Mitarbeiterin war mittlerweile bereits bei dem MVZ tätig. Nicht ermessensfehlerhaft erscheinen dem Senat die Erwägungen in diesem Bescheid, dass die Patienten und Patientenkartei übernommen wurden. Dies ist maßgeblich für die Kontinuität der Behandlung und die Fortführung der Praxis.

42

Warum der vorgelegte Praxisübernahmevertrag unwirksam sein sollte, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Allein ein eventuell unzutreffendes Datum auf der Kaufvertragsurkunde oder eine Rückdatierung des Vertrages würde die Wirksamkeit zumindest zukunftsgerichtet nicht beeinträchtigen. Eine eventuell fehlende interne Abstimmung beeinträchtigt nicht die Geschäftsfähigkeit und Vollmacht der Geschäftsführer des MVZ im Außenverhältnis.

43

c) Auch unter Würdigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahrens ist nicht ersichtlich, warum ein MVZ (mit angestellten weisungsgebundenen Ärzten) nicht oder nachrangig zur Versorgung zugelassen sein könnte, obwohl ein MVZ hier ausdrücklich im Gesetz genannt wird. So lautet § 103 Abs. 4 Satz 10 SGB V in der Fassung vom 16. Juli 2015:

44

"Hat sich ein medizinisches Versorgungszentrum auf die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes beworben, kann auch anstelle der in Satz 5 genannten Kriterien die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots des medizinischen Versorgungszentrums berücksichtigt werden."

45

Abs. 4a dieser Norm regelt:

46

"Verzichtet ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf seine Zulassung, um in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig zu werden, so hat der Zulassungsausschuss die Anstellung zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen; eine Fortführung der Praxis nach Absatz 4 ist nicht möglich. Nach einer Tätigkeit von mindestens fünf Jahren in einem medizinischen Versorgungszentrum, dessen Sitz in einem Planungsbereich liegt, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, erhält ein Arzt unbeschadet der Zulassungsbeschränkungen auf Antrag eine Zulassung in diesem Planungsbereich; dies gilt nicht für Ärzte, die auf Grund einer Nachbesetzung nach Satz 5 oder erst seit dem 1. Januar 2007 in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind. Medizinischen Versorgungszentren ist die Nachbesetzung einer Arztstelle möglich, auch wenn Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind."

47

Schon das Sozialgericht hat auf diesen klaren Wortlaut hingewiesen. Insoweit fehlen nicht Darlegungen des Sozialgerichts zum Vortrag des Antragstellers, sondern umgekehrt ein Vortrag des Antragstellers zu der Argumentation des Sozialgerichts. Dem Gesetzgeber kann nicht verborgen geblieben sein, dass ein MVZ angestellte Ärzte haben kann und auch in dem vorliegenden Zusammenhang auf diese zurückgreift. Irgendwelche Anhaltspunkte für die vom Antragsteller postulierte Einschränkung kann der Senat weder im Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 103 SGB V noch in der Systematik des SGB V erkennen.

48

Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation auch von einem Mitbewerber auf einen Vertragsarztsitz, der den Praxisbetrieb zwar am bisherigen Standort, jedoch lediglich als angestellter Arzt in der Zweigpraxis einer Berufsausübungsgemeinschaft oder eines MVZ fortzusetzen will. In solchen Fällen hängt die Fortführung der Praxis tatsächlich ganz maßgeblich nicht von dem Willen des Bewerbers ab, sondern aufgrund des Direktionsrechts seines Arbeitgebers von dessen Willen (dazu BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12, Rn. 35; zum unterschiedlichen Status von zugelassenen und angestellten Ärzten vgl. schon BSG Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 40/11 R - juris). Im vorliegenden Fall bewirbt sich aber das MVZ und nicht die bei ihm angestellten Ärzte.

49

d) Im Zeitpunkt der Bescheiderteilung (hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, 30.11.2005 - L 10 KA 29/05 - juris) erweist sich die Auswahlentscheidung des Antragsgegners als rechtmäßig.

50

Das Gericht prüft, ob der Beurteilung ein vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, kein Verfahrensfehler begangen wurde, die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten sind, kein Verstoß gegen höherrangiges Recht (insbesondere Grundrechte) vorliegt, die Subsumtionserwägungen in der Begründung des Verwaltungsakts verdeutlicht sind, sodass eine zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar ist, ob sachfremde Erwägungen angestellt wurden und ob allgemeine oder besondere Wertmaßstäbe, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind. Bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern ist dem Antragsgegner ein Ermessen eingeräumt; hier prüft das Gericht, ob ein Ermessensfehler, ein Ermessensnichtgebrauch oder eine Ermessensreduzierung "auf Null" vorliegt (LSG Nordrhein-Westfalen, 30.11.2005 - L 10 KA 29/05 - juris).

51

Die Kriterien für die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Auswahlentscheidung listet § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V auf. Es sind:

52

1. die berufliche Eignung,

53

2. das Approbationsalter,

54

3. die Dauer der ärztlichen Tätigkeit,

55

4. eine mindestens fünf Jahre dauernde vertragsärztliche Tätigkeit in einem Gebiet, in dem der Landesausschuss nach § 100 Absatz 1 das Bestehen von Unterversorgung festgestellt hat,

56

5. ob der Bewerber Ehegatte, Lebenspartner oder ein Kind des bisherigen Vertragsarztes ist,

57

6. ob der Bewerber ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich betrieben wurde,

58

7. ob der Bewerber bereit ist, besondere Versorgungsbedürfnisse, die in der Ausschreibung der Kassenärztlichen Vereinigung definiert worden sind, zu erfüllen,

59

8. Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung.

60

Bei den meisten hier aufgelisteten Kriterien unterscheidet sich der Antragsteller nicht von den vom MVZ angestellten Ärzten. Insoweit verweist der Senat bezüglich der Einzelheiten auf den angegriffenen Bescheid.

61

aa) Die Berufserfahrung und damit auch die Qualifikation könnten zwar für den Antragsteller sprechen. Allerdings findet eine beliebige bzw. die signifikante Vermehrung des beruflichen Erfahrungswissens jenseits einer gewissen Dauer ärztlicher Tätigkeit kaum mehr statt (vergl. LSG Schleswig-Holstein, 3.8.2006 - L 4 B 269/06 KA ER - juris; LSG Hamburg - 26.2.2009 - L 2 B 7/09 ER KA - juris). Hier war zum einen zu berücksichtigen, dass Frau N. immerhin bereits seit drei Jahren seit dem Abschluss ihrer Weiterbildung Berufserfahrung gesammelt hatte. Mit Herrn Dr. F. steht ihr zudem ein weiterer Arzt zur Seite, der hinsichtlich der Berufserfahrung dem Antragsteller mit 26 Jahren Berufserfahrung als gleichrangig angesehen werden muss. Dies gleicht die geringere Berufserfahrung von Frau N. teilweise aus.

62

Hinzu kommt, dass Bewerber nicht nur Frau N., sondern zur Hälfte auch eben dieser erfahrene Herr Dr. F. ist. Zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass allein Herr Dr. F. außerdem die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin führt. Nicht ermessensfehlerhaft sieht er darin speziell in Bezug auf das Fachgebiet Onkologie eine wichtige zusätzliche Qualifikation. Nicht ermessensfehlerhaft wird damit eine ähnliche Qualifikation von MVZ und dem Antragsteller festgestellt.

63

bb) Es ist weiter nicht zu beanstanden, wenn die Zulassungsgremien bei der Auswahl des Nachfolgers bzw. der Nachfolgerin auch den Umstand berücksichtigen, ob ein bestimmter Bewerber deutlich mehr die (prognostische) Gewähr für eine länger andauernde kontinuierliche Patientenversorgung ("Versorgungskontinuität") bietet als andere (BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12). Dass der Gesetzgeber der Kooperation von Ärzten erhebliche Bedeutung beimisst, zeigt z.B. § 87b Abs. 2 Satz 2 SGB V in der Fassung des GKV-VStG, der die Förderung von Praxisnetzen bei der Honorarverteilung ermöglicht. Diese und andere erwünschte und geförderte Formen der Zusammenarbeit setzen - unabhängig von der Intensität des Arzt-Patienten-Kontakts im jeweiligen Fachgebiet - ein gewisses Maß an personeller Kontinuität voraus (BSG, 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 13, Rn. 57).

64

Zutreffend führte die angefochtene Entscheidung aus, dass die gesetzliche Regelung keine abschließende Aufzählung der Auswahlkriterien enthalten (so auch BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12, Rn. 50 m.w.N.). Insbesondere kann auch der Umstand berücksichtigt werden, ob ein bestimmter Bewerber deutlich mehr die prognostische Gewähr für eine länger andauernde kontinuierliche Patientenversorgung bietet als andere Bewerber (BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12).

65

Es steht außer Zweifel, dass eine 1961 geborene Bewerberin prospektiv einen weitaus längeren Zeitraum für die kontinuierliche Versorgung der Patienten zur Verfügung stehen wird als ein 1943 geborener - also 21 Jahre älterer und zum Zeitpunkt der Bewerbung bereits deutlich im regulären Rentenalter stehender - Bewerber (vgl. BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12). Dies ist genauso wenig altersdiskriminierend wie das Abstellen auf das Approbationsalter, dass isoliert gegen Frau N. spricht, wie der Antragsgegner zutreffend festgestellt hat.

66

Soweit der Antragsteller meint, diese auch vom Sozialgericht mehrfach zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12) sei nicht einschlägig, so verkennt er ebenso die vom Antragsgegner (und zuvor vom Sozialgericht) ausdrücklich ausgeführte Gleichstellung eines MVZ in dem vorliegenden Zusammenhang. Wenn § 103 SGB V auf die Qualifikation der Mitbewerber abstellt, kann insoweit auch nur an die Qualifikation der anzustellenden Ärzte angeknüpft werden. Ein Approbationsalter des MVZ kann es nicht geben.

67

Allein ausschlaggebend darf dieser Aspekt allerdings nicht sein, weil das auf eine - unter Diskriminierungsgesichtspunkten problematische - strukturelle Bevorzugung des jüngeren vor dem älteren Bewerber hinauslaufen könnte und weil auch der an sich für eine Kontinuität einstehende Bewerber rechtlich nicht gehindert ist, nach kürzerer oder längerer Zeit die übernommene Praxis zu verlegen (BSG, 20.3.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12). Richtig verweist der Antragsteller auch auf den Umstand, dass den angestellten Ärzten gekündigt werden könnte bzw. diese selbst kündigen könnten. Allerdings ist - wie es gerade die Erfahrung mit Herrn B. zeigt - auch möglich, dass ein Vertragsarzt seinen Sitz verlegt. Der Senat weist darauf hin, dass der Antragsteller auch selbst hierfür ein Beispiel bietet, ohne dass der Senat deshalb grundsätzliche Zweifel an seinem Praxisfortführungswillen hätte.

68

bb) Zugunsten von Frau N. ist es aber nicht ermessensfehlerhaft, auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass diese in der Zeit vom 8. Oktober 2014 bis 30. September 2015 zur Behandlung der Patienten des Praxisabgebers ermächtigt war. Dies hat nichts mit ihrem Alter zu tun. Hinzu kommt unabhängig hiervon, dass sie zusammen mit Herrn Dr. F. zum 1. August 2015 ihre Tätigkeit im Rahmen der Praxisnachfolge aufgenommen hatte. Die Berücksichtigung solcher Aspekte der Versorgungskontinuität ist nicht ermessensfehlerhaft.

69

Ermessensfehlerfrei stellt der Antragsgegner auch darauf ab, dass gerade häufig schwer erkrankte Patienten möglichst kontinuierlich den gleichen ärztlichen Ansprechpartner haben sollten. In solchen Fällen kommt dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eine nochmals höhere Bedeutung zu, als dies ohnehin schon der Fall ist. Dies gleicht nach der rechtsfehlerfreien Einschätzung des Antragsgegners das geringere Approbationsalter von Frau N. von drei Jahren gegenüber dem Antragsteller von 42 Jahren zumindest erheblich aus.

70

cc) Der Hinweis des Antragstellers auf den Kaufpreis ist nicht nachvollziehbar; insbesondere erhöht dies weder seine Qualifikation noch wird insoweit ein anderes in § 103 SGB V genanntes Merkmal tangiert. Zutreffend führt der Antragsgegner aus, dass erst wenn keine Einigung zwischen dem Veräußerer und dem am besten geeigneten Bewerber über den Kaufpreis erzielt wird, sich für das Zulassungsgremium die Frage des Verkehrswertes stellt. Die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes sind nur insoweit zu berücksichtigen, als der Kaufpreis die Höhe des Verkehrswertes der Praxis nicht übersteigt (BSG, 14.12.2011 - B 6 KA 39/10R - juris). Spätestens seit dem Vertragsschluss des ausscheidenden Arztes mit dem MVZ hat dieser sein Einverständnis mit der Übernahme durch das MVZ eindeutig signalisiert. Der Antragsteller ist nicht berufen, Interessen von Herrn B. zu vertreten, die dieser selbst nicht mehr verfolgt. Eine Kommerzialisierung der Zulassung will das SGB V nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausdrücklich vermeiden.

71

dd) Die zeitliche Beschränkung und die Vorläufigkeit ergeben sich - entgegen der Ansicht des Antragstellers - bereits aus der von ihm selbst erhobenen Klage. Die vorliegende Entscheidung des Antragsgegners ist nicht irreparabel wie beispielsweise die Einweisung eines Drittbegünstigten in eine Planstelle nach dem Beamtenrecht. Vielmehr kann die Entscheidung des Antragsgegners durch die Gerichte revidiert werden, in der Regel dahin gehend, dass der Antragsgegner eine neue Entscheidung zu treffen hat. Die Begünstigung eines Dritten führt daher nicht zum Untergang des eigenen Anspruches des nicht berücksichtigten Bewerbers (so auch LSG Thüringen, 12.2.2015 - L 11 KA 1626/14 B ER - juris Rn. 49).

72

3. Schließlich ist der Sofortvollzug formell rechtmäßig angeordnet worden. Die Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG sind ausreichend dargetan. Danach erfordert die Anordnung der sofortigen Vollziehung, dass das hieran bestehende besondere Interesse schriftlich begründet wird.

73

An die Begründung sind hohe Anforderungen zu stellen. Sie muss erkennen lassen, warum im konkreten Fall das öffentliche Interesse oder das Individualinteresse eines Beteiligten am Sofortvollzug überwiegt und warum dies dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86a Rn. 21b). Das den Sofortvollzug tragende öffentliche oder individuelle Interesse ("besonderes Interesse") muss mehr als das den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigende Interesse sein, denn die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsaktes reichen für die Begründung des Sofortvollzugs nicht aus (LSG Nordrhein-Westfalen, 24.11.2004 - L 10 B 14/04 KA - juris).

74

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liegt auch im öffentlichen Interesse. Nachvollziehbar und überzeugend hat der Antragsgegner auf das hier besonders bestehende Interesse an einer Fortführung und möglichst sogar kontinuierlichen Fortführung der ärztlichen Behandlung hingewiesen.

75

Der Senat vermag die vom Antragsteller vorgeschlagenen Versorgungsalternativen nicht nachzuvollziehen. Eine Versorgung über Dr. B. ist angesichts der bestehenden Unterversorgung nicht möglich. Diese ist bereits bindend festgestellt und wäre im Übrigen auch Grundlage für eine Zulassung des Antragsstellers. Immerhin fehlt ein kompletter vertragsärztlicher Sitz. Hierauf weist der angefochtene Bescheid überzeugend hin.

76

Die Ermächtigung von Frau N. war befristet und war zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits ausgelaufen.

77

Ob eine neue Ermächtigung von Frau N. (und ggfs. von Herrn Dr. F.) ein milderes Mittel zu sehen wäre, erschließt sich dem Senat nicht. Denn auch dann würde sich der Status quo verfestigen, was der Antragsteller verhindern will. Zumindest setzt diese Argumentation voraus, dass die beiden vorgenannten Ärzte bereit wären, im Rahmen einer solchen Ermächtigung tätig zu sein. Angesichts der hierfür notwendigen Befristung würde sich hier für diese Ärzte die vom Antragsteller beklagte Unsicherheit ergeben. Dies würde sogar ohne Nutzen des Antragstellers zu Brüchen in der Patientenversorgung führen. Auch insoweit ist kein Ermessensfehler erkennbar.

78

Sofern der Antragsteller darauf hinweist, eine Versorgung der Patienten sei über eine entsprechende Ermächtigung eines (unbenannten) Fachkollegen möglich gewesen, so setzt dies implizit voraus, dass ein solcher ermächtigender Arzt zur Verfügung steht. Angesichts des Umstandes, dass hier Unterversorgung besteht, ist dies nicht selbstverständlich. Woher der Antragsteller die Gewissheit nimmt, dass dies möglich sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Hier können der Senat und der Antragsgegner nicht ins Blaue hinein ermitteln; die Ermächtigung eines unbekannten Arztes ist im Übrigen rechtlich und faktisch nicht möglich.

79

F. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der unterliegende Antragsteller die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).

80

Es gibt auch im Übrigen keine Gründe für eine andere Kostenverteilung. Der Senat weist darauf hin, dass seiner Ansicht nach auch bereits der Zulassungsausschuss berechtigt war, die sofortige Vollziehung anzuordnen und es daher das Sozialgericht auch unter diesem Aspekt zutreffend entschieden hat, den Antrag zurückzuweisen.

81

Der Senat schließt sich hier dem BSG an (5.6.2013 - B 6 KA 4/13 B – juris; a. A. LSG Nordrhein-Westfalen 4.9.2013 - L 11 KA 48/13 B ER - juris Rn. 14). Dieses hat ausgeführt:

82

"Ungeachtet des Fehlens der Entscheidungserheblichkeit weist der Senat aus Gründen der Klarstellung daraufhin, dass auch der ZA - und nicht erst nur der BA - als Behörde im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die Kompetenz hat, eine VzA zu erlassen (so auch BayLSG vom 19.9.2012 - L 12 KA 59/11 - in Abkehr von BayLSG vom 22.8.2008 - L 12 B 650/07 KA ER - MedR 2009, 565; vgl auch zB Pawlita in: Schlegel/Voelzke/Engelmann, juris-PK SGB V, 2. Aufl 2012, § 97 RdNr. 70; Schiller, Entscheidungsanmerkung MedR 2009, 566 f; Clemens, Aufschiebende Wirkung und sofortige Vollziehbarkeit, in: Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (Hrsg), Festschrift 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, 2008, S. 339; offengelassen in BSG SozR 4-2500 § 96 Nr. 1 RdNr. 30 m.w.N.). Danach kann Sinn und Funktion des § 97 Abs. 4 SGG, der mit der Einführung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG bestehen blieb, darin gesehen werden klarzustellen, dass der Berufungsausschuss ungeachtet der abweichenden Terminologie des § 86 Abs. 2 Nr. 5 SGG ("Stelle, die über den Widerspruch zu entscheiden hat"; anders § 96 Abs. 4 SGB V: "den Berufungsausschuss anrufen") die Kompetenz zum Erlass einer VzA behalten hat."

83

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen